Ein Tag an Bord eines Eisbrechers

Textdaten
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Autor: Gustav Klitscher
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Titel: Ein Tag an Bord eines Eisbrechers
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 29–32
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ein Tag an Bord eines Eisbrechers.

Von Gustav Klitscher. Mit Abbildungen von W. Stöwer.

Ein kalter, klarer Frostmorgen strahlte im hellen Licht der späten Wintersonne über meiner guten Vaterstadt Stettin, als ich mich an einem Januartage des vorigen Jahres auf den Weg machte zu dem Eisbrecher, der uns durch die Eismassen der Oder und des Haffs nach Swinemünde an die Küste der Ostsee bringen sollte. Ueber den schönen neuen Vierteln, die auf den hochgelegenen Glacis vor den Thoren der ehemaligen Festung entstanden sind, lachte ein blauer Himmel, der Wind wehte schwach, kaum merklich von Südosten, nur das Knirschen des hart gefrorenen Schnees zeugte von der grimmigen Kälte der vergangenen Nacht. Als ich mich aber dem Hafen näherte, quoll aus den engen Gaffen der alten Stadt braungrauer, dichter Qualm mir entgegen, wie der Rauch aus tausend Fabrikschloten. Aus dem breiten Flußthal dampfte ein undurchsichtiger Nebel empor, der mich kaum den Platz finden ließ, wo am Bollwerk unser „Berlin“ festgemacht war. Mir wurde um den Erfolg unserer Fahrt bange. Aber die anderen Teilnehmer waren guten Mutes. Unser Maler erklärte, daß er selbst im dicksten Nebel Würde skizzieren und photographieren können, und da der liebenswürdige Chef der allen Besuchern der Ostseebäder wohlbekannten Reederei Bräunlich, welcher die Eisbrecher unterstellt sind, persönlich erschienen war, um für das allgemeine Wohl zu sorgen, so kehrte allmählich die Zuversicht wieder zurück.

„Brrr, meine Herren, es ist abscheulich! Wir haben 16 ° Réaumur.“

„Kälte?“ brummte ein Gemütsmensch unter seinem Schnurrbart hervor, an dem dicke Eiszapfen hingen.

Diese lieblose Frage wurde mit der gebührenden stillschweigenden Verachtung hingenommen. Nur das einförmige Klipp-Klapp von Stiefeln, deren Inhaber sich durch eine gewisse rhythmische Bewegung zu erwärmen suchten, tönte eine Weile durch die Stille. Viel mehr Anklang fand dagegen die Versicherung eines alten wettererfahrenen Lotsen, daß es gegen 10 Uhr aufklaren würde. Wir gingen also an Bord, um uns die Zeit des Wartens so gut es eben möglich war, zu vertreiben. Der „Berlin“ legte trotz des Nebels vom Bollwerk ab, da ertönten auch schon die gellenden Töne einer Dampfpfeife. Auf zehn Schritt war nichts zu sehen. Plötzlich tauchte dicht neben uns der zweite Eisbrecher auf, der uns mit einem großen Seedampfer im Schlepptau in der von uns gebrochenen Rinne folgen sollte.

Wieder hieß es stillliegen.

Die Sonne schimmerte durch die weißdampfende Luft wie ein scharf umrissener, blaßgelber Teller hindurch. Man konnte ohne Schaden für die Augen gerade in sie hineinsehen. Uebereinstimmend bemerkten wir genau in der Mitte der Scheibe einen dunklen Punkt, den wir alle, Landratten und seebefahrene Männer, noch niemals gesehen hatten. Wir tauften ihn, weil der wartende Mensch doch schließlich etwas zu thun haben muß, mit dem ganzen Stolz naturwissenschaftlicher Entdecker den Bräunlichschen Sonnenfleck. Und als hätte sich Frau Sonne nach Frauenart unserer allgemeinen Aufmerksamkeit gefreut – sie machte das Wort des wetterkundigen Mannes wahr, verscheuchte endlich allen häßlichen Dunst und bescherte uns den prächtigsten Wintertag, den sich unser Herz nur wünschen konnte.

Nun habe ich wohl, Gott sei Dank, eine ganze Weile von dem im allgemeinen verpönten Wetter gesprochen, sitze dabei immer noch im Hafen von Stettin und der Vorwurf geistiger Verarmung wird mir nicht erspart bleiben. Wenn man aber so von den himmlischen Gestirnen abhängig ist wie bei nautischen Unternehmungen, dann mag es schon verziehen werden, daß sie im Vordergrund der Beobachtung stehen. Es wird auch im folgenden noch öfters von Wind und Wolken die Rede sein müssen.

Vorerst aber hieß es: „Volldampf voraus“. Die Schraube begann zu arbeiten und knirschend barst das Eis unter dem Bug unseres „Berlin“. Da die Eisbrecher täglich zwischen Stettin und Swinemünde verkehren, so ist im Strombett eine abgegrenzte Fahrrinne gebrochen, deren Eistrümmer zwar jedesmal nach der Durchfahrt der Schiffe baldigst wieder zusammenfrieren, die naturgemäß aber viel leichter passiert werden kann als gewachsenes Kerneis. So geht die Fahrt verhältnismäßig rasch stromabwärts.

Wir schicken uns an, die mannigfach wechselnden Bilder am Ufer zu betrachten; aber als wir unsern Platz verlassen wollen, wird uns die scherzhafte Ueberraschung, daß wir mit unsern Filzgaloschen, die wir über die Stiefel gezogen haben zwecks

Die Sonne im Morgennebel.

[30] Vermeidung etwaiger „Eisbeine“, so fest auf dem eisernen Deck angefroren sind, daß an ein Hochheben der Füße nicht zu denken ist. Wir müssen, wie der Mann, der nach der bekannten Redensart aus der Haut fährt und sich daneben setzt, erst aus den Ueberschuhen heraustreten und diese mit nicht geringer Anstrengung vom Boden losreißen, ehe wir weiter können. Daß wir dabei gehörig Haare lassen müssen und ein Teil der Filzsohlen auf den Eisenplatten zurückbleibt, erhöht nur den Reiz der eigenartigen Situation.

An einer Uebergangsstelle auf dem Stettiner Haff.

Auf den großen Dampfern am Hafenquai ist man, dank dem ununterbrochenen Verkehr, der durch die Eisbrecher aufrecht erhalten wird, lebhaft an der Arbeit. Mehrere von ihnen, darunter ein Amerikafahrer, sollen am nächsten Tage in See gehen. Auch in den Industriedörfern, welche sich eins an das andere schließend stromabwärts am linken Ufer entlang ziehen, herrscht rege Thätigkeit. Besonders an den Schiffswerften sieht man das deutlich. Auf einem Stapel der Oderwerke ragt der stolze Bau des neuen „Imperator“ empor, der die eben erst eingerichtete Schnellzugsverbindung zwischen Berlin und Stockholm über Rügen durch Fahrten von Saßnitz nach Trelleborg vermitteln soll, und auf dem „Vulkan“ in Bredow überraschen die neuen Schiffe des Norddeutschen Lloyd durch ihre ungeheuere Größe. Die „Königin Luise“ liegt, schon fast fertig, im Wasser. Sie macht den Eindruck eines vierstöckigen Palastes, und der alte Schnelldampfer „Saale“, gewiß ein stolzes Schiff, der in ihrer Nähe in Reparatur ist, nimmt sich dem neuen Koloß gegenüber aus wie ein Berliner Säugling neben seiner Spreewälder Amme. Ueberall herrscht emsige Thätigkeit. Nur die Vergnügungsgärten, wo an warmen Sommernachmittagen in der Nähe des kühlenden Stromes würdige Damen bei Kaffee und Napfkuchen das Glück oder noch lieber das Unglück ihres lieben Nächsten erörtern, und abends ganze Familien bei „Hecht und Aal mit Gurkensalat“ lukullisch schwelgen, stehen verödet. Allein die Spatzen sind von allen Gästen noch da und erheben in den kahlen Aesten der Bäume ein gewaltiges Geschrei in Erinnerung an die schönen Zeiten, da noch Brosamen und Kuchenkrümel in üppiger Fülle von der Reichen Tische fielen.

Hin und wieder wird uns auf unserer Fahrt ein nicht mißzuverstehendes pommersches Kraftwort zugerufen. Das kommt aus dem Munde von Leuten, die sich plötzlich durch die neu gebrochene Rinne vom jenseitigen Ufer, zu dem sie hinüber wollten, abgeschnitten sehen.

Früher, als das Eis den ganzen Winter hindurch festlag, da gab es keine Schwierigkeit; für die Männer der Arbeit wie für die des Vergnügens, als da sind Schlittschuhläufer und Schlittenfahrer, waren bequeme Zeiten. Jetzt heißt es, an bestimmten Uebergangsstellen lange, auf Schlittenkufen laufende Brücken über die losen Schollen zu schieben, und es ist nicht jedermanns Sache, auf diesen schmalen, glatt überfrorenen Brettern, die elastisch unter dem Tritt nachgeben, hinüberzubalancieren. Ein unfreiwilliges Bad aber um diese Jahreszeit gehört gerade nicht zu den Annehmlichkeiten.

Allmählich werden jedoch auf unserer Fahrt diese Uebergänge immer seltener, das rechte Ufer tritt immer mehr zurück, der Strom weitet sich zum Papenwasser.

Im Schlepptau des Eisbrechers.

Inzwischen ist in der hübschen Kapitänskajüte, wie man sie so gemütlich mit Dampfheizung und jeglicher Bequemlichkeit auf einem Eisbrecher gar nicht erwartet hatte, ein Frühstück [31] angerichtet worden, das in dieser delikaten Zusammensetzung der Deutsche eben nur an der „Waterkant“ kennt. Als wir neu gekräftigt wieder auf Deck kamen und bei gutem Rotspohn einen gemütlichen Kreis bildeten, waren wir allgemach bis ins Haff gekommen.

Die Sonne schien warm auf uns herab, das Schiff lief gerade mit dem Winde, so daß sich um uns kaum ein Lüftchen regte. Der freundliche Kapitän Last stieg von seiner Kommandobrücke und berichtete, daß das Thermometer in der Sonne und in der Nähe des dampfenden Schornsteins 1° Wärme zeige. Ich mußte lachen, denn just in diesem Augenblicke bemerkte ich, daß der Wein, der an dem Glase in meiner Hand abgeflossen war, sich in Eis verwandelt hatte. Und die Herren, welche Gläser mit Bier neben sich gestellt hatten, fanden in kürzester Zeit Eisstücke darin. Nichtsdestoweniger konnte man es in einem guten Pelz nicht nur ganz vortrefflich aushalten, sondern die reine, staubfreie, windstille Luft weckte die Empfindung eines milden lauen Tages.

Voll innigen Behagens ließ man das Auge über die eigenartig schöne Landschaft schweifen. Weit und breit dehnten sich die schneebedeckten Eisfelder aus, im Westen ragten ein paar Kirchtürme auf der Insel Usedom in die Luft, im Osten tauchten weißbeschneit die Lebbiner Berge auf. Nur undeutlich erkannte man auf der unendlichen Fläche einige schwarze Punkte: Fischer, die mit ihren Schlittengespannen in der Ausübung ihres Berufes auf das Eis gezogen waren. Dicht in unserer Fahrrinne sitzen ein paar Seeadler. Sie lassen das Schiff so nahe herankommen, daß man sie mit der Kugel wohl erreichen könnte. Aber sie fürchten keine Feindseligkeiten. Im Gegenteil schätzen sie die Eisbrecher als ihre Verbündeten im Kampfe ums Dasein, denn an dem offenen Wasser lauern sie auf die Fische, die sich unvorsichtig hervorwagen und so dem geflügelten Räuber zur willkommenen Beute werden.

Am Bollwerk in Swinemünde.

Allmählich hatten wir vor dem „Langenberg“, der uns mit dem Frachtdampfer im Schlepptau folgte (vergl. Abbildung S. 30), einen großen Vorsprung bekommen. Es wurde beschlossen, die so gewonnene Zeit zu benutzen, um die Fähigkeiten unseres Schiffes auch festem Eise gegenüber zu erproben. Wir bogen also aus der üblichen Fahrt rechts ab und arbeiteten uns in das Kerneis hinein. So ein Eisbrecher ähnelt in seiner äußeren Gestalt auffallend einer halben Walnußschale. Kurz und breit, ist er nicht darauf eingerichtet, mit scharfem Bug das Eis zu durchschneiden, sondern er schiebt sich mit seiner ganzen Schwere auf das Eis hinauf, zerbricht es so und drückt es zu beiden Seiten fort. Krachend barst es unter unserm Vordringen und gewaltige Platten, an 12 bis 15 Zoll stark, türmten sich aufeinander. Schließlich blieben wir innerhalb der massigen Trümmer liegen und unser unermüdlicher Maler benutzte die Gelegenheit, um von Bord zu hüpfen und uns wieder einmal zu photographieren. Ich glaube, es war die zwölfte Aufnahme und einige schwächliche Mitglieder der Expeditton fühlten sich durch das ewige „recht freundlich“ Aussehen schon sehr angegriffen. Es war ein wahres Glück, daß Küche und Keller – man gestatte den Ausdruck – unseres Schiffes so trefflich für unser leibliches Wohl sorgten, sonst hätte der unholde Photograph manchem den traurigsten Schaden an seiner Gesundheit durch andauerndes Exponieren anthun können.

Dann wurde die Fahrt fortgesetzt. Wir ließen das Haff hinter uns und bogen in die „Kaiserfahrt“ ein, welche man angelegt hat, um die mannigfachen Windungen des Swineflusses abzukürzen. Hier lag nur ganz dünnes Eis auf dem Wasser, das wie Glas aussah und Hunderten von wilden Enten zum Tummelplatz diente. Höchst übelgelaunt über die Störung, flogen sie kurz vor dem Dampfer auf, um gleich hinter ihm wieder in das offene Wasser einzufallen.

Allmählich zeigten sich auch einige Möwen und verkündeten die Nähe der See. Die Türme von Swinemünde tauchten auf, die schmucken Häuser mit ihren Lauben und Balkonen, die alten Bäume am Fluß, der Signalball der Lotsenstation – wir waren in Stettins Seehafen – diesmal nach schöner gefahrloser und genußreicher Fahrt! Denn ein bißchen verfrorene Ohren rechnen nicht mit.

Ganz anders sieht sich so ein Unternehmen an, wenn der Schneesturm heult und draußen in See ein Schiff im Eise festsitzt, das hereingeholt werden muß. Das brandende Meer hat in der Bucht einen mächtigen Eiswall von 10 bis 20 Fuß Höhe aufgetürmt. Ein Dampfer, der bei schwerem Frost seine Reise gemacht hat und an Rumpf und Takelwerk dick überfroren ist, sitzt in der gefährlichen Umarmung der Massen und kann weder vorwärts noch rückwärts, in steter Gefahr, erdrückt zu werden. Da geht denn der Eisbrecher hinaus und wirft sich in gewaltigem Anprall auf die gefrorene Mauer. Das gute Schiff kracht in allen seinen Fugen und den wetterharten Männern, die es führen, schlägt das Herz laut in der rauhen Brust. Aber das Menschenwerk erweist sich wirklich stärker als der trotzige Bau der Naturgewalten. Der Wall bricht, die kühne That gelingt und freudigen Herzens bringt man das Schiff mit Mannschaft und Ladung glücklich in den Hafen.

Nach kurzem Aufenthalt in Swinemünde ward die Rückfahrt angetreten. Da die Fahrstraße nur erst leicht überfroren ist, so geht die Reise glatt und schnell von statten. Allmählich senkt sich die Dunkelheit herab und in der traulichen Kabine versammelt sich alle Welt zu gemütlichem Mittagsmahl. Da wird manch frohes Glas getrunken, und nicht zuletzt auf unsere gute Handelsstadt Stettin. Denn eine Handelsstadt ist die alte Residenz der pommerschen Herzöge und der Handel wird immer ihre vornehmste Lebensbedingung bleiben, obwohl eine große Garnison und die zahlreichen Beamten der Provinzialhauptstadt nicht verfehlen, ihr auch nach andern Seiten hin ein eigenartiges Gepräge zu geben. Eine Handelsstadt war Stettin bereits im Mittelalter, wo es Mitglied der Hansa wurde. Seit den Wirren des Dreißigjährigen Krieges hat die Stadt wiederholt ihre Herren wechseln müssen, bis sie zu Anfang des 18. Jahrhunderts dauernd unter die preußische Herrschaft kam. Seitdem war Stettin in fortschreitender Entwicklung begriffen und wurde auch zu der wichtigsten Industriestadt der Provinz Pommern. Wo einst wendische Fischerhütten standen, arbeiten heute gewaltige Dampfmaschinen, erheben sich Fabriken aller Art und Werftanlagen, deren Erzeugnisse sich in der weiten Welt des besten Rufes erfreuen. In gleicher Weise entwickelte sich auch der Handel Stettins. Während der letzten Zeit liefen alljährlich in den Hafen, der von dem Oderstrom und seinen Nebenarmen gebildet wird, allein über 3000 Seedampfer und über 1200 Segelschiffe ein; dazu kamen noch die zahlreichen Küstenfahrzeuge und gegen 12 000 Oderkähne. Stettin besitzt direkte Dampferverbindungen nicht allein mit allen wichtigen Plätzen der Ost- und der Nordsee, [32] sondern auch mit Frankreich, Spanien, den Mittelmeerhäfen und New York. Eines ähnlichen Aufschwungs erfreute sich Stettins Vorhafen, das kleine auch als Seebad bekannte Swinemünde, das an der mittleren Ausmündung des Oderhaffs in die Ostsee liegt und als der beste Hafen an der preußischen Ostseeküste gerühmt wird.

Beeister Frachtdampfer.

Die Erkenntnis der Wichtigkeit von Handel und Schiffahrt für das Blühen der Stadt war es auch, welche in den Jahren 1888 und 1889 die Kaufmannschaft veranlaßte, mit dem Bau der Eisbrechdampfer zu beginnen. Früher hatte der Frost den Hafen und damit den Verkehr gesperrt. Der Kaufmann feierte, es feierten seine Arbeiter, und mit ihnen alle die Handwerker, deren Erwerb auf sie angewiesen war. Es galt als ein ganz besonderes Ereignis, wenn einmal der Kopenhagener Eisbrecher herüberkam, um einen Dampfer einzubringen. Seitdem aber die Eisbrecher „Stettin“, „Swinemünde“ und „Berlin“ die Werften des Vulkan verlassen haben, und nachdem in neuerer Zeit noch der „Langenberg“ hinzugekommen ist, haben sich die Verhältnisse durchaus geändert.

Auch während des Winters herrscht im Hafen rege Thätigkeit. Import und Export hören nicht auf. Eingeführt werden in der Hauptsache während des Winters Getreide, Mais, Phosphate, Erze und Kohlen, während zur Ausfuhr gelangen Zucker, Grubenhölzer und Stückgüter. Der Kaufmann verdient und mit ihm verdient direkt oder indirekt ein großer Teil der Bevölkerung. Diesem Umstande hat die Stadt dadurch Rechnung getragen, daß sie zur Unterhaltung der Schiffe aus ihrem Säckel einen Zuschuß leistet. Wenn erst der neue Großschiffahrtskanal zwischen Oder und Spree, der geplant ist, fertig sein wird, dann hat Berlin seine im Winter wie im Sommer ununterbrochen offengehaltene Verbindung mit dem Meere. Welche sozialen Vorteile daraus entstehen werden, ist vorläufig im einzelnen noch gar nicht abzusehen! Wie sehr sich aber die Eisbrecher selbst bewährt haben, geht daraus hervor, daß Rußland und Holland für den eigenen Gebrauch Dampfer nach demselben Modell bestellt haben.

Beleuchtung mit dem Scheinwerfer.

Je weiter wir nach dem Norden vordringen, desto stärker wird die Macht des Winters. Nicht nur Flüsse und Seebuchten frieren dort zu, sondern auch das offene Meer wird von den starken Frösten in Eisfesseln geschlagen. So kann das Eismeer, das die nördlichen Küsten Europas und Asiens umspült, nicht als eine die Völker verbindende Handelsstraße gelten. Wohl haben Polarforscher die Nordostpassage erzwungen, den Weg von Norwegens Küste bis zur Behringstraße zurückgelegt, aber die Kaufleute können diesen Weg nicht benutzen. Nun hat man die Absicht, besonders starke Eisbrecher zu bauen und mit ihrer Hilfe eine regelmäßige Schifffahrt in jenen Gebieten zu eröffnen. Die Schwierigkeiten, die sich dort dem Menschen entgegenstellen, sind bei weitem größer als an unserer Ostseeküste, aber ganz aussichtslos dürfte der Plan doch nicht sein. Wenn dereinst, dank der zunehmenden Besiedelung, das unermeßliche Sibirien zu einem Kulturlande aufblüht, dann werden wohl die Eisbrecher seinem Handel den Weg durch das Eismeer bahnen. Abgesehen von diesen Zukunftsträumen, können wir jedoch mit dem zufrieden sein, was die Eisbrecher schon jetzt leisten, und dürfen sie als starke Gehilfen des Handels und Wandels in der rauhen Winterszeit preisen. – –

Als wir wieder auf Deck kamen, blinkten die Sterne hellfunkelnd am tiefdunklen Himmel, und der abnehmende Mond goß seinen fahlen Glanz über die weiten weißen Flächen. Dennoch war es nicht hell genug, um alles vor uns deutlich zu erkennen. Der elektrische Scheinwerfer wurde im Bug entzündet und sandte sein gespenstiges Licht in die Weite. Schiffe tauchten auf, die Oderufer wurden sichtbar und endlich grüßten auch die Laternen des Hafens.

Wir waren wieder daheim. Bei einem guten Grog am häuslichen Herd wurde der ausgefrorene Mensch aufgetaut und getreulich wurde Bericht gegeben von den Freuden und Leiden unserer Fahrt, genau nach dem alten Wort: Wenn einer eine Reise thut, so kann er was erzählen.