Ein deutsches Bad
[624] Ein deutsches Bad. Wer kennt nicht Rehme, das westphälische Bad, nach dessen Heilquelle jährlich Tausende wandern? Wenige dürften aber wissen, daß Rehme eigentlich durch – Schweine entdeckt wurde. Die Purpurschnecke entdeckte ein Hund; die Weinrebe zu beschneiden, lehrte der Esel von Nauplia; ein Hirsch zeigte die Quelle des Carlsbades; warum soll ein Ort seine Prosperität nicht den Schweinen zu verdanken haben? – ja, wenn wir noch Studenten wären, verstände sich das von selber; heute bedürfen wir des Commentars!
In Rehme lebte ein Bauer, den bei Fleiß und Sparsamkeit sein Gütchen nährte. Wäre es immer so geblieben! Unser Bauer haspelte den Faden seiner Tage anspruchslos und in Zufriedenheit ab. Eins nur verursachte ihm beständigen Verdruß: eine Pfütze auf seinem Hofe. Alle Versuche, das Wasser abzuleiten oder den Pfuhl zu stopfen, scheiterten. Es hatte sich da festgesetzt wie ein böses, unabwendbares Verhängniß. Wie ungehalten der Bauer darüber auch war, seine Schweine ließen über die Existenz der Pfütze keinen Kummer vernehmen. Sobald sich die Stallthür öffnete, stürzten die borstigen Quadrupeden grunzend in die Lache und wälzten sich links und rechts und streckten sich zur Ruhe, und die ganze Tonleiter des vollkommensten Wohlbebagens entglitt den halbgeöffneten Rüsseln. Aber dies Wohlbehagen schüttelten die Thiere in ihrem Bade nicht ab; es folgte ein Wohlbehagen der Gesundheit; sie trugen es in den Stall und durch die ganze Lebenszeit, bis die Scheere der Atropos in Gestalt eines Metzgermessers an die Kehle trat. Der Bauer ward endlich durch alle diese Umstände auf die Wirkungen des Wassers aufmerksam. Er sammelte in einer Wanne das Pfützenwasser, steckte seine eigenen Glieder hinein und erfuhr, außergewöhnlich gestärkt durch das Bad, daß das Wasser mehr als die alltäglichen Kräfte enthalte. Die Nachbarn wußten es bald, auch die Vettern und Freunde, und in kurzer Zeit die ganze Umgegend. Nunmehr erschienen häufig neugierige Gäste des Bades wegen und priesen Wirth und Wasser. Unser Bauer ward zum gesuchten Mann, seine Pfütze zur Wunderquelle. Er kriegte – warum gehörte er auch zur träumerischen deutschen Nation? – große Rosinen in den Kopf: es spiegelte sich auf der bescheidenen Pfütze Reichthum, Verdienst und Ehre. – Aber die Menschenmäuler werfen häufig den Teufelsdreck zwischen irdische Projecte. Die Fama schläft nicht gern und macht hyperbolische Sprünge am liebsten. Unsers Bauern Entdeckung stand wie ein meilenlang geschweifter Komet am Horizont der kannegießernden Collegien, und – der Staat hat auch ein Wörtchen zu sprechen in die Gemüthlichkeit des Grundeigenthums. – Jeder Preuße hat das Recht, sich einen Schürfschein zu erstehen, und mit diesem in der Hand darf er überall im Lande, auf wessen Grundbesitz es auch immer sei, einbohren, um Kohlen oder Salz zu finden. Wird nun irgendwo ein Lager genannter Fossilien entdeckt, so ergreift der Entdecker die unteren Schichten als Eigenthum; die obere Schicht mit der Ackerkrume bleibt dem Besitzer, der seine Pfähle darum hatte, und wie es wohl einregistrirt im Hypothekenbuche steht. Nun aber bedarf der Kohlen- oder Salzlager-Entdecker noch eines Platzes oberhalb der Erde zur Ausbeutung des Fundes, und sofern ein freiwilliges Uebereinkommen zwischen Entdecker und Obergrundbesitzer sich nicht ermöglichen läßt, ebnet eine durch Gesetz sanctionirte Expropriation die Schwierigkeiten. Dieses Schürfgesetz ist löblich, wie viele Leute ihm auch die Faust entgegenstrecken mögen. Es förderte schon manche Million Tonnen Kohlen an das Tageslicht und salbt mit immer neuem Lebensbalsam die Schwingen der Industrie. In Rehme trat der Staat selber, durch die Salinenbehörde repräsentirt, zu unserem Bauer. Es sollte sich unter der Pfütze ein Steinsalzlager befinden. Man bohrte ein trotz der Protestationen des Bauers gegen die vermeintlichen Eingriffe der Regierung in die Rechte des Grundbesitzes. Von Steinsalz ward keine Probe zu Tage gehoben. Auch Kohlen, die man nachher absolut erbohren wollte, ließen sich vergeblich nöthigen; dagegen sprudelte ein 27 Grad warmer Quell empor. – Der Bauer sprudelte auch in neuen, nachdrücklichen Einwendungen gegen die anscheinlichen, schreienden Ungerechtigkeiten, als die Behörde von der Quelle für den Staat Besitz ergriff.
Es ging ans Processiren und Appelliren; indessen man stoppelte aus der desfallsigen Gesetzgebung richtig zusammen, daß der Staat lediglich sein gutes Recht beansprucht hatte. Da entschloß sich der Bauer zu einem letzten Verzweiflungsschritt: er bot dem Staate sein Grundstück für 20,000 Thaler an. Ja, wenn er es mit dem Staatsoberhaupte selber zu thun gehabt hätte! Den Beamten gelten hinter dem Bureau nur Paragraphen der Instructionen und buchstäblichen Gesetze; die Gerechtigkeit steht Paragraph so und so, littera X, alinea 1, 2 oder 3; die Großmuth ist viel zu jacobinisch und confus für Gesetzes-Paragraphen. Im Comptoire ward calculirt, inspicirt, allegirt, revidirt und concludirt: unser Bauer hatte blos Ansprüche auf eine Entschädigungssumme von 200 Thaler, und die Gesetzes-Paragraphen waren dem Beschlusse musterhaft beigefügt. – Die redliche, einfache Seele des Bauern starrte erstaunt und entsetzt in das Labyrinth der Gesetzgebung; die tausend Wege und Pfädlein umschlangen ihn mit Polypenarmen, ihm wußte Niemand den Ariadnefaden zu reichen! Es ging zu viel Traum für die Zukunft verloren. Die Wirklichkeit zerknickte mit einer gar zu rauhen Hand die Blüthen der Hoffnungen, die Pfeiler des Vertrauens auf gegründete Voraussetzungen und vermeintliches Menschenrecht. Der Wahnsinn klopfte an des Bauern Schädel, und nicht einmal die Wunderbäder auf des Unglücklichen expropriirtem Hofe ersäuften den schrecklichen, wüsten Eindringling. – Als unser Bauer der Irrenanstalt übergeben ward, hatten die Oberbehörden superrevidirt, und der Staat entschloß sich, mit 20,000 Thlr. zu entschädigen. Der Bauer hatte somit die Summe nun richtig erworben und blos seinen Verstand verloren, und es soll doch nur sehr wenig Verstand sein, der eines einfältigen Bauern!
Wenn Du nun Deine kranken Glieder nach Rehme schleppst und Du gesundet heimkehrst und der Quelle Heilkraft segnest, so vermuthest Du wohl nicht, daß der Entdecker der Quelle Deines Heils im Wahnsinn wimmert.