Ein deutsches Kaisergrab im alten Sachsenlande

Textdaten
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Autor: C. St.
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Titel: Ein deutsches Kaisergrab im alten Sachsenlande
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 324–326
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein deutsches Kaisergrab im alten Sachsenlande.

Einige Meilen östlich von dem alten welfischen Stammsitze Braunschweig, am Fuße des Elmes, eines durch prachtvolle Buchenwaldungen ausgezeichneten Höhenzuges, liegt das Städtchen Königslutter. Dieser Ort war einst im deutschen Reiche bekannter als heutzutage, und zwar bekannt durch viel getrunkenes und weit versandtes Bier, jetzt „Duckstein“, in alter Zeit aber „Luttertrank“ genannt, das Hauptlabsal auch der Helmstädter Studenten, die an schönen Sommertagen hinüberzogen, um den edlen Gerstensaft an der Quelle zu trinken, der in den Kneipen des alten „Elmathen“[1] damals allgemein zu finden war. Im fünfzehnten und sechszehnten Jahrhundert, wo das Biertrinken bei unseren Altvordern [325] so im Schwange war, daß Luther einst schrieb: „Jedes Land hat seinen eigenen Teufel, wir aber haben den Saufteufel“, – gab es in den braunschweigischen Landen vier Städte, die im nördlichen Deutschland durch ihre Biere ebenso berühmt wie reich geworden sind: Braunschweig selbst durch seine „Mumme“, – Hannover durch den von Lord Broihan erfundenen und nach ihm genannten Trank, bei dessen erstmaligem Genusse Herzog Erich, die silberne Kanne erhebend, ausrief: „Nun sehe ich, daß Gott meine liebe Stadt Hannover nicht verlassen will!“ – dann Einbeck, dessen vortreffliches Bier durch ganz Deutschland versandt wurde und davon obengenannter Herzog Erich dem Doctor Luther eine Kanne voll in seine Herberge zu Worms schickte, nachdem der theure Gottesmann erschöpft von der geistigen Anstrengung aus der berühmten Reichstagssitzung vom 17. April 1521 zurückgekehrt war; – und endlich, als Vierte im Bunde, Königslutter, dessen „Luttertrank“ wir bereits erwähnt haben.

Aber wer weiß heute, wo das „bairische Bier“ mit seiner schäumend braunen Fluth alle seine Nebenbuhler weggespült hat, – wer weiß heute in Worms noch etwas vom Einbecker Bier, das Luther vor drei Jahrhunderten dort erquickte, oder wer weiß jetzt über die Grenzen des Weichbildes hinaus etwas von Hannovers Broihan? Nur der Curiosität halber fordert der Durchreisende in der Braunschweiger Bahnhofsrestauration wohl ein Fläschchen Mumme, und so würden wir denn auch kaum mehr des „Luttertrankes“ wegen den Leser zu einem Besuche des Städtchens Lutter auffordern, wäre es nicht ein ehrwürdigeres und interessanteres Denkmal aus alter Zeit, das wir ihm zeigen möchten.

Hat man auf dem Wege von Braunschweig nach Königslutter hinter dem Dorfe Bornum die Höhe erreicht, über welche sich die mit Obstbäumen eingefaßte Heerstraße hinzieht, dann tauchen in der Ferne, von den Ausläufern des bewaldeten Elmes begrenzt, drei graue Thürme empor, anfangs in noch unbestimmten Formen verschwimmend, bis sich, nachdem auch das Städtchen Königslutter vor uns ausgebreitet daliegt, ein majestätischer dreithürmiger Dombau unserm Auge darbietet; – das ist die alte Benedictiner-Abtei Königslutter, die Stiftung Kaiser Lothar des Sachsen, einst der Sitz reicher und mächtiger Prälaten, und jene weit in’s Land hinaus schauenden Thürme bezeichnen die Stätte, wo der fromme Stifter, wie die Grabschrift sagt, seiner fröhlichen Auferstehung harrt. Uralte, hohe Linden breiten ihre grünen Zweige aus, als wären sie dahingestellt, um dadurch, daß sie den ganzen Ueberblick verhindern, das Imposante des romanischen Prachtbaues noch imposanter zu machen.

Benedictiner-Abtei Königslutter.

Von großartiger Wirkung ist besonders die Ostseite der Kirche, der Chorbau, mit der reich ornamentirten Apsis, dem Querschiff und dem aus letztern kühn emporstrebenden östlichen Thurme. Die beiden westlichen Thürme sind leider nicht zu der ursprünglichen Höhe fortgeführt, was indeß dem Ganzen keinen sonderlichen Abbruch thut. Treten wir durch das löwengeschmückte Portal an der Nordseite in das Innere des Gotteshauses, dann werden wir durch die überaus schönen Verhältnisse desselben überrascht. An das Mittelschiff legen sich zu beiden Seiten in halber Höhe und Breite desselben die Seitenschiffe, und setzen sich bis auf das Chor, mit Apsiden schließend, fort. Während die Gewölbe des Langschiffes davon zeugen, daß dieser Theil des 1135 begonnenen Baues wie alle Pfeilerbasiliken anfangs nur eine Holzdecke hatte, und die Ueberwölbung in eine spätere Periode fällt, stehen Querschiff und Chor, wie sie Lothar selbst noch gesehen, in der ganzen durch ihre erhabene Einfachheit wirkenden Pracht des romanischen Stils vor uns; und denken wir uns dieses Gotteshaus im Schmuck eines hohen katholischen Festtages, vor dem im Kerzenlicht strahlenden Hochaltare den Abt im von Gold und edeln Steinen strotzenden Meßgewandes um ihn her die Schaar der Chorherren und Priester, im Schiffe aber das den Segen empfangende Volk: dann gewinnt das, wenn auch durch seine eigene architektonische Schönheit wirkende, jetzt aber mit grauvermalten Kirchenstühlen, einer unbedeutenden Kanzel, und einer der Blüthezeit des Zopfes angehörigen großen Orgel nur dürftig ausgestattete Gotteshaus ein wärmeres Colorit.

Kehren wir vom Chor in das Langschiff zurück, dann stehen wir in Mitte desselben am Grabe Lothar’s des Zweiten von Supplingenburg, Herzogs von Sachsen und deutschen Kaisers, der hier am 31. December 1137 im Beisein einer großen Schaar von Fürsten und Edeln beigesetzt wurde. Im Herbste des Jahres 1125 hatte er im Dome zu Aachen aus den Händen des Erzbischofs Friedrich von Köln die Krone Karls des Großen empfangen, zu der ihn die Mainzer Wahl berufen hatte, nachdem am 23. Mai der letzte Salier Heinrich der Fünfte, der Sohn jenes unglücklichen vierten Heinrich, der einst „barfuß und im Büßerhemde“ im Schloßhof zu Canossa vor Papst Gregor gestanden, zu Utrecht gestorben war. Zwölf Jahre regierte Lothar, männlich und mild; da, auf der Heimkehr von einem zweiten Römerzuge starb er plötzlich, von jäher Krankheit überfallen, in den Tiroler Alpen, unfern Trient, in einem kleinen ärmlichen Häuschen, um hier, in dem von ihm begründeten, lindenumschatteten Stift die letzte Schlummerstätte zu finden. Ihm zur Rechten ruht seine Gemahlin Richenza, die Erbtochter des Grafen Heinrich von Nordheim, welche ihm einst die reichen väterlichen Besitzungen als Morgengabe brachte und 1141 starb. Zur Linken des Kaisers aber fand der Schwiegersohn Beider die Ruhestätte, Heinrich der Stolze, Herzog von Sachsen und Baiern, auch Herr zu Braunschweig, der Vater Heinrich’s des Löwen, gestorben 1139.

Länger denn sieben Jahrhunderte schon hat sich die Gruft über diesem kaiserlichen Paare geschlossen, – draußen stürmt und gährt es in ewigem Wechsel und drängt nach neuer Gestaltung der Dinge, hier hat der Friede seinen Platz und wie zwei Reihen gewappneter Riesen stehen die gewaltigen Pfeiler, welche die Gewölbe tragen, da, als wollten sie die ihnen anvertraute Kaiserasche vor unwürdiger Berührung bewahren.

Leider sind die Grabplatten, welche ursprünglich diese Stätte bezeichneten, verschwunden und seit 1708 auf Veranstaltung des Abtes Johann Fabricius durch einen geschmacklosen Sarkophag von blauem Marmor, auf welchem die Steinbilder Lothar’s, Richenza’s und Heinrich’s des Stolzen ruhen, ersetzt; zum Ueberfluß hat sich der Verfertiger noch mit der Inschrift: „Michel Helwig, Sculpteur“ an seinen Werke verewigt. Zum anderweitigen Ersatz der alten Inschrift ließ Abt Fabricius, dem das [326] zweifelhafte Verdienst mehrerer Neugestaltungen solcher Art gebührt, am ersten Pfeiler rechter Hand vom Grabe eine ovale Steintafel mit lateinischer Inschrift aufhängen, welche das Geschehene der Nachwelt verkündet.

An dem gegenüber stehenden Pfeiler hängt ein dem sechszehnten Jahrhunderte angehörendes Oelgemälde, den Kaiser im Harnisch mit der Krone auf dem Haupte darstellend, mit der lateinischen Inschrift: „Kaiser Lothar der Sachse, der Stifter dieses Klosters.“ – Außerdem ist das Grab selbst mit einem grau vermalten hölzernen Gatter umfriedigt, welches, dem Geschmacke des durch Gelahrtheit ausgezeichneten Professors der Theologie und Abtes Fabricius wenig Ehre machend, sich besser zu einem Treppengeländer, als zur Umfriedigung eines Kaisergrabes eignet, und das man jetzt, wo einestheils der Sinn für die Erhaltung dessen, was aus alter Zeit in unsere Tage noch hinübergerettet wurde, neu erwacht ist, anderntheils aber derartige Arbeiten für ein Billiges herzustellen sind, durch ein stylgemäßes eisernes Gitter ersetzen sollte.

Durch ein am westlichen Ende des südlichen Seitenschiffes belegenes Pförtchen gelangt man in den Kreuzgang, in architektonischer Hinsicht einer der schönsten und interessantesten Theile des alten Stiftes. Vollständig erhalten und vortrefflich restaurirt ist allerdings nur der an das Seitenschiff der Kirche stoßende Flügel, sicher ist dieser aber der schönste Theil des Ganzen gewesen. Er ist zweischiffig, die das Gewölbe tragenden Säulen sind in Formen und Ornamenten jede von einander unterschieden, die Capitäle derselben gehören, was Zeichnung sowohl als Ausführung betrifft, zu dem Schönsten, was man in dieser Art sehen kann. Der große, mit saftig grünem Rasen bewachsene Hof, in welchen man durch die offenen Arcaden dieses Kreuzganges blickt, und der ehemals ganz von demselben umschlossen wurde, ist jetzt der angrenzenden, neuerbauten Landes-Irrenanstalt zugelegt, deren weißgetünchte Façaden, mit ihren endlosen Reihen eintöniger Fenster, sich wunderlich genug in unmittelbarer Nähe des Kaiserdomes ausnehmen.

Es war an einem heiteren Nachmittage im Spätherbst vorigen Jahres, als wir den Dom Lothar’s zu besuchen ausgezogen waren; mehrere Stunden hatte uns diese in historischer wie architektonischer Hinsicht interessante Oertlichkeit gefesselt, als uns die eintretende Dämmerung zum Aufbruch mahnte. Noch einmal, ehe wir schieden, traten wir an das Kaisergrab, in dessen Betrachtung „der Vorwelt silberne Gestalten“ vor uns aufzusteigen schienen. Da unterbrachen die Klänge der Betglocke die Stille. Ernst und feierlich schwammen die Glockentöne durch den weiten Raum, endlich in den Grüften und Gewölben verklingend, wie eine Mahnung an das uralte Grundgesetz alles Irdischen: Staub zu Staube, Asche zu Asche! –

Draußen aber rauschte es in den Wipfeln der hohen Linden, als wollten auch sie uns noch erzählen von alle Dem, was, vielleicht in fünf Jahrhunderten, an ihnen vorübergegangen, vor Allem aber von dem Kaisergrabe drinnen in der Kirche, das sie, von jedem Lenze neu verjüngt, mit frischem Grün zu beschatten, einst gepflanzt wurden.
C. St.


  1. Helmstädt, die gleich nach Einführung der Reformation gegründete, 1809 aber durch König Jerome von Westphalen aufgehobene Universität, bezeichnete man, ihrer Lage am Elme wegen, mit dem Namen „Elmathen“.