Ein deutsch-amerikanisches Jubiläum in Philadelphia
[496] Ein deutsch-amerikanisches Jubiläum in Philadelphia. Die ersten Jahrzehnte nach dem Dreißigjährigen Kriege sind mit Recht für unser deutsches Vaterland als die Periode seines tiefsten geistigen und materiellen Verfalles bezeichnet worden; verlor Deutschland doch auch in jener Zeit alle politische Initiative und sank zum ohnmächtigen Schleppenträger des Auslandes herab. Erst ein volles Menschenalter nach dem westfälischen Frieden wagte das gedrückte Volk seine scheuen Blicke behufs Verbesserung seiner elenden Lage in die Ferne zu richten, und als unter Pastorius im Jahre 1683 die erste größere Auswanderung nach Amerika stattfand, war sie nicht der Ausdruck nationalen Könnens und Wollens, sondern weh- und demüthige Unterordnung unter die Macht Englands. Jetzt ist dies nun allerdings anders geworden; Deutschland nimmt gegenwärtig im Rathe der Völker eine leitende Stellung ein, und seine im Auslande lebenden Söhne können in vieler Hinsicht stolz aus ihr altes Vaterland sein. In diesem Sinne soll denn nun auch am 6. Oktober 1883 in Philadelphia die Wiederkehr des zweihundertsten Jahrestages gefeiert werden, wo deutsche Auswanderer zuerst in größerer Anzahl über den Ocean gingen und den Grund legen halfen für die große transatlantische Republik.
Nach längeren Berathungen hat sich eine Anzahl deutscher Vereine in Philadelphia dahin geeinigt, daß die geplante Feier eine möglichst öffentliche sein soll, die sich vor den Augen des amerikanischen Volkes abspielt und an der sich das deutsch-amerikanische Element in Masse betheiligen kann. Es soll den nichtdeutschen Bürgern der Vereinigten Staaten anschaulich gemacht werden, was das Deutschthum im Laufe der Zeit für die Union gewesen ist, zugleich aber soll auch dargethan werden, daß die jetzige Generation der Deutsch-Amerikaner sich des Ruhmes ihrer Vorfahren würdig bewiesen hat und stets würdig beweisen wird zur Ehre und zum Heile der Republik. Die Deutschen Philadelphias betrachten sich gewissermaßen als die Repräsentanten des gesammten Deutschthums in den Vereinigten Staaten und wollen sich bestreben, durch ihre Feier allen ihren Stammesgenossen im Lande Ehre zu machen. Andererseits geben sie sich der Hoffnung hin, daß auch in anderen Städten der Union ihre Stammesgenossen eine ähnliche Feier veranstalten oder sich wenigstens an dem Feste in Philadelphia betheiligen.
Concerte, Processionen und Pickniks sind zwar nichts Neues, aber sie sind und bleiben wohl noch lange die einzigen Feierlichkeiten, welche irgend ein Fest zu einem allgemeinen Volksfest gestalten können. Und dies erscheint als die Hauptsache bei dem geplanten Jubiläum. Das Concert soll das künstlerische Wesen der Deutschen, ihr Wirken in Musik und Gesang vorführen. Der historische Umzug wird ein Bild dessen geben, was sie in Krieg und Frieden geleistet haben: der Vereinszug ein Bild ihres geselligen Lebens und der Gewerbezug ein Bild ihres großartigen Antheils an der Industrie der Union. Das Picknik endlich vereinigt Alle zur lebhaften Betheiligung an dem fröhlichen Feste. Man ist auch der Frage näher getreten, ob sich aus der beabsichtigten Feier nicht der Grund zu irgend einem dauernden Monumente oder zu einer Stiftung zum steten Gedächtnisse an den historischen Tag erzielen läßt. Doch soll die Entscheidung über diese Frage bis nach dem Ablauf der Jubelfeier verschoben werden.