Textdaten
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Autor: Hermann Löns
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Titel: Ein Naturfreund
Untertitel:
aus: Der zweckmäßige Meyer. Ein schnurriges Buch, S. 25–31
Herausgeber:
Auflage: 1.–4. Tausend
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1911
Verlag: Sponholtz
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Erscheinungsort: Hannover
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google-USA* = Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: [1]
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[25] Ein Naturfreund.

Die Sonne schien mir so lange auf den Schreibtisch, bis ich einsah, daß ich etwas Vernünftigeres tun könne, als zu Hause zu sitzen.

So machte ich denn, daß ich in den Wald kam, um mir von Amsel, Drossel, Fink und Star etwas vorsingen zu lassen.

Als ich dort ankam, wo die Teiche liegen, folgte ich meiner alten Angewohnheit und sah in das Wasser, auf dem die Taumelkäfer sehr gewandt, und die langbeinigen Wasserwanzen recht steifbeinig Schlittschuh liefen, während in dem vertrockneten Schilfe die Grasfrösche sich dem Fortpflanzungsgeschäfte hingaben und dabei derartig murrten, als sei ihnen diese Tätigkeit auf das äußerste zuwider, was nachweislich nicht der Fall ist.

Als ich noch ein Jüngling mit lockigem Haar war und dem Wahne huldigte, daß man auf dem Wege der exakten Forschung hinter die Küchengeheimnisse von Frau Natur kommen könne, hatte ich mich auch mit Malakozoologie beschäftigt, das heißt, Schnecken und Muscheln gesammelt, und als ich nun im seichten Wasser eine Posthornschnecke umherkriechen sah, bückte ich mich aus Gewohnheit, fischte das Tier mit der Hand heraus, besah es, stellte fest, daß nichts besonderes daran festzustellen sei, und entließ es in Gnaden.

Nach einer Weile blitzte es rot im Wasser, etwas Langes, Dünnes zappelte sich bis zur Oberfläche, schnappte dort eine winzige Menge atmosphärischer Luft, fiel wie überanstrengt wieder hinab und schwänzelte dann dahin, wo ich stand. Ich [26] bückte mich abermals, griff schnell zu und erwischte ein bildschönes Männchen des Kammolches, das etwas unwirsch knurrte und, als ich es daraufhin noch nicht freigab, entrüstet mit dem in allen Spektralfarben schimmernden Schwanze zappelte, so daß ich nicht umhin konnte, ihm seinen Willen zu tun, worauf es erst, verdutzt durch das sonderbare Abenteuer, einige Augenblicke alle vier Beine von sich streckte und über den Fall nachdachte, bis ihm einfiel, daß es das auch dort tun könne, wo das Wasser tiefer wäre, und mit affenartiger Plötzlichkeit verschwand es.

Nach einiger Zeit kam ein Frosch angeschwommen, und zwar, wie ich ihm sofort an der Nase ansah, ein Moorfrosch. Die Liebe hatte ihm nicht nur die Hautstruktur verändert, sodaß er so blau aussah, wie Steinöl, das in der Sonne steht, sondern ihm auch den Verstand getrübt, und so merkte er erst, als ich ihn zwischen den Fingern hielt, daß er einen dummen Streich begangen hatte. Nachdem er anfangs durch ein wildes Hampeln und Strampeln Einspruch gegen die ihm angetane Freiheitsberaubung erhoben hatte, ergab er sich mit Würde in das Unvermeidliche, und als ich ihm mit Daumen und Zeigefinger um die Taille faßte, schienen süße Erinnerungen in seinem Gehirn Form anzunehmen, denn er erhub ein zärtliches Schnurren. Das rührte mich derartig, daß ich ihn wieder in den Teich setzte.

Nicht weit von mir stand ein Mann, der mich in verstohlener Weise beobachtet hatte. Neben sich hatte er zwei großmächtige Fischkannen stehen und in der Hand hielt er ein Fangnetz mit zusammenschiebbarem Stocke. Da ich mich dorthin schleichen wollte, wo die Gras- und Moorfrösche zusammen mit den Erdkröten einen Gesangswettbewerb veranstalteten, mußte ich an dem Manne vorbei, und als ich bei ihm angelangt war, legte er einen ziemlich dreckigen Zeigefinger an den Rand seines noch dreckigeren Hutes und fragte mit jenem Untertone von Wohlwollen in seinem etwas mager [27] geratenen Organe, den der Mann von Fach sich im Verkehr mit einem Laien zu bedienen pflegt: „Sie sind ooch wohl ’n jroßa Natuafreind?“ Dabei nötigte er ein Lächeln in sein abgetragenes Gesicht, das den Eindruck erweckte, als habe er es vorher erst auf Eis gelegt.

Ich kann nun Leute, die mit zwei Fischkannen von je fünf Liter Inhalt der Natur auf den Leib rücken, nicht gerade besonders gut leiden, und so sagte ich: „Nee!“ Der Mann sah mich erstaunt an und meinte: „Ich dachte, weil daß ich Sie doch da was fangen sah.“ Ich zuckte die Achseln: „Das ist bloß eine alte Gewohnheit von mir.“ Er nickte beistimmend: „So, dann ha’m Se jetzt woll ’n anderes Jeschäft?“ Er jagte mit der Zunge seinen Priem in die linke Backentasche, spuckte mit einer geringschätzigen Miene die braune Sauce in das klare Wasser und sagte: „Hia ist ooch nich ville mehr los; frieha wa’s bessa hia. Jetzt muß ma’ schon mindestens for fuffzig Fenje vafah’n, wenn ma’ was von die Natua ha’m will. Aba ohne Natua kann ’ch nich leben. Wenn ick irgend Zeit habe, mach ich raus nach die Natua.“ Er besann sich eine Weile, sah mich mit seinen ausgewässerten Augen träumerisch an und fuhr fort: „Ja, die Natua! Da liegt noch wat drin!“ Er seufzte schwärmerisch.

Ich gab ihm eine Zigarre, so gerührt war ich. Endlich ein Mensch, eine gleichgestimmte Seele! Ich revozierte und deprezierte in meinem Herzen alles, was ich Übles von ihm gedacht hatte. Dieser einfache Mann hier neben mir mit seinem Rocke, der so aussah, als wäre er vor zehn Jahren alt gekauft, und den Hosen, die nur an den Stellen fleckig aussahen, wo sie noch keine Flecken hatten, und dem Hute, der sicher eine nahrhafte Bouillon abgegeben hätte, kochte man ihn, und dem Hemdkragen, der nicht mit schreiendem Weiß den organischen Zusammenhang von Kopf und Leib unkünstlerisch unterbrach, und diesen Stiefeln, deren Spitzen lebhaft [28] an die Nasenbildung des westafrikanischen Stumpfschnauzenkrododils erinnerten, dieser Mann, der hier still priemend neben mir stand, der hatte das, was ich bei so manchem Manne mit funkelnagelneuem Rocke, tadellosen Hosen, sauberem Hute und gut sitzenden Schuhen vermißt hatte, ein tiefes Gefühl für die Natur, ein feines Empfinden für den Zauber, der von ihr ausgeht. Den ganzen Tag über, das bewiesen seine schwieligen Finger, arbeitete er um kargen Lohn in der Fabrik, um für sich und seine Lieben den Lebensunterhalt zu verdienen; aber jede freie Stunde benutzte er, um draußen den Fabrikstaub von der nach Schönheit dürstenden Seele zu spülen. Freundlich lächelte ich ihn an, indem ich nach der Stelle wies, wo die Frösche murrten.

„Das ist die einzige Stelle weit und breit, wo es noch Moorfrösche gibt," äußerte ich. Er sah gleichgültig dorthin und schüttelte den Kopf: „Mit die Fresche hab’ ick nich ville im Sinn. Loobfresche, dat lohnt sich woll noch, aber for braune Fresche kriegt’n so gut wie nischt. Die sind bloßig als Futterfresche zu jebrauchen, und die fangen sich de Händla lieba selba.“ Er sah nach seinen Kannen: „We’ ’ma sich uff de Natua vasteht, ka’ ’ma schonst allahand heraushol’n; ma’ muß sich bloßig uff den Zimt vasteh’n, vasteh’n Se. Jetzt zum Beispiel is mit Posthornschnecken noch wat zu machen, solange dat Wassa kalt is, denn da trau’n sich de Jung’s noch nich rin. Jetzt kriegt ma’ noch’n Fennig det Stick. Sticke dreihundert bis vierhundert hab’ ick heite jefang’n; macht drei bis vier Mark. Dat lohnt sich doch, nich? Na, und denn so an de dreißig Mölche, und wat denn sonst noch is, Gelbränder, Deckelschnecken, Sprockmaden, im janzen hab’ ’ck meine finf Mark dabei ’rausjeholt. Und dat allens in anderthalbig Stunden.“ Seine Stirn bezog sich und seine Augen blickten düster: „Mit de Mölche widd dat von Ja’ zu Ja’ fauler! Die Jung’s fang’n zu ville. Und denn vakauf’n se se for ’n Ei und Appel. Frieha kriegte ick zehn Fennje for dat Stück; [29] heite muß ’n froh sind, wenn ’n finfe kriegt. Der reene Schkandal!“

Entrüstet spie er seinen Priem in den Teich, biß die Zigarre ab, ließ sich von mir Feuer geben und fuhr fort, indem er spöttisch lachte: „Ick weeß noch feine Stellen. Sonntag will ’ck nach eine hin, wo es Bergmölche jibt. Vorg’tes Jahr um diese Zeit hab’ ’ck da in eenen Sonntag zweehundert jefang’n, ungerechnet die Kammölche und die Punktmölche. Wenn’ ’ck bloßig wißte, wo ’t de Fadenmölche jibt; damit is noch’n Jeschäft zu machen. Wissen Se keene?“ Ich schüttelte den Kopf und wurde über diese stumme Lüge noch nicht einmal rot, und auch als der Mann mich fragte, ob ich keine gute Eidechsenstelle wüßte, verneinte ich auf dieselbe Weise. Betrübten Blickes redete er weiter: „Hia jab’s friha massenbach we’che. Ick hab’ öfters zwee bis drei Dutz an einen Dage jefang’n. Weiß da Deubel, daß ma’ jetzt keene mehr zu sehen kriegt. Ick weeß noch jute Stellen, aba ma’ vafährt ’ne heile Mark, will ma’ dahin, oda noch mehr. Na, und wo bleibt denn da Vadienst? Mit die Zalamanders ist dat ebenso. Es jibt da noch jenung von, aber dat is alles so weit. Da leg’ ’ck ma’ lieba uff Schnecken und sowat. Intressanta is ja dat mit die Eidechsens und die Zalamanders, aba wat koof’ ’ck ma’ for dat Intressanta? Dat Dämliche is bloßig, dat ma’ uff de Schule nich jenug Natuageschichte lernt. Ick sage Ihnen, wer ordentlich Natuageschichte jelernt hat, der kann es heite zu wat bringen. Kenn’n Se Friedhoffen, den Naturaljenhändler? Dat wa’ frieha ooch man ’n Tischlergeselle. Na und heite, da hat’ ’r ’n Haus und ’n feinet Jeschäft drin. Alles bloß aus da Natua ’rausjeholt. Ja, die Natua, da liegt wat drin!“

Er zog mit einer kleinen Harke, die er an seinen Netzstock schraubte, eine Unmenge von Wasserpflanzen aus dem Teiche, kniete dabei nieder, suchte das Beste dazwischen heraus, tat es in einen Sack aus wasserdichtem Stoffe und ließ [30] das übrige am Ufer liegen. Wehmütig schüttelte er den Kopf und seufzte, als er die Ausbeute betrachtete: „Mit die Flanzen widd dat ooch immer mieser! Frieha jab dat so scheenes Hornkraut hia, und Froschbiß ooch, und Wassaschlauch. Allens futsch! Aba ick weeß noch jute Stellen. Vor acht Dage hab’ ’ck mit meenen Jung’s an einen Morjen ieba dausend Stick Winterflanzen von Hornkraut da wejjeholt, allens prima Ware. Friedhoff wollte jern wissen, woher ’ck dat hatte, aber so dumm ooch jrade! Dat is ’n janz Schlauer. Wat jloob’n Se, jetzt hat a sich selba Teiche jepachtet und da züchtigt er allens megliche drin, sogar Flanzen! Ja, wenn ma’ erst ’n Kapital hat, denn kann ma’ mit de Natua schon wat anfang’n. For so’n bißken Wassapest, wie mein Finger lang, nimmt a zehn Fennje! Und von det Zeig hat a ’n janzen Teich voll. Frieha machte ick mit Wassapest ’n janz jutet Jeschäft, weil ick man allein wußte, wo se zu finden wa’, aber nu’ is dat damit Essig. Und dat schlimmste ist, Friedhoff hat zu ville Jung’s, die ihm allens zuschleppen. Dat mißte vabot’n wer’n, dat de Schuljung’s sich mit sowat abgeb’n, wo se doch ooch keene Bredchen mehr austrag’n derfen und Kegel ufstell’n. Sojar Jimnasjastens gehen for ihm los, und dat wollen denn feine Jung’s sind und schnapp’n andre Leite den Vadienst wej. Und wat kriegen se dafor?! ’n Dreck kriejen se!“

Er starrte mit bösen Augen in das Wasser. „Dat schlimmste is dat mit die eckszotischen Fische! Seitdem die uffjekommen sind, jehen Stichlinge so jut wie janich mehr. Und ebenso is dat mit die andern; Schlammbeißer sind janz faul, Steinbeißer, dat jeht noch halbwege, bloßig dat Fangen, dat lohnt sich nich. Dat widd nich eha wieda bessa, als bis daß auf die eckszotischen Fische ’n Zoll kommen duht. Aba natierlich, an sowat, da denken die Herrens im Reichstage nich! Allens for die reichen Leite, dat is imma so jewesen und so bleibt dat. Ieberhaupt, dat Tierefangen, dat mißt vaboten wer’n, wenigsten das umsonstene. Da mißte ne Erlaubniskarte [31] druff gesetzt wer’n, wie bei de Jäger, die ’ne Mark kostet oder meinswej’n ooch dreie. Denn werd’n die Jung’s dat schonst bleiben lass’n. Aha so, wie dat heute is, wo ein jeda so ville fangen kann, als a lustig is, wo soll das mit die Natua schließlich hin? Widd ja allens rein ausgereibert! Jeberall loofen die Bengels rum und holen wej, wat noch da is, wo so schon nischt mehr los is. Frieha hab’ ’ck ’n jutes Jeschäft mit Vogeleia jemacht. Na und heite? Wat die bessa’n Vegel sind, die brieten so weit wej, dat dat vill zu ville Fahrgeld kosten duht. Vor zwanzig Jahre war dat noch anders; da hab’ ’ck in einen Friejahr zehn Wiedehepfe ausjenommen, ob Se ’s jlooben oder nich. Suchen Se heite mal, wo ’n Wiedehepfnest stehen duht! Eisvegel, Wirga, damit is dat jenau so; een Jamma is dat, wie wenig dat davon noch jibt! Und ebenso is dat mit die bessern Flanzen. Vor zehn Jahr’n hab’ ’ck an einen Tage ’n janzen Sack voll Orchideens, lauter jute Sachen, holen kennen. Heite? Is nich!“

Er legte seinen dreckigen Zeigefinger an die noch dreckigere Krempe seines noch viel dreckigeren Hutes: „Ick muß nach Hause. V’lleicht uff ’n ander Mal. Aba dat sag’ ’ck Ihnen, dat muß andert wer’n! Na, et is ’n Sejen, dat jetzt von oben her in Naturschutz jemacht widd. So jeht dat ooch nich weita! Meinen Se nich?“

Ich nickte, und zufrieden schob er ab, der Naturfreund; und da ich fand, daß er vollkommen recht hat, so setzte ich mich hin und schrieb diesen Aufsatz.

Ich hoffe, in seinem Sinne gehandelt zu haben.