Ein Widerschein der französischen Revolution

Textdaten
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Autor: F. A. v. Winterfeld
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Titel: Ein Widerschein der französischen Revolution
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aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 127–128
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ein Widerschein der französischen Revolution.
Von F. A. v. Winterfeld.

Ideen „schweben in der Luft“, sagt man, und man bezeichnet damit nicht immer ihre Haltlosigkeit, ihre mangelhafte Begründung, sondern noch mehr die geflügelte Natur, wie sie den Kindern der Lüfte eigen ist. Unbekümmert um räumliche Schranken überfliegen sie die Lande, unfaßbar, ungreifbar sind sie da, mit ihrem erstickenden Wehen frisches Leben in müde, gedrückte Geister zu ergießen oder auch mit dem Gluthhauch der Leidenschaft Schrecken und Verderben zu verbreiten.

Der hundertste Jahrestag der französischen Revolution hat vielfach der geschichtlichen Forschung Veranlassung gegeben, den Spuren dieser Riesenumwälzung im Reiche der Geister auch in die Gegenden zu folgen, die vom eigentlichen Schauplatze der weltgeschichtlichen Begebenheiten weitab liegen, und es bietet ein höchst merkwürdiges Schauspiel, zu beobachten, wie unter dem Einfluß der gährenden Zeitideen überall die Flämmchen der politischen Aufregung emporzucken, wenn sie auch nirgends so zum erheerenden Brande zusammenlodern wie in Frankreich.

Von diesem Gesichtspunkte aus verdient auch ein Ereigniß Beachtung, das vor etwa einem Jahrhundert im damaligen Kurfürstenthum Sachsen sich zutrug, der sächsische Bauernauf-, oder wie man es jetzt wohl mit einem neuerdings geläufig gewordenen Ausdrucke bezeichnen würde, Bauernausstand.

Die Lage des Bauernstandes im Kurfürstenthum Sachsen war auch in den Landestheilen, in welchen die Leibeigenschaft nicht herrschte - in der Oberlausitz bestand sie bis 1832 - eine keineswegs leichte und erfreuliche. Frondienste, Zinsen, Lieferungen und Steuern erschwerten dem Landmann den Kampf ums Dasein und erregten - jedoch, wie wir sehen werden, nicht ohne Anregung von außen - einen allgemeinen Ausbruch seiner Unzufriedenheit.

Im August des Jahres 1790 verweigerten plötzlich die Bauern der Lommatzscher Pflege fast einmüthig die Leistung der Frondienste und Erbzinsen. Die Auflehnung war nicht wider den Staat, sondern wider die Gutsherren gerichtet, denn die Bauern erklärten, sie wollten die kurfürstlichen, nicht aber ferner die gutsherrlichen Abgaben und Dienste leisten. Die einzelnen Dorfschaften waren durch eine feste Organisation und geregelte Verpflichtungen mit einander verbanden. Diebstahl und Plünderung wurde zwar nicht geduldet, jedoch trug man kein Bedenken, die Gutsherren mit sanfter Gewalt zu allerlei schriftlichen Zugeständnissen wie Erlaß der Fronden und sogar Abtretung von Feldern und Wiesen zu nöthigen.

Als man nachforschte, woher der Geist des Aufstandes und der Widersetzlichkeit plötzlich über die sonst so friedlichen Bauern gekommen war, stellte sich folgendes heraus: Im Sommer 1790 war von unbekannter Seite eine geschriebene Aufforderung an das gräflich Bünausche Städtchen Lauenstein gelangt und dort verbreitet worden, die Einwohner möchten sich bereit halten, sich an die 10 000 Mann anzuschließen, welche nach Pillnitz ziehen würden, um den Kurfürsten „im Triumph mit fliegenden Fahnen und unter klingendem Spiel“ von dort nach Dresden zu führen. Wie man sieht, war es auf eine Nachahmung, der Vorgänge abgesehen, welche sich wenige Monate früher in der französischen Hauptstadt abgespielt hatten, als der Pariser Pöbel am 6. Oktober 1789 Ludwig XVI. von Versailles nach Paris entführte.

Dann sollte der Kurfürst, wie es weiter in dem Aufruf hieß, folgenden Forderungen seine Bestätigung geben: 1. Absetzung aller derjenigen, welche Sachsen unglücklich machten, und Einziehung ihrer Güter. 2. Errichtung einer Nationalgarde zu Fuß und zu Pferde. 3. Umänderung des Acciswesens. 4. Beschränkung der Rittergutsbesitzer, „damit sie Sachsen nicht zu einer Wüste und Einöde machten“. 5. Verbot des Wildhegens. 6. Entfernung aller Rechtspraktikanten, sofern sie nicht eine wirkliche Bestallung hätten. 7. Bessere Einrichtung des Kultusministeriums. 8. Aufhebung der Fleisch- und Tranksteuer. - Jeder der Mitziehenden sollte sich für einige Tage mit Lebensmitteln versehen. Die Sammelplätze seien Dohna und Liebstadt. Die Orte, welche sich nicht anschlössen, sollten geplündert werden.

Auch in diesen Forderungen, von denen manche vielleicht nicht ganz unberechtigt waren, entdeckt man ohne Mühe das französische Vorbild, so namentlich in dem Verlangen der Errichtung einer Nationalgarde. Bekanntlich waren die „gardes francaises“, nachdem sie sich bei der Einnahme der Bastille betheiligt hatten, in die „gardes nationales“ umgewandelt worden.

Als Verfasser und Verbreiter des Aufrufes wurde ein sonst nicht übel beleumundeter Mann Namens Geißler aus Liebstadt ausfindig gemacht. Nachdem die Aerzte erklärt hatten, daß er unter der Einwirkung einer fixen Idee gehandelt haben müsse, wurde er als irrsinnig behandelt und in die Irrenanstalt zu Torgau gebracht, jedoch nach einigen Jahren wieder entlasten, da er sich durchaus vernünftig betrug. Jedenfalls war die Kunde von den Vorgängen in Frankreich zu ihm gedrungen und hatte [128] seine Einbildungskraft derartig entflammt, daß er den Versuch wagte, etwas Aehnliches in Sachsen in Scene zu setzen.

Der Zeitpunkt für den Ausbruch der Unruhen war für die Bauern nicht ungeschickt gewählt: gerade zur Erntezeit geriethen die Gutsherren durch die Verweigerung der Frondienste in die größte Verlegenheit, wie sie die Ernte einbringen sollten. Manche von ihnen ließen sich daher zur Nachgiebigkeit herbei, nur damit der reiche Erntesegen nicht auf den Feldern umkomme. Uebrigens behaupteten die Bauern, es geschehe alles mit Vorwissen des Kurfürsten, und es wurde dies anfänglich theilweise um so eher geglaubt, als die Regierung sich erst ziemlich spät entschloß, wider dieses Treiben einzuschreiten. Erst als es zur Mißhandlung kurfürstlicher Beamten, zur Entwaffnung militärischer Posten und zur gewaltsamen Befreiung Verhafteter gekommen war, ergriff die Regierung ernste Maßregeln. Sie beauftragte eine aus dem Kanzler v. Burgsdorf und den Justizräthen v. Brand und v. Watzdorf zusammengesetzte Kommission mit der Untersuchung der Vorgänge und mit der Herstellung der Ordnung, indem sie ihr zugleich ein aus fünf Bataillonen Infanterie und acht Schwadronen Kavallerie bestehendes Truppencorps unter dem Oberbefehl des Generals von Boblick, der sein Hauptquartier erst in Meißen, dann in Lommatzsch hatte, zur Verfügung stellte. Da die Bergleute in Freiberg ebenfalls die Arbeit einstellten und eine drohende Haltung annahmen, so wurde auch dorthin ein Truppenkommando entsendet.

Die Kommission begann ihre Thätigkeit damit, daß sie am 20. August eine scharfe Aufruhrvermahnung erließ und dann zur Untersuchung in den einzelnen Ortschaften schritt.

Zu größeren Kämpfen kam es nicht. Bei Pinnewitz wurden die Bauern, welche Miene machten, Widerstand zu leisten, unter großer Heiterkeit der Kavalleristen mit flacher Klinge auseinandergesprengt, wobei acht verhaftet wurden. Bei Burgstädtel trieben 30 Kürassiere unter dem Lieutenant von Lichtenhain 1200 Bauern, die sich mit Steinwürfen und Knütteln zur Wehre setzten, auseinander.

Auch auf dem Rittergute Hirschstein bei Meißen, dem Besitzthum des Kabinettsministers Grafen Loß, hatten die Bauern, um ihren Gutsherrn zum Nachgeben zu zwingen, die ihnen obliegenden Dienstleistungen eingestellt. Sein Amt nöthigte den Grafen, in Dresden zu wohnen, und dort hätten sich ihm die Streikenden nur mit bescheidenen Bitten nähern können, nicht aber mit gebieterischen Forderungen. Um ihn in ihre Gewalt zu bekommen, ließen sie ihm daher eine schriftliche Aufforderung zugehen, er möge sich am 20. August in Hirschstein einfinden, widrigenfalls „er sehen werde, wie es seinem Gute ergehen würde.“

Trotzdem erschien der Graf nicht, dafür aber die obengenannte Kommission nebst 200 Mann Infanterie und 80 Dragonern. Kurz bevor sie Hirschstein erreichten, ertönte plötzlich ein Böllerschuß in den Weinbergen, wahrscheinlich als Warnungszeichen, worauf eine Anzahl Leute, welche sich bei Hirschstein versammelt hatte nach allen Seiten auseinanderstob, vermuthlich um die verschiedenen Gemeinden zu warnen, daß sie sich fern hielten.

Da kein einziger Bauer im Schlosse zu Hirschstein erschien, so wurden alle dazu gehörigen Gemeinden zu möglichst zahlreichem Erscheinen eingeladen, weil der Kanzler im Auftrage des Kurfürsten ihnen etwas mitzutheilen und außerdem im Namen des Gutsherrn mit ihnen zu verhandeln habe.

Die Bauern fanden sich jedoch nur langsam und zögernd ein. Als der Kanzler, der warten wollte, bis eine größere Anzahl beisammen war, die bereits Erschienenen befragte, wie sie auf solche Dinge hätten kommen können, antwortete ein alter Bauer: „Das wissen wir selber nicht recht. Es muß doch wohl Gottes Wille sein, daß die Bauern auch einmal frei werden sollen; sonst wäre es wohl nicht so geschwind und so einstimmig zugegangen, wie wenn alles längst verabredet gewesen wäre.“

Endlich waren die Vertreter der sämmtlichen Gemeinden da und die eigentlichen Verhandlungen konnten beginnen. Der Schauplatz derselben war der Hof des reizend auf einem jäh zur Elbe abfallenden Granitfelsen gelegenen Schlosses Hirschstein, das nach der Flußseite hin eine weite entzückende Aussicht in das Elbthal gewährt. Auf der der Elbe entgegengesetzten Seite befindet sich der geräumige Hof, von welchem aus zwei ziemlich hohe Treppen von Sandstein zu einem großen, mit einer Balustrade umgebenen Altan führen. Auf diesen Altan stellte sich der Kanzler, hinter sich einen Infanteriedoppelposten mit geladenem Gewehr. Unten vor dem Altan stellten sich die Bauern mit abgezogenen Hüten auf. Der äußere Eingang zum Schloßhof wurde stark mit Soldaten besetzt. In demselben hielten abseits einige berittene Dragoner. Die ganze Scene muß nicht ohne malerischen Reiz gewesen sein.

Nun hielt der Kanzler in gütigem Ton eine lange bewegliche Anrede, in welcher er namentlich hervorhob, wie sehr es den Kurfürsten schmerze, die Truppen, welche nur wider äußere Feinde bestimmt seien, gegen die eigenen bethörten Landesknder verwenden zu müssen. Er stellte den Bauern die Unbilligkeit und Ungereimtheit ihres Verlangens dar, sich von den ererbten und überkommenen, gesetzlich festgestellten Leistungen und Lasten einseitig frei machen zu wollen.

Dann machte er die Befugnisse der Kommission bekannt, welche, je nach Befinden, die strengsten Strafen, ja selbst die des Todes, verhängen könnte, und schloß mit den Worten: „Gelobt mir durch Handschlag, lieben Leute, daß Ihr Euere Dienste, wie Ihr sie bisher geleistet, ohne Zögern wieder aufnehmen und der Euch vorgesetzten Obrigkeit wie vordem gehorchen wollt. Versetzt mich nicht in die traurige Nothwendigkeit, von der mir übertragenen Gewalt Gebrauch machen zu müssen. Gebt den übrigen verblendeten und verirrten Unterthanen ein gutes Beispiel. Ist dies Euer ernstlicher, ‚freier‘ Wille, so antwortet mit einem lauten Ja.“

Dieses „Ja“ erfolgte einstimmig, aber nicht eben laut, sondern vielmehr ziemlich kleinlaut, denn das Aufgeben ihrer geträumten Hoffnungen mochte den armen Leuten doch etwas schwer werden. Erst 42 Jahre später sollte im Wege der Gesetzgebung die Ablösung der bäuerlichen Lasten erfolgen. Uebrigens hielt die kurfürstliche Regierung selbst streng darauf, daß die Bauern von den Gutsherren nicht über das gesetzliche Maß hinaus bedrückt wurden.

Nun stiegen die Bauern einzeln die eine Treppe zum Altan hinauf, gaben dem Kanzler zur Bekräftigung ihres Versprechens den verlangten Handschlag und gingen dann die andere Treppe wieder hinunter. Bis dahin war alles gut gegangen. Als aber der Kanzler jetzt verlangte, die Bauern sollten diejenigen nennen, welche sie zur Arbeitseinstellung und zum Widerstand angestiftet hatten, weigerten sie sich insgesammt, dies zu thun.

„Nun, wenn Ihr die Rädelsführer nicht namhaft machen wollt, so will ich es selbst thun, damit Ihr seht, daß uns nichts verborgen ist,“ sagte darauf der Kanzler und nannte die Namen von drei Bauern, die sofort verhaftet wurden.

Die Uebrigen, die darüber in die Seele hinein erschraken, ermahnte er, sie sollten, wenn sie gegründete Beschwerden hätten, dieselben gehörigen Ortes anbringen, aber nicht zu sträflicher Selbsthilfe schreiten. Die Regierung werde jederzeit darauf achten, daß ihnen kein Unrecht geschehe.

Darauf fragte er die Bauern, ab sie wider ihren Gutsherrn Klage zu führen hätten. Sie verneinten dies einmüthig, beschwerten sich aber vielfach über dessen Pächter. Als sie dabei alle durcheinander sprachen, sagte der Kanzler: „Kinder, laßt alles ordentlich aufsetzen und schickt es mir. Habt aber Geduld, denn auf einmal kann nicht allen geholfen werden!“

Darauf wurden die Bauern mit nochmaliger Ermahnung entlassen, die drei Verhafteten aber auf die Wache gebracht.

Den vor dem Schloßthore lagernden Truppen wurde von den Offizieren der Hergang mitgetheilt, damit sie die fortgehenden Bauern nicht etwa verhöhnten und belästigten. Die Soldaten zeigten sich sehr erfreut darüber und kamen den Bauern mit ihren vollen Feldflaschen entgegen; der schwere Tag aber schloß in Friede und Freundschaft mit unzähligen Hochrufen auf den Kanzler und den Kommandanten, als diese den Soldaten und Bauern ein paar Tonnen Bier spendeten.

Bereits am 12. September konnte der größte Theil der Truppen zurückgezogen, die Kommission aber am 13. November aufgelöst werden. Von etwa 200 Verhafteten wurden 34 auf ein bis zwei Jahre auf den Königstein geschickt. Diejenigen Bauern aber, welche allen Verführungen und Drohungen zum Trotz die Theilnahme an der Arbeitseinstellung verweigert hatten, erhielten besondere Belohnungen.

So endete diese harmlose Parallele zu den weltbewegenden Erschütterungen bei unserem westlichen Nachbar. Ein Geschlecht, das die Lehre aus jener Zeit der fürchterlichen Krämpfe zog, hat geschieden zwischen Gutem und Bösem, zwischen Berechtigtem und Unberechtigtem, was in der revolutionären Bewegung des letzten Jahrhunderts lag, es hat auch den Bauern aus der Lommatzscher Pflege ihr Recht und ihre Freiheit gebracht.