Ein Stück neapolitanischer Wirthschaft
[416] Ein Stück neapolitanische Wirthschaft. Nach Privatbriefen aus Messina. Das Gerücht, in Palermo sei eine Revolution ausgebrochen, schreibt man uns, regte hier die Gemüther außerordentlich auf, zumal Niemand etwas Sicheres über das Geschehene erfahren konnte, weil die Regierung jede Communication mit Palermo abgebrochen. Am Sonntage mehrte sich der Zusammenlauf von Menschen in den Hauptstraßen, und gegen Abend waren sie dicht gefüllt. Damit jeder Zusammenstoß vermieden werde, hatten einige Bürger aus den höheren Classen die Behörde ersucht, die Polizeiagenten (die Sbirren) zurückzuziehen, denn diese müßten der Volksrache am meisten ausgesetzt sein, und ihre Anwesenheit in den Straßen bei dieser Gelegenheit die Aufregung nur steigern. Mit einem Male schoß, gegen sechs Uhr, eine der zahlreichen Militärpatrouillen, welche die Straßen durchzogen, auf das Volk, weil sie durch einen Betrunkenen (– den die Polizei wahrscheinlich dazu gedungen hatte –) verhöhnt worden sei, und kaum waren diese ersten Schüsse gefallen, so schossen alle Patrouillen ohne Weiteres auf das harmlose Volk. Ohne irgendwie Widerstand zu leisten, entfloh die Menge, die auch da noch durch Schüsse verfolgt wurde. Doch ist, so viel ich weiß, nur ein junger Mann todt auf dem Platze geblieben. Die Stadt wurde in Belagerungszustand erklärt und auf allen Hauptpunkten mit Truppen besetzt. Sie befand sich am nächsten Tage in der größten Bestürzung; Tausende der Einwohner suchten auf’s Land zu flüchten, und die Straßen waren mit bepackten Karren und Eseln bedeckt, welche eilig Habseligkeiten fortschafften. Die Montagsnacht verging ruhig, aber am Dienstag dauerte die Auswanderung fort. In der Dienstagsnacht hörte man plötzlich wieder auf allen Punkten der Stadt und von allen Forts Flinten- und Kanonenschüsse, und die Soldaten schossen nach jedem Balcon etc., wo sie Licht sahen. Am Mittwoch überraschte uns der General mit einer Proclamation, in welcher er für den Fall, daß der Angriff auf die Truppen fortdauere (von dem Niemand etwas wußte), „Bombardement und Plünderung“ ankündigte, „um die guten Bürger und deren Eigenthum vor den Insurgenten zu schützen“. Welches Entsetzen diese „beruhigende“ Proclamation hervorbrachte, läßt sich nicht beschreiben. Alle, die bis dahin in der Stadt geblieben waren, flohen nun trotz des Regens, der in Strömen herabgoß, auf das Land oder auf die Schiffe im Hafen. Es blieben nur einige Fremde zurück und jene, welche zu arm waren, um ihre Wohnung verlassen zu können.
Der General hatte es nicht für nöthig gehalten, seine Proclamation den Consuln mitzutheilen, die bei dem französischen zusammenkamen und dann in corpore zu dem General gingen, um gegen eine Barbarei zu protestiren, eine Stadt mit Bombardement und Plünderung zu bedrohen, obgleich auch nicht ein Schuß von Seiten des Volks auf die Truppen gefallen, während im Gegentheil bewiesen und offenbar sei, daß man den simulirten Angriff in der vergangenen Nacht nur erfunden habe, um die sogenannten Sicherheitsmaßregeln zu solchem Extreme treiben zu können. Man sagte dem General, der nichts darauf zu erwidern wußte, in das Gesicht, jene Bedrohung sei „infam“. Er gab darauf sein Ehrenwort, er würde die Stadt nicht beschießen lassen. Dann ließ er eine andere Proclamation drucken, in welcher er die Bürger aufforderte, nach Hause zurückzukehren; man würde die Rebellen verfolgen, welche die Stadt verlassen und auf dem Lande sich zerstreut hätten. Trotz dieser Worte dauerte die Auswanderung fort, weil man ihm nicht traute. Die erste Proclamation wurde rasch beseitigt. Er habe sie unterzeichnet, ohne sie gelesen zu haben, hatte der General den Consuln gesagt; die ganze Sache sei „ein Versehen“.
In der Donnerstagsnacht wiederholte sich die Komödie der simulirten Angriffe auf die Truppen, und am Freitag früh ließ der General den Consuln sagen, sie möchten ihre Flaggen einziehen, weil dieselben Ursache wären, daß die Gemüther sich nicht beruhigten. Die Consuln kamen nochmals zusammen, um gegen diese Forderung zu protestiren. Uebrigens sind 3000 Mann frischer Truppen angekommen, und Gott weiß, wie es enden wird!