Ein Leipziger Künstler-Costümball

Textdaten
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Autor: Unbekannt
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Titel: Ein Leipziger Künstler-Costümball
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aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 156
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ein Leipziger Künstler-Costümball.
(Mit Abbildung.)


Künstlerfeste haben einen eigenen Reiz. Wenn die schaffenden Geister sich einmal mit jugendlicher Frische auf Lustbarkeiten werfen, wenn die Ideen, statt auf Leinewand und in Stein, in lebendigen bunten Bildern und Gestalten hervorsprudeln, dann läßt sich darauf rechnen, daß Prinz Carneval einen reichen Hoftag hält und Gott Humor mitten darin ist. Abgesehen davon, daß jeder Theilnehmer eines derartigen Festes eine nachhaltig schöne Erinnerung behält, so bleibt den Veranstaltern neben dieser Erinnerung die Freude das Gesammtbewußtsein und den Geist des Standes aufgefrischt zu haben, so daß auch der Geringere stolz ist, einem solchen Bunde anzugehören.

Zu einem derartigen Feste vereinigten am Abend des 30. Januar die weiten Räume des Schützenhauses die Leipziger Künstlergesellschaft, ihre Freunde und Gönner in den reichen und interessanten Costümen aller Zeiten und Nationen. Das Bestreben, vom herkömmlichen Maskenwesen abweichend, etwas Echtes und Charaktervolles darzustellen, war fast durchweg von schönstem Erfolge belohnt worden und hatte ein Gemisch von Formen und Farben geschaffen, das im Einzelnen wie im Ganzen einen erfreuenden und wohlthuenden Eindruck machte. So wogte die heitere Menge unter den rauschenden Klängen der Musik, sich freuend und erfreuend, hin und her, bis Trompeten-Fanfaren schmetternd zum Schauen des Festspieles riefen. Der Prolog im Narrengewande kündete das Schönbartspiel[1] „Reineke Fuchs“ an, eine allerliebste dramatische Bearbeitung des allbekannten deutschen Heldenliedes von Otto Roquette, die der beliebte Dichter zu Nutz und Frommen vieler anderer Künstlerseelen wohl der Oeffentlichkeit übergeben dürfte.

Der aufgerollte Vorhang zeigte das thronende Königspaar, umgeben von seinem Hofstaate. Braun, Isegrimm, Grimmbart, Giremund und die Aeffin, Bellin und andere höhere und niedere Personen bildeten mit ihren trefflich charakteristischen Thiermasken und phantastisch-mittelalterlichen Costümen eine originelle und malerische Gruppe. Grimmbart sucht mit wahrhaft hofmännischer Feinheit seinen Vetter Reineke gegen alle Anklagen zu vertheidigen und rührt besonders das Herz der Königin, während Isegrimm durch Erinnerung an Reineke’s Don-Juan-Abenteuer einen Scandal der Damen erregt. Da erscheint Junker Lampe, um Hinz’s Ankunft zu verkünden, der als Bote an Reineke geschickt war und alsbald jämmerlich miauend zu den Füßen des Königs stürzt und in herzbrechender Weise seine Gefangennehmung im Taubenhaus erzählt. Schon wird der König von neuem Zorn erregt, da erscheint Henning, ihm folgen vier weinende Hähnchen, auf der Tragbahre die Leiche der holden Kratzefuß tragend. In rührender Rede fleht der gebeugte Familienvater um Hülfe gegen den Mörder Reineke, der ihm sein Kind erwürgt. Nun ist des Herrschers Milde zu Ende, Lampe wird in Begleitung von Isegrimm gesendet, Reineke zu holen, und mit einem Trauerchoral schließt der erste Act. – Im zweiten öffnet sich Reineke’s Burg, sein zierliches Weibchen ist allein, und bald erscheint Grimmbart, um Reineke zu warnen. Er ist eben im Begriff seiner holden Frau Muhme ein Küßchen zu rauben, als Reineke mit seinen zwei Jungen von der Jagd nach Hause kommt. Mit keckem Uebermuth setzt er sich über Grimmbart’s Besorgnisse hinweg und unterrichtet seine Söhne theoretisch in der Lebenskunde in einer scharf satirischen Rede, die in der vernichtendsten Weise die scheinheiligen Frömmler geißelt. Dann verlockt er Grimmbart mit der Aussicht auf einen saftigen Hasenbraten, Lampe mit ihm zu beseitigen, und das arme Junkerchen, das alsbald seine Botschaft bringt, wird in freundschaftlicher Umarmung erwürgt. Mit einem lustigen Tänzchen schließt der zweite Act. – Im dritten, wo sich wieder das königliche Hoflager zeigt, erscheint Isegrimm mit einem Brief von Reineke, der zu aller Entsetzen Lampe’s Haupt enthält; Isegrimm wird von Grimmbart als Mörder beschuldigt, da erscheint keck und gewandten Benehmens mit tiefen Verbeugungen Reineke im reichen Hofcostüm. Mit erhabenem Schwung begrüßt er die Versammlung und bricht auf des Königs zornige Gegenrede in eine pathetische Wehklage auf Lampe’s Tod aus, doch soll es ihm nichts helfen, er wird zum Galgen verdammt, und Hinz knüpft ihm schon die Schlinge um den Hals; umsonst fleht die Königin um Gnade, da läßt er Andeutungen über ein tiefes Geheimniß fallen und auf Königs Befehl enthüllt er, daß er im Besitz des Nibelungenhortes sei, und beschreibt in glänzenden Farben dessen Herrlichkeit. Er verspricht ihn dem König zu schenken, dieser läßt ihn versöhnt von der Leiter steigen, erhebt ihn zu seinem Vertrauten, und Reineke triumphirt im gelungenen Erfolg seiner herrlichen List.

Die Künstler, denn aus ihnen bestand das gesammte Personal des Stücks, hatten trefflich gespielt, und die gute Wirkung auf die Stimmung der Gemüther krönte ihr und des Dichters Werk.

An das Spiel schloß sich ein Festzug an, der besser als bisher Gelegenheit bot, die herrlichen Costüme malerisch zu entfalten und zu bewundern. Vier schwedische Trompeter eröffneten den Zug, ihnen nach folgte die von Herolden getragene Vereinsfahne. Unter den Vertretern aller Zeiten erschien ein oströmischer Kaiser mit seinen schlanken Töchtern; der hörnene Siegfried schreitet einher, markig und siegesfreudig; auch der alte Barbarossa hat seinen unterirdischen Palast verlassen und alsbald eine Genossin in der holden Katharina Cornaro, Königin von Cypern, gefunden. Das Ritterthum stellte seinen Vertreter in dem Edlen Don Quixote von la Mancha, dem auch der treue, auf Schritt und Tritt folgende Knappe Sancho Pansa nicht fehlte. Das Jahrhundert des Wiedererstehens classischer Werke brachte aus Deutschland, Italien, Spanien und England schöne Gestalten; deutsche Patrizier und einfache Bürgersfamilien, Künstler und Gelehrte wechselten mit spanischen Granden und italienischen Edeln, bis die Zeit des dreißigjährigen Kriegs neue Erscheinungen bot. Schweden und Wallensteiner gingen friedlich miteinander; wohlhäbige Niederländer, ernstblickende Puritaner hatten als Nachfolger die Kinder der Zeiten Ludwig’s XIV., welche denn auch in reicher Zahl mit Allongen-Perrücken und weiter mit Zopf und Haarbeutel, Reifrock und Thürmen von Haaren und Puder eine Verbindung mit den Gestalten unserer Tage herstellten. Unter Letzteren erregten zwei Beduinen allgemeine Bewunderung, nicht minder die reizenden Spanierinnen, blonde und schwarzbraun Mädchen aus Schwaben, Thüringen und andern Theilen unsers lieben Vaterlandes. Daß Polen und Griechenland, die Türkei und Mexico nicht fehlten, muß dieser in großen Schritten dahingehenden Schilderung, die leider nur einen oberflächlichen Begriff von der Reichhaltigkeit und Mannigfaltigkeit der Costüme geben kann, beigefügt werden.

In der heitersten Stimmung begann die Tafel, in deren Verlauf eine Reihe prächtiger Toaste bald tönend, bald in keckem Humor sprudelnd die gemüthliche Heiterkeit von Schritt zu Schritt hob und steigerte, bis sie in dem darauf folgenden Balle sich bethätigen konnte und dies in frohem munterem Tanze bis zum frühen Morgen durchführte.

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Reineke Fuchs, Schönbartspiel v. O. Roquette.


  1. Schönbartspiel: eigentlich gut Nürnbergisch Schembartspiel, von scema, f. v. a. Maske, Larve.