Ein Märchenerzähler
[824] Ein Märchenerzähler. Von den windigen Franzosen ist der halb scherz-, halb ernsthafte Einfall angebracht worden: „es giebt keine Kinder mehr“, und die wackeren Deutschen haben natürlich nichts Eiligeres zu thun gehabt, als diesen auf der Hohlheit und Unnatur der französischen oder vielmehr Pariser Erziehungszustände basirten Ausspruch auch in Deutschland gelten lassen und in Anwendung bringen zu wollen. Wie es scheint, mit Unrecht. Denn alljährlich noch flattert, wenn der Christbaum sich mit brennenden Kerzen zu schmücken beginnt, eine ganz stattliche Menge Märchen- und Bilderbücher hinaus in die Welt, und wo diese sind, da müssen ja doch auch noch Kinder sein, welche sich mit lachender Miene an den bunten Bildern vergnügen und an den anmuthigen Märchen erfreuen. Trifft es der Märchenerzähler ganz besonders gut, so lauschen über die Köpfe der Kleinen vorgebeugt auch die Erwachsenen im Kreise seinen abenteuerlichen, seltsamen Geschichten, und ein solcher Erzähler ist, wie ja allbekannt, H. C. Andersen, dessen reizende, phantastische „Sämmtliche Märchen“, in der deutschen Uebersetzung von Julius Reuscher und mit über hundert trefflichen Illustrationen ausgestattet, soeben bei E. J. Günther in Leipzig in neuer stattlicher Ausgabe erschienen sind.
Die Auflage ist die siebente und verdient schon darum auf’s Wärmste empfohlen zu werden, weil zur Illustrirung dieser humor- und gemüthvollen Erzählungen diesmal vom Verleger auch Oscar Pletsch herbeigezogen worden ist, der denn zu den schon vorhandenen Bildern Thumann’s, Hosemann’s, Pocci’s und Ludwig Richter’s noch eine Anzahl neuer Zeichnungen geliefert hat, die in ihrer Naivetät, kindlichen Auffassung und künstlerischen Durchführung sich den besten Leistungen des renommirten Künstlers an die Seite stellen. Eltern und Kinderfreunden sei darum Andersen’s Märchenbuch in dieser Ausgabe auf’s Wärmste empfohlen.