Textdaten
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Autor: Hugo Friedländer
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Titel: Der Judenflinten-Prozeß
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aus: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1, S. 143–156
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1910
Verlag: Hermann Barsdorf
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Google-USA*, Commons
Kurzbeschreibung:
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Der Judenflinten-Prozeß.

Im Mai 1892 erschien im Verlage von Glöss in Dresden unter dem Titel „Neue Enthüllungen, Judenflinten“ eine Broschüre, die den antisemitischen Reichstagsabgeordneten Rektor a. D. Hermann Ahlwardt (Berlin) zum Verfasser hatte. In dieser Broschüre wurde u. a. behauptet, daß von der Berliner Gewehrfabrik Ludwig Löwe & Co., Aktien-Gesellschaft, schlechte untaugliche Gewehre für die deutsche Armee geliefert werden. „Diese Gewehre,“ so hieß es in der Broschüre, „sind nicht bloß geeignet, die deutsche Armee kriegsuntüchtig zu machen, da die Gewehre beim Schießen versagen, sie gefährden außerdem durch häufiges Platzen der Läufe Leben und Gesundheit der deutschen Soldaten. Die Löweschen Gewehre sind nicht dem Feinde, um so mehr aber den deutschen Soldaten gefährlich, denen sie behufs Schießübung im Frieden und zur Anwendung im Kriege übergeben worden sind. Diese von den Leitern der Ludwig Löweschen Fabrik betriebenen betrügerischen Manipulationen, den Herren Isidor Löwe und Oberstleutnant a. D. Kühn, alias Cohn, geschehen teils des größeren Geldgewinns halber, zumeist aber im Auftrage der ‚Alliance israelite universelle‘, damit das Deutsche Reich im Falle eines Krieges geschlagen werde. Die Alliance israelite universelle hat das größte Interesse, daß Deutschland im nächsten Kriege geschlagen werde, da sie nur auf den Trümmern des Deutschen Reiches die von ihr erstrebte jüdische Weltherrschaft aufbauen kann. Die mit der Abnahme, Untersuchung und Stempelung der Gewehre betrauten königlichen Büchsenmacher Klott, Roener und Holz und der königliche Oberbüchsenmacher Kirch haben von diesen betrügerischen, ja hoch- und landesverräterischen Handlungen volle Kenntnis, sie schweigen aber, da sie große Summen dafür erhalten. Gleich zu Beginn der Fabrikation sind mindestens drei Gewehre, mit regelrechtem Paß versehen, ins Ausland gegangen. Jetzt beim Abschluß der Löweschen Lieferungen gehen Tausende von Gewehren, in Kisten verpackt, als ‚Eisenteile mit Holz verbunden‘ nach Hamburg, wo sie jedenfalls nicht liegen bleiben. In Frankreich und Rußland weiß man sehr genau, was bei Löwe vorgegangen ist.“ – Die Broschüre wurde sehr bald nach ihrem Erscheinen gerichtlich beschlagnahmt. Von der Oberreichsanwaltschaft wurde sofort eine eingehende Untersuchung wegen des angeblich verübten Hoch- und Landesverrats angeordnet. Auch von der Militärbehörde und der Staatsanwaltschaft am Landgericht Berlin I wurden umfassende Untersuchungen angestellt. Die eingeleiteten strafrechtlichen Verfahren wurden jedoch sehr bald eingestellt, da für die Ahlwardtschen Behauptungen sich nicht die mindesten Anhaltspunkte ergaben. Daraufhin stellte die Militärbehörde für die drei genannten Büchsenmacher und den Oberbüchsenmacher Kirch Strafantrag wegen verleumderischer Beleidigung. Die Direktoren der Löweschen Fabrik, Geh. Kommerzienrat Isidor Löwe und Oberstleutnant a. D. Kühn, schlossen sich dem Strafantrag an und wurden auch vom Gericht als Nebenkläger zugelassen. Ahlwardt hatte sich deshalb im Dezember 1892 vor der zweiten Strafkammer des Landgerichts Berlin I wegen wiederholter verleumderischer Beleidigung zu verantworten. Den Vorsitz des Gerichtshofes führte Landgerichtsdirektor Brausewetter, die Anklage vertrat Oberstaatsanwalt Drescher. Vertreter der Nebenkläger waren die Justizräte Gerth und Munckel. Die Verteidigung führte Rechtsanwalt Hertwig (Charlottenburg).

Sofort nach Eröffnung der Verhandlung erklärte der Oberstaatsanwalt: Wenn von den Beschuldigungen des Angeklagten auch nur ein ganz kleiner Teil wahr wäre, dann würde für mich die Notwendigkeit vorliegen, den Antrag auf Ausschluß der Öffentlichkeit zu stellen. Allein, ohne der mündlichen Verhandlung vorzugreifen, bin ich in der Lage, mitzuteilen, daß nach den Ergebnissen der Voruntersuchung alle Behauptungen des Angeklagten auf Erfindung beruhen. Es ist in der Voruntersuchung festgestellt worden, daß die von der Löweschen Fabrik für die deutsche Armee gelieferten Gewehre weder kriegsuntüchtig noch minderwertig waren, noch daß irgendeine hoch- oder landesverräterische Handlung von den Leitern der Löweschen Fabrik oder einem Beamten begangen worden ist. Ich begrüße es daher mit Freuden, daß ich keine Veranlassung habe, den Ausschluß der Öffentlichkeit zu beantragen, im Gegenteil, ich begrüße es als eine willkommene Gelegenheit, daß die Sache hier vor voller Öffentlichkeit klargestellt werden kann. – Ahlwardt hielt alle seine Behauptungen aufrecht und berief sich auf eine Reihe von ihm geladener Zeugen. Er bemerkte ferner: er habe zunächst Strafanzeige erstattet. Da er aber abschläglich beschieden worden sei, habe er die Broschüre geschrieben. Vor dem Erscheinen der Broschüre habe er sich aufs Polizeipräsidium begeben. Es sei ihm aber gesagt worden, der Polizeipräsident sei nicht zu sprechen, er solle sich an dessen Vertreter, den Geheimen Oberregierungsrat Friedheim wenden. Da er jedoch in Geheimrat Friedheim einen Juden, zum mindesten einen jüdischen Abkömmling, vermutete, habe er den Rittergutsbesitzer v. Langen gebeten, beim Polizeipräsidenten v. Richthofen vorzusprechen. Herr v. Langen sei auch vom Polizeipräsidenten empfangen worden. Letzterer habe aber Herrn v. Langen bedeutet: das sei nicht seine Sache, er solle sich an das Kriegsministerium wenden. Der Polizeipräsident habe, als er sich das Titelblatt der Broschüre ansah, gesagt: „Aha, von Ahlwardt. Was der schreibt, ist von vornherein unglaubwürdig.“ Er (Ahlwardt) habe auch versucht, den Kriegsminister zu sprechen, das sei ihm aber nicht gelungen. – Vors.: Hatte denn der Herr Kriegsminister keinen Vertreter? Ahlwardt: Mit dem Vertreter wollte ich nicht verhandeln, er war Jude. – Polizeipräsident v. Richthofen, als Zeuge vernommen, bestritt, daß er gesagt habe: Was Ahlwardt schreibt ist von vornherein unglaubwürdig. Rittergutsbesitzer v. Langen hielt seine Bekundung aufrecht. Die von Ahlwardt vorgeschlagenen Zeugen, sämtlich ehemalige Arbeiter der Löweschen Fabrik, waren zum Teil wegen Urkundenfälschung, Betrugs und Diebstahls vorbestraft. Sie berichteten über erhebliche Unregelmäßigkeiten, Falschstempelungen, Verwendung minderwertigen Materials und bekundeten, daß die zur Abnahme der Gewehre kommandierten Offiziere arg betrogen würden. Sachverständiger Major Hannig vom Kriegsministerium bezeichnete diese Behauptungen als unwahr. Er sei von seiner vorgesetzten Behörde mit der Überwachung und Kontrolle der Löweschen Gewehrfabrikation betraut gewesen. Das in der Löweschen Fabrik verarbeitete Material sei das beste, zum mindesten ebenso gut wie in allen anderen Gewehrfabriken. Er habe die Gewehre selbst bei der Truppe gesehen und könne nur sagen, daß sie in jeder Beziehung den gestellten Anforderungen entsprochen haben. Er habe selbstverständlich die Fabrikation, die in Martinickenfelde, in der Gitschinerstraße und in der Hollmannstraße geschah, nicht allein übersehen können, es seien aber in den drei Fabriken stets Offiziere zu seiner Vertretung anwesend gewesen. Wenn ein Gewehr fertig war, dann sei es gebucht und gestempelt und alsdann zum Anschuß gebracht worden. Sobald es die Probe des Anschusses bestanden hatte, sei es nochmals gestempelt, mit einer laufenden Nummer und einem Buchstaben versehen und in das Schießbuch eingetragen worden. Die anderen militärischen Sachverständigen, Oberst Freiherr v. Brackel, Oberst v. Flotho und Oberstleutnant v. Gößnitz (sämtlich vom Kriegsministerium) schlossen sich den Bekundungen des Majors Hannig vollständig an. Hofbüchsenmacher Barella bekundete: er habe im Auftrage des Untersuchungsrichters Schießversuche mit Löweschen Gewehren vorgenommen. Von etwa 25000 Gewehren habe er eine Anzahl aus der Mitte herausgegriffen, mit diesen die verschiedensten Schießversuche gemacht, das Material in allen Teilen untersucht. Er könne mitteilen, daß die Gewehre vollständig kriegsbrauchbar und vollwertig waren. – Geb. Kommerzienrat Löwe und Oberstleutnant a. D. Kühn gaben als möglich zu, daß einige Unregelmäßigkeiten vorgekommen seien, jedenfalls hatten sie das eifrigste Bestreben, sich die volle Zufriedenheit ihrer Abnehmer zu erwerben. Auch eine Anzahl fremde Regierungen gehörten zu ihren Abnehmern, sie haben von allen Seiten nur das höchste Lob erhalten. Kommerzienrat Löwe, dem vom Vorsitzenden gesagt wurde, er könne auf die folgende Frage die Antwort verweigern, bemerkte: Er zahle hin und wieder einen Beitrag an die Alliance israelite universelle und wisse nur, daß letztere wohltätige Zwecke verfolge; einen Auftrag, der deutschen Armee schlechte Gewehre zu liefern, habe er selbstverständlich niemals erhalten.

Am siebenten Verhandlungstage teilte der Verteidiger mit: Auf dem Korridor steht der als Zeuge geladene Kaufmann Karl Paasch. Dieser brennt vor Begierde, sich vernehmen zu lassen. Der Vorsitzende befahl, den Zeugen aufzurufen. – Verteidiger: Sind dem Herrn Zeugen die Grundsätze der Alliance israelite universelle bekannt? Zeuge: Ich habe mich sehr genau mit den Grundsätzen der Alliance beschäftigt und kann bekunden, daß die Alliance eine jüdische Versicherungsanstalt ist. Wenn z. B. Herr Löwe jährlich 10 Fr. Beitrag zahlt, dann hat er das Recht, jedes Verbrechen zu begehen, ohne eine himmlische Strafe befürchten zu müssen. Das ist auch der Grundsatz des Talmud. Wenn ich die Akten des österreichischen Reichsratsabgeordneten Schneider hier hätte, dann könnte ich Ihnen die betreffende Stelle im Talmud zeigen. Wie viel Herr Löwe in Wirklichkeit Beitrag an die Alliance gezahlt hat, wird er uns selbstverständlich nicht sagen. Ich bin aber überzeugt, wenn Oberrabiner Hildesheimer zu Herrn Löwe geht und von ihm 50000 Mark haben will, dann erhält er sie sofort. – Vors.: Es kommt hier nur darauf an, ob Sie den Nachweis führen können, daß die Alliance an Löwe und Kühn den Auftrag erteilt hat, kriegsunbrauchbare Gewehre zu liefern, damit das Deutsche Reich zertrümmert und die jüdische Weltherrschaft errichtet werden könne? – Paasch: Ein direkter Nachweis läßt sich ja darüber nicht führen. Ich bin aber überzeugt, daß sich das so verhält. Löwe liefert schlechte Gewehre, ein jüdischer Lieferant in Paris liefert schlechte Schuhe, ein jüdischer Lieferant in Metz liefert schlechte Konserven. Der Jude Dreyfuß in Paris liefert an Rußland schlechtes Getreide. – Vors.: Ich glaube, Herr Zeuge, das führt uns doch zu weit von der Sache ab. – Zeuge Paasch: Ich will bloß noch bemerken, daß die jüdischen Offiziere bemüht sind, alle Lieferungen ihren Glaubensgenossen zuzuwenden. In Paris gibt es z. B. 500 jüdische Offiziere, bei uns allerdings müssen sich die Juden, wenn sie Offizier werden wollen, taufen lassen, wir haben es aber mit der Rasse zu tun. Ich spreche deshalb von jüdischer Rasse, weil wir sogar viele Jahre einen jüdischen Kultusminister in Preußen hatten. – Verteidiger: Wer war dieser Kultusminister? – Zeuge: Herr v. Goßler. – Vors.: Diese Frage gehört doch durchaus nicht zur Sache. Im weiteren Verlauf erschien als Zeuge Professor Dr. Lazarus: Ich war 6 Jahre zweiter Vorsitzender des Berliner Zweigvereins der Alliance israelite universelle. Einen absoluten Gegensatz zwischen politischer und Wohltätigkeitstendenz kann ich bei der Alliance insofern nicht aufbauen, weil es auch ihre Aufgabe ist, durch Petitionen usw. dahin zu wirken, daß in Ländern auf niedriger Kulturstufe die Verfolgungen, denen die Juden dort ausgesetzt sind, aufhören. Im ganzen ist die Tendenz ausschließlich Wohltätigkeit, Unterstützung, intellektuelle und moralische Hebung der zurückgebliebenen Stände in kulturlosen Ländern. Zu diesem Zwecke werden Schulen gegründet und Unterstützungen gegeben. Die gesamte Tätigkeit der Alliance erstreckt sich in erster Reihe darauf, arme bedrückte, wegen ihres Glaubens leidende Menschen zu unterstützen. – Vors.: Halten Sie es für möglich, daß die Alliance israelite den Auftrag gegeben haben könnte, das Deutsche Reich zu vernichten, um die jüdische Weltherrschaft zu etablieren? – Professor Dr. Lazarus: Die Alliance hat die Tendenz den Elenden zuliebe‚ aber niemandem etwas zuleide zu unternehmen. Der in der Frage enthaltene Gedanke könnte mir nur als die Ausgeburt einer extremen Phantasie erscheinen. Sollte ich mich aber hier nicht nur als Zeuge, sondern als psychologischer Sachverständiger äußern, so würde ich sagen: selbst das äußerste Maß der Verleumdungssucht und Bosheit würde nicht ausreichen, einen solchen Gedanken zu fassen, wenn nicht noch der Wahnwitz hinzukäme. – Vors.: Halten Sie es für möglich, daß die Firma Löwe & Co. von der Alliance den Auftrag erhalten hat, unbrauchbare Gewehre zu liefern? – Professor Lazarus: Ich muß darauf antworten, daß ich seit 1879 nicht mehr im Vorstande der Alliance bin und mit der Führung der Geschäfte nichts zu tun habe. Ich halte es aber für unmöglich und erkläre, daß mir etwas derartiges weder mittelbar noch unmittelbar, weder schriftlich noch mündlich jemals zu Ohren gekommen ist. Die Alliance ist eine Vereinigung von Juden aller Länder, die einen wohltätigen Zweck verfolgt. – Rechtsanwalt Hertwig: Wertvoll für mich aus der Bekundung des Zeugen ist, daß es den Juden aller Länder erlaubt ist, eine politische internationale Vereinigung zu bilden, die sonst nach dem Gesetze verboten ist. – Sanitätsrat Dr. Neumann: Von einer formalen innigen Verbindung zwischen dem Zentralkomitee der Alliance israelite und den Lokalkomitees der einzelnen Länder ist keine Rede. Dieser Verein ist im Jahre 1860 in Paris ins Leben gerufen, zu dem Zwecke, denjenigen Juden, welche sich in rückgeschrittener Stellung befinden, zu einem Fortschritte in moralischer und geistiger Beziehung zu verhelfen, jedem Juden, der in seiner Eigenschaft als Jude leidet, Beistand zu leisten und alle Schritte, welche dieses Streben fördern können, zu unterstützen. Der Sitz der Alliance ist Paris geworden, und es haben sich nur sehr langsam und sehr allmählich Teilnehmer gefunden. Die Lokalkomitees, welche nicht bloß in Europa, sondern auch in Amerika vorhanden sind, sind weiter nichts, als Kassenstellen dieses Zentralkomitees, dessen Mitglied ich seit 22 Jahren bin. Die Wirksamkeit der Alliance wird durch halbjährige Berichte so klar gelegt, wie fast bei keinem Vereine. Sieben Achtel der Mittel werden für Schulen verwendet und die großartigen Erfolge der Alliance für Errichtung von Schulen im Orient ist bekannt. Was die behauptete Order der Alliance an Löwe zur Wehrlosmachung Deutschlands betrifft, so ist mir jede Beziehung des Herrn Isidor Löwe zur Alliance vollständig unbekannt; es werden nur von der Firma Ludwig Löwe jährlich 10 Francs als Beitrag erhoben. Isidor Löwe wird nicht einmal in den Listen der Alliance geführt. Daß der Talmud den Juden jedes Verbrechen gegen die Christen gestatte, ist eine Lüge. – Angekl.: An diesen Zeugen habe ich keine Fragen zu richten, denn er ist Partei. Meine Zeugen hat man ja abgelehnt. – Vors.: Dann hätten Sie doch den Talmud mitbringen und die Stelle hier zeigen sollen. – Angekl.: Daß die Zeugen nichts gegen die Alliance sagen werden, ist doch selbstverständlich. – Vors.: Sie scheinen einen seltsamen Begriff von der Heiligkeit des Eides zu haben. Soweit heruntergekommen sind wir doch noch nicht, daß hier Zeugen Meineide schwören werden, um Sie tot zu machen. Sie scheinen das zu glauben. Leider scheint dieser wunderliche Glaube, nach den jämmerlichen Briefen, die wir erhalten haben, auch bei einem Teile Ihrer Parteigenossen vorhanden zu sein. – lm weiteren Verlauf der Verhandlung überreichte der Angeklagte dem Ersten Staatsanwalt eine Anzahl Aktenstücke. Aus diesem Anlaß wurde auf einige Zeit „im Interesse der Staatssicherheit“ die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Am folgenden Tage teilte der Vorsitzende mit: Er könne mit Genehmigung des Kriegsministers mitteilen: Aus den in der nichtöffentlichen Sitzung zur Verlesung gelangten Schriftstücken ging hervor, daß bei dem 57. Landwehrregiment in Wesel während einer 12tägigen Übung von 939 Löweschen Gewehren 520 reparaturbedürftig geworden seien. Bei 69 Kammern waren die Einsätze abgesprungen, 21 Schloßteile waren teils defekt geworden, teils ganz gesprungen, 45 Abzugsfedern wurden defekt. Oberstleutnant v. Gössnitz: Die erwähnten Schäden seien durchaus normale. Er sei überzeugt, daß die so schadhaft gewordenen Gewehre bei sofortiger Verwendung mindestens 80% kriegsbrauchbar seien. –

Der Vorsitzende und der Oberstaatsanwalt erhielten während der zehntägigen Verhandlung täglich anonyme Schreiben und Drohbriefe. In einem Briefe wurde gedroht, das Gerichtsgebäude mittels Dynamit in die Luft zu sprengen. Unterzeichnet war dies Schreiben: „Im Auftrage der Berliner Anarchisten. R. Rail, Linienstraße 111.“ In einem Schreiben wurde behauptet: „Der Oberstaatsanwalt, sämtliche Mitglieder des Gerichtshofes und die militärischen Sachverständigen sind von den Juden bestochen.“ Fast unaufhörlich kam es zwischen dem Vorsitzenden und dem Verteidiger, Rechtsanwalt Hertwig zu heftigen Zusammenstößen. Der Vorsitzende bemerkte schließlich: Ich kann Ihnen mitteilen, Herr Verteidiger, daß alle Mitglieder des Gerichtshofes über Ihr Vorgehen geradezu entrüstet sind. Die Mitglieder des Gerichtshofes sind sich darüber einig, daß noch niemals ein Verteidiger in einer Hauptverhandlung derartig aufgetreten ist, wie Sie in diesem Verfahren. – Als der Vorsitzende im weiteren Verlauf mitteilte, daß der Gerichtshof eine Anzahl neu eingegangener Anträge des Verteidigers abgelehnt habe, bemerkte der Verteidiger in sehr erregter Weise: Ich erkläre hiermit, daß ich es ablehne, einen Mann noch ferner zu verteidigen, der nach dieser Ablehnungsbegründung schon verurteilt ist, noch ehe er ein Wort gesprochen hat. (Große allgemeine Bewegung.) Die Richter und der Oberstaatsanwalt erhoben sich entrüstet von ihren Sitzen. Der Vorsitzende erklärte, daß er dem Verteidiger das Wort entziehe‚ dieser rief jedoch dem Gerichtshofe zu: „Möge Ihr Urteil ausfallen wie es wolle, wir fürchten es nicht.“ Der Verteidiger versuchte noch weiter zu sprechen, er wurde jedoch durch den Oberstaatsanwalt und dem Vorsitzenden übertönt, so daß seine letzten Worte nicht zu verstehen waren. – Oberstaatsanwalt Drescher: Ich beantrage wegen dieser unerhörten Beleidigung‚ die dem Gerichtshofe gesagt worden ist, Herrn Rechtsanwalt Hertwig zu der höchsten zulässigen Ungebührstrafe zu verurteilen. – Rechtsanwalt Hertwig hatte bereits seine Akten zusammengerollt und verließ in größter Erregung den Saal. – Der Vorsitzende ließ die Äußerung des Verteidigers protokollieren. – Nach kurzer Beratung des Gerichtshofes wurde Rechtsanwalt Hertwig wegen Ungebühr zu 100 Mark Geldstrafe verurteilt. – Der Erste Staatsanwalt bemerkte in der Schlußrede: Der Angeklagte hat durch seine Behauptungen das Vertrauen zu unserer Heeresverwaltung stark erschüttert, die Disziplin in unserem Heere untergraben, das Vertrauen des deutschen Soldaten zu seiner Waffe stark erschüttert. Ja, die Behauptungen des Angeklagten sind geeignet, das Ansehen der deutschen Armee im Auslande herabzusetzen. Der Angeklagte nimmt für sich den Schutz des § 193 (Handeln im berechtigten Interesse) in Anspruch, ich bin aber nicht in der Lage, ihm diesen Schutz zuzubilligen. Der Angeklagte ist eifriger Agitator einer Partei. Jeder Partei, auch der antisemitischen Partei, muß das Recht zugesprochen werden, öffentliche Mißstände zur Sprache zu bringen, zu kritisieren und zu tadeln, aber jede Parteibestrebung darf dabei nicht die eine Grundlage verlassen: die Grundlage der Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Mit gesetzlichen Mitteln und mit politischem Ernst muß gekämpft werden! Eine Parteibestrebung, die auf Übertreibung und Unwahrheiten fußt, kann den Schutz des § 193 nicht mehr für sich in Anspruch nehmen. Ohne auf den Angeklagten zu exemplifizieren, kann ich nur sagen: Politische Skandalmacher, denen nur darum zu tun ist, Aufsehen zu erregen, werden ihrer Partei mehr schaden, als nutzen, und sie werden ein Krebsschaden der Partei werden. Von Interesse für mich war es, als ich neulich in einem antisemitischen Blatte las, daß der Angeklagte ein Krebsschaden für die antisemitische Partei sei. Zugunsten des Angeklagten spricht die Tatsache, daß im Loeweschen Fabrikbetriebe wirklich verschiedene Unregelmäßigkeiten vorgekommen sind und daß der Angeklagte die Tatsachen von Arbeitern empfangen hat, die ihn teilweise in der harmlosesten Weise angelogen haben. Das ist aber auch alles, was zu seinen Gunsten spricht. Die Überreichung der Schrift an den Polizeipräsidenten konnte nicht eine Strafanzeige im strafprozessualen Sinne darstellen, denn der Polizeipräsident mußte sofort sehen, daß es sich um eine Agitationsschrift ersten Ranges handelt. Es werden in der Broschüre die schwersten Vorwürfe gegen eine Reihe achtbarer Personen erhoben, gegen einen ehrenhaften Offizier, der mit Ehren aus der Armee geschieden ist, ferner gegen eine Reihe der achtbarsten Militärbeamten. Ich hebe hervor, daß der Angeklagte seine Vorwürfe erhoben hat, obwohl er sich sagen mußte, daß sie geeignet sind, Privatvermögen und öffentliches Vermögen in empfindlicher Weise zu schädigen. Er mußte sich sagen, daß er auch das öffentliche Interesse durch seine Handlungsweise arg schädigte. Der deutsche Handel hat gleichfalls durch die Broschüre schwere Schädigungen erlitten, denn die Broschüre ist bis in die fernsten Länder gedrungen und das Ansehen des deutschen Landes hat gelitten, bis die amtliche Erklärung die Unwahrheit dieser Anschuldigungen klarlegte. Die schwerste Schädigung aber ist die Schädigung des Ansehens unserer Heeresverwaltung und der militärischen Disziplin. Der eklatanteste Beweis dafür ist aber die Tatsache, daß eine Militärperson es gewagt hat, Urkunden zu stehlen und dem Angeklagten in die Hand zu spielen. Er hat dem Angeklagten den denkbar schlechtesten Dienst geleistet, denn er hat ihm nichts genutzt, absolut nichts bewiesen, aber gezeigt, wie weit die durch die Schandschrift des Angeklagten erzeugte Demoralisation schon gediehen ist. Am ersten Tage dieser Verhandlung habe ich es für eine willkommene Gelegenheit erklärt, durch öffentliche Verhandlung dem Vaterlande und dem Auslande zu zeigen, wie wenig wahr der Inhalt der Broschüre ist. Die öffentliche Verhandlung war von Nutzen, denn es hat sich herausgstellt, daß es ein Märchen, eine Unwahrheit ist, was der Angeklagte von der Kriegsbrauchbarkeit unserer Waffen gesagt hat. Klar liegt vor aller Augen: Unsere Waffe ist gut und wird sich auch im Kriege als gut bewähren, wenn es einmal darauf ankommen sollte. Wenn der Angeklagte in kleinlicher Furcht Gefahren und Niederlagen sieht, so antworte ich ihm im Gegenteil: Fester, als der Angeklagte es wähnt, steht das Gefüge unseres Reiches und das Haus unseres Herrschers! Ich beantrage gegen den Angeklagten 1 Jahr 6 Monate Gefängnis, Publikationsbefugnis für die Nebenkläger und die beleidigten Büchsenmacher. Der Angeklagte Ahlwardt bemerkte in einer mehrstündigen Verteidigungsrede: Durch das Zeugnis des Arbeiters Brettschneider sei festgestellt, daß die kleine Zahl von Revisoren, welche unter dem Büchsenmacher Kessel arbeitete, durchaus nicht zuverlässig vorgingen, daß Kessel selbst sich wenig darum kümmerte und die jungen Sekondeleutnants, deren Ankunft man auch schon vorher wußte, leicht getäuscht werden konnten. Erwiesen sei, daß bei der Herstellung des Laufes drei ganz unzulässige und gefährliche Dinge vorgenommen worden seien. Erwiesen sei ferner‚ daß die Büchsenmacher bestochen worden seien; das halte er auch heute noch aufrecht, und auch was bezüglich des Oberbüchsenmachers Kirch durch die Beweisaufnahme erbracht worden, klinge doch sehr verfänglich. Es sei ganz undenkbar, daß Löwe davon nichts gewußt haben sollte, da doch die Summen, welche an die Büchsenmacher gezahlt wurden, durch die Bücher gingen. Nach seiner Meinung habe die Beweisaufnahme alle in der Broschüre enthaltenen Tatsachen bestätigt, und nur die Schlußfolgerungen, welche er daran geknüpft, seien bisher nicht erwiesen. Bury und Stangenberg seien die Vertrauten des Oberstleutnants Kühn gewesen, Stangenberg habe sogar sein Gehalt noch weiter erhalten, trotzdem er von seinem Posten abberufen worden sei und dies sei eine Hauptbestechung. Die Tatsachen seien alle erwiesen und wo Übertreibungen vorliegen, da seien sie auf Rechnung der Arbeiter zurückzuführen, die er seinerzeit bei allen seinen Vernehmungen immer wieder zur penibelsten Wahrheit angehalten habe. Was die militärischen Sachverständigen betreffe, so müsse er zunächst bemerken, daß die kriegsministeriellen Zahlen sich nur auf die schwersten Fälle bezogen, in denen die Gewehre schadhaft geworden seien, alle anderen leichten Fälle seien wohl nicht in die Liste eingetragen. Die Logik, daß die Beschädigungen von antisemitisch gesinnten Landwehrleuten vorsätzlich begangen sein sollten, verstehe er nicht, es wäre doch mehr als wunderbar, wenn die Hammerschläge der verschiedenen Soldaten stets an derselben Stelle getroffen und dieselben Beschädigungen erzeugt haben sollten. Er bleibe dabei, daß er keineswegs übertrieben habe. Er habe auch dem Offizierkorps keinen Vorwurf machen wollen, es sei doch eher eine Ehre als eine Schande, wenn die Offiziere den Täuschungen der Büchsenmacher nicht gewachsen seien. Er hätte es gern gesehen, wenn der in Barth wohnhafte Zeuge, der die Unbrauchbarkeit der Gewehre der Zintgraffschen Expedition bekunden sollte, geladen worden wäre. Er sei, wie er bekenne, rücksichtsloser Antisemit, und habe das, was er als wahr festgestellt hatte, zuerst in antisemitischem Interesse verwerten wollen. Dann sei ihm die ungeheure Tragweite klar geworden, er sei nach Leipzig gereist und habe in den letzten acht Tagen alle Schritte getan, um ein Zurückhalten der Broschüre noch zu ermöglichen. Also: verfaßt habe er das Buch ursprünglich zu antisemitischen Zwecken, habe nachher aber die nötigen Schritte getan, um ein amtliches Einschreiten zu veranlassen. Er habe das Vertrauen der Soldaten zu den Gewehren nicht erschüttern, sondern bewirken wollen, daß unbrauchbare Gewehre aus der Armee ausgestoßen würden. Er habe geglaubt, sich dadurch um das Vaterland verdient zu machen. – Nach 51/2stündiger Beratung erkannte der Gerichtshof wegen dreier Beleidigungen auf fünf Monate Gefängnis. Der Vorsitzende bemerkte in der Urteilsbegründung: Die Brauchbarkeit der Löweschen Gewehre sei durch die vorgekommenen Unregelmäßigkeiten keineswegs beeinträchtigt worden; die Auskunft der Militärbehörden stelle vielmehr die glänzendsten Ergebnisse fest. Der Angeklagte habe offenbar die ganze Sache nicht verstanden. Schuldig befunden sei der Angeklagte der Beleidigung der Leiter der Fabrik sowie der Büchsenmacher wegen der Anschuldigung: 1500 Gewehre seien widerrechtlich gestempelt, ferner mehrfacher schwer kränkender Beleidigungen gegen die Privatkläger sowie schwerer Beleidigung des Büchsenmachers Kirch. Da kein Beweis erbracht, daß Ahlwardt die Unwahrheit der Behauptungen gekannt habe, sei gegen ihn der mildernde Paragraph angewendet worden. Eine Wahrnehmung berechtigter Interessen liege nicht vor. Löwe und Kühn haben ihr bestes daran gesetzt, dem Staat gute Gewehre zu liefern.