Textdaten
<<< >>>
Autor: Peter Kästner
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein Tempel der Zukunftsmusik
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 514–516
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[514]

Ein Tempel der Zukunftsmusik.


Ueber und aus Bayreuth hat die Gartenlaube bereits früher so Vieles und so Eingehendes mitgetheilt, daß ein nochmaliges Zurückkommen auf das ehemalige und gegenwärtige politische und sociale Leben dieser Stadt hier nicht geboten erscheinen dürfte. Auch die künstlerische Bedeutung Bayreuths in vergangenen Tagen wurde bereits früher in diesem Blatte berührt.

Heute beschäftigen wir uns ausschließlich mit dem Wagner-Theater daselbst, welches in jüngster Zeit, mag man über dasselbe denken, wie man will, so viel von sich reden gemacht hat, daß es schon deswegen die Bedeutung eines Tagesereignisses in Anspruch nehmen darf.

Wenige Minuten vom Staatsbahnhofe, in nördlicher

[515]

Das Wagner-Theater in Bayreuth nach seiner Vollendung.
Nach dem Gemälde von Louis Santer auf Holz übertragen.

[516] Richtung von der Stadt, erhebt sich ein freundlicher, von Buschwerk und Eichen umrahmter Hügel. Wagner selbst nennt ihn ein unvergleichlich schönes und ausgiebiges Grundstück. Auf diesem Hügel, hart am Wege nach der Bürgerreuth, erhebt sich in gewaltigen Dimensionen das Wagner-Theater. Werfen wir einen Blick in die Runde, so entrollt sich dem Auge ein Bild, so ungemein ansprechend und fesselnd, daß wir einen Augenblick dabei verweilen müssen. Wir lassen den Blick gegen Osten schweifen – da zeigt sich uns in blauer duftiger Ferne die lange Kette des Fichtelgebirges, an deren Grenze fern am Horizonte der rauhe Culm emporsteigt. Aus dunkeln Tannen- und Fichtenwäldern erhebt sich gegen Süden ein alter Bergriese, der Sophienberg. An seinem Fuße, im Mittelgrunde des Bildes, lacht uns die freundliche Stadt in ihrer ganzen Ausdehnung entgegen, bis wir, weit im Westen, die ersten Ausläufer der fränkischen Schweiz erblicken. Von ihnen ab, über Berge und Thäler, Wälder und Wiesen, durch das herrliche Mainthal schweift das Auge weit hinein in’s Culmbacher Land, um endlich im Norden auf einer prächtigen Hochwaldpartie, der Hohen Warte, einen angenehmen Ruhepunk zu finden. Die liebliche Bürgerreuth mit ihrer wundervollen Aussicht bildet den Abschluß des Ganzen. Dabei prangt die ganze Landschaft in den herrlichsten, sattesten Tönen. Schwer trennt sich das Auge von dem farbenprächtigen Bilde.

War es sowohl für den Fachmann wie für den Laien höchst interessant, die wahrhaft kolossalen Grundbauten des Theaterbaues in Augenschein zu nehmen, so ist dies in noch weit höherem Maße der Fall, wenn man den jetzigen Hauptbau betrachtet. Schon das Eigenartige, von aller für derartige Bauten bisher gebräuchlichen Form Abweichende wird dem Beschauer auffallen. So erhebt sich weit über dem Dach des Zuschauerraumes ein mächtiger Mittelbau, der dazu bestimmt ist, unmittelbar über der Bühne alle zu verwendende Decorationsstücke aufzunehmen. Erst in einer Höhe von achtundneunzig Fuß beginnt das Dach, welches noch um sechsundzwanzig Fuß aufsteigt, während – um das nächstliegende Beispiel herbeizuziehen – im königlichen Opernhaus in Bayreuth das Dach in einer Höhe von fünfundfünfzig Fuß beginnt, und es ist dieses Haus doch als eines der größten Schauspielhäuser Deutschlands bekannt. Man kann sich überhaupt einen besseren Begriff von den Riesenverhältnissen des Wagner-Baues machen, wenn man erwägt, daß fast die ganze Holzrüstung aus dem fränkischen Wald herbeigeschafft werden mußte, weil man nicht im Stande war, in der Umgegend von Bayreuth Holz in der erforderlichen Länge und Stärke aufzutreiben, obgleich der Waldreichthum der Gegend von jeher zur Ausführung selbst der größten Bauten genügte. Im innigsten Zusammenhang mit obengenanntem Ueberbau der Bühne soll und muß der siebenunddreißig Fuß tiefe Versenkungsraum stehen.

In Folge der scenischen Anordnungen und Bedürfnisse Wagner’s müssen alle Decorationsstücke ebensowohl versenkt, wie auch in die Höhe gezogen werden können. Auch hier ist ein Vergleich des Versenkungsraumes des königlichen Opernhauses interessant; er verschwindet fast gegen den des Wagnerbaues. Für die Aufstellung der Maschinen sind eigene Galerien errichtet. Daß an den Maschinisten dieses Opernhauses die in der Theaterwelt unerhörtesten Anforderungen gestellt werden müssen, wird einem sofort klar, wenn man den Text des Festspieles liest. Die ganze Bühne selbst hat bei einer Tiefe von achtundsiebzig Fuß eine Breite von vierundsiebzig Fuß; der dem Publicum sichtbare Theil, also die Vorhangbreite, mißt fünfundvierzig Fuß. Nach genauester Messung hat die Bühne des königlichen Opernhauses bei einer Tiefe von dreiundfünfzig Fuß eine Breite von fünfundachtzig und einem halben Fuß mit einer Vorhangbreite von zweiunddreißig und einem halben Fuß. Die hintere Bühne des Wagnertheaters ist neunundvierzig Fuß tief und vierzig Fuß breit, während die des Opernhauses vierzig Fuß tief ist und die gleiche Breite der vorderen Bühne hat. Das Orchester im Wagnerbau, welches bekanntlich die Musiker den Blicken des Zuschauers vollständig entziehen soll, wird siebzehn Fuß tief und achtzehn Fuß (?) breit sein. Der sehr große Zuschauerraum soll nur aus einem Parterre bestehen; alles Andere, Logen und Seiten-Galerien, fällt als störend weg. Nur eine Fürstenloge (mit dem Fürstensalon) wird erbaut, und wie man hört, sollen auch einige Räumlichkeiten für junge Musiker und sonst Begünstigte hergestellt werden.

Die innere Ausschmückung des Raumes wird die allereinfachste sein. Man beschränkt sich dabei auf das Nothwendigste, da Wagner die Aufmerksamkeit des Beschauers durch keinerlei Aeußerlichkeit von der Hauptsache, der Darstellung seines Dramas, abgelenkt wissen will, worüber er sich in seiner Schrift „Das Bühnenfestspielhaus zu[WS 1] Bayreuth“ weiter verbreitet. Die decorative Ausstattung der Opernaufführungen selbst soll dagegen mit aller Pracht und allen neueren Hülfsmitteln der Kunst ausgeführt werden. Der äußere Bau soll ebenfalls wie der Zuschauerraum in keiner Weise überladen werden und wird deshalb den Stempel größter architektonischer Einfachheit an sich tragen. Das beigegebene Bild giebt das ganze Theater in gelungenster Weise wieder. Die vier Thürme, welche den Mittelbau flankiren, haben die Bestimmung, als Wasserbehälter zu scenischen Zwecken, bei Feuersgefahr und zur Speisung der um das Gebäude herum angebrachten Springbrunnen zu dienen. Das etwas entfernt im Rücken des Hauptgebäudes stehende Haus ist ausschließlich zur Herstellung von Decorationsgegenständen bestimmt und enthält die dazu nöthigen Räume, wie einen großen Malersaal etc. Es ist achtzig Fuß tief und sechszig Fuß lang. Der Bauplatz selbst bietet einen äußerst lebendigen Anblick. Die Masse der Zimmerleute, die ihre Thätigkeit auf jedem freien Platz entfalten, die Menge der Steine tragenden Tagelöhner und Handlanger, die Maurer und Steinhauer, welche zwischen dem Riesengerüst herumklettern, welches nöthig war, um das Bühnenhaus unter Dach zu bringen, ab und zu gehende Architekten und Bauführer etc., das alles hämmert, sägt, meißelt und schwirrt, daß man sich in einer großen Fabrikwerkstatt zu befinden glaubt. Dazu kommt noch eine hübsche Anzahl kleinerer Gebäulichkeiten, Bauhütten, in denen Erfrischungen verabreicht werden, Wohnungslocale für verschiedenes Baupersonal, Räumlichkeiten für die Architekten, Schreinerwerkstellen, Schmiede- und Wächterhütten etc., so daß der ganze Platz auf zwei Seiten davon fast eingeschlossen ist. Einen prächtigen, freien Ueberblick aber hat man auf die der Stadt zugewendete Haupt- und Vorderseite des Gebäudes, welches noch in diesem Jahre seiner äußeren Vollendung entgegengehen wird.

Auch vom finanziellen Standpunkt aus soll das Unternehmen als gesichert zu betrachten sein. Wie lange es dauern wird, bis die Zeit der Aufführung selbst herannaht, ist natürlich nicht einmal annähernd zu bestimmen; die Anforderungen, die das Ganze macht, sind so großartig, daß es gewagt wäre, jetzt schon weitere Schlüsse ziehen zu wollen. Wagner ist Bürger von Bayreuth geworden, hat sich in nächster Nähe des königlichen Schloßgartens ein schönes Haus erbaut und gedenkt seinen Wohnsitz für immer in der Stadt zu nehmen. Ob er durch sein Riesenwerk je erreichen wird, was ihm vorschwebt, ob er sich je einen festen Platz im Herzen des deutschen Volkes erringen wird und ob der dazu eingeschlagene Weg der rechte sei – die Zukunft wird es lehren. Immerhin stehen wir vor einem großartigen Werke der Neuzeit, dessen Fortschreiten die Aufmerksamkeit der gebildeten Welt stets in hohem Grade auf sich ziehen wird.

Werfen wir noch einen letzten Blick auf die Umgebung des Wagnertheaters. Ein kurzer Gang nach Norden – und wir sehen auf waldiger Felskuppe, da wo einst vor alten Zeiten ein Luginsland stand, einen schlanken Thurm in die Wolken ragen, ein schönes Zeichen echten deutschen Brudersinnes. Aus eigenen, freiwilligen Beiträgen errichteten ihn die Bewohner der Stadt Bayreuth zum Andenken an die ruhmreichen Heldenthaten unserer Söhne im letzten blutigen Krieg gegen den Erbfeind. Wundervoll ist die Aussicht von seiner Höhe. Möge er den kommenden Geschlechtern stets die Errungenschaften unserer großen Zeit in’s Gedächtniß rufen! Stolz grüßt das deutsche Banner hinaus in’s schöne Frankenland; stolz leuchtet der Siegesthurm weithin durch die ganze Gegend, ein redender Zeuge unserer Zusammengehörigkeit, ein herrlicher Denkstein unserer schwer errungenen nationalen Einheit.
Peter Kästner.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: in Bayreuth