Ein Spaziergang durch Tunis
Ein Spaziergang durch Tunis.
Wir stehen vor den Thoren von Tunis, jener von buntem Völkergewimmel erfüllten Stadt an dem sonnenbeglänzten stolzen Golf der nordafrikanischen Küste, zu der hinüber sich seit Monaten die Blicke Europas mit erhöhetem Interesse wenden; steht doch die europäische Diplomatie im Begriffe, die Fahne französischer Oberherrschaft in den Mauern der bisher einem willkürlich waltenden Bey untergebenen Stadt aufzupflanzen. (Vergl. „Gartenlaube“ Nr. 18: „Die Franzosen in Afrika“.) Der gegenwärtige Moment dürfte nicht ungeschickt gewählt sein, um die deutschen Leser mit dem Schauplatze der „tunesischen Frage“, mit Land und Leuten der Stadt des vielbesprochenen Muhamed Essadak im Vorübergehen bekannt zu machen.
Vom großen See El Bahira führt uns eine außerordentlich breite Straße, an beiden Seiten von wenigen niedrigen Häusern besetzt, in zehn Minuten bis Bab Hart, der Porta della Marina. Dort draußen herrscht wenig Leben, man bemerkt nur einige griechische und arabische Cafés, das griechische und französische Consulat, das erst im letzten Winter eröffnete Grand Hôtel, welches neben dem alten Hôtel Bertrand das einzige comfortable Gasthaus in Tunis ist, und zwei oder drei ausgedehnte Gebäude, ganz nach dem Muster unserer Miethscasernen errichtet. Am lebhaftesten geht es in den einstöckigen Hallen der Tunesischen Tabaksregie her, wie auch die daneben befindliche Holzbude, in welcher, ebenfalls unter Regie, Haschisch theuer verkauft wird, von Besuchern nicht leer zu werden pflegt. Vor dem Thore hält ein Dutzend Wagen, meist zu Reisen über Land benutzt, denn nur wenige Straßen der eng gebauten Stadt sind für Fuhrwerk zugänglich.
Im Begriffe, durch das Marinethor in die Stadt zu treten, werden wir von unzähligen ambulanten Verkäufern, von Stiefelputzern, Fremdenführern etc. auf das Zudringlichste belästigt. Die Dreistesten weisen wir mit einem unzweideutigen Erheben des Stockes ab. Mit Mühe brechen wir uns Bahn durch das Gewühl auf dem kleinen Marineplatz, welches vom Ausgang bis zum Untergang der Sonne ungeschwächt fortdauert; Vorsicht ist geboten, um nicht von den durch die Menge einherschreitenden Kameelen, Pferden und Eseln getreten zu werden.
Welch buntes Trachtenbild auf dem Marineplatze! Das Treiben einer orientalischen Großstadt, der zweiten Stadt des afrikanischen Continents, entfaltet sich vor unsern Blicken.[1] Hier der bedachtsame turbantragende Araber, dort der europäisch gekleidete Christ, meist die rothe Mütze mit blauer schwerer Seidenquaste auf dem Haupte. Der schwarze Mann vom Sudan und vom Congo, der gebräunte Maroccaner, der Algeriner und Tripolitaner, Beduinen aus dem Innern der Regentschaft, armselig gekleidete Hamals (Lastträger), tief verschleierte Mohammedanerinnen und muntere Jüdinnen in ihren engen Beinkleidern und spitzen gold- und silbergestickten Mützen eilen an einander in mannigfaltigstem Wirrwarr vorüber.
Der Verkehr auf den Hauptstraßen ist ein sehr lebhafter, am stärksten im Bazar, dem Mittelpunkte der Stadt, welchen wir jetzt durch die Straße Sidi Morgiani zu erreichen streben. In dieser Gasse, sauber gepflastert, doch nicht so reinlich wie das maurische Quartier, reiht sich Laden an Laden. Ein Doppelposten von Zaptiehs zeichnet die Wohnung des Zahnarztes Seiner Hoheit des Bey aus; alle Morgen empfängt Muhamed Essadak diesen Leibchirurgen, um sein edles Gebiß auf’s Genauere untersuchen zu lassen. Mit 25,000 Piaster jährlich ist diese Arbeit wohl genugsam bezahlt.
Nach etwa zehn Minuten Gehens vom Marineplatze aus betreten wir den Bazar. Er besteht aus theils mit Holzwerk, theils mit Mauersteinen überwölbten Hallen, unter welchen sich zu beiden Seiten die kleinen, nur wenige Meter tiefen und nur durch leichte Holzwände von einander geschiedenen Läden an einander reihen, die meistens im Besitze von Italienern sind. Wir betreten zunächst den Suk (Bazar) der Fruchtverkäufer „Datteri! Prima qualità!“ ruft es von links; ein jovialer, wohlgenährter Herr, inmitten seines Krams von Datteln, Rosinen, Apfelsinen und Bananen mit über einander geschlagenen Beinen kauernd, die Rechte an dem von der Decke herabhängenden verknoteten Strick, welcher das Aufrichten erleichtert, macht uns durch diesen Beweis seiner Sprachkenntniß auf die unleugbare Vorzüglichkeit seiner Waare auferksam; in Wahrheit sind die Orangen unübertrefflich und die Datteln von Tunis anerkannt die besten. Man folgt gern dieser Einladung, nimmt auf Bänkchen oder Teppichen vor dem Laden Platz, schaut Alles an und genehmigt auch ein Schälchen des auf arabische Manier zubereiteten starken Kaffees, ohne dadurch noch im Geringsten zum Kaufen verpflichtet zu sein. Im folgenden Suk, dem der wohlriechenden Essenzen, Oele und Kerzen, ist die ganze Luft geschwängert von herrlichen Düften. Schon an der Kleidung der Ladeninhaber erkennt man unschwer die bevorzugte Kaste reicher Handelsherren; ist doch auch ihr Standort ein bevorzugter; denn sie hausen dicht an der großen Moschee. Neben ihren Essenzen verkaufen diese Herren auch die vielgesuchte Hennah, grünliche, dem Thee ähnliche Blätter zum Färben der Nägel und Hand- und Fußflächen; man sieht sie überall in großen Körben aus Strohgeflecht aufgestapelt. Wir gelangen alsdann in den Bazar der Tuch- und Kleiderhändler, und hier ist das Menschengewühl am ärgsten. Des Morgens eilen hier die Kleinhändler und Verkäufer von alten Sachen, von Gewehren, Pistolen, Handjars, Uhren etc. rastlos unter fortwährendem möglichst lautem Anpreisen ihrer Verkaufsartikel auf und ab, während das kauflustige Publicum zumeist an beiden Seiten dichtgedrängt vor den Läden sich aufhält; unbehelligt dadurch, nur hin und wieder nach Kunden spähend, nähen und flicken die Schneider, oft zu zehn Personen in ihren engen Buden.
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[410] Der Europäer, welcher zum ersten Male diese Bazars besucht, findet hier tausenderlei Gegenstände, welche zum Kaufe einladen; denn es sind noch zu besuchen die Bazars der Waffenschmiede, der Teppichhändler, der Sattler, der Schneider, der Tischler und Drechsler und die unabsehbaren Reihen der Schusterläden Doch eilen wir schneller vorwärts in ein ruhigeres Stadtviertel, wo wir Zeit gewinnen, einige der uns begegnenden Personen genauer in’s Auge zu fassen!
Welch seltsame Figur, dieser bis auf einen Schurz um die Lenden ganz nackte Mann von gebräunter Hautfarbe, mit wirrem Kopfhaar und verzerrten Gesichtszügen, eine Lanze in der Rechten tragend! Alle Passanten bezeigen ihm eine gewisse Ehrfurcht, und dies beweist, daß wir einen Marabut, einen Heiligen, vor uns haben. Der arme Mensch ist närrisch, und die Muselmanen nehmen seine Krankheit für göttliche Erleuchtung und verehren ihn als von Gott begnadigt und mit übernatürlichem Wissen begabt. Nach seinem Tode baut man ihm an der Stelle, wo er gestorben, eine Grabcapelle, welche alsdann, je nach dem Grade der Heiligkeit des betreffenden Marabut, von den Gläubigen mehr oder minder stark besucht wird. Es giebt viele Hunderte dieser Capellen in und um Tunis, von verschiedener Größe, und die größte derselben, Sidi Machres, ist ausgedehnter als die Hauptmoschee der Stadt und immer besucht von Betenden. Selbst mitten im Bazar der Sattler befindet sich das Grab eines Marabut, der zufällig dort gestorben; hier hat man sich wegen der Enge der Gasse begnügt, anstatt der Grabcapelle nur einen sargähnlichen Kasten aufzustellen, der mit den Farben des Propheten, grün, roth und weiß, angestrichen ist. Der Christ thut gut, diesen sonderbaren Heiligen aus dem Wege zu gehen, um sich nicht Unannehmlichkeiten von Seiten der Muselmanen auszusetzen.
Auffallend sind die Soldaten und Polizisten des Bey durch ihre zerlumpte und abgeschabte Kleidung und ihr Herumlungern, ja selbst Anbetteln der Fremden. Sind sie arbeitsam, so finden sie Beschäftigung bei Handwerkern, wo man sie, besonders in Schusterbuden, in nichts weniger als kriegerischer Thätigkeit antrifft. Sie werden jämmerlich besoldet und müssen vielfach des Nachts im Freien campiren, auch stricken manchmal die Braven.
Wie sehr sticht gegen diese Diener des Bey der Araber aus dem Innern ab, mit seiner stolzen Haltung, dem hohen Wuchs und dem von der Sonne stark gebräunten Gesicht! Er zieht die weißen Stoffe in seiner Kleidung vor, welche sonst wenig von derjenigen der Städter abweicht; er ist fast immer mit Waffen versehen, wenn er nach Tunis kommt; denn Waffen darf hier jedermann tragen, ob Muselman, Christ oder Jude. Und außer ihnen erblickt man zahlreiche andere typische Gestalten; dort trägt ein Landmädchen in ärmlicher Tracht den Wasserkrug vom Brunnen; hier an der Straßenecke entlockt ein fahrender Musikant seltsame Töne seiner zweisaitigen Guitarre, und, einsam dastehend, blickt trotzig in das bunte Menschengewimmel hinein ein Sprosse des räuberischen Khrumirstammes, der es verursachte, daß die Tunisstadt soeben mit dem Schrecken des Krieges bedroht wurde.
Vornehme Araberinnen sieht man nur selten auf den Gassen, und alsdann nur in Begleitung mehrerer Dienerinnen; sie tragen über dem schwarzen Gesichtsschleier noch ein ebenfalls schwarzes Tuch, welches sie mit beiden Händen in der Weise aus einander halten, daß sie nur den Boden, welchen sie gerade betreten, zu erblicken im Stande sind. Alle Mohammedanerinnen sind vom Kopfe bis zum Fuße in weite weiße Gewänder gekleidet. Die Jüdinnen dagegen verhüllen nur den Oberkörper und lassen das Antlitz und die Arme frei; die Beine sind mit engen, meist reich gestickten Hosen bekleidet. Außerhalb der Stadt gehen auch die Araberinnen unverschleiert einher und verwenden zur Kleidung einförmig blaue Stoffe; sehr beliebt ist bei ihnen, wie auch bei den Männern, das Tättowiren der Unterarme und Beine, und die Frauen schmücken außerdem die Knöchel mit weiten Metallringen.
Doch gehen wir weiter! Vor uns liegt ein freundlicher Platz, umgeben von reinlichen Gebäuden; einige vereinzelte Palmen wiegen ihre Kronen in der milden Luft; ein reich verziertes Minaret, eines der schönsten in der Stadt, ragt über einer hohen Mauer hervor, welche uns den Blick auf das Innere des Dar el Bey (des Hauses des Bey) verwehrt. Hier wohnt der jetzige Bey, Muhamed Essadak oder el Sadak, nur zur Zeit des Fastenmonats; gewöhnlich nimmt er für den Winter seinen Aufenthalt in einem dicht am Bardo, seiner eigentlichen Residenz, gelegenen Palaste und verbringt den Sommer in dem kühleren Goletta. Es ist nicht der Mühe werth, den Dar el Bey mit seinen verschossenen Teppichen und gebrechlichen Möbeln zu besuchen, und so folgen wir der breiten Straße, an einigen Kirchhöfen vorüber bis zum Thore. Rechts von uns dehnen sich die verfallenen hohen Mauern der Kasbah, der Festung, aus; links befinden sich die Bureaus für die Wasserleitung, welche hier mündet und die ganze Stadt reichlich mit gutem Trinkwasser versieht.
Wir haben von hier einen schönen Blick auf die Stadt, da wir uns auf dem höchsten Punkte derselben befinden; zu unseren Füßen das Häusermeer, darin viele Kuppeln von Moscheen und Marabutgräbern und Minarets in großer Menge; dahinter der weite Salzsee el Bahira, in dessen Mitte ein kleines Eiland mit einem Schlosse; Flamingos in Unzahl beleben den See; jenseits erblicken wir die Stadt La Goletta, den Hafen von Tunis, links davon, höher gelegen das Araberdorf Sidi bu Said, ferner San Luigi, die zum Andenken an den auf dem Kreuzzuge 1270 gestorbenen Ludwig den Heiligen errichtete Capelle, und das hügelige Ruinenfeld Carthagos; zur Rechten steigen Gebirge in pittoresken Formen zu ziemlich bedeutender Höhe an.
Schauen wir uns aber auch außerhalb der Ringmauer ein wenig um! Sie umgiebt die ganze Stadt, und ihre Thore, deren eines wir soeben passirten, werden mit Anbruch der Nacht sämmtlich geschlossen; die Schlüssel müssen dem Ferik, d. h. dem Gouverneur der Stadt, dessen großer Palast nicht fern vom Dar el Bey gelegen ist, allabendlich abgeliefert werden: ein Brauch aus früheren Zeiten zum Schutze gegen räuberische Ueberfälle unruhiger Nachbarn, der noch heute mit großer Sorgfalt beobachtet wird.
Ein reizend freundliches Bild wird uns zu Theil; eine heitere Landschaft breitet sich zu unseren Füßen aus. Nach dieser Seite fällt der Hügel, auf dem wir stehen, steiler ab, als zum el Bahira. Unten links liegt ein großer, seichter See, Sebcha Tsetjumi genannt, rechts und hinter dem See eine im Winter in saftigem Grün prangende, wohlangebaute Ebene, durchschnitten von der Eisenbahn und einem antiken Aquäduct; etwa eine halbe Stunde von dem Thore entfernt erkennen wir den Bardo, die Residenz, einer kleinen Stadt ähnlich, und noch weiter ab große Villenanlagen, die sogenannte Manuba. Den Horizont umfängt das Gebirge von Saghoan, und dicht zu unseren Füßen liegt ein Dörfchen seßhafter Araber mit kleinem Minaret, dessen winzige Hütten sich in mächtigen Cactushecken verstecken; auch Nomaden haben ihre Zelte unmittelbar vor den Thoren der Stadt aufgeschlagen. Zum Bardo führt in einigen Minuten die Eisenbahn, doch gestattet Seine Hoheit Muhamed Essadak Pascha Bey das Befahren derselben nur in den Morgenstunden. Das Innere des Palastes wird wenigstens theilweise gern gezeigt; interessant ist dort der Thronsaal, eine Collection von Portraits europäischer Fürsten und einige Schlachtenbilder; im Empfangssaale fällt die Menge Uhren auf, eine merkwürdige Liebhaberei des Bey; alle sind verstaubt und unbrauchbar, auf vielen klebt noch das Zettelchen mit Preisangabe.
Alle Sonnabend hält der Bey im Bardo öffentlich Gericht; eine mehrere Meter lange Pfeife in der Hand, umgeben von seinen Räthen, macht er kurzen Proceß: nicht ein Federstrich wird gethan, genau wie bei den Sitzungen der Polizeirichter in der Stadt, und unmittelbar auf den Spruch folgt die Vollstreckung. Nicht selten hat man das traurige Schauspiel, ganz dicht vor den Thoren des Bardo an der Heerstraße nach Schluß der Gerichtssitzung eine Reihe Gehenkter inmitten einer gaffenden Menge schweben zu sehen.
Der jetzige Bey ist gegen siebenzig Jahre alt, für sein Alter übrigens äußerst rüstig und wohlerhalten. Er ist mit großem Pompe umgeben, wenn er sich öffentlich zeigt, wie ich beim Geburtsfeste des Propheten zu beobachten Gelegenheit hatte; bei diesem Anlasse geht er, von Ministern und Generalen begleitet, vom Dar el Bey zu Fuße nach der großen Moschee zum Gebete, während Militär vor dem sich ziemlich gleichgültig verhaltenden Volke Spalier bildet. Gewöhnlich fährt er in einem mit vier prächtig aufgeschirrten weißen Maulthieren bespannten Wagen, welchen Mamelucken umschwärmen. Als Curiosum sei hier bemerkt, daß der Oberst der Leibgarde aus unserer Mark Brandenburg stammt; er heißt Krüger und ist der Sohn eines Bierbrauers: schon im Jahre 1831 kam er nach Tunis, trat zum Islam über und ist mit seinem Loose sehr zufrieden; einen komischen Eindruck macht es, den alten Herrn in seiner goldstrotzenden Uniform das echte märkische Plattdeutsch mit consequenter Verwechselung des „Mir“ [411] und „Mich“ sprechen zu hören; denn gänzlich hat er die Muttersprache nicht vergessen, obwohl er des Lesens und Schreibens unkundig ist. Ich mußte unwillkürlich an unsern Feldmarschall Wrangel denken, als ich „Krüger Bey“ zum ersten Male sah.
Unsern Spaziergang fortsetzend, winden wir uns kreuz und quer durch die engen, doch sauber gepflasterten Gäßchen der Vorstadt mit ihren niederen, nach der Straße zu fensterlosen, meist einstöckigen Häusern; hier wohnen arme Leute. Dort in einer breiteren Gasse wird eine Art Nachmittagsbazar abgehalten; abgetragene Kleidungsstücke, zerbrochene, im Schutte aufgelesene Hausgeräthe, altes Eisen und tausenderlei werthlose Nichtigkeiten bilden die Verkaufsartikel; unter dem Publicum bemerken wir auffallend viele Soldaten, Lastträger und Neger. Trotz allen Gedränges und Lärmens herrscht eine gewisse Ordnung, aufrechterhalten nicht etwa durch Polizisten, sondern vielmehr durch Käufer und Verkäufer selbst. Nicht weit davon sehen wir einen großen Kreis Neugieriger auf einem freien Platze, und man macht uns gern Raum, als wir zu erspähen versuchen, was es hier Sehenswerthes giebt. Es ist ein Schlangenbeschwörer, welcher sich producirt; sein Gefährte begleitet die Vorstellung mit einer eintönigen Musik, welche er auf der zweisaitigen Guitarre hervorbringt. Der Zauberer hält bald mit ihm Wechselreden, bald spricht er zu den Umstehenden, fortwährend mit seinem halben Dutzend Schlangen von respectabler Länge beschäftigt; dann sucht er das nach seiner Versicherung giftigste Reptil aus und steckt dessen Kopf in seinen Mund: siehe da! es läßt ihn unverletzt. Er erzählt grausige Geschichten von der Gefährlichkeit dieser Schlangen, von durch ihren Biß Getödteten, von der ihnen innewohnenden Zauberkraft und ihrer übernatürlichen Weisheit. Wir werfen einige Charruben in den Kreis und setzen unsern Weg fort, um bald durch eine ähnliche Gaukelei aufgehalten zu werden. Hier erzählt ein wild aussehender, ärmlich gekleideter Mann dem Volke die Heldenthaten des Abd el Kader, und Alle lauschen seinen Worten mit gespannter Aufmerksamkeit; auch er hat einen Musikanten bei sich, der die kurzen Pausen mit Gesang und Spiel ausfüllt. Der Erzähler begleitet seine Rede durch entsprechende Gesten, wechselt oft seinen Platz, ja, springt umher, wenn er z. B. den Beginn des Kampfes mit der überlegenen Feindesschaar ausmalt, und kennzeichnet das Niederschmettern derselben durch unnachahmlich energische Armbewegungen.
Die Straßen werden ansehnlicher; die Häuser sind nun höher, reicher verziert, die Portale schön decorirt und die Thorflügel geschmackvoll geschnitzt. Dicht vergitterte Fenster lassen uns mit Recht vermuthen, daß sie zu den Frauengemächern, den Harems, gehören. Wir befinden uns in einem Stadttheile, der von vornehmen und reichen Arabern bewohnt wird. Allein bald ändert sich die Scene auf die crasseste Weise. Welch entsetzlicher Schmutz in den immer enger werdenden Gäßchen! Welch betäubende, widerliche Gerüche dringen uns aus den niederen Pforten entgegen! Kein Zweifel: wir befinden uns im Judenviertel. Den unglaublichsten Schmutz kann man als das auffallendste Merkmal dieses häßlichsten aller Stadttheile von Tunis bezeichnen. Die Männer sind ebenso gekleidet wie die Mohammedaner, doch viele der Jüngeren ziehen die europäische Tracht vor, nur die Scheschieh, die rothe Mütze mit langer Seidenquaste, beibehaltend, während die Weiber es lieben, sich mit den buntesten Farben aufzuputzen, und natürlich nicht verschleiert sind; das Familienleben concentrirt sich auf den Höfen der Häuser, doch ist auch da nicht viel Erbauliches zu sehen, und wir sind froh, alsbald bei Bab Carthagena auf die breite Straße zu stoßen, welche uns zum Marinethor zurückführt.
Prächtig sinkt die Sonnenscheibe im Westen hinab. Wunderbare Farben glühen am Horizonte, und ein leiser Seewind spielt in den Blättern der Palmen und Bananen, während von den Minarets die Gläubigen zum Gebete gerufen werden. Der Christ verläßt um diese Tageszeit nicht mehr sein Quartier, ebenso der Ebräer, und bald sind die Straßen wie ausgestorben: nur selten huschen eilige Gestalten durch’s Dunkel, der Herr seinem die Laterne tragenden Diener folgend. Nur ein Gebäude im Christenquartier, von außen unscheinbar und häßlich, vereinigt in seinen Sälen zuweilen die Blüthe der europäischen und einheimisch jüdischen Gesellschaft bis spät in die Nacht hinein; es ist das Local der „Società filarmonica“, einer erst seit Kurzem zum Zweck der Pflege der Tonkunst bestehenden Gesellschaft. Auch in zwei kleinen, doch eleganten Cafés befindet sich oft noch bis Mitternacht ein Kreis von späten Gästen, und selbst die Araber kommen dorthin gern und häufig; mit dem Biere, welches sich nunmehr schon bis an die Grenzen der Wüste Bahn gebrochen, haben sie sich allerdings noch nicht befreundet; der Wein ist ihnen verboten, und öffentlich scheuen sie die Uebertretung dieses Verbots; so halten sie sich denn an Mastica, wie sie Anisette benennen, an Wermuth und vielerlei andere Arten Liqueur.
Wie rauh ist Tunis durch die politischen Vorgänge in diesem Jahre aus seiner Ruhe aufgerüttelt worden! Welchem Schicksal geht es entgegen? Diese Frage bewegt alle Gemüther, und der Araber kann und will es nicht glauben, daß sein Loos dasselbe werden solle, wie dasjenige der Stammesgenossen jenseits der algerischen Grenze. Er ist stolz auf sein Tunis, die herrliche Jungfrau, welche schon oftmals umworben wurde, doch „immer frei bleiben wird“. Vielleicht straft die Vorsehung diesen Glauben Lügen, und wiederum verschwindet ein Stück Originalität vom Erdboden.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: eicht