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Autor: Hugo Friedländer
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Titel: Ein entmenschtes Weib. Die Engelmacherin Wiese.
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aus: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1, S. 157–170
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1910
Verlag: Hermann Barsdorf
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Google-USA*, Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein entmenschtes Weib. Die Engelmacherin Wiese.

„Ehret die Frauen, sie flechten und weben himmlische Rosen ins irdische Leben“. Als Schiller diese Worte niederschrieb, hat er jedenfalls nicht geahnt, daß eine Person in Gestalt eines Weibes sich dereinst vor einem Schwurgerichtshof im Herzen Deutschlands wegen der grausigsten Verbrechen wird verantworten müssen. Das Fehlen von Findelhäusern in Deutschland hat schon so manchem kleinen Wesen das Leben gekostet. Die folgende Gerichtsverhandlung ergab, daß die „Engelmacherei“, wenn sie gewerbsmäßig betrieben wird, sogar sehr gewinnbringend ist. Vor einigen Jahren erschienen in Hamburger Zeitungen Anzeigen, in denen Dienstmädchen, Kinderfräuleins usw. ihre unehelich geborenen Kinder gegen Zahlung von Kostgeld zur Pflege anboten. Auf solche Anzeigen meldete sich vielfach eine Frau Wiese. Sie erbot sich, die Kinder gegen Zahlung von Kostgeld in Pflege zu nehmen. Sobald sie aber vermutete, die Mädchen befinden sich im Besitz von größeren Geldbeträgen, machte sie ihnen den Vorschlag, ihr eine einmalige größere Abfindungssumme zu zahlen. Sie werde nach London, Manchester, Wien, Berlin oder anderen Orten fahren, da sie in Erfahrung gebracht habe, daß dort eine Grafen- oder Fürstenfamilie ein Kind zu adoptieren wünsche. In mehreren Fällen erklärten sich die Mädchen, wenn auch mit schwerem Herzen, bereit, sich von ihren Lieblingen für immer zu trennen, zumal sie ja dann von der Bezahlung des Kostgeldes befreit waren. Nach einiger Zeit gewann jedoch die Mutterliebe wieder die Oberhand. Sie verlangten von der Wiese, den Aufenthalt ihrer Kinder zu erfahren. Die Wiese gab den Mädchen die Versicherung, die Kinder werden in Seide gebettet. Sie befinden sich in einem gräflichen oder fürstlichen Schloß, es fehle ihnen nichts weiter als das Himmelreich, eine weitere Auskunft könne sie ihnen nicht geben. Die Mädchen gaben sich aber damit nicht zufrieden, um so weniger, als sie die Wiese im Verdacht hatten, es sei ihr nur um Erlangung der Abfindungssumme zu tun gewesen, und der ihr übergebenen Kinder habe sie sich in verbrecherischer Weise entledigt. Die Mädchen machten schließlich der Polizei Anzeige. Letztere schritt sofort ein, zumal der Wiese, aus Anlaß ihrer vielen Vorstrafen, von der Polizei untersagt war, Kostkinder in Pflege zu nehmen. Benachbarte Hausbewohner hegten schon längst Verdacht, daß Frau Wiese die „Engelmacherei“, d. h. den Kindermord gewerbsmäßig betreibe, ja verschiedene Vorkommnisse führten zu der Vermutung, daß Frau Wiese die kleinen Wesen verbrenne. Sie soll bisweilen so stark geheizt haben, daß die Herdplatten zersprangen. Außerdem soll ein fürchterlicher Geruch wahrgenommen worden sein. Es wurde auch behauptet, Frau Wiese sei beobachtet worden, als sie am Spätabend mit einem schweren Paket noch einen Spaziergang nach den Ufern der Elbe gemacht habe und ohne Paket zurückgekehrt war. Ferner wurde ermittelt, daß bei Frau Wiese einmal eine schwindsüchtige Tänzerin gewohnt habe. Diese hatte sich auf grund eines ärztlichen Rezepts von Frau Wiese Morphium besorgen lassen. Die Tänzerin ist nach einiger Zeit von Hamburg nach Berlin übergesiedelt und dort gestorben. Das Rezept soll aber im Besitz der Wiese geblieben und darauf soll sie sich Morphium beschafft haben. Endlich meldeten sich Zeugen, die beobachtet haben wollten, daß Frau Wiese das uneheliche Kind ihrer Tochter sofort nach der Geburt getötet habe. Aus diesem Anlaß schritt schließlich die Polizei zur Verhaftung der Wiese.

Frau Wiese war einst die glückliche Gattin des Kesselschmieds Heinrich Wiese. In den letzten Jahren soll jedoch das eheliche Verhältnis eine arge Trübung erfahren haben. Der Ehemann Wiese hegte Verdacht, daß seine Gattin ihm nach dem Leben trachte. Er besaß ein kleines Vermögen. Frau Wiese hatte zu Nachbarsleuten geäußert: ihr Mann erfreue sich nicht der besten Gesundheit. Wenn er sterben sollte und sie den Witwenschleier anlegen müßte, dann würde sie das von ihrem Mann hinterlassene Vermögen, das ihr alsdann zufiele, über den herben Verlust sehr bald zu trösten vermögen. Dieser Herzenswunsch seiner liebenswürdigen Gattin war dem Mann zu Ohren gekommen. Von Stunde ab wurde er mißtrauisch, und zwar um so mehr, da verschiedene Speisen und Getränke, die ihm seine Gattin zubereitet hatte, ihm verdächtig erschienen. Es wurde ihm nämlich häufig nach dem Essen unwohl; er mußte sich erbrechen und bekam einen starken Hustenreiz, so daß ihm das Blut aus der Nase quoll. Einmal war der Kaffee in seiner Kaffeeflasche ganz bitter und hatte einen fauligen Geschmack. Als er nach Hause kam, sagte er zu seiner Frau: Ich glaube, du willst mich vergiften, ich werde den Kaffee untersuchen lassen. Frau Wiese riß dem Mann in voller Entrüstung die Kaffeeflasche aus der Hand und goß den Inhalt aus. Frau Wiese hatte auch wiederholt den Versuch unternommen, ihrem Mann des Nachts, während er schlief, mit einem Rasiermesser den Hals zu durchschneiden. Dies Verfahren wurde nur dadurch vereitelt, daß der Mann Verdacht schöpfte und die ganze Nacht wachgeblieben war. Frau Wiese hatte eine außerehelich geborene, sehr hübsche Tochter, namens Paula Berkefeld. Das Geschäft des Kindermnordens mag wohl bisweilen gestockt haben, die Megäre war daher bemüht, ihre junge, bildschöne Tochter in die Anne des Lasters zu treiben, um sich auch dadurch eine Erwerbsquelle zu verschaffen. Sie erließ in verschiedenen Zeitungen Annoncen folgenden Inhalts: „Eine junge Dame bittet einen edeldenkenden Herrn um 30 Mark Unterstützung gegen dankbare Rückzahlung.“ Anfänglich wurde die volle Adresse, später nur die Chiffer hinzugefügt. Infolge dieser Annonce meldeten sich Herren, die sich unter gewissen Umständen bereit erklärten, die gewünschte Unterstützung zu zahlen. Frau Wiese stellte ihre Tochter als die hilfsbedürftige junge Dame vor. Letztere sträubte sich, sich dem Laster hinzugeben, Frau Wiese wußte aber durch furchtbare Schläge mit dem Pantoffel und anderen Gegenständen den Widerstand des Mädchens zu brechen. Wenn selbst das nichts half, dann riet die Megäre den Männern, gegen das Mädchen Gewalt anzuwenden. Das Sündengeld strich selbstverständlich die Wiese ein. Paula Berkefeld wurde auch durch Schläge und Hunger gezwungen, sich der Straßenprostitution zu ergeben. Brachte das Mädchen kein oder nicht genügend Geld nach Hause, dann wurde es von dem entmenschten Weibe mißhandelt. Dieses Leben bekam jedoch Paula Berkefeld schließlich satt. Sie entfernte sich eines Tages heimlich aus dem Mutterhause, entkam nach London und trat dort bei einer deutschen Herrschaft in Stellung.

Endlich wurde Frau Wiese vom Schicksal ereilt. Sie wurde, wie bereits erwähnt, in Untersuchungshaft genommen. Noch ehe dies aber geschah, suchte sie eine Frau Jürgens, die vorübergehend bei ihr gewohnt hatte, durch Versprechen von Geldgeschenken usw. zu bewegen, eventuell vor Gericht zu beschwören: sie habe gesehen, wie die verschwundenen Kinder von feinen Damen abgeholt wurden, „das Gegenteil könne ja niemand beweisen“. Denselben Versuch machte Frau Wiese bei einer Mitgefangenen, die sie im Untersuchungsgefängnis bei den gemeinsamen Spaziergängen kennen gelernt hatte.

Die Behörde war jahrelang aufs eifrigste bemüht, durch Ausschreibung von hohen Belohnungen in den Zeitungen und Fachblättern des In- und Auslandes den Verbleib der verschwundenen Kinder zu ermitteln, es gelang aber nicht, auch nur eine Spur zu entdecken. Die ehemalige Hebamme Elisabeth Wiese hatte sich Anfang Oktober 1904 wegen fünf vollendeter, eines versuchten Mordes, schwerer Kuppelei und versuchter Verleitung zum Meineid in zwei Fällen vor dem Schwurgericht in Hamburg zu verantworten. Frau Wiese, 1850 geboren und katholischer Konfession, war bereits wegen Anstiftung zum Diebstahl, Hehlerei, Urkundenfälschung, Betruges, Betrugsversuchs und Kuppelei mit Gefängnis und Ehrverlust bestraft. Sie war eine mittelgroße, schlanke Frau. Sie hatte ein speckgelbes Gesicht, eingefallene Wangen, eine lange Habichtsnase und kleine stechende Augen. Sie machte ganz den Eindruck einer „Hexe“, mit der man Kinder graulich machen konnte. Den Vorsitz des Gerichtshofes führte Landrichter Dr. Crasemann. Die Anklage vertrat Staatsanwalt Dr. Hollender, die Verteidigung als Offizialverteidiger führte Rechtsanwalt Dr. Bleckwedel, Hamburg. Die Angeklagte, die sich mit großer Zungenfertigkeit verteidigte, bestritt alles. Die ihr übergebenen Kinder seien zum Teil zu sehr feinen Herrschaften ins Ausland gekommen, teils müßten sie von anderen Frauen, denen sie die Kinder übergeben habe, ermordet worden sein. Sie beschuldigte insbesondere eine Frau Miosga, zwei ihr übergebene Kinder ermordet zu haben. Sie habe eines Tages auf dem Boden der Miosga ein großes Paket gesehen, das nach Leichen roch. Auf ihre Frage habe Frau Míosga geantwortet: das Paket enthalte fauliges Schíffsfleisch, sie werde es abends in die Elbe werfen, Sie (Angeklagte) habe sich des Abends auf die Lauer gelegt und gesehen, daß die Miosga das Paket in die Elbe geworfen habe. — Die Verhandlung ergab, daß tatsächlich in dem Paket fauliges Schíffsfleisch, aber nicht menschliche Leichen enthalten war. Höchst dramatisch gestaltete sich die Vernehmung der Paula Berkefeld (unehelichen Tochter der Angeklagten) und auch des Gatten der Angeklagten, des Kesselschmiedes Heinrich Wiese. Paula Berkefeld, ein schlankes, auffallend blasses, sehr hübsches Mädchen von 22 Jahren, war zurzeit Dienstmädchen bei einem Dr. Goldschmidt in London. Sie würdigte die Mutter nicht eines Blickes und sagte immer: „Die Wiese“. — Vors.: Weshalb sagen Sie immer „Die Wiese“? Die Angeklagte ist doch Ihre Mutter? — Zeugin: Ich kann diese Frau nicht mehr als Mutter anerkennen. Die Angeklagte nannte darauf ihre Tochter „Die Person“. Paula Berkefeld, während deren Vernehmung zumeist wegen Gefährdung der öffentlichen Sittlichkeit die Öffentlichkeit ausgeschlossen wurde (die Vertreter der Presse durften im Saale bleiben), machte sehr belastende Aussagen. Sie ließ kaum einen Zweifel, daß ihre Mutter das von ihr (Zeugin) im Sommer 1902 geborene Kind sogleich nach der Geburt getötet habe. Paula Berkefeld bemerkte auf Befragen: Der Arzt habe ihr geraten, im Eppendorfer Krankenhause ihre Geburt abzuwarten. Sie habe aber eines Nachmittags, als sie sich gerade in der Schröderschen Wohnung befand, Geburtswehen bekommen. Die Wiese wurde von Schröder herbeigerufen. Die Wiese habe sie heftig geschlagen, so daß Schröder dazwischen trat. Alsdann habe ihr die Wiese Geburtshilfe geleistet. Die Wiese habe das Kind in einen Eimer mit Wasser fallen lassen und alsdann auf einen Sack gelegt. Sie habe gesehen, daß das Kind mit den Beinen zappelte, männlichen Geschlechts war und schwarze Haare hatte. Die Wiese sagte zu ihr: „Mache das Kind tot!“ Darauf habe sie geantwortet: Das kann und will ich nicht. — Sie sei alsdann in Ohnmacht gefallen und habe sich erst am folgenden Tage wieder erholt. Das Kind sei nicht mehr dagewesen. — Vors.: Sind Sie nicht einmal vorübergehend aus Ihrer Ohnmacht aufgewacht? — Zeugin: Jawohl. — Vors.: Machten Sie sich dabei keine Gedanken, wo lhr Kind geblieben sei? — Zeugin: Ich nahm an, die Wiese würde das Kind in Obhut nehmen. Am folgenden Tage sagte mir die Wiese auf mein Befragen, wo das Kind sei: Das Kind ist tot. Ich habe es nach einem Marien- und Eckernförderstraßenecke belegenen Beerdígungsinstitut gebracht und 20 Mark bezahlt, damit das Kind beerdigt werde. — Vors.: Was hat Ihnen die Wiese außerdem noch erzählt? — Zeugin: Sie sagte: wenn man ein neugeborenes Kind in einen Eimer mit Wasser stecke, dann sterbe es. Sie habe das Kind zunächst in einen Kasten legen wollen, sei aber durch die Anwesenheit eines Fräulein Reich daran verhindert worden. Alsdann habe sie das Kind auf dem Herd verbrennen wollen, das habe sich aber auch nicht ausführen lassen, da das Kind zu groß war. — Vors.: Weshalb mag die Wiese Sie geschlagen haben? — Zeugin: Weil ich nicht nach Hause gegangen war. — Vors.: Sie haben die Wiese, Ihre Mutter, sehr schwer belastet, ich frage Sie nochmals, ist das auch alles wahr, was Sie hier gesagt haben? — Zeugin: Ganz gewiß. — Vors.: Können Sie das mit gutem Gewissen vor Gott beschwören? — Zeugin: Jawohl. — Vors.: Nun, Angeklagte, was sagen Sie dazu? — Angekl. (sehr erregt): Was die Person hier gesagt hat, ist alles Lüge. Ich habe die Person nicht geschlagen, sie hat auch nicht in der Schröderschen Wohnung geboren. Die Person hat kein lebendes Kind geboren, sondern nur einen Umschlag gehabt. — Mehrere Zeugen bestätigten die Bekundungen der Paula Berkefeld, der auch von ihrer Dienstherrschaft in London das beste Zeugnis gegeben war. — Ein Fräulein Reich bekundete als Zeugin: Sie habe einige Monate bei der Angeklagten gewohnt. Paula Berkefeld habe im Sommer 1902 einige Tage bei dem Schuhmacher Schröder, einem 74 Jahre alten Manne, gewohnt, mit dem die Angeklagte ein intimes Liebesverhältnis unterhalten hatte. Paula Berkefeld wollte bei Schröder ihre Niederkunft abwarten. Eines Morgens sei Schröder zu der Wiese gekommen und habe gesagt: „Es ist so weit.“ Die Wiese sei sofort zu Schröder gegangen. Nach einigen Stunden kam die Wiese wieder und sagte: ihre Tochter habe einen hübschen Jungen geboren, dieser sei aber tot; sie habe sogleich einen Sarg für 30 Mark gekauft. Einige Tage darauf habe sie in der Küche viele verbrannte Kohlen gesehen. Auf ihre Frage habe Frau Wiese gesagt: sie habe die Nachgeburt des von Paula Berkefeld geborenen Kindes verbrannt. — Vors.: Nun, Angeklagte, was sagen Sie dazu? — Angekl.: Das ist nicht wahr, ich habe nichts verbrannt. — Vors.: Die Angeklagte soll sehr abergläubisch gewesen sein? — Zeugin: Jawohl. — Vors.: Was wissen Sie darüber zu sagen? — Zeugin: Frau Wiese hat des Nachts die Fenster verhangen und in der Küche Licht brennen lassen. Sie sagte: Wenn sie alsdann betet, der liebe Gott solle sie einen Lotteriegewinn machen lassen, dann gehe das Gebet in Erfüllung. — Vors.: Sagte sie nicht auch, daß sie mit Geistern verkehre? — Zeugin: Jawohl, sie erzählte mir einmal, daß sie oftmals während der Mitternachtsstunde mit Geistern spreche. Sie hatte sich auch das sechste und siebente Buch Mosis gekauft. In diesem las sie sehr eifrig, es standen alle möglichen Geistergeschichten darin. Ich mußte ihr auch einmal aus diesen Büchern ein Gebet abschreiben. — Vors.: Was hat noch in den Büchern gestanden? — Zeugin: Ich glaube, es hat auch etwas vom Kinderschlachten darin gestanden. — Vors.: Stand in den Büchern, daß das Schlachten kleiner Kinder Glück bringe? — Zeugin: Nein, aber Frau Wiese sagte einmal: Kinderblut und Blut von weißen Tauben ist gut, das bringt Glück. — Vors.: Hat die Wiese auch gesagt, daß das Verbrennen der Nachgeburt Glück bringe? — Zeugin: Ja, sie sagte, die Kohlenreste, die von dem Verbrennen einer Nachgeburt herrühren, bringen Glück. — Staatsanwalt: Haben Sie auch mit Paula Berkefeld über das von dieser geborene Kind gesprochen? — Zeugin: Jawohl, Paula sagte, es war ein hübsches Kind, es ist aber leider tot. — Staatsanwalt: Sagte Paula, daß das Kind gelebt hat? — Zeugin: Das weiß ich nicht mehr. — Paula Berkefeld, nochmals als Zeugin vernommen, bekundete: Sie habe auf Veranlassung ihrer Mutter mehrfach Anzeigen folgenden Inhalts aufgeben müssen: „Eine junge Dame bittet einen edeldenkenden Herrn um eine Unterstützung von 30 Mark gegen dankbare Rückzahlung.“ — Vors.: Weshalb gaben Sie die Anzeigen auf? Zeugin: Ich mußte ja. — Vors.: Weshalb mußten Sie? Zeugin: Wenn ich es nicht tat, wurde ich von der Wiese heftig geschlagen. — Vors.: Hat auch bisweilen die Wiese die Anzeigen aufgegeben? Zeugin: Jawohl. — Vors.: Es meldeten sich Herren auf diese Anzeigen? Zeugin: Jawohl. — Vors.: Haben Sie sich freiwillig hingegeben? Zeugin: Nein, ich habe mich zumeist gesträubt. Da zog die Wiese ihren Pantoffel aus und schlug mich heftig. Oftmals warf sie mich zu Boden, riß mich an den Haaren und trat mich mit den Füßen. Einmal flüchtete ich. Da verfolgte mich die Wiese mit einem Küchenmesser. Wenn das alles nichts half, sagte die Wiese den Herren: sie sollten mir Gewalt antun. — Vors.: Gaben die Herren alle Geld? Zeugin: Jawohl, das nahm stets die Wiese an sich. — Vors.: Kam es auch vor, daß Herren kein Geld gaben? Zeugin: Jawohl, in diesen Fällen machte die Wiese furchtbaren Skandal und schlug mich. — Auf weiteres Befragen bekundete die Zeugin: Die Wiese habe sie auch gezwungen, in Gemeinschaft mit einem jungen Mädchen, namens Fuß, sich der Straßenprostitution zu ergeben. — Vors.: Hat Ihnen die Wiese nicht auch angeraten, sich auf St. Pauli ein Absteigequartier zu mieten? Zeugin: Jawohl. — Die Angeklagte wiederholte auf Befragen des Vorsitzenden ihre Behauptung, daß ihr Mann das Kind Klotsche sittlich mißbraucht und es dabei erstickt habe. Als sie ihn deshalb zur Rede stellte, habe sie ihr Mann mit einem Kochtopf auf den Kopf geschlagen. Sie sei infolgedessen in Ohnmacht gefallen. Als sie wieder zu sich kam, sei ihr Mann mit dem Kind verschwunden gewesen. — Vors.: Angeklagte, ich habe schon viel gehört, daß aber ein erwachsener Mensch ein zwei Monate altes Kind sittlich mißbraucht, habe ich noch nicht gehört. — Angekl.: Es ist aber wahr: mit mir hat er ja dieselben Unsittlichkeiten vornehmen wollen. Ich muß noch bemerken, daß mein Mann an jenem Tage besoffen war. — Vors.: Hat Ihr Mann auch das Kind geschlagen? — Angekl.: Das Kind wurde auch getroffen. — Es wurde alsdann Kesselschmied Heinrich Wiese, ein im besten Mannesalter stehender Mann mit blondem Vollbart, der einen sehr guten Eindruck machte, als Zeuge in den Saal gerufen. Der Vorsitzende bemerkte dem Zeugen: Wenn er befürchte, durch Beantwortung einer Frage sich einer strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen, so habe er das Recht, die Beantwortung dieser Frage zu verweigern. Der Vorsitzende hielt dem Zeugen alsdann die Behauptungen der Angeklagten vor. Wiese: Ich kann darauf nur erklären, daß das eine totale Lüge ist. — Vors.: Würden Sie das vor Gott und Ihrem Gewissen beschwören können? — Zeuge: Gewiß. — Vors.: Wie sind Sie denn überhaupt dazu gekommen, diese Frau zu heiraten? — Zeuge: Es war damals ein ganz manierlich aussehendes Mädchen und sehr geschickt in allen Arbeiten. — Auf weiteres Befragen bemerkte der Zeuge: Ich habe in den ersten Jahren mit meiner Frau sehr friedlich gelebt. Nach einigen Jahren hat aber meine Frau 60 Mark, 80 Mark, 150 Mark usw. von meinen Ersparnissen aus der Sparkasse abgehoben. Seit dieser Zelt haben wir in Unfrieden gelebt. Meine Frau hat wider meinen Willen Kinder in Pflege genommen. Ich habe mich darum nicht weiter gekümmert. — Es wurde hierauf dem Zeugen das Dienstmädchen Klotsche, Mutter des verschwundenen kleinen Klotsche, vorgestellt Der Zeuge erklärte: Er kenne die Klotsche nicht, er habe niemals eine Quittung geschrieben und auch niemals für ein Pflegekind Geld erhalten. Die Klotsche und einige andere Mädchen beklagten unter heftigem Weinen den Verlust ihrer Lieblinge. — Nach beendeter Beweisaufnahme führte Staatsanwalt Dr. Hollender im Plaidoyer aus: Man nahm zunächst an, daß es sich bloß um zwei betrügerische Kindesunterschiebungen handle. Allein sehr bald meldeten sich noch zwei Mütter, die ihre Kinder reklamierten. Ob sich sämtliche Mütter, die ihre Kinder der Angeklagten in Kostpflege gegeben, gemeldet haben, oder ob nicht mehrere Dienstmädchen aus falscher Scham die Anzeige vielleicht unterlassen haben, läßt sich selbstverständlich nicht feststellen. Jedenfalls hat die Beweisaufnahme ergeben, vier Kinder, die der Angeklagten gegen verhältnismäßig hohe Geldbeträge in Kostpflege gegeben waren, sind spurlos verschwunden. Die Angaben der Angeklagten über den Verbleib der Kinder haben sich als freche Lüge erwiesen. Der Ehemann der Angeklagten ist ein rechtschaffener, braver und sehr fleißiger Mann. Im Hause der Angeklagten herrschte aber ein unsittliches Treiben. Schnöden Geldgewínnes halber hat die Angeklagte Zeitungsannoncen erlassen, um ihre eigene Tochter der Unzucht in die Arme zu führen. Und da die Tochter sich sträubte, wurde sie von der Mutter in furchtbarster Weise gemißhandelt. Als die Tochter in der Wohnung des Schuhmachers Schröder einen Knaben geboren hatte, da ermordete die Angeklagte das eigene Enkelkind. Die Angaben der Berkefeld über diesen Mord werden von anderen Zeugen im wesentlichen bestätigt. Die Angeklagte sagte zu einer Frau: „Meine Tochter hat einen hübschen Jungen geboren, das Kind ist aber sofort gestorben. Es ist gut so, denn meine Tochter muß nach England wieder zurück, und ich kann ein Kind nicht gebrauchen.“ Da haben Sie den Beweggrund, m. H. Geschworenen. Die Berkefeld ist durchaus kein psychologisches Rätsel. Sie hat der Angeklagten allerdings von England aus zärtliche Briefe geschrieben. Aber nachdem sie gehört hatte, ihre Mutter habe schnöden Geldgewinnes halber vier Kostkinder getötet, da sagte sie: ich kann diese Frau nicht mehr als meine Mutter ansehen. Der Staatsanwalt suchte im weiteren Verlauf den Nachweis zu führen, daß die Angeklagte sich auch der schweren Kuppelei und des versuchten Mordes gegen ihren Ehemann schuldig gemacht habe. In diesen beiden Fällen handelte es sich aber um Personen, die sich immerhin wehren konnten. Die Angeklagte hat aber außerdem vier wehrlose Wesen ermordet. Sie befand sich immer in Geldverlegenheit. Um dieser abzuhelfen, beschloß sie, Kostkinder in Pflege zu nehmen. Sie meldete sich auf Zeitungsannoncen, die von Dienstmädchen erlassen wurden, um ihre unehelich geborenen Kinder in Pflege zu geben. Die Angeklagte machte den Mädchen sofort den Vorschlag, die Kinder für eine größere Abfindungssumme als eigen anzunehmen, bzw. zu einer feinen Herrschaft ins Ausland bringen zu wollen. Die Angeklagte war bemüht, noch mehrere Kinder gegen hohe Abfindungssummen als eigen anzunehmen, es ist ihr dies nur nicht gelungen. Die Beweisaufnahme hat aber keinen Zweifel gelassen, daß die Angeklagte die ihr übergebenen Kinder sämtlich getötet hat. Es entsteht nun die Frage: Sind die verschwundenen Kinder getötet oder hat die Angeklagte nur einen falschen Weg der Verteidigung eingeschlagen. Ich habe bereits bemerkt, daß man anfänglich glaubte, es handle sich um zwei betrügerische Kindesunterschiebungen. Einzig und allein deshalb wurde die Angeklagte aufs Stadthaus geladen. Zu der Jürgens sagte sie aber dann: Ich bin aufs Stadthaus geladen, weil ich ein Kind um die Ecke gebracht haben soll. Wie kam die Angeklagte dazu, eine solche Äußerung zu tun. Die Angeklagte gibt selbst zu: das Kind Klotsche ist tot, aber nicht ich, sondern mein Mann hat das Kind tot gemacht. Sie gibt auch schließlich zu, die Kinder Sommer und Schultheiß sind tot, diese habe die Miosga getötet. Wahr ist, daß die Miosga 24 Stunden lang den Knaben Schweppke in Pflege gehabt hat. Belastend für die Angeklagte spricht auch der Umstand, daß sie bemüht war, das Kind Schulz zurückzubekommen, da es doch sehr bald „krepieren“ werde. Sie wissen, m. H., daß ihr dies nicht gelungen ist und daß der Knabe Schulz heute noch lebt. Den Knaben Schweppke hat die Angeklagte augenscheinlich auch zu töten versucht, indem sie dem armen Wesen Schnupftabak in die Nase steckte. Einem Manne, der das Kind alsdann in Pflege nahm, hat die Angeklagte Schnupftabak mitgegeben, mit der Weisung, diesen dem Kind in die Nase zu stecken. Einen stummen Zeugen gegen die Angeklagte bildet das Zeug der kleinen Blank, das sie unaufgefordert dem Zeugen Klühs schenken wollte. Es ist ferner zu erwägen, daß die Angeklagte den Müttern stets den Vorschlag machte, die Kinder gegen eine einmalige größere Abfindungssumme als eigen annehmen zu wollen. Allein nur sehr wohlhabende Leute, denen der Kindersegen versagt ist, pflegen Kinder als eigen anzunehmen, nicht aber Leute vom Schlage der Angeklagten, die sich in steter Geldverlegenheit befunden hat. Die Beweisaufnahme hat zweifellos ergeben, daß die Angeklagte Morphium im Hause gehabt hat. Allein wozu bedurfte es eines solchen Mittels? Ein Handgriff, ein falsches Rücken des Kissens genügt, um solch kleine Wesen vom Leben zum Tode zu befördern. Aber auch der Umstand, daß trotz aller Bemühungen nicht die leiseste Spur von den verschwundenen Kindern zu entdecken war, spricht dafür, daß die Angeklagte die Kinder getötet hat. Man könnte einwenden: einige Kinder, die der Angeklagten übergeben waren, leben noch. Aber nicht der Angeklagten, sondem einem glücklichen Zufall ist es zu verdanken, daß diese kleinen Wesen noch am Leben sind. Es entsteht nun die Frage: Hat die Angeklagte mit Überlegung gehandelt? Wenn ein verschmähter Liebhaber seinen Nebenbuhler aus Eifersucht niedersticht, dann kann man vielleicht sagen, er hat ohne Überlegung gehandelt. Man wird aber nicht behaupten können, die Angeklagte habe die kleinen Wesen ohne Überlegung getötet. Als Frau Wülfing das Kind Blank der Angeklagten wiederbrachte, weil sie kein Kostgeld erhielt, da sagte die Angeklagte: Es ist gut, daß das Kind hier ist, morgen kommt es nach England. In diesem Augenblick hat die Angeklagte zweifellos den Entschluß gefaßt, das Kind zu töten. Es ist allerdings ein bloßer Indizienbeweis, der Ihnen vorgeführt worden ist, er hat aber die Schuld der Angeklagten in vollem Umfange unwiderleglich dargetan. Ich bin überzeugt, Sie werden es mit einer großen Befriedigung empfinden, daß es gelungen ist, die furchtbaren Verbrechen zu entdecken. Wenn Sie sich die Verzweiflung der Zeugin Schultheiß vergegenwärtigen, der keine Macht der Erde ihr Kind wiederzugeben vermag, dann werden Sie mit mir das Gefühl hoher Befriedigung teilen, daß es gelungen ist, solch verruchte Verbrechen zur Bestrafung zu bringen. An Ihnen ist es, der verletzten Rechtsordnung die erforderliche Sühne zu verschaffen, entsprechend dem alten Rechtsgrundsatz: Auge um Auge, Zahn um Zahn. — Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Bleckwedel gab der Meinung Ausdruck, daß die Angeklagte die Kinder zwecks Unterschiebwıg ins Ausland verkauft habe. Unterschiebungen zwecks Erbschafts- und Alimentenerlangung kommen keineswegs so sehr selten vor. Für meine Vermutung spricht auch der Umstand, daß sich die Angeklagte mit verhältnismäßig geringen Abfindungssummen begnügt hat. Dafür spricht weiter der Umstand, daß drei Kinder, die die Angeklagte in Pflege hatte, am Leben sind. Meine Herren Geschworenen! Wenn nur die entfernteste Möglichkeit vorliegt, daß die Kinder noch am Leben sind, und dies ist doch nicht ausgeschlossen, dann müssen Sie die Angeklagte wegen der vier Mordtaten freisprechen. Sollten Sie trotzdem zu einem Schuldigspruch kommen und das Urteil an der Angeklagten vollstreckt werden und später einmal eins der verschwundenen Kinder auftauchen, dann würde das ein lebendes Wahrzeichen Ihres Fehlspruchs sein. Vor einem solchen Fehlspruch möge Sie der allmächtige Gott bewahren.

Der Gerichtshof verurteilte die Angeklagte, entsprechend dem Wahrspruch der Geschworenen, wegen fünf vollendeter Morde fünfmal zum Tode und zu dauerndem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. Wegen der schweren Kuppelei und der versuchten Verleitung zum Meineid wurde die Angeklagte zu einer Gesamtstrafe von zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Die Schuldfrage bezüglich des versuchten Mordes hatten die Geschworenen verneint. Die Angeklagte wurde, nachdem das Urteil Rechtskraft erlangt hatte, hingerichtet.