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Titel: Ein bedecktes Grab
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aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 519–520
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[519] Ein bedecktes Grab. Erst jüngst in die Stadt S. gekommen, suchte ich, meiner alten Neigung folgend, einsame Spaziergänge auf, und so wanderte ich eines Tages wieder hinaus, um auf einem Höhenpunkte eine freundliche Aussicht zu gewinnen. Dunkle Kiefern umsäumten den Bergesabhang und rauschten düster-gedankenvoll zur Erde, während auf der andern Seite die Landstraße sich hinzieht, auf der schwer beladene Wagen langsam vorüberknarren.

Weiterhin tönt aus einem Garten Musik. Es athmet Alles ringsum Freude und Glück, nur hier oben ist es still, still wie bei den Todten, und bei denen sind wir in der That. Aber so still es hier ist, die Sonne ruht doch auch auf diesem verlassenen Fleck Erde und zittert warum und belebend um kaum bemerkbare Hügel. Aber keine Blume wiegt sich auf den kahlen, leicht hingeworfenen Gräbern, kein Denkmal der Liebe kündet die Namen derer, die hier einschifften zum fernen, uferlosen Ocean des Todes, denn es ist der Begräbnißplatz weiblicher Sträflinge.

Welche Kämpfe, welche Leidenschaften, welch’ wilde Fieberträume und Verbrechen deckt hier die kühle Erde!

Sonderbar, dort im Winkel, von einer Kiefer beschattet, liegt ein Grab, das gegen die andern kahlen Hügel freundlich absticht, es ist bedeckt, ein frisches Grün breitet sich darüber, ein mächtiger Rosenstrauch mit den schönsten weißen Rosen prangt auf dem mit Buxbaum eingefaßten Hügel, der einen eigenthümlichen Contrast bildet gegen die übrigen Sandhaufen.

Es blieb mir dieses bedeckte Grab lange räthselhaft, Niemand wußte mir Auskunft zu geben, bis mich der Zufall mit dem Prediger der Straf-Anstalt zusammenführte.

„Glauben Sie noch an Justizmorde, an bestrafte Unschuldige?“

„Offen gestanden, nein!“ entgegnete ich, „unsere jetzige Gerichtspflege –“

„Ich glaub’ es auch nicht,“ war seine Antwort, und er lächelte bitter.

Er erzählte:

„Vor einigen Jahren kam in unsere Anstalt ein junges Mädchen; sie war in ihrem National als ein heuchlerisches, verstocktes Geschöpf aufgeführt, die zwar verurtheilt, aber trotz aller Maßregeln nicht zum Geständniß hatte gebracht werden können. Ich las ihre Acten, wie ich dies bei neuangekommenn Strafgefangenen immer thue. Sie war wegen ersten, gemeinen Diebstahls zu zwei Jahren Zuchthaus verurtheilt worden und obwohl sie, wie erwähnt, hartnäckig geleugnet, lagen zu viele Indicien vor, die ihre Schuld ohne Zweifel ließen. Marie Krauß war von armen, aber rechtschaffenen Eltern, sie hatte früh dienen müssen, und bisher einen unbescholtenen Lebenswandel geführt, ihre letzte Dienstherrin, eine verwittwete Baronin, war mit dem Mädchen sehr zufrieden gewesen, weil sie still und fleißig und, ganz gegen die Gewohnheit der übrigen Dienstleute, alle Vergnügungen gemieden, und von ihrem Lohne ihre Eltern unterstützte. Die Baronin hatte Mariens bescheidenes Wesen lieb gewonnen und ihr mehr Vertrauen geschenkt, als es für schwache, von der Gelegenheit leicht verführte Menschen räthlich ist. Marie durfte in den Zimmern bleiben, auch wenn sich die Baronin entfernte, selbst Geld aus der Cassette herbeiholen; und wenn Freunde die Baronin vor solchen Experimenten warnten, entgegnete sie ruhig: „Marie ist treu, ich verlase mich auf meine Menschenkenntniß.“ Diese Bevorzugung Mariens mußte natürlich bei ihren Mitdienenden Haß und Neid erregen, man verspottete ihr stilles Wesen, nannte sie eine Heuchlerin, eine Frömmlerin, die es faustdick hinter den Ohren habe, und die Frau Baronin werde es schon noch sehen. Der Kutscher allein, ein heimlich dem Trunke ergebener Mensch, hatte sie anfangs in Schutz genommen, weil ihm, dem wilden Gesellen, nach dem Gesetz der Anziehungskraft entgegengesetzter Pole, das hübsche, stille Mädchen gefallen, aber als Marie sein Werben entschieden zurückgewiesen und ihm seine brutalen Zärtlichkeiten vor dem ganzen Dienstpersonal mit einer Ohrfeige erwidert, war’s mit seiner Freundschaft vorbei. er wurde von seiner Umgebung so lange geneckt und verspottet, bis seine frühere Liebe in Haß übergegangen, denn er war es wenigstens, der den ersten Verdacht auf Marie lenkte.

„In Kurzem kamen mehrere kleine Diebstähle vor, zuletzt war aus dem Schlafzimmer der Baronin ein goldenes Armband und zwei Louisd’or entwendet worden. Die Baronin wurde unruhig, sie mußte unwillkürlich an Marien denken, aber so viel dies für sich hatte – denn Niemand anders war in das Zimmer gekommen, als sie – die gute Frau wollte dennoch ihren Verdacht unterdrücken, und verbot jedes Geschwätz hierüber, weil es ihr peinlich, ihre Hausangelegenheiten in dem Munde der Leute zu wissen. Ihr Dienstpersonal dagegen wußte unter sich um so mehr zu schwatzen. „Man wisse es schon,“ hieß es da, „stille Wasser seien tief, freilich dürfe man nichts sagen, aber die Sperlinge auf dem Dache zwitscherten schon [520] davon,“ und dergleichen Redensarten. Endlich schlug der Kutscher „Schlüsseldrehen“ vor, jene Albernheit, die schon Tausende um ihren ehrlichen Namen gebracht. Hier sollte sich diese Kunst bewähren. Der Schlüssel dreht sich bei allen Namen, nur bei dem Mariens bleibt er stehen. Man wiederholt das Experiment – dasselbe Resultat. Alle jubeln, am meisten der Kutscher, als ob damit wirklich die Thäterin entdeckt, denn das Orakel hat ja nur die Gedanken ihres Herzens bewahrheitet. Die Baronin kommt zu dem Treiben hinzu, man erzählt’s ihr triumphirend; sie schüttelt verächtlich den Kopf. „Aber ich will nicht mehr mit der Diebin dienen!“ ruft die alte Köchin erbittert. „Wir Alle nicht mehr!“ stimmen die Andern trotzig ein. „Und untersucht wollen wir sein!“ bemerkt der Kutscher, „damit wir Unschuldigen nicht mit leiden!“ – „Ja wohl, gnädige Frau Baronin,“ rufen Alle, „das muß sein, damit wir unschuldig werden!“ – „Nun gut, mein Secretair wir alle Eure Sachen untersuchen und das auf der Stelle,“ entgegnet die gnädige Frau, um endlich die Sache los zu werden.

Alle schleppen freudig und bereitwillig ihre Sachen herbei, sie kramen Alles bis auf den Boden heraus, das Geringste wird durchsucht, keine Tasche, kein Schlupfwinkel wird verschont, aber von dem Gestohlenen nirgends eine Spur. „Wo ist Marie? jetzt kommen ihre Sachen dran!“ ruft man jubend. „Vielleicht hat sie den Braten gerochen, und sich unsichtbar gemacht,“ ruft die Köchin, da tritt sie schon zur Thür herein, sie erblaßt, als sie der Secretair zur Oeffnung ihrer Schränke auffordert, sie wird verleqen und weigert sich. „Aha,“ rufen die Andern jauchzend, „jetzt kommt’s.“ Der Secretair dringt heftiger auf Oeffnung, sie weigert sich und will endlich nur öffnen im Beisein der Frau Baronin und wenn sich das übrige Personal entfernt. Die Frau Baronin kommt, verstimmt und unangenehm berührt von dem ganzen Treiben. Marie öffnet jetzt, man durchsucht die dürftige Wäsche, dort auf dem Boden liegt ein Packet, das Armband und ein Louisd’or fällt heraus.“

Der Pfarrer machte eine Pause und blickte düster vor sich, dann fuhr er fort: „So steht’s in den Acten und dort ist nichts als Wahrheit. Marie hat kein Wort sprechen können, sie hat nur ihre Umgebung starr und versteinert angesehen, und bekennen Sie, das war ziemlich gut die Unschuldige gespielt. Aber die Baronin fühlte sich auf’s Schmerzlichste berührt, von der frommen Heuchlerin sich so hintergangen zu sehen, sie sagt ihr in herben, scharfen Worten, wie elend, wie schlecht sie sei und daß sie augenblicklich das Haus zu verlassen habe, solle nichts Schlimmeres folgen.

„Leugne nicht länger!“ ruft die Baronin außer sich, „Du freches, undankbares Geschöpf, bekenne wenigstens Deine Schuld und ich will Dir die Strafe schenken, wenn nicht –“

„Ich kann es nicht, ich bin unschuldig!“ schluchzt das Mädchen und ringt die Hände.

„Dann fort mit ihr!“ ruft die Baronin mit einer bezeichnenden Handbewegung und zieht sich, reicher an Menschenkenntniß, ärmer an Vertrauen, in ihr Zimmer zurück, um das verstockte Frauenzimmer ihrem Schicksale zu überlassen.

„Marie wurde in’s Gefängniß geschafft und inquirirt. Sie leugnete eben so hartnäckig vor Gericht, wie vor der Baronin, und war entweder ehrlich oder die vollendetste Heuchlerin, und daß sie nur das Zweite war, ließ keinen Zweifel zu. Niemand anders hatte das Zimmer betreten, ihr Weigern, den Schrank zu öffnen, das Finden der gestohlenen Sachen, ja, noch ein Umstand stellte ihre Schuld bis zur Evidenz heraus – sie hatte ihren Eltern vor kaum acht Tagen einen Louisd’or geschickt, nur noch ein Louisd’or war im Schranke gefunden worden – Alles das genügte, ihre Schuld festzustellen. Zwar behauptete Marie, das sei ein altes Ersparniß, und da ihr Vater so dringend um Geld gebeten, habe sie ihren letzten Sparpfennig hingegeben, und daß sie stets ihre Ersparnisse in dieser Münzsorte aufbewahrt, weil sie eine besondere Vorliebe für Gold habe.

„Begreiflich,“ hatte man ihr lachend entgegnet, „nur hätte die Vorliebe für dies edle Metall nicht in dieser Weise ausarten sollen.“

„Ihr Weigern des Schranköffnens aber wollte die Angeklagte damit entschuldigen, daß sie sich geschämt, ihre geringe, defecte Wäsche zu zeigen, aber diese Vertheidigung war doch zu unhaltbar den schlagendsten Thatsachen gegenüber, sie konnte nicht einmal eine Vermuthung aufstellen, wie dies Gold ohne ihr Zutun in ihren Schrank gekommen, und sie wurde von Rechts wegen zu zwei Jahr Zuchthaus verurtheilt.

Nach dem Lesen der Acten war ich gespannt, die abgefeimte Heuchlerin zu sehen. Es war ein blasses Mädchen mit einem hageren Gesicht, ziemlich niedriger Stirn und hartnäckig zur Erde gerichteten Augen. Das Gesicht drückte Verschlossenheit aus, auch die zusammengepreßten Lippen schienen gern schweigen zu wollen. Die ganze Erscheinung machte auf mich keinen günstigen Eindruck. Ich empfahl ihr, sich ordentlich zu führen, und der Himmel würde dann schon ihre Unschuld an den Tag bringen, denn sie schien mir eine von denjenigen Verbrecherinnen zu sein, die so lange lügen und ihre Unschuld betheuern, bis sie selbst daran glauben, und ich wollte gerade in dem Eingehen auf ihre Thorheit am ehesten der Sache auf den Grund kommen. Ich hatte nun ein freudiges Zutappen erwartet, aber statt aller Antwort sah sie mich mit ihren großen, dunklen Augen forschend an, als wolle sie in meiner Seele lesen, und als ich sagte:

„Wenn ich nun doch an Deine Unschuld glaubte?“ entgegnete sie ruhig:

„Es ist zu spät, ich gebe mich schon drein.“

„Das war nicht das Benehmen einer Intriguantin, ich blickte forschend in ihr Auge, das sie klar und hell aufschlug; es lag eine Reinheit und wahre Unschuld in ihrem Auge, wie sie keine befleckte Seele zeigt.

„Anfangs,“ fuhr sie jetzt fort und ihre Stimme zitterte, „da wollt’ ich verzweifeln und rasend werden, daß es mir Niemand, Niemand glaubte, auch meine gnädige Herrin nicht, ich hielt mich von Gott und aller Welt verlassen und wünschte mir den Tod.“

„Aber wenn Du unschuldig bist, da konntest Du ruhig sein,“ war meine Antwort.

„Nein, nein,“ entgegnete sie, „wenn uns Niemand hört, Niemand glaubt, den höchsten Schwüren und Betheuerungen nicht, das ist das Schrecklichste, darüber geht nichts – jetzt haben sie mich verurtheilt und nun kann ich ruhig sein.“

„Ihre Ruhe hatte etwas Zwingendes, ich mußte ihr glauben. Wäre sie so vor dem Richter erschienen, wer weiß, ob es nicht anders gekommen; aber dort hatte sie sich wahnsinnige gebehrdet, sich verwünscht und verschworen, wenn sie schuldig sei, und gerade diese Heftigkeit, die in solchen Situationen bei den ruhigsten Naturen am ehesten anzutreffen, hatte gegen sie vollends eingenommen und ihre Schuld zweifellos gemacht. ich sprach mit dem Director über das arme Mädchen und bat für sie um eine mildere Behandlung; er lachte mich aus.

„Da spielt Ihnen wieder Ihre Gutmüthigkeit einen tollen Streich, lieber Pfarrer,“ sagte er spottend; „käme es auf Sie an, so wären meine hartgesottensten Sünder bald so weiß und unschuldig, wie Engel. Gerade dies Mädchen ist eine abgefeimte Spitzbübin, wir wollen sie auf Rosen betten, aber ich kann nicht dafür, wenn sie den Schnupfen hat und nur die Dornen fühlt.

„Auch hier in der Anstalt wurde das arme Mädchen nur verspottet und gehänselt. Man hieß sie, die Unschuldige, „das Lamm“, und eben weil sie so ruhig, wenn auch mit etwas verbissenem Trotz, jeden Schimpf, jede Mißhandlung ertrug, hielt man es für Stumpfsinn, der durch eine noch strengere Behandlung aufgerüttelt werden müsse.

„Ich sah, wie sich das arme Mädchen langsam verzehrte, wie sie zusammenbrach unter der Last ihres Geschickes, und überzeugte mich immer mehr, daß dies keine Heuchelei, keine Verstellung, uind doch, wenn ich ihre Acten las, wie klar fügte sich da Alles ineinander und deutete auf ihre Schuld! Da ich in jener Stadt, wo der Diebstahl vorgefallen, Verbindungen hatte, schrieb ich an einen Freund, daß dies Mädchen unschuldig sein müsse, er möge mir noch einmal über den Verlauf der Sache berichten und womöglich neue Nachforschungen anstellen. Ich erhielt die Antwort, daß man dort am Orte von dem verstockten, heimtückischen Charakter Mariens und von ihrer Schuld völlig überzeugt sei. Es schmerzte mich tief; wollte das Mädchen wirklich nur eine Rolle spielen und wenigstens Jemand haben, der sie für unschuldig hielt, oder war sie es dennoch? Ihr Gesicht erschien mir seitdem wieder verschlossener und weniger vertrauenerweckend und ich vermied es, mit ihr zu sprechen, gab ihr aber wenigstens auf ihre Bitten Gebetbücher, mit denen sie sich in ihren Freistunden eifrig zu schaffen machte, und gerade dieses nahm mich gegen sie ein.

„Sie lächeln?“ fuhr der Erzähler fort, „daß ich, ein Pfarrer, nichts davon halte, aber eine langjährige Erfahrung hat mich überzeugt, daß Verbrecher, die am zerknirschtesten, reuevollsten das Gebetbuch zur Hand nehmen, die elendesten und schändlichsten sind. Es ist für sie ein Kunstgriff, mit dem sie sich die Gunst ihrer Aufseher erschleichen – weiter nichts.

„Darüber war ein Jahr vergangen, ich hatte in Familien-Angelegenheiten eine Reise gemacht und kam eben davon zurück, als ich von meinem Freunde einen Brief erhielt mit citissime, da ist er. Ich las: „Du hast Recht gehabt, alter Freund! Das arme Mädchen ist unschuldig, es ist eine Tollheit, ich würd’s nicht glauben, wenn es nicht bittere Wahrheit. Der Kutscher der Baronin ist der Schurke gewesen, der die Aermste so elend gemacht, er hat Alles gestanden jetzt im Angesicht des Todes. Doch ich will ordentlich erzählen. Der nichtswürdige Kerl war schon lange dem Trunke ergeben und bei einer Ausfahrt, wo er wieder zu viel getrunken, fällt er vom Bock und zwischen die Räder. Der Doctor gibt ihn auf und jetzt schlägt ihn das Gewissen. Er hat aus Rache und Bosheit die Sachen gestohlen und das Armband und ein Goldstück in den Schrank des Mädchens gebracht. Ein Goldstück nur, weil er gewußt, daß sie einen ersparten Louisd’or an ihren Vater abgeschickt. Er hat Alles so geschickt und heimlich ausgeführt, daß Marie aus dieser Schlinge nicht herausgekonnt, vielleicht mit Hülfe der alten Köchin, die gefänglich eingezogen worden. Das Alles hat der nichtswürdige Kerl noch eidlich bekräftigt und dann die Seele ausgehaucht. Die Entlassung des armen Mädchens ist schon verfügt. Hier ist die Theilnahme allgemein, man sammelt für sie, die Baronin will ihr einen Jahrgehalt aussetzen; für ihr unverdientes Leiden freilich macht das Alles nicht das Vergangene gut. Ich schreibe Dir, damit Du der Aermsten die Freudenpost, die sie tödten könnte, schonend mittheilen kannst.“

„Ich eilte in die Anstalt.“ erzählte der Pfarrer weiter, „vielleicht war sie schon entlassen. Welche Seligkeit, welch’ unendlich Glück mußte es für sie sein, dieser Sonnenstrahl neuen Glückes nach solch’ einer düstern, verzweiflungsschweren Nacht. Ja wohl! die Nachricht von ihrer Unschuld war endlich eingetroffen, aber, wie Alles, wie die Erfüllung der schönsten Erdenträume – zu spät! – Sie lag auf der Bahre, still und einsam, die ewig nagende Qual hatte ihr geräuschlos das Herz abgedrückt. Wirklichen Verbrechern naht der Tod nicht mit dem Strahle der Hoffnung und Versöhnung im Auge, sondern nur mit leerem, kaltem, glanzlosem Blicke, die Kette lösend, daß es ihnen dünkt, als wäre das Sterben nur ein Wechseln der Zelle; hier auf diesem Antlitz lag Frieden und Versöhnung. Der Director trat hinzu, auf meine Aeußerung „sie war doch unschuldig!“ zuckte er nur mit den Achseln und schwieg. Jener grüne Rasen dort ist das Einzige, womit die Welt der gekränkten und zertretenen Unschuld lohnen konnte.“

„Aber Sie sagten vorhin, Herr Pfarrer,“ warf ich ein, „daß Sie an Justizmorde nicht glauben, und was war dies anders?“ – „Weil ich es nicht zu glauben brauchte, weil ich es weiß,“ entgegnete der Pfarrer bitter. „Glück der Welt, wie blindgedankenlos streust du deine Perlen aus!“ schloß er tiefbewegt seine Erzählung. „Den Unwürdigsten überhäufst du oft mit deinen glänzendsten Gaben, um edle Gemüther in die Nacht des Unglücks zu stürzen, und darum bleibt uns dieses unerschütterliche Vertrauen auf ein ewiges Leben, auf die Ausgleichung in einer andern Welt.“

Das war die einfache Geschichte eines bedeckten Grabes.