Textdaten
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Autor: Adolf Müller
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Titel: Eingeflügelter Vielfraß
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aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 621–624
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein geflügelter Vielfraß.


Das ist er leibhaftig auf unserem meisterhaft entworfenen Bilde, der auffallend gebaute Vogel mit dem grellen Blick seiner hochgelben Augen, der unablässige Räuber und Entvölkerer unserer Bäche; das ist der Vogel, der von grauen Zeiten her durch das Mittelalter hindurch eine Berühmtheit oder Bevorzugung durch den Hochsport der Falkenbaizen erlangt hat, der aber nichts anderes ist, als der gemeine oder Fischreiher der heutigen Naturkunde, in der Kunstsprache derselben Ardea cinerea genannt, ein mißtrauisches, äußerst scheues, vorsichtiges und dabei durch seine Lebensweise höchst schädliches Thier. Dieser Vogel verdient unbedingt in den waidmännischen Bann gethan zu werden, ja dies ist er vielmehr längst bei jedem aufmerksamen Jäger, der des versteckten Diebes Unbilden in den Gewässern an Fischen und ihrem Laiche, an den Lurchen und dem Kleingeflügel aller Art belauscht hat. Aber dem scheuen, vorsichtigen Vogel ist meist sehr schwer beizukommen. In der Zeit der Brut und Jungenpflege ist dies noch am leichtesten zu bewerkstelligen. Wollen wir sein Thun und Treiben eingehend beobachten, so ist selbst zu dieser Zeit ein Fernrohr von Nutzen. Denn seine Sinne sind scharf.

Betrachten wir vorerst sein Aeußeres! In der Farbe seines Gefieders zeigt der Vogel nichts Auffallendes; sie ist düster-grau, nur auf der Stirn und am Oberkopfe erscheint sie weiß und am Vorderhalse herab weiß-grau. Den letzteren herunter laufen drei Reihen schwarzer, lanzettförmiger Federn, denen sich weiß-grau gezeichnete längere am Unterhalse anschließen. Besonders den Kopf des alten Männchens zieren drei stattliche schwarze Schopffedern. Von eben dieser Farbe sind die großen Schwungfedern und die charakteristischen Streifen, die durch die Augen nach dem Hinterkopfe laufen. Um die Augen bemerken wir ein grün-gelbliches nacktes Feld. Der starke, spitze, seitlich zusammengedrückte Schnabel, welcher einen Umfang von mehr als einer Kopflänge hat, ist gelblich und bei alten Männchen in's Röthliche spielend; die hohen Stelzfüße sind braunschwarz gefärbt.

Mehr als die Farbe des Federkleides fällt die Gestalt und Haltung unseres Vogels auf. Sein Leib ist dürr und schmächtig, und der lange Hals, welcher in den verschiedensten Formen, bald gestreckt, bald in mehr oder minder gekrümmter Lage wie ein S oder auch noch mehr über den Rücken zurückgebogen getragen wird, sowie die langen „Ständer“ (Beine) vollenden die auffällige Erscheinung dieses zur naturgeschichtlichen Ordnung der Stelz- oder Watvögel gehörigen Reihers. Sein Gesicht ist vorzüglich und das Gehör ebenfalls fein.

Eine ungemeine Wachsamkeit läßt den Vogel von einem Orte seines oft weit ausgedehnten Jagdreviers zum andern stets hoch über Schußhöhe in die Luft wechseln. Beim Fluge hält er die Ständer nach hinten ausgestreckt, den Kopf aber zurückgezogen, gerade umgekehrt wie der Storch, der bekanntlich mit vorgestrecktem Halse fliegt. Fast immer fällt der Reiher an solchen Stellen der Gewässer ein, von welchen aus er eine freie Umschau hat. Erst nach gehörigem Kreisen und behutsamem Durchforschen der Umgegend geht er in's Ried, in den Sumpf, in Gräben und Bäche der Wiesen und Moore, an Flüsse, Teiche und Seen, sowie an den Meeresstrand oder wo er sonst seichte Stellen zum Rauben findet. Eine Zeit lang steht er mit ausgerecktem Halse unbeweglich wie eine Bildsäule, still beobachtend, um sodann erst, nach vollkommener Sicherung, in eigenthümlich ruckweisem Gange sich die geeigneten Stellen zum Fischen auszusuchen. Hat er diese mit seinen untrüglichen Sinnen ausgekundschaftet, so verweilt er oft Stunden lang mit eingezogenem, halb über den Rücken gelegtem Halse unbeweglich auf der Lauer. Wie ein Bajonnett fährt beim Erscheinen einer Beute in seiner Nähe der scharfe, derbe Schnabel hernieder, einen Fisch oder einen Lurch, ein Insect oder Weichthier und dergleichen mehr mit großer Sicherheit zu spießen. Die auf der Stromschnelle vorbeischießende Forelle packt sein Schnabel, der bei solchem Fange dem Strahl des Fisches vorgreift, ähnlich wie der Jäger dem flüchtigen Wilde mit der Flinte vorhält, um den Schuß dem in Bewegung befindlichen Gegenstande treffend beizubringen. Jede Lache, welche nach ausgetretener Fluth von Gewässern in Wiesen und Feldern entstanden, die seicht werdenden Fluthgräben in sumpfigen, moorigen Niederungen, jeden Ausfluß von Gräben, jedes beuteversprechende Wehr an fließendem Wasser hat das durchdringende Auge unseres Fischdiebes alsbald [622] entdeckt; sofort nähert er sich diesen Fundstellen stillbedächtig, um seinen sicheren Fischfang auszuüben. Ein Blick auf die ungemein langen Zehen seiner hohen Stelzfüße, die den sprüchwörtlich leichten Rumpf tragen, macht es begreiflich, wie dem Vogel das Schreiten über den weichsten Sumpf- und Schlammboden ermöglicht ist. Hier räumt er denn auch unter Allem, „was da kraucht“, weidlich und unbarmherzig auf. Neben der beschriebenen Nahrung stellt er allen erdständigen Vogelnestern nach. Die Bruten des Kiebitz, der Becassinen und Wildenten, die Nester der Rohrsänger, des Teich- und Rohrhuhnes verfallen der Wucht seines mörderischen Schnabels. Wie der unrechtmäßiger Weise in einer Art Heiligkeit stehende Storch, macht er Wiese, Ried und Marschen unsicher.

Aber welch ein Unterschied zwischen diesen beiden verwandten Stelzvögeln! Während den Bewohner unserer Dachfirsten und Kopfbäume in Gestalt und Bewegung etwas Stattliches, Gravitätisches kennzeichnet, verräth sich in dem Thun des Reihers die Häßlichkeit, verbunden mit Schlauheit und Tücke. Er ist ein Bild der Widerwärtigkeit, der Freßgier und des immer regen Diebsgelüstes. Mit niedergebogenem Halse und gesenktem Schnabel schleicht der Reiher, allein oder mit andern seiner Sippschaft, geräuschlos wie die das Schilf und Röhricht durchziehende Sommerluft, unter schattenhafter Bewegung die Ufer der Gewässer entlang. Jede Bewegung im Wasser unter ihm oder in dem ihn umgebenden Gestrüpp bemerkt sein reges Gaunergesicht, und stets sind, bei aller scheinbaren Ruhe und Gleichgültigkeit, Raubsinn und Gier in ihm bereit, alles Lebende hinterlistig zu morden. Frösche, Schlangen, Vögel und Säugethiere verschluckt er, nachdem er sie gestochen und todtgebissen, mit den Köpfen zu unterst; Fische hingegen bringt er stets vorher in die Lage mit dem Kopfe nach oben, ehe er sie hinunterwürgt. Wehe dem Trupp zahmen jungen Federviehs, dem er auf Teichen, Flüssen oder Bächen begegnet! Wehe dem in Wiese oder Feld sich verlaufenden Hühnervölkchen der Höfe! Der schleichende Räuber fährt unter der Deckung von Schilf oder Gras oder aus schützendem Getreide verderbenbringend über die Wehrlosen her. Besonders in den Morgen- und Abendstunden geht er dem Raube nach. Mit angefülltem Kropfe verläßt er, unter unbehülflichen Flügelschlägen sich erhebend, seine Lauer- und Fangplätze, um mit krächzenden, sägeartigen Lauten, wie er gekommen, wieder seinem Stande zuzustreichen. „Kräik! Kräik!“ erschallt in kleinen Pausen sein Ruf, gleichsam der unmelodische Tact zu seinem schwerfälligen Fluge.

Unter einem harten, abgebrochenen Laut „Ka“ oder „Krah“ hat er sich seinem „Stande“ oder Nistorte genähert und wird nun von den heißhungrigen Jungen auf dem Reste mit rauhen, wie „Kreck, kreck“ tönenden Stimmen empfangen. Diese häßlichen Gestalten mit dem stoppelfederigen, struppigen Kleide der ersten Reiherjugend und den unförmlichen Gliedmaßen überkommt die Freßgier dermaßen, daß sie gewöhnlich im maßlosen Zugreifen die Hälfte der von den Alten ausgewürgten Beute vom Neste herunterwerfen, die dann am Boden verfault und einen pestartigen Geruch verbreitet, ebenso wie der kalkartige Auswurf oder das „Geschmeiß“ an den Rändern der Stände, auf den Aesten und Zweigen der Standbäume und am Boden.

Das seichtmuldige, kunstlose Nest, wie unser Bild es so trefflich darstellt, ruht auf einer Unterlage von groben Reisern und einem Geniste von Schilf, Stroh, Haide und Wurzelwerk und besteht aus einem dürftigen Polster von Thierhaaren, Wolle, Federn und Grasrispen. Hier sind aus den grünlichen Eiern die beiden häßlichen Sprossen der Reihersippschaft entstanden. Schon haben sie den stechenden Blick, umgeben von den hellen Augenringen und dem schmutzig grünen, nackten Augenfelde; schon zieht sich der bezeichnende schwarze Strich durch die Augen nach dem Nacken, der die Tücke des Gesichtsausdruckes nur noch vermehrt. Bald wird nach dem Stoßen der Fahnen aus sämmtlichen Kielen das Gefieder ihre unförmlichen Blößen bedeckt haben und die Insassen auf die langen Ständer treiben. Bald darauf auch werden sich die flüggen Bewohner des Nestes mit unbehülflichen Flügelschlägen auf die nächsten Aeste ihres Standbaumes schwingen und von da aus die benachbarten Bäume besuchen, bis sie endlich nach etwa sechswöchentlicher Pflege, von den Alten verlassen, ihre Schleich- und Diebeswege im nahen schilfbedeckten Riede oder der Fluß- und Teichniederung selbst betreten, um eine Zeit lang allabendlich wieder zur Nachtruhe auf den Nestrand zurückzukehren. In dieser Zeit sind sie übrigens, wenn auch furchtsam, doch lange nicht so scheu und vorsichtig wie ihre erfahrenen Eltern.

Jetzt ist die Zeit, wo man sie im Schilfe und Grase mit dem Hühnerhunde „aufstoßen“ (auftreiben), die schwerfällig „Aufstehenden“ mit leichter Mühe durch groben Hagel herunterschießen und so manches Fischgebiet von den gefährlichen Gästen reinigen kann. Aber auch noch früher bei den „Ständen“ (Nistplätzen) vermag der Jäger weidlich selbst unter den alten Nistreihern aufzuräumen. Daselbst kann er auch fesselnde Beobachtungen anstellen über das bewegliche Thun und Treiben auf diesen oft von einem Dutzend und an besonders geeigneten, abgelegenen Orten noch viel zahlreicher vertretenen Ansiedelungen der räuberischen Gesellen. In den in der Nähe von Gewässern belegenen Rändern der Eichen- und Fichtenwaldungen oder in Weidengehägen, wie die Scene auf unserer Illustration ein solches zeigt, siedeln sich die Reiher alljährlich im Frühjahre an und behaupten diese Stände, ganz entgegen ihrem sonstigen furchtsamen und vorsichtigen Wesen, auch bei starker Nachstellung hartnäckig. Solche Ansiedelungen bieten deswegen auch ebenso sehr dem Jäger eine Gelegenheit zur Erlegung der den Fischereien und der niederen Jagd gefährlichen Vögel, wie sie dem Forscher einen Blick verstatten in die Lebensweise dieser Colonisten.

Wie wir in den Niederungen die Reiher in der scheinbar harmlosesten Ruhe an ihren Raubstellen als verkappte, verschlagene, mörderische Gesellen haben kennen gelernt, so bekunden sie sich hier auf ihren Ständen als feige Cameraden, die kein gemeinschaftliches Interesse verbindet, die ein plötzlicher Wetterschlag, an den sich die Thiere der Wildniß doch sonst gewöhnen, derart erschüttert, daß sie zusammenfahren, ja, die ihrer eigenen starken Wehrhaftigkeit so vergessen, daß sie den frechen Plünderern ihrer Nester, den Elstern, Raben und Krähen, nichts weiter als ein lärmendes Gekrächze, aufgesperrte Schnäbel und matte Flügelschläge mit feigem Retiriren entgegensetzen. Nur der verwundete, flügellahm geschossene Reiher wird Menschen und Thieren aus Verzweifelung gefährlich. Unversehens stößt er seinen Lanzenschnabel mit unheilvoller Sicherheit gegen das Auge des Jägers oder des Jagdhundes. Eigene Wahrnehmungen haben mich dies gelehrt, sodaß ich meine Hühnerhunde angeschossene Reiher nicht apportiren lasse, noch viel weniger mich selbst ihren wuchtigen Schnabelhieben aussetze.

Auf dem kahlen Geäste der an Feld und Wiesen stoßenden Eichwälder, Triften und Wüstungen sieht man allabendlich, namentlich gegen den Herbst hin, die Reiher in Flügen von einem Dutzend und mehreren. Beobachtet man sie durch ein Fernglas, so gewährt die in sich gekauerte Gesellschaft einen Anblick, als ob sie sich Beschaulichkeiten und Betrachtungen hingäbe; in Wahrheit wartet sie mit vollgepfropften Kröpfen nur ihrer Verdauung. Im September bis zum October sammeln sich bei uns und im Norden größere Flüge zum Zuge nach dem südlichen Europa oder über das Mittelmeer. Sie suchen die Höhe und ziehen in gewundener Linie meist bei Tage, zuweilen auch in mondhellen Nächten, davon. Im März kehren sie wieder. Im Norden sind sie Zugvögel, im südlichen Europa Strichvögel, und der auf dem Zuge begriffene oder in den Süden eingewanderte Reiher streicht stets, vermöge seines unsteten Wesens und seiner Raubbegierde, von einem Wassergebiet zum andern.

Der Fischreiher hat viele nahe und entferntere Verwandte. Sein berühmtester und schmuckster Vetter ist der große Silber- oder Edelreiher (A. alba). Wie alle Reihervögel überhaupt mehr oder minder zu Siedelungen unter sich und mit verwandten Arten, an den Seeküsten sogar mit dem kleinen Seeraben oder der Scharbe geneigt sind, so trifft man auch den Silberreiher mit seinem blendend weißen Gefieder unter Seinesgleichen und Verwandten auf den Ständen des Fischreihers. Namentlich begegnet man solchen Colonien an den ausgedehnten, schilfreichen Donauniederungen in Ungarn, und die von Reisenden und Forschern gemachten Schilderungen über die schöne Staffage und das abwechselnde und bewegte Leben solcher Ansiedelungen sind höchst anziehend. Der bekannte Vogelkenner A. von Homeyer hat den Edelreiher zuerst einzeln bei einem Stande seines unedleren heimischen Verwandten in einem Kieferwalde an der Oder in Schlesien brütend entdeckt. Das an Kopf und Unterbrust immerhin

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Fischreiher im Neste.
Originalzeichnung von F. Specht.

[624] schon auffallend und schön lanzettförmig gestaltete Gefieder unseres Fischreihers verschwindet jedoch neben der Pracht des Edelreihers, die dieser namentlich in seinem Rückenschmucke zeigt, aus dem man die kostbaren Reiherbüsche verfertigt.

Wenn der Verfall eines ritterlichen Sports irgend zu bedauern ist, so ist es die Reiherbaize. Durch diese wurde der unseren Süßwasserfischereien so überaus schädliche Vogel gründlich verfolgt und seine Reihen, trotz der damals hin und wieder künstlich gehegten Reiherstände, stark gelichtet. Die Jagd auf den Reiher war aber auch wirklich ein hohes, fesselndes Vergnügen, und ich kann mir nicht versagen, diesen Artikel mit der kurzen Schilderung des bewegten Schauspiels einer Reiherbaize zu beschließen.

Für diese richtete man die Jagdfalken ab. Die Annalen der Hohenstaufen sagen uns, daß Kaiser Friedrich der Erste Jagdfalken dressirte und Friedrich der Zweite der erste Falkonier seiner Zeit gewesen und ein Werk über die Falkenbaize geschrieben hat. Schon das graue Alterthum pflegte diese Liebhaberei. Karl der Große schützte gesetzlich die Falken. Und so zog sich die Baize mit den Vögeln herüber in’s Mittelalter. Kaiser und Herren, besonders auch die hohe Geistlichkeit, betrieben diese Jagd leidenschaftlich; mehr als ihr göttliches Amt pflegten sie oft die edle Falkonierkunst. Diese bildete auch – wie die Jägerei überhaupt – die Waidmannssprache – die eigene Sprache der Falkoniere aus.

Es waren hauptsächlich drei Arten von Jagdfalken, welche außer dem in der ganzen alten Welt theils als Stand-, theils als Zugvogel verbreiteten Wanderfalken (Falco peregrinus) für die Baize gehalten und abgerichtet oder „abgetragen“ wurden. Unter den Jagdfalken begriff man den eigentlichen Jagd- oder isländischen (F. candicans s. islandicus), den Polar- oder grönländischen (F. arcticus) und den Gierfalk (F. Gyrfalco). Besonders schätzte man die beiden ersteren, welche im Alter sich fast ganz weiß verfärbten und in einem Werth standen, wie heutzutage das kostbarste Luxuspferd. Der Falke wurde bei der Baize, welche stets zu Roß betrieben wurde, bekanntlich auf der mit einem Stulpenhandschuh bewehrten Hand getragen. Der Vogel hatte die „Falkenkappe“ oder „Haube“ über dem Kopfe, unter der er nichts sehen konnte, und das „Geschühe“ an den Füßen. Das Geschühe bestand aus zwei mit Schellen versehenen Lederriemen, an denen der „Wurfriemen“ oder die „Fesseln“ befestigt waren. Mit dem so „unter die Haube gestellten Falken“, zog man zur Baize in weite Ebenen. Sobald ein Reiher sich sehen ließ, wurde der Falke „abgekappt“ oder „abgehaubt“ und entfesselt zum Hochfluge gelassen. Wenn der Reiher sich verfolgt sah, spie er den Raub aus, um, dadurch erleichtert, rascher die Höhe zu gewinnen. Der Falke suchte ihn im jähen Fluge zu übersteigen, um von der Höhe herab auf ihn zu stoßen. Jedem Stoße streckte jedoch der Reiher seinen Schnabel entgegen, und der Falke mußte vermeiden, sich an dieser gefährlichen Waffe zu spießen. Kämpfte er mit einem alten erfahrenen Reiher, so setzte es meistens hoch in den Lüften einen langen Kampf ab. Der Wettflug um die Höhe, in welchem jedoch der Falke wohl immer Sieger blieb, die kühnen Schwenkungen, die blitzartigen Stöße des Falken und die stete Abwehr des gedrängten Reihers, der endlich vor Mattigkeit dem Meistersegler der Lüfte weichen und herab zur Erde mußte oder von dem nimmer ermüdenden Falken mit den starken Fängen („Fingern“) „geschlagen“ und am Halse „gewürgt“ wurde – das Alles gewährte ein belebendes, erhebendes Schauspiel. Oft, wenn die Verfolgung des Reihers in die Ferne ging, eilten Roß und Reiter über Stock und Stein der luftigen Jagd nach und brachen, die Blicke zur Höhe gerichtet, nicht selten Glieder und Hals. Selbst die edlen Frauen betrieben die Jagd mit besonderer Leidenschaft, und der rauhbefiederte Falke saß oft auf zarter, freilich mit Stulpen verwahrter Hand der Schönen und wurde nach glücklich bestandenem Sport geliebkost wie ein Schooßhündchen. Sobald der Falke mit der Beute herniederstürzte, beeilten sich die Falkoniere, dem Vogel den Reiher abzunehmen und ihn auf die Faust unter Haube und Geschühe zu stellen, nachdem er „gespeist“ oder eine gute „Atzung“ unter dem Zurufe: „Rupf' an, Männchen!“ erhalten. Den Reiher, dem die Schmuckfedern genommen wurden, benutzte man oft, wenn er noch lebend war, für die Abrichtung junger Falken in der Falkenschule. Zuweilen legte man dem „gebaizten“ Reiher um einen seiner Ständer einen Ring mit dem Namen des Falkenbesitzers und dem Tage und Ort des Fanges und ließ ihn wieder fliegen.

Mit der Neige des achtzehnten Jahrhunderts kam die Falkenbaize in Europa aus der Mode. Aber in Indien, Persien und Arabien wird sie gegenwärtig noch eifrig betrieben. Ein Schimmer ihrer einstigen Glorie fällt aber auch noch bei uns in die Nüchternheit des Jahrhunderts herein – eben auf unseren Fischreiher.
Adolf Müller.