Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein kaiserlicher Mord
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 512
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[512] Ein kaiserlicher Mord. (Nach dem Tagebuche eines Erfurter Bürgers.) Es war im Jahre 1812, als die große französische Armee, ihrem Verhängnisse entgegeneilend, nach Rußland zu marschiren im Begriff war. In Erfurt zogen sich zwanzig Regimenter schwerer Cavallerie zusammen, um von ihrem Kaiser gemustert zu werden. Stattlichere Leute, ausgesuchtere Pferde, glänzendere und zugleich tüchtigere Ausrüstung war bis dahin noch nicht gesehen worden. Uebt schon jedes militairische Schauspiel für sich eine Art von Anziehungskraft auf die große Menge aus, und sogar auf den, welcher ein Elihu-Burritt’sches Oelblatt in sein Wappen genommen, wie viel mehr hätte es nicht hier der Fall sein sollen, wo jeder Einzelne dieser Weltbezwinger von einer strahlenden Glorie umgeben zu sein schien. Dennoch wanderten nur wenige Erfurter Bürger zum Krämpferthore hinaus, um Augenzeuge der bevorstehenden Revue zu sein. Denn wer sieht gern den Triumphzug seiner eigenen Ueberwinder, und auch der Veranlassung zu Hamlet’schen Selbstbekenntnissen geht Jeder gern aus dem Wege, welchem noch einige Gesinnungstüchtigkeit geblieben ist.

Des Morgens in aller Frühe stellten sich die Truppen, welche in der Stadt und in den umliegenden Dörfern übernachtet hatten, zwischen Erfurt, Dittelstedt und Melchendorf in musterhafter Ordnung auf. Einige Erfurter Bürger, worunter auch ich, zogen aus dem Krämpferthore nach dem sogenannten Rabensteine, von wo aus wir den für Zuschauer günstigsten Standpunkt zu ermitteln hofften. Kaum hatten wir auf der alten Gerichtsstätte Posto gefaßt, als der Kaiser mit seinem Gefolge im Schritt reitend denselben Weg einschlug, Am Rande eines Feldweges stellten wir uns in einer Reihe auf, entblößten Hauptes, lautlos, und sahen dem nahenden Schlachtengotte scharf unter die Augen. Sein Antlitz war aufgedunsen und erdfahl; auf der Stirne schienen schon die Rachegeister von Moskau und der Beresina der Ahnung düstere Schatten geworfen zu haben. Er trug das historisch gewordene Hütchen, einen grünen Leibrock, eine weiße, an den Taschen reich gestickte Weste, welche unter dem Rocke eine Hand breit hervortrat, kurze weiße Cashemir-Beinkleider, an den Knieen mit einigen Knöpfen und Schleifen besetzt, und Stulpenstiefeln. Beim Vorüberreiten fixirte der Kaiser jeden Einzelnen von uns, und als er zu den letzten der Reihe gekommen, war sein Auge so starr geworden, daß man nicht ohne Grauen hineinzusehen vermochte.

Ihm folgte der ganze zahlreiche Generalstab, und den Schluß bildete die Erfurter Ehrengarde. Die Männer waren trefflich beritten und trugen dreieckige Hüte, blauen, rothgefütterten Leibrock mit goldenen Epaulettes, weiße Weste, lange weiße Cashemirhosen und Stiefeln mit Goldquasten. Wir Zuschauer schlossen uns den Reitern an. Aber bald setzten dieselben in einen kurzen Galopp ein und waren, da das Terrain vielfach durchschnitten war, uns schon nach wenigen Minuten aus den Augen.

Plötzlich stürmte Rustan, des Kaisers Mameluck, wie ein Besessener hinter uns her und an uns vorüber, und der Huf seines prächtigen Berberhengstes überschüttete uns mit einer Wolke von Staub und Sand. Ehe wir uns noch recht die Augen ausgewischt, hörten wir einen schweren Fall. Rustan war mit dem Pferde in einen Graben gestürzt, über welchen er hatte setzen wollen. Wir eilten zur Hülfe. Aber noch hatten wir die Stelle nicht erreicht, als er sich schon wieder aufgerafft und sein Pferd bestiegen hatte, worauf er in vollem Jagen das Gefolge des Kaisers zu erreichen suchte.

Als die kleine Gesellschaft, der ich mich angeschlossen hatte, bei der damals schon aufgeworfenen, aber noch nicht vollendeten Weimarischen Straße ankam, wurde unserem weiteren Vorgehen durch die aufgestellten Wachen ein Ziel gesetzt. Etwa tausend Schritte vor uns waren die Truppen in einem länglichen Viereck aufgestellt, dessen Langseite uns gegenüber offen war. Der rechte Flügel lehnte sich an Dittelstedt, das Centrum stand bei Melchendorf und der linke Flügel dehnte sich nach Erfurt hin aus. Der Kaiser, von seinem Stabe gefolgt und die Erfurter Ehrengarde zurücklassend, ritt den rechten Flügel entlang, welcher seine Fronte der Stadt zugekehrt hatte, und nahm jedesmal den Obersten des zu passirenden Regimentes mit sich. Die Feldmusik, die Trommelwirbel, der von Regiment zu Regiment donnernde Ruf „Vive l’Empereur!“ wollte kein Ende nehmen.

Nach etwa einer Stunde hatte der Kaiser auch die Truppen des Centrums gemustert und ritt nun an dem linken Flügel herunter. Da machte er bei einem am äußersten Ende aufgestellten Regimente Halt. Es war ein reitendes Artillerie-Regiment in grüner Uniform. Ich hatte während dieser Zeit mich mit meinen Gefährten mehr nach diesem Flügel hingezogen, vermochte aber nicht, ein Wort von dem zu vernehmen, was der Kaiser sprach. Derselbe ließ drei Mann jenes Regimentes absitzen, den Mantelsack abschnallen, die Pferdedecken abnehmen und ausbreiten, und die Equipirung auspacken und Stück für Stück auf die Decken legen. Dann sahen wir die drei Leute bis auf das Hemd sich entkleiden. Wir waren über diese auf das Geringste eingehende Musterung erstaunt und ergingen uns in allerlei Vermuthungen, als der Kaiser sich an den Regimentscommandeur wandte und denselben, wie aus den heftigen Gebehrden zu schließen war, zornig zur Rede stellte. Der Oberst ritt einen Schritt näher heran, nur sich zu rechtfertigen, und – wie es schien – mit geziemender Ruhe, und zog dann sein Pferd wieder einen Schritt zurück. In demselben Augenblicke aber zog der Kaiser seinen Degen und stieß ihn dem Officier in die Brust. Der Schwergetroffene sank vom Pferde. Das Gefolge des Kaisers schloß einen Kreis um den zornigen Gebieter und entzog den weiteren Vorgang unseren Augen. Die Revue war vorüber. Der Kaiser, in ruhiger Haltung, als wäre etwas Besonderes nicht vorgefallen, ritt an der Spitze seines Gefolges auf der Weimarischen Straße der Stadt zu. Wir, die wir Zeugen dieses tragischen Vorfalles gewesen, zogen in gedrückter Stimmung und ohne ein Wort zu sprechen, auf demselben Wege heimwärts und kamen eben dazu, wie acht Mann jenes Artillerie-Regimentes den Verwundeten an die Böschung der Chaussée lehnten und mit Thränen in den Augen aus jungen, in der Nähe stehenden Pappeln eine Bahre zusammenbanden, um ihren Commandeur nach der Stadt zu tragen. Dieser wurde durch das Schniedtstedter Thor in den goldenen Hirsch gebracht, wo der schon harrende Feldscheer einen Todten in Empfang nahm.

Ueber diesen Vorfall wurde, da die französische Spionirerei zu dieser Zeit in höchster Blüthe stand und jedes unvorsichtige Wort mit schwerem Kerker geahndet wurde, nur unter vier Augen gesprochen. Niemand wagte es, Erkundigungen über die Motive dieser raschen That einzuziehen. Auch folgten die Ereignisse dieser schweren Zeit so schnell aufeinander, daß diese vom Kaiser eigenhändig geübte Justiz – wenn sie nicht einen schlimmeren Namen verdient – nur den wenigen bei der Revue gegenwärtigen Zuschauern bekannt geworden ist.