Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Ein amerikanisches Hotel
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 426-427
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[426]
Ein amerikanisches Hotel.

Es wird viel geklagt, daß in den großen amerikanischen Städten nicht nur Unverheiratete, sondern auch bereits junge Ehepaare und sogar Leute mit Kindern sich permanent in den großen Gasthöfen einmiethen, infolge welcher Sitte oder Unsitte denn aller häusliche Sinn, der ganze Reiz des geschlossenen, traulichen Familienlebens immer mehr entschwinde, und statt dessen ein neues Nomadenthum, eine Art civilisirte Zigeunerexistenz einreiße.

Die Thatsache verhält sich allerdings so, dagegen aber mag es dahingestellt bleiben, ob die an sie geknüpften Befürchtungen auch durchweg begründet sind, und ob diese neue Form des geselligen Lebens nicht Vorzüge zu entwickeln bestimmt ist, durch welche jene Verluste mit der Zeit reichlich ausgeglichen werden. Wenn in Amerika das Gasthausleben eine immer wachsende Ausdehnung gewinnt und sich in diesen Anstalten auf ganz ungezwungene Weise Fourrier’s Phalanstèren, nur ohne seine Phantastereien, verwirklichen zu wollen scheinen, so macht sich hierin einfach eine Macht geltend, der, wie wir täglich klarer erkennen, Alles im Leben der Menschheit sich beugen muß, nämlich der Vortheil. Er allein ist es, der unsere Sitte bisher entwickelt und geformt hat, und er wird es auch fernerhin thun. Es leidet gar keinen Zweifel, daß die amerikanischen Mittelclassen der großen Städte in nicht ferner Zeit das Führen eigener Wirthschaften gänzlich aufgeben werden, und so ungemüthlich uns der Gedanke auch erscheinen möge, so läßt sich doch mit Sicherheit voraussehen, daß auch unsere Lebensweise eine ganz ähnliche Umwandlung erfahren wird.[1] Man übersieht meist, daß der Begriff der Gemüthlichkeit ein rein relativer ist, und mit diesem Worte nichts weiter bezeichnet wird, als die Wirkung des Gewohnten. Darum erscheint jedem Volke die abweichende Lebensform eines andern verhältnißmäßig ungemüthlich, und ebenso jede kommende Veränderung der eigenen. Dennoch aber macht sich der Uebergang stets sehr leicht: die Jungen, diese berufenen Neuerer, fangen an, gewöhnen sich hinein, werden endlich alt darin, und so ist binnen einem Menschenalter das jetzt Unbegreifliche auf die natürlichste Weise zur allgemeinen Sitte geworden, in der das Gemüth seine vollste Befriedigung findet.

Allein was sollte wohl zum Eingehen auf eine unsern jetzigen Anschauungen so widerstrebende Veränderung bewegen können? Die Antwort ist einfach, man lebt weit besser, und zugleich viel wohlfeiler, zwei Gründe von unermeßlichem Gewicht. Die Association, d. h. ein stilles Compagniegeschäft sämmtlicher Theilnehmer, ohne alles Risico und mit sicherem Gewinn für jeden Einzelnen, bewirkt dieses Wunder. Freilich, wer reich genug ist, sich in seinem eigenen Hause alle jene Bequemlichkeiten zu schaffen, die ihm ein großes amerikanisches Hotel bietet – und dazu gehört viel – bedarf seiner nicht; wo jedoch die gleichen Ansprüche nicht von ähnlichen Mitteln unterstützt sind, da tritt als naturgemäße Aushülfe die zwanglose Verbindung zur gemeinschaftlichen Herstellung des Gewünschten ein, wie sie sich ja bereits in unsern Reisegelegenheiten der allgemeinsten Beistimmung erfreut.

Die nachstehende Schilderung des „American Hotel“ in Boston, die wir dem Reisetagebuch einer hochgestellten Dame entnehmen, wird, sobald man sich eben nur den Einwand der „Ungemüthlichkeit“ durch das „Gewohntsein“ beseitigt denkt, die in Amerika sich anbahnende Veränderung der Lebensweise begreiflich erscheinen lassen, und man kann, was Comfort und Luxus anlangt, dem sachverständigen Urtheil der Berichterstatterin, einer der höchsten Aristokratie angehörigen Hofdame, unbedingtes Vertrauen schenken. Sie erzählt:

„In Boston angelangt, übergaben wir unsere Gepäckmarken dem Commissionair des American House und fuhren nach diesem ungeheuern Hotel. Es war vom Souterrain bis hinauf zur letzten Kammer nächst dem Monde angefüllt und herbergte über siebenhundert Gäste. Nachdem ich den Schlüssel meines Schlafzimmers empfangen, soupirte ich in einer Halle, die auf nicht weniger als vierhundert Gedecke berechnet war. Dann begab ich mich in den Damensalon und fühlte mich unter all den kostbaren Toiletten wirklich nicht ganz am Platze; denn als ich eben einen Brief schreiben wollte, kam ein Diener und sagte mir, daß Schreiben in diesem Salon nicht gestattet sei. „Wieder Freiheit!“ dachte ich. Mich etwas umschauend, mußte ich mir freilich gestehen, daß mein altväterischer Gänsekiel und mein rostig aussehendes Tintenfaß eigentlich nicht hierher paßten. Der reichgemusterte, dicke Sammtteppich des Zimmers machte auch den schwersten Fußtritt unhörbar; die auf vergoldeten Piedestalen ruhenden Tischplatten waren vom feinsten Marmor, und Goldbrocat bedeckte alle Sitze. An einem kostbaren Flügel saß eine elegant gekleidete Dame und sang. Ein Springbrunnen im Rococostyl sandte einen Strahl mit Eau de Cologne vermischten Eiswassers empor, und das Ganze wurde von vier prachtvollen Kronleuchtern erhellt, die sich endlos reflectirten, denn die Wände bestanden aus Spiegeln durch Marmorsäulen getrennt. Der Salon entspruch seiner Bestimmung: Musik, Stickerei, Conversation und Courmachen. Mit einziger Ausnahme des Schreibverbotes im Damensalon, hat ein Bewohner dieser immensen Anstalt vollste Freiheit zu thun, was ihm beliebt, sofern er nur den mäßigen Satz von zwei Dollars (2 Thlr. 20 Gr.) des Tages zahlt. Darin ist, auch in den besten Hotels, Alles inbegriffen, eine prachtvolle Table d’Hôte, ein komfortables Schlafzimmer, Licht, Bedienung und Gesellschaft im Ueberfluß. Von den Dienern erfreut man sich großer Aufmerksamkeit, die jedoch frei ist von aller Unterwürfigkeit und mehr noch von jenem affectirten Diensteifer, der bei der Abreise durch einen grinsenden Bückling zu verstehen gibt, daß er nur nach den Pfunden und Schillingen bemessen war, die der Gast muthmaßlich zu Trinkgeldern disponibel haben mag.

Das American House in Boston, ein gutes Exemplar der besten Hotelclasse in den Vereinigten Staaten, obwohl mehr von Kaufleuten als Lustreisenden frequentirt, ist aus grauem Granit erbaut, mit einer Straßenfronte von hundert Fuß. Das vordere Erdgeschoß nehmen Kaufläden ein, in deren Mitte eine hohe Doppelthüre den Eingang bildet, der überdies noch charakteristischer durch Gruppen rauchender Herren bezeichnet wird. Durch ihn tritt man in eine hohe, weite Halle, auf deren weiß und schwarz gewürfeltem Marmorpflaster sich den Wänden entlang mit Büffelleder bedeckte Divans hinziehen. Mit Ausnahme der Speisestunden ist diese große Halle der Schauplatz eines ewig bewegten Lebens. Zwei- bis dreihundert Herren sind hier stets versammelt, an der Thüre rauchend, in Zeitungen vertieft auf den Divans ruhend, oder in lebhaften Gruppen über Handelsangelegenheiten discurirend. Berge von Gepäck, in denen man bestürzt sein leichtes Reisekofferchen unter einer riesigen Kiste zerquetscht sieht, nehmen die Mitte ein; Lastträger sitzen, Aufträge erwartend, zur Seite; Kommende und Gehende strömen hin und her; ein wirres Babel von Stimmen erschallt beständig die obern Gallerien hinauf, und am Eingange setzen Fuhrwerke nach Art der deutschen Eilwagen fort und fort neue Gäste ab. Daneben aber gibt es noch einen Privateingang für Damen. An einem Comptoir, dem Eingang gegenüber, sitzt der Cassirer mit vier oder fünf Schreibern, an den man sich wegen der Zimmer zu wenden hat. Ich schrieb hier meinen Namen in ein Buch, er setzte eine Zahl daneben und händigte mir einen Schlüssel mit der betreffenden Nummer ein, dann folgte ich einem Diener durch einen langen Corridor hinauf in ein kleines, aber sehr hübsches Zimmer des dritten Stockwerks, wo fortan meine Persönlichkeit allem Anscheine nach in einer bloßen Zahl untergegangen war. Auf der andern Seite der Eingangshalle befindet sich ein schön geschmücktes Zimmer, wo Liebhaber solcher Getränke sich „Toddy, Nachtmützen, Mint-Julep, Gin-sling“ etc. verschaffen können, und der Umstand, daß allein schon Theetotaler (Nur-Theetrinker) an dreihundert verschiedene, nicht spirituöse Getränke bereit finden, mag eine Vorstellung von der hier waltenden Mannichfaltigkeit solcher Genüsse vermitteln. An der Thüre meines höchst niedlichen und comfortabeln Schlafstübchens unterrichtete eine gedruckte Karte über die Hausordnung, die Speisestunden und die Tageskosten. Das Hotel enthält dreihundert Schlafzimmer, darunter nicht wenige so groß und herrlich, wie in irgend einem englischen Privatpalast.

In gleicher Höhe mit dem Eingang steht ein prachtvoller Speisesaal von achtzig Fuß Länge, hauptsächlich für Herren bestimmt, während sich im ersten Stockwerke ein großer, mit eben so viel Glanz als Geschmack möblirter Salon (verschieden von dem [427] bereits geschilderten) mit der Ueberschrift „Speisezimmer für Damen“ befindet, wo Familien wie einzelne Damen und ihre Gäste die Mahlzeiten einnehmen. Das Frühstück beginnt schon um sieben Uhr und bleibt bis neun auf der Tafel; zu Mittag gespeist wird um eins, und der Thee kommt um sechs Uhr. Bei diesen Mahlzeiten wird jede denkbare Delicatesse der Jahreszeit aufgetischt, und der tägliche Speisezettel würde einem fürstlichen Bankett Ehre machen. Der Hauptkoch ist in der Regel ein Franzose, und selbst der erfahrenste Feinschmecker Europa’s fände hier noch Gelegenheit zu neuen Studien. Ueber hundert Aufwärter versehen den Dienst bei Tische, und die Damen werden stets zuerst und mit dem Besten bedient. Man kann auch in einem Privatzimmer speisen, muß jedoch für diese Exclusivitat theuer bezahlen.

Die Salons werden stets durch große Feuer von Anthracitkohlen sehr warm erhalten, und um Dunst zu verhüten, bleiben die Thüren offen. Die Mäßigkeit bei Tische überraschte mich. Nur selten bemerkte ich ein anderes Getränk als Eiswasser. Bequemlichkeiten aller denkbaren Art sind für die Gäste vorhanden. Die Drähte des elektrischen Telegraphen laufen in das Hotel, und ein eigener Telegraphist befördert augenblicklich Botschaften nach allen Himmelsgegenden; Commissionaire sind stets bereit, Aufträge in der Stadt auszurichten; überall in den kleinen Alkoven der Halle und Corridore stehen Tischchen mit Papier, Feder und Tinte; ein Stiefelputzer ist immer zur Hand; und wer die Treppen nicht hinaufsteigen mag oder kann, wird auf einem weichen Sopha sitzend hinaufgewunden. Nicht zu vergessen ist die Vorrichtung, durch welche die Confusion und der Lärm von zwei- bis dreihundert Klingeln beseitigt wird. Alle Drähte der verschiedenen Zimmer laufen an einer Glocke zusammen, die sich in einem Gehäus bei dem Comptoir des Cassirers befindet. An der Rückseite dieses Kastens sieht man durch eine Glastafel den ganzen Mechanismus, während die Vorderseite Reihen von Zahlen trägt. Jede Nummer ist von einem beweglichen Metallplättchen bedeckt, das, sobald in dem betreffenden Zimmer geschellt wird, umschlägt und herabhängt, während die zugleich ertönende Glocke den Schreiber benachrichtigt, der sogleich die offene Nummer sieht, einen Aufwärter nach dem Zimmer schickt und das Metallplättchen wieder emporrichtet.[2]

Alle großen Hotels sind mit Dampfwäschereien versehen. Im American House steht die Waschanstalt unter der Verwaltung eines eigenen Beamten, der alle Details einträgt. Das Linnenzeug wird in eigenthümlichen, durch Dampf bewegten Drehmaschinen gereinigt, in ähnlicher Weise durch Benutzung der Centrifugalkraft – wie in den neuen Berliner Waschanstalten – ausgerungen; heiße Luft trocknet sie vollständig, und in wenigen Minuten ist sie gewaschen und geplättet. Daneben befinden sich warme und kalte Bäder, sowie Barbier- und Frisirstuben.

Ehe ich die Geheimnisse dieser Hotels kannte, wunderte ich mich jedesmal, wenn ich Amerikaner auf Reisen gehen sah, ohne auch nur eine Reisetasche mitzunehmen; allein es zeigte sich bald, daß sogar das Mitführen von Rasirmesser und Zahnbürsten überflüssig wäre und der Besitzer eines einzigen Hemdes ganz eben so gut daran ist, als hätte er ein halbes Dutzend; denn während er ein Bad nimmt, stellt ihm die magische Waschanstalt den Gegenstand in seiner ganzen Herrlichkeit von blendender Weiße und Stärke wieder her. Kurz, der Comfort und Luxus des American House, wie aller Hotels derselben Classe, läßt seinen Bewohnern nichts zu wünschen übrig, und es kann daher gar nicht überraschen, wenn immer mehr Ledige wie Verheirathete ihren dauernden Aufenthalt in diesen Prachtpalästen nehmen, deren mannichfache Bequemlichkeiten sie in Privathäusern sich nicht um den zehnfachen Preis verschaffen könnten.“



  1. Wir glauben und hoffen das nicht. England und Deutschland werden sich niemals zum Aufgeben des behaglichen Familienlebens – in einem Hotel unmöglich – entschließen können. Die Red.
  2. Deutsche Hotels haben sich schon seit Jahren dieser Einrichtung bedient.
    Die Red.