Ein deutsch-böhmischer Dichter

Textdaten
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Autor: Ludwig Salomon
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Titel: Ein deutsch-böhmischer Dichter
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 882–883
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein deutsch-böhmischer Dichter.

Auf einer Fahrt von Dresden nach Prag war es, in schöner Sommerszeit. Der Eisenbahnzug führte durch blühende Auen, durch herrliche Fruchtgefilde, und entzückt hing mein Auge an den schönen Landschaftsbildern, die nur zu schnell vorüber zogen. Einer meiner Reisegefährten hatte sehr bald das rege Interesse erkannt, welches das schöne Böhmerland in mir erweckt hatte, und mit liebenswürdiger Zuvorkommenheit nannte er mir hier die Namen der Städte, dort der Flüsse und Berge. Längere Zeit schon waren wir so an lebhaftem Gespräch gefahren, als mein freundlicher Lehrmeister plötzlich ernst wurde und nach einem Friedhof hinüber deutete, an dem wir soeben vorbei führen. „Dort ruht meine Mutter,“ sagte er, und seine Stimme zitterte leise. Diese Bemerkung veranlaßte nun zu verschiedenen Fragen, und da ergab sich denn zu unser beider Ueberraschung, daß wir uns durch unsere Schriften seit lange kannten und bereits manchen Brief mit einander gewechselt hatten – ich saß Anton Ohorn gegenüber, dem feinsinnigen Dichter, dem gemüthvollen Erzähler, dem warmherzigen Patrioten! Damit erklärte sich mir auch die tiefe Erregung, von welcher der Dichter erfaßt worden war, als er – nach Jahren – das Grab seiner Mutter wieder einmal erblickt hatte. Denn die außergewöhnlichen Lebensschicksale Ohorns hatten ihren letzten Grund in einem Wunsche der Mutter; die schweren und langen Kämpfe, die der Dichter durchmachen mußte, erwuchsen vornehmlich aus der Liebe, von welcher der Sohn zu seiner Mutter erfüllt war.

Die Eltern Anton Ohorns lebten in sehr bescheidenen Verhältnissen; der Vater war lange Jahre Unteroffizier, zuletzt in Theresienstadt, wo auch der Dichter am 22. Juli 1846 geboren wurde, und dann Subalternbeamter in Böhmisch-Leipa, das als die eigentliche engere Heimath Anton Ohorns betrachtet werden muß, da er hier von 1851 ab seine ganze Jugendzeit verbrachte. Die Mittel für die Ausbildung des geweckten Knaben flossen mithin nur kärglich; trotzdem wurde es ermöglicht, daß er nicht nur die sogenannte Hauptschule, sondern auch das Gymnasium zu Leipa bis zu Ende besuchen konnte. Doch auf die ernste Gymnasialzeit folgten keine heiteren Studentenjahre – es war der heiße Wunsch der Mutter, der Sohn möchte sich dem geistlichen Stande widmen, und der Jüngling unterdrückte seine Sehnsucht nach einer freieren Betheiligung am geistigen Leben der Gegenwart, suchte die Träume, die ihm bereits leuchtende Bilder von Liebesglück und Dichterruhm vorgegaukelt hatten, zu verscheuchen und trat in das Prämonstratenserstift Tepl. Hier und in Prag widmete er sich eifrig theologischen Studien und empfing darauf 1870 auch die Priesterweihe. Der Abt, welcher die hervorragenden geistigen Fähigkeiten des jungen Klerikers bald erkannt hatte, wünschte aber nicht, daß Ohorn die gewöhnliche Priesterlaufbahn einschlage, sondern suchte ihn für das Lehrfach zu gewinnen; Ohorn promovirte daher im Februar 1872 in Prag zum Doktor der Philosophie und sollte nun demnächst die Stelle eines Professors an dem unter dem Orden stehenden Staatsgymnasium zu Pilsen erhalten, als er die Nachricht vom Hinscheiden seiner Mutter empfing. Aufs neue brach nun ein Sturm in seinem Innern los, und das Ende war, daß Ohorn jetzt, da die Rücksichten auf die Empfindungen der Mutter ihn nicht mehr banden, mit dem kühnen Wagemuthe der Jugend seine Fesseln zerriß, seine gesicherte und geachtete Stellung aufgab und im Sommer 1872 ohne Mittel, ohne Freund und ohne Aussicht für die Zukunft aufs Gerathewohl nach Deutschland ging. „So stand ich,“ sagt er in Erinnerung an jene schwere Zeit in dem Gedichte „Auf der Wartburg“:

„So stand ich unter Deutschlands grünen Bäumen,
Allein, verlassen, ohne Glück und Stern,
Allein mit meines heißen Herzens Träumen,
Von jedem Ziele noch so weit und fern:
Und bang und bänger fühlt’ ich’s in mir schwanken
Beim Sturm und Drang der eigenen Gedanken.“

Doch bald sollte sich sein Geschick wieder freundlicher gestalten; Eduard Tempeltey, der bekannte liebenswürdige Dichter, an den er sich gewandt hatte, nahm sich seiner freundlich an und vermittelte eine Audienz beim Herzog Ernst von Sachsen-Koburg-Gotha, die entscheidend für Ohorns ferneres Leben wurde. Der Herzog wendete ihm sein ganzes Wohlwollen zu und empfahl ihn dem herzoglichen Ministerium in Gotha. Ohorn ging daher dorthin und gewann sich in dem Ministerialrath Samwer, dem berühmten Kanzelredner Karl Schwarz, dem Oberschulrath Möbius, dem Hofprediger Schweitzer und im nahen Siebleben in Gustav Freytag rasch Freunde und Gönner.

Eine Stellung freilich wollte sich für ihn vorläufig noch nicht finden. Dagegen bot sich ihm oft Gelegenheit, im Umgang mit den geistvollen Männern sich eine neue abgeklärte Weltanschauung zu bilden, worauf er im Spätsommer 1872 in der Schloßkirche zu Gotha zum Protestantismus übertrat. Bald darauf wurde er als Lehrer an die höhere Töchterschule in Mühlhausen in Thüringen berufen, wo er sich nun auch einen eigenen Herd gründete, indem [883] er sich 1873 mit Julie Löschner, der Tochter eines österreichischen Beamten in Auscha, vermählte. Er erwarb sich damit eine treue Genossin fürs Leben, die auch seinen dichterischen Bestrebungen ein warmes Interesse und ein tiefes Verständniß entgegenbrachte und durch ihre rege Antheilnahme gar manche Schöpfung fördern half.

Ein Jahr später siedelte Ohorn als Oberlehrer an die höhere Töchterschule nach Chemnitz über und trat dann 1877 in den Lehrkörper der technischen Staatsanstalten daselbst, wo er noch jetzt als Professor für deutsche Sprache und Litteraturgeschichte erfolgreich wirkt.

Anton Ohorn.

Seine litterarische Thätigkeit begann Ohorn schon sehr früh. Bereits in der Klosterzelle schrieb er eine Novelle „Der Dorfengel“, dann folgten in bunter Reihe Epen, Romane, Novellen, Dramen und lyrische Gedichte. In fast allen diesen Dichtungen giebt das schöne Böhmerland den Hintergrund ab, und den Inhalt bilden wiederholt die Kämpfe, welche in den böhmischen Thälern um Licht und Freiheit ausgefochten wurden. Nicht selten schreitet der Dichter auch bis in die Gegenwart vor, und dann erhebt sich seine Stimme zum begeisterten Nationalgesange. Weithin wurde es gehört, als er den so schwer bedrängten Landsleuten zurief:

„Getrost, ihr Deutschen bleibt am Steuer,
Ob’s auch wie Sturmwind euch umfliegt,
Das Böhmerland, so lieb und theuer,
Es ist mit seiner Zukunft euer;
Die Bildung ist’s, die endlich siegt.“

Wir heben von den Epen besonders "Die Tochter Judas“, „Die Madonna“ und „In tschechischen Wettern“ hervor. Die erstgenannte Dichtung führt in das düstere Prag Rudolfs II., wo es bei dem unversöhnlichen Glaubenshasse zu entsetzlichen Ereignissen kommt; das Epos „Die Madonna“ entrollt dagegen eine sonnige Künstlergeschichte, in welcher der Dichter ein Liebesidyll mit großer Anmuth schildert; „In tschechischen Wettern“ behandelt den großen Kampf der deutschen Professoren und Studenten gegen wie Hussiten, der bekanntlich schließlich 1409 mit der Auswanderung der Studenten nach Leipzig endete. Der Dichter entwirft hier eine Reihe farbenprächtiger Bilder und charakterisiert dabei den tschechischen und den deutschen Geist in packend scharfer Weise. Huß selbst wird in eine ganz andere als die bisher übliche Beleuchtung gerückt.

Von Ohorns Romanen muß in erster Linie „Der Klosterzögling“ hervorgehoben werden, wo Selbsterlebtes in poetischem Lichte erscheint, sodann der historische Roman „Es werde Licht!“, welcher eine Verwicklung aus der Reformationszeit behandelt und die Kulturzustände jener großen Epoche überaus anschaulich schildert. Auch die Novellensammlungen „Im Lotto des Lebens“ und „Wie sich Herzen finden“ müssen als anmuthige und feinsinnige Schöpfungen genannt werden.

Als Dramatiker hat sich Ohorn in dem leicht und gewandt aufgebauten einaktigen Lustspiele „Komm den Frauen zart entgegen“ und den Schauspielen „Der Uhrmacher von Straßburg“ und „Fürst und Bürger“ versucht. Alle drei Stücke sind wiederholt mit Erfolg über die Bühne gegangen.

Sein tiefstes Denken und Empfinden offenbart Ohorn aber in der Sammlung seiner Gedichte, die er unter dem Titel „Heimchen“ im Verlage von Ernst Keils Nachfolger in Leipzig herausgab. Hier flammt seine Vaterlandsliebe sowohl in rauschenden Festgesängen empor wie in scharfen Zornesliedern; hier erschließt er auch die innersten Falten seines Herzens und klagt um den Verlust eines geliebten Kindes, oder er preist die Gattin, die seines Lebens Sonnenschein; ihr, der „Frau Julia“, ist das Büchlein zugeeignet. Auch für die Schönheit der Natur begeistert er sich; mit echtem Poetensinn weiß er den Zauber des Waldes, die Wonne der Pfingstzeit, die Heiligkeit der Weihnacht zu erfassen und in dichterische Schöpfungen umzusetzen.

Bei so reicher und vielseitiger poetischer Thätigkeit ist denn auch der Name Anton Ohorns vor allem im ganzen Böhmerland, überall, wo Deutsche wohnen, einer der bekanntesten und gefeiertsten geworden; er ist einer der bedeutendsten der jetzt lebenden deutsch-böhmischen Dichter, dessen Lied überall in Böhmen verlangt wird, wo die Begeisterung für die deutsche Sache angefacht werden soll, dessen Zuversicht auf eine bessere Zeit die zagenden Herzen mit neuen Hoffnungen erfüllt. Er selbst sieht gerade in diesem Erfolge seinen schönsten Lohn; es macht ihn mit Recht glücklich, daß er einer der vornehmsten Pfleger deutschen Geistes und deutscher Poesie in Böhmen geworden ist. Ludwig Salomon.