Textdaten
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Autor: C. St.
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Titel: Ein braunschweigischer Bauer
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 424–426
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Aus den Zeiten der schweren Noth.

Nr. 6. Ein braunschweigischer Bauer.

Eine halbe Stunde von Braunschweig, umgeben von fruchtbaren Feldern, üppigen Wiesen und wohlgepflegten Hopfengärten, liegt das freundliche Dorf Oelper. Für den Braunschweiger knüpft sich an diesen Ort ein besonderes patriotisches Interesse, und selten wohl wandelt ein Städter den als Spaziergang beliebten Weg dorthin, ohne erst durch das auf einer Anhöhe errichtete eiserne Monument an den 1. August 1809 als den Tag erinnert zu werden, an welchem Herzog Friedrich Wilhelm von Braunschweig, ausgeschlossen von dem Frieden von Znaim, auf seinem berühmten Zuge von Böhmens Grenze bis zum Gestade der Nordsee, hier das sich seinem Weiterzuge entgegenstellende westphälische Armeecorps unter Reubel schlug. Schill’s Schicksal, der zwei Monate früher in den Straßen von Stralsund wie ein edles Wild zu Tode gehetzt war, schwebte am 1. August auch über Friedrich Wilhelm’s Heldenhaupte. Der Kampf war ein ungleicher, es war das Ringen einer kleinen, nur nothdürftig ausgerüsteten Schaar mit einem dreimal stärkeren Feinde, aber diese kleine Schaar war ausgezogen für Deutschlands Befreiung und stritt nun, durch Oesterreichs Friedensschluß mit Napoleon der Rache dieses übermüthigen Siegers preisgegeben, für Haupt und Leben, während jener nur „dem hohlen Winke des Herrschers“ folgte. Die Einwohner Oelpers waren an jenem Tage in nicht geringer Noth. Ihre Häuser, in deren Kellern Weib und Kind verborgen saßen, waren von Kugeln durchbohrt, ihre Gärten verwüstet, die noch nicht völlig beendete Ernte theilweise von Roß und Mann zertreten. Als aber nach grausiger Nacht die Sonne des zweiten August über dem Siegesfelde emporstieg, der Feind sich zurückgezogen hatte, der Held aber, für den sie gebangt, als freier deutscher Mann weiter gezogen war mitten durch geknechtetes Land, da war auch die Bekümmerniß um die gefährdete Habe dem Hochgefühle gewichen, ihren Herzog als Sieger über die Bedrücker gesehen zu haben. Es war wohl natürlich, daß Ereignisse wie dieses in jener Zeit tiefster Erniedrigung starke Hebel für die Erweckung des deutschen Nationalgefühls wurden; Schill’s ritterliches Ende, Palm’s Hinrichtung sind neben vielen andern, bis zu dem um des Vaterlandes Fall gebrochenen Herzen der Königin Louise hin, die mit Thränen in die Erde gestreute Saat, aus der später die goldene Aehre der Freiheit emporschoß.

In jener Zeit, wo Napoleon aus den bunt zusammengeworfenen Ländern Braunschweig, Hessen, Altmark u. s. w. seinem Bruder Jerôme das neue Königreich Westphalen gegründet hatte, und man von dem im Herzen Deutschlands etablirten französischen Hofe aus sich bemühete, das deutsche Volk nach französischem Muster zuzustutzen, war es in dem Dorfe Oelper besonders der Ackermann Oppermann, der voll Haß gegen den Usurpator deutsche Gesinnung und Gesittung zu erhalten und zu fördern suchte. Schon damals standen die Einwohner des durch Hopfen- und Tabaks-Cultur bekannten Dorfes in dem Rufe intelligenter, betriebsamer Leute; das rege Interesse, welches Herzog Karl Wilhelm Ferdinand an den in seinem gesegneten Ländchen neu auftauchenden Erwerbsquellen nahm, brachte sie wiederholt mit dem Herzoge sowie mit seinem Sohne und Nachfolger Friedrich Wilhelm in nähere Berührung. Noch kurz vor Beginn des Gefechtes bei Oelper war Letzterer mit freundlichem Gruße an den vor seinem Gehöfte stehenden Oppermann herangeritten und hatte ihn gebeten, einen alten Mann, Namens Hagen, der sich dem Corps des Herzogs bei Zittau angeschlossen, aber seiner Schwäche wegen zurückbleiben mußte, in sein Haus zu nehmen; – Oppermann that es mit Freuden, und Hagen, ein treuherziger, patriotisch gesinnter Mann, wurde bald eingeführt in den kleinen Kreis der Gleichgesinnten, für die Oppermann’s Haus der Sammelplatz ihrer geheimen Zusammenkünfte war. Wenn dann die Männer Abends im sorgfältig verrammelten Stübchen beisammen saßen, aus den sonst versteckt gehaltenen Pfeifen rauchend, an deren Köpfen das Bild Friedrich Wilhelm’s prangte, dann umstanden die älteren Söhne, Wacht haltend, das Haus, denn es waren schon die Tage gekommen, wo der ehrliche Mann sich des unverfänglichsten Wortes enthalten mußte, wollte er nicht Gefahr laufen, von den Spionen der sanctionirten westphälischen Polizei als „gefährlich“ bezeichnet, in das Castell nach Cassel zu wandern. Aller Vorsicht ohngeachtet war man doch von Seiten jener spionirenden Behörde auf Oppermann und seine Freunde aufmerksam geworden, man kannte ihn als deutschgesinnt, man fahndete auf ihn; es fehlte nur die Handhabe, um den im besten Rufe stehenden Mann anzufassen, – doch auch dafür sollte Rath werden.

Im Spätherbst 1811 brachte Hagen, der in der Zwischenzeit nach Wolfenbüttel übergesiedelt war, einen an ihn mit eingegangenen Brief vom Herzog Friedrich Wilhelm an Oppermann, worin dieser, sich auf die bisher ihm bewiesene Treue und Ergebenheit beziehend, ihm mittheilte, daß er zum Zweck eines nahe bevorstehenden Unternehmens gegen die westphälische Regierung eine große Menge Waffen in Hannöverisch-Münden habe aufkaufen lassen, die er von dort ab durch sichere Leute nach Wolfenbüttel schaffen lassen wolle; Hagen solle sich dort nach einem Manne umsehen, welcher dieselben bis zum bestimmten Tage in Verwahrung nehmen könne, Oppermann möge dagegen für zwei bedeckte vierspännige Ackerwagen sorgen, um darauf die Waffen von Münden abzuholen. Das Nähere solle ihm durch einen Bevollmächtigten, den er binnen Kurzem nach Oelper senden würde, und dem er sich ohne Rückhalt anvertrauen könne, mitgetheilt werden. – Mit Thränen in den Augen drückte der wackere Mann das theuere Schreiben an seine Lippen und sagte rasch entschlossen zu Hagen: „Ich bin zu Allem bereit, sorgt Ihr für den, der die Waffen verwahrt, ich liefere sie dorthin – Gott wird helfen.“ – Kurze Zeit darauf wurde Abends an Oppermann’s Thür gepocht; eine Magd, die geöffnet hatte, brachte ihrem Herrn, der eben mit den Seinen beim Abendessen saß, die Nachricht, daß zwei fremde Herren draußen seien, die ihn zu sprechen wünschten. Dieser, schon daran gewöhnt, Besuche zu empfangen, die von seinen Hausgenossen unerkannt kamen und gingen, ergriff die auf dem Tische stehende Lampe und trat auf die Hausflur hinaus. Hier begrüßte ihn Hagen mit einem Händedruck und wies schweigend auf seinen in der Dunkelheit stehen gebliebenen Begleiter. Mit einem Wink nach diesem führte Oppermann Beide in ein kleines Stübchen des zweiten Stocks, dessen Thür er, nachdem sie eingetreten, sorgfältig verschloß. Der Fremde, den Hagen nun als den in des Herzogs Briefe angekündigten Bevollmächtigten vorstellte, war ein stattlicher Mann in den mittleren Jahren, dessen Manier, trotz der bürgerlichen Kleidung, den ehemaligen Militair verrieth. –

„Ich bin erfreut,“ sagte er mit vertraulichem Tone an Oppermann herantretend, „einen Mann persönlich kennen zu lernen, der durch gleiche Gesinnung meinem Herzen lange schon nahe stand, und der das Vertrauen unseres verehrten fürstlichen Herrn in einem so hohen Grade besitzt. Ich komme, um mit Ihnen die Ausführung eines Dienstes näher zu verabreden, der für des Herzogs Unternehmen augenblicklich von Wichtigkeit ist. – Dieses Unternehmen, an welchem eine große Zahl deutscher Männer sich unter des Herzogs Leitung betheiligen, wird unser Vaterland von dem Joche befreien, unter das es schmachvoll gerathen ist. Hier meine vom Herzog ausgestellte Vollmacht.“ Dabei übergab er Oppermann ein Schriftstück, worin Friedrich Wilhelm alle Diejenigen, welche bei dem Waffentransporte nöthig sein würden, aufforderte, sich dem Inhaber unbedingt anzuvertrauen.

Nachdem Oppermann dem Bevollmächtigten hierauf versichert hatte, daß der Herzog auf ihn rechnen könne und daß er die Wagen stellen werde, richtete dieser die Bitte an ihn, bis zu dem noch näher zu bestimmenden Tage auch 900 Thaler bereit zu halten, die dem Herzoge, der augenblicklich über eine solche Summe nicht verfügen könne, zur Bestreitung der nächsten Kosten bei Auslieferung der Waffen nöthig wären. Auf Oppermann’s Bedenken, daß er selbst nicht im Besitze so vielen baaren Geldes sei, verwies ihn der Fremde an gleichgesinnte Freunde und machte ihn dabei besonders auf den Ackermann und derzeitigen Municipalrath Meier aufmerksam, der ein reicher Mann und guter Patriot sei. Oppermann versprach nun auch die Beschaffung des Geldes, und nachdem der Bevollmächtigte Hagen den Auftrag ertheilt, einen gleichfalls zuverlässigen Mann in Wolfenbüttel auszukundschaften, der die Waffen in Verwahrung nehmen wolle, beiden Männern aber die äußerste Vorsicht und Geheimhaltung anempfohlen hatte, trennten sie sich spät in der Nacht.

Gegen Ende des Monats December waren alle Anstalten zu dem Unternehmen beendet. Hagen hatte einen vor Wolfenbüttel [425] wohnenden Mann, Namens Möbes, gefunden, der sich zur Aufnahme der Waffen bereit erklärt hatte; die geforderten 900 Thaler waren von Oppermann theils aus eigenen Mitteln beschafft, theils von Meier vorgeschossen; einen der nöthigen Ackerwagen stellte der Erstere, und sein ältester Sohn, der aus dem westphälischen Militärdienste desertirt war, sollte denselben fahren; den zweiten lieferte der Ackermann Sonnenberg, zu dessen Leitung ein Freund des jüngeren Oppermann, Bode, bestimmt war.

Am 29. December versammelten sich die Eingeweihten Abends 11 Uhr zum letzten Male in Oppermann’s Hause, wo sich auch der Bevollmächtigte einfand. Dieser verabredete nun, daß die Wagen am folgenden Morgen in Immendorf, einer Poststation an der nach Münden führenden Heerstraße, eintreffen sollten, neben den obengenannten Fuhrleuten sollten Hagen und ein gewisser Altag die Expedition begleiten, er selbst, ausgerüstet mit einem dahin lautenden Passe, werde unterwegs als Weinhändler und Besitzer der zu ladenden Waaren auftreten. Allen empfahl er dann, ihre Hoffnung auf Gott zu setzen und frischen Muth zu behalten, Oppermann dankte er beim Abschiede noch besonders für alle bis dahin bewiesene Treue und Hingebung. „In den ersten Tagen des neuen Jahres,“ sagte er bedeutungsvoll, „sollt Ihr von mir hören; die Tage der Tyrannenherrschaft sind gezählt; was Schill und Dörnberg nicht gelang, das ist Braunschweigs Friedrich Wilhelm vorbehalten, Deutschland wird ihm seine Befreiung verdanken und dann auch derer nicht vergessen, die wie Ihr treulich geholfen haben.“ –

Am 30. December früh 5 Uhr verließen die beiden Ackerwagen Oppermann’s Gehöft. Es war ein kalter stiller Wintermorgen, Oppermann hatte den Sohn bis an das Hofthor begleitet und ihn dort mit einem warmen Druck der Hand entlassen; in Nachdenken versinkend blickte er dem durch die öde Dorfgasse rasselnd davon fahrenden Fuhrwerk nach, immer entfernter vernahm er den Hufschlag der Pferde und das Rollen der Räder; als es endlich ganz still wurde, falteten sich fast unbewußt seine Hände, mit einer Thräne im Auge blickte er empor zum Himmel, an dem noch die Sterne schimmerten, als wolle er das eben begonnene Werk dem empfehlen, der über dem Sternenzelte wohnt, dann schritt er langsam seinem Hause zu, um an das gewohnte Tagewerk zu gehen. Zur bestimmten Stunde langten die beiden jungen Männer mit ihren Gespannen in Immendorf an; als sie eben beim Frühstücke saßen, traf auch der Bevollmächtigte mit Hagen und Altag ein, und man trat nun gemeinschaftlich die Weiterreise an. Alle waren heiter und voll Zuversicht, in den Gasthäusern, in denen man einkehrte, spielte der Weinhändler seine Rolle prächtig, mehrere Male stießen sie auf Patrouillen westphälischer Gensd’armen, ein Blick aber in den von ihrem Führer vorgezeigten Paß schnitt alle weitere Nachfragen seitens dieser Plagegeister ab. In der Abenddämmerung des 1. Januar 1812, des für Napoleon so verhängnißvollen neuen Jahres, langte die Expedition in Münden an, wo im Gasthause „zum braunen Hirsch“ ausgespannt wurde. Nachdem der junge Oppermann und Bode die Pferde besorgt hatten, kam der als Bedienter fungirende alte Hagen zu ihnen und machte die Anzeige, daß der Herr gemeinschaftlich mit ihnen zu Abend zu speisen wünsche. Alle begaben sich nun auf das Zimmer des Bevollmächtigten im ersten Stock, wo bereits ein Tisch servirt war. Man setzte sich; das behaglich erwärmte Zimmer, das nach einer an dem Tage zurückgelegten zwölfstündigen Fahrt vortrefflich mundende Abendessen, der reichlich ausgesetzte Wein rief bald eine sich Allen mittheilende Fröhlichkeit hervor, in welcher der Herr den Uebrigen voranging; er sprach seine Freude darüber aus, daß bis dahin Alles so gut gegangen, erschöpfte sich in Spottreden über die gefürchtete westphälische Polizei, deren gerühmte Wachsamkeit so einfache Leute wie sie ein Schnippchen schlügen, und rieth, sich nach den Strapazen der letzten Tage nun gütlich zu thun. – Gegen das Ende der Mahlzeit forderte er auf, nochmals die Gläser zu füllen, da er einen Toast ausbringen wolle. In der fröhlichsten Stimmung erhob sich die Gesellschaft von ihren Sitzen und stimmte mit jubelndem „Hoch“ in den von dem Führer gesprochenen Trinkspruch: „Es lebe der Alte!“ – Die Gläser erklangen, im Einverständniß drückten sich die Gefährten die Hände – da plötzlich hörte man schwere Tritte und Säbelgeklirr auf dem Vorsaale, die Thür flog auf, ein Detachement Gensd’armen trat mit gezogenen Säbeln ein, und der demselben voranschreitende Wachtmeister rief: „Im Namen des Königs, Ihr seid meine Gefangenen!“

Starr vor Schrecken, auf den eben noch Freude strahlenden Gesichtern die Blässe des Todes, standen die Vier da; ihre Blicke suchten den, der sie auf dem Wege hierher durch das bloße Vorzeigen seines Passes von allen Belästigungen der Polizei befreit hatte, aber wie hatte sich in den wenigen Augenblicken seine Miene verwandelt! um seine Lippen zuckte ein teuflisches Lächeln, mit dem triumphirenden Blicke eines Künstlers, der sich eines gelungenen Werkes freuet, überflog er noch einmal die Gruppe, dann wandte er sich rasch der Thür zu und schritt mitten durch die ihm Platz machenden Gensd’armen aus dem Zimmer. Da fiel es den Zurückbleibenden wie Schuppen von den Augen; – „Verrathen!“ klang es durch ihre Seele, abermals hatte raffinirte Schurkerei einen Sieg über vertrauende Ehrlichkeit davon getragen; der angebliche Bevollmächtigte des Herzogs Friedrich Wilhelm – sein Name ist unbekannt geblieben, nur daß es ein Deutscher gewesen, steht fest – war ein Spion der berüchtigten westphälischen geheimen Polizei, der, als er seine Opfer sicheren Händen übergeben hatte, mit dem Bewußtsein einer Heldenthat im Herzen und dem erschwindelten Gelde in der Tasche vom Schauplatze abtreten konnte. Widerstand war unmöglich; an Händen und Füßen geschlossen, führte man die Gefangenen in ein sicheres Gemach des unteren Geschosses, wo sie unter strenger Bewachung eine furchtbare Nacht durchwachten; – als der Morgen des zweiten Januar grauete, waren sie, von den Gensd’armen umringt, auf dem Wege nach Cassel.

Die von dem Bevollmächtigten dem alten Oppermann beim Abschiede gegebene Versicherung, daß er in den ersten Tagen des neuen Jahres von ihm hören solle, erfüllte sich mit Schrecken. Ueber Nacht erschienen die gefürchteten Gensd’armen auch in Oelper und verhafteten dort Oppermann, den Kothsassen Julius Sonnenberg, welcher den zweiten Wagen gestellt, Meier, der das Geld vorgeliehen hatte, sowie noch mehrere durch Mitwissen an dem Unternehmen betheiligt Gewesene; Gleiches widerfuhr auch dem Gärtner Möbes vor Wolfenbüttel, der sich zur Aufnahme der Waffen bereit erklärt hatte. Oppermann zeigte sich vom ersten Augenblicke an gefaßt; einmal in der Gewalt der Tyrannei, täuschte er sich über sein bevorstehendes Schicksal keinen Augenblick; auch dachte er zu edel, um die bei ihm aus dem reinsten, opferfreudigsten Patriotismus hervorgegangene That gegen die in Abrede zu stellen, deren Servilismus gegenüber er sich ohngeachtet seiner Fesseln ein freier Mann fühlte; nur die durch seine Vermittlung mit in das Verderben Gezogenen beklagte er und suchte die Anklage möglichst von ihnen abzulenken.

Streng von einander geschieden waren die Gefangenen im Castell zu Cassel untergebracht. – Der nach einem mißglückten Fluchtversuche in verschärfte Haft zurückgebrachte jüngere Oppermann sah zufällig von dem eisenvergitterten Fenster seines Kerkers ab die Ankunft seines Vaters und dessen Genossen, doch ward dem Sohne nicht erlaubt, sich ihm auch nur einen Augenblick zu nähern. Die mit den Gefangenen angestellten einzelnen Verhöre schleppten sich durch volle zwei Monate, der Bevollmächtigte kam dabei nicht wieder zum Vorschein. Am 7. März führte man die Angeklagten zusammen vor eine aus zwei französischen und fünf deutschen Officieren zusammengesetzte Militärcommission, um ihnen ihr Urtheil zu verkündigen, es lautete für Alle: „Tod durch Pulver und Blei,“ – „wobei indeß die Commission einstimmig beschlossen habe, theils wegen Alter, theils wegen Jugend und geschehener Verführung, den Andreas Meier, Julius Sonnenberg, Oppermann Sohn, Möbes, Altag und Bode der Gnade Sr. Majestät des Königs zu empfehlen, bei Oppermann dem Vater aber, sowie bei dem ehemaligen Soldaten Hagen sei das ausgesprochene Todesurtheil fest zu halten.“ Kurz vor Mitternacht schon kam die Entscheidung; – den zur Verkündigung derselben unter starker militärischer Bewachung im Hofe des Castells Versammelten wurde bei Fackelschein eröffnet, daß „Se. Majestät das bezüglich der genannten sechs Gefangenen eingereichte Gnadengesuch bestätigt und die Todesstrafe in lebenslange Eisenstrafe verwandelt habe, an dem älteren Oppermann dagegen und Hagen sei das ausgesprochene Todesurtheil mit Tagesanbruch zu vollstrecken.“

Als man nach diesem Acte die Verurtheilten in ihre Gefängnisse zurückführen wollte, wandte sich der jüngere Oppermann mit der Bitte an den wachthabenden Officier, noch die letzten Stunden mit seinem Vater verleben zu dürfen; aber mit dürren Worten verwies ihn der Angeredete auf die vorgeschriebene Ordnung, nach der solches nicht gestattet sei. – Auf einen Wink des Officiers [426] wurde der Vater, der bis dahin zögernd in der Ferne gestanden hatte, abgeführt; der Sohn wurde, als er dieses gewahrte, dringender, unter Thränen beschwor er den Officier, ihn nur einige Minuten mit dem Vater einschließen zu lassen, ein kurzes Commandowort war die darauf folgende Erwiderung; als die Gensd’armen eben Hand anlegten, den laut Jammernden gewaltsam fortzuschaffen, kam der Commandant des Castells und fragte nach der Ursache dieses Auftritts; der junge Mann wandte sich rasch um und wiederholte die zweimal abgeschlagene Bitte; von Mitleid ergriffen, befahl ihm der Commandant zu folgen und schritt selber voran nach der Zelle, in welcher der Verurtheilte die letzten Stunden seines Lebens zubrachte. – Als sie in das weite und hohe Gemach eintraten, saß Oppermann vor einem Tischchen, auf dem eine die Gegenstände umher nur dürftig beleuchtende Lampe brannte; er schien gebetet zu haben, die gefalteten Hände waren auf die Kniee, das Haupt auf die Brust herabgesunken, er hatte die Augen geschlossen und schien das Oeffnen der schwer sich in den Angeln bewegenden Thür kaum zu bemerken, erst als ihn der Sohn laut weinend umschlang, richtete er sich empor. – „Mein Sohn, mein lieber Sohn!“ – war Alles, was er sagen konnte. – „Oppermann,“ redete ihn der Commandant nach einer Pause in weichem Tone an, „ich habe Eurem Sohne erlaubt, die Nacht über bei Euch zu bleiben. – Habt Ihr sonst noch irgend einen Wunsch, so sagt es mir. Für den Fall, daß Ihr das heilige Abendmahl zu genießen wünscht, ist ein Prediger bereit, es Euch zu reichen.“ – Der Angeredete dankte gerührt für die ihm durch die Vereinigung mit dem Sohne erwiesene Güte und bat, den Geistlichen zu schicken, da er sich zum Tode vorzubereiten wünsche. Der Commandant verließ das Gemach, in welchem bald darauf der Prediger erschien; der einfache schmucklose Tisch wurde zum Altar, nach einer kurzen Beichthandlung empfingen Vater und Sohn knieend das Abendmahl; der von seinem Mitleid für die schlichten frommen Landleute überwältigte Diener Gottes konnte seiner inneren Bewegung dabei so wenig Herr werden, daß er nach kaum beendeter heiliger Handlung eilends das Gemach verließ.

Vater und Sohn verbrachten den Rest der Nacht in ernstem Gespräch; kein Schlaf kam in ihre Augen. Als der Morgen zu dämmern begann, trat Oppermann an’s Fenster; sein Blick suchte über die die Aussicht versperrenden Dächer des Castells hinweg die Himmelsgegend, unter der das heimathliche Dorf lag, aus dessen Frieden er gerissen und in dem nach wenig Stunden eine Wittwe um ihn weinen sollte. – „Mein Sohn,“ sprach er mit feierlichem Tone, „es beginnt zu tagen, die Zeit, welche ich noch zu leben habe, ist nach Minuten zu zählen. Ich sterbe frohen Muthes, denn ich sterbe für eine gute Sache, für die noch viele wackere deutsche Männer ihr Leben einsetzen werden. Ich gehe aber dem Tode mit der Zuversicht entgegen, daß der Tag der Freiheit für unser armes Vaterland ebenso gewiß anbrechen wird, wie nach der eben weichenden Nacht jener helle Streif am Himmel den Tag verkündet, der mir den Tod bringt. Jener ersehnte Tag wird auch Deine Ketten lösen; geschieht das, dann nimm Dich vor Allem Deiner Mutter an; wie weit sich die Rache der Gewalthaber auch auf unser Eigenthum erstreckt, kann ich nicht ermessen; Gott wird darin sorgen. Führt Dich das Geschick einst auch mit dem Herzoge zusammen, so sage ihm, daß ich freudig und mit einem Segenswunsche für ihn auf den Lippen gestorben sei.“

Oppermann hatte kaum geendet, da verkündete schon ein aus dem Hofe des Gefängnisses dumpf herauftönender Trommelwirbel das Antreten des Commando’s, welches die Verurtheilten zum Tode führen sollte. Nach einer Pause, während der sich Beide still weinend umarmt gehalten hatten, erschien ein Officier, gefolgt von mehreren Gefangenwärtern, und meldete, daß es Zeit zum Aufbruch sei. Oppermann machte sich sanft von dem Sohne los, reichte ihm resignirt mit dem einfachen: „Lebe wohl, mein Sohn“ – nochmals die Hand und schritt dann mit emporgehobenem Haupte dem Officier aus seinem Kerker voran.

Nachdem sich die Thür hinter den Abgehenden geschlossen hatte, sank der zurückbleibende Sohn vom Schmerze überwältigt auf den Stuhl; – ohne Bewegung saß er lange da; im Hofe drunten, in den Gängen des weitläufigen Gebäudes war es ungewöhnlich still geworden, – plötzlich jagte ihn eine aus der Entfernung dumpf herüberschallende Gewehrsalve, davon leise die Scheiben des vergitterten Fensters klirrten, aus seinem dumpfen Hinbrüten auf, – dann wurde es wieder still um ihn her, – es war vollbracht, wieder waren „auf der Forst“ bei Cassel der Freiheit zwei Opfer gefallen.


Nachdem die am 7. März 1812 zur Eisenstrafe „begnadigten“ Genossen Oppermann’s und Hagen’s fast zwei Jahre lang, an Händen und Füßen geschlossen, die Straßen der königlichen Residenz Cassel durchwandert hatten, öffnete der von den Alliirten am 18. October 1813 auf Leipzigs Feldern errungene Sieg über Napoleon auch ihre Kerker und erlaubte ihnen die Rückkehr in die Heimath. – Als Herzog Friedrich Wilhelm, fast der einzige deutsche Fürst, der keinen Augenblick vor dem Usurpator das Haupt beugte, am 13. December in das Land seiner Väter zurückkehrte, da stand auch, mit ihrem Pfarrer an der Spitze, die Dorfschaft Oelper zu seinem Empfange vor dem Thore Braunschweigs. Umbraust von nicht enden wollendem Jubel erblickte der Herzog auch das Häuflein Bauern, und eine Thräne erglänzte in seinen Augen, warm drückte er den ihm zunächst Stehenden die Hände und empfing dann ein von dem Pastor verfaßtes Gedicht, eins der schönsten in dem reichen Liederkranze, der sein kurzes thatenreiches Leben verherrlicht hat, und in welchem auch derer, die in jenen Tagen der schweren Noth wegen ihrer Liebe zum Vaterlande in schweres Leid geriethen, mit den Worten gedacht ist:

„Wir waren Dein im grausen Sturm der Zeit,
Als fern von uns in engen Todesbanden
Die, die Dich liebten, kein Erbarmen fanden,
Als Greis und Weib und Kind in bangem Gram
Vergebens weinten, – ach, kein Retter kam!
Wir harrten Dein und trugen still das Leid,
Wir waren Dein im grausen Sturm der Zeit!“

Ein halbes Jahrhundert ist über all diesem Leid und all dieser Freude dahingerauscht. – Am 1. August 1859, dem Jubeltage des Gefechtes bei Oelper, standen in dem den Sohn Friedrich Wilhelm’s umgebenden Kreise der Feiernden abermals die Einwohner des Dorfes; – aber es war ein neues Geschlecht; von denen, die einst treu zu dem Vater gestanden hatten, lebte, so viel uns bekannt, nur noch Einer, der jüngere Oppermann, die Uebrigen schlummerten bereits unter dem grünen Rasen jenes stillen Kirchhofes, dessen schwarze Kreuze von der Anhöhe ernst auf das an jenem Tage zum Festplatze umgewandelte Schlachtfeld herabblickten. Dem braven Manne, der fern „auf der Forst“ bei Cassel im vergessenen Grab ruhet, mögen diese Zeilen der Erinnerung geweiht sein.

C. St.