Ein Kriegsrat im Jahre 1809

Textdaten
<<< >>>
Autor: Peter Rosegger
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein Kriegsrat im Jahre 1809
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 200–201, 202–203
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[200]
Datei:Die Gartenlaube (1898) b 0200.jpg

Ein Kriegsrat im Jahre 1809.
Nach dem Gemälde von F. v. Defregger.

[202]

Ein Kriegsrat im Jahre 1809.

Ein Erinnern und Plaudern von Peter Rosegger.
(Mit dem Bilde S. 200 und 201.)


Was ist im Menschen natürlicher und mächtiger, die Liebe zur Nation oder die Liebe zur Heimat? – Diese Frage giebt zu denken. Die Nomadenvölker einer früheren Kultur lehren das erstere, die neueren Kulturvölker das letztere. Wenn der heutige Mensch die Heimatsscholle verlassen könnte, um sich seiner Nation örtlich anzuschließen, so wären unsere nationalen Fragen durch geographische Verschiebung der Völkerschaften lösbar.

Eines der gewaltigsten Beispiele von der Liebe zur heimatlichen Scholle und zur Freiheit in den alten Sitten des Landes haben ja die Tiroler geliefert in ihrem großen Befreiungskämpfe gegen die Bayern und Franzosen. Nicht so sehr die politische Seite, als vielmehr die Opferlust für die alte freie Heimat hat diesen merkwürdigen Kampf so menschlich groß gemacht. Von den drei Zündfunken: Gott, Kaiser und Vaterland war sicher letzterer der mächtigste. Selbst der Fremde, der heute nach Tirol kommt, begreift es, wie man für dieses wunderbar herrliche Land sein Leben lassen kann, und wäre es auch nur durch einen touristischen Sturz vom Felsen. Und erst, wenn es das Vater- und Mutterland ist! Das Land des alten Gottesglaubens, der süßen Jugenderinnerungen, der herben Arbeit, der redlichen Besitztümer und der teuren Gräber! –

In entlegener Almhütte haben sie sich versammelt, Anderl, der Sandwirt, der rotbärtige Kapuziner, der Seppel vom Rinn, Peter der Mahrwirt und andere. Bauern, Hirten, Pferdehändler, aber auch Beamte und Lehrer waren herbeigeeilt, um Rats zu pflegen. Die Bayernherrschaft im Lande, behaupteten sie, sei nicht mehr auszuhalten. Gar in Haus und Kirche mische sie sich drein und wolle alten Landesbrauch abbringen und fremde Sachen einführen überall. Man könne nicht einmal mehr beten, schon darum nicht, weil die gefalteten Hände sich immer zur Faust krampften. Aber den „Boarn-Klacheln“ würde man noch den Herrn zeigen; sie hätten nichts zu suchen in Tirol. – Ein Netz von Vertrauensmännern war schon seit langem gespannt gewesen durch das Land, vom Inn bis zur Etsch, von der Trisana bis zur Drau. Die Post- und Landwirtshäuser waren zu diplomatischen Kammern geworden; auf grünen Almen hatten sie unter dem Vorwande des „Scheibenschießens“ ihre Kampfübungen abgehalten, in den Heuscheunen die Waffen verborgen, in den Felshöhlen ihr Pulver versteckt. So gerüstet, konnten sie schon herausfordernd auftreten gegen die „fremden Zodeln“, die als Beamte mit starker Soldatenbesatzung sich niedergelassen hatten, um das von Bonaparte ihnen hingeworfene Alpenland zu regieren. Diese Herren zogen also die Ketten strammer, ließen jeden Versammlungsort, selbst die Gotteshäuser, mit Bütteln bewachen und drohten mit schärferer Besetzung des ganzen Landes durch bayrische und französische Truppen.

„Sollen nur kommen!“ sagte Peter, der Mahrwirt, jetzt in der Almhütte.

Der Sandwirt setzte bei: „Im Namen des heiligen Herzens Mariä, wenn’s Ernst wird, rucken wir aus.“

War ein alter Kohlenbrenner da, der wackelte mit dem Kopf – es sei eine bedenkliche Sach’! „Was werden wir armen Bergleute ausrichten gegen die wilden Boarn, gegen den grauslichen Bonaparte! Unser Herrgott weiß es –“

„Daß du ein feiges Luder bist!“ unterbrach ihn ein klobiger Hirte. „Geh du zu deinem Kohlenhaufen, ist gescheiter. Wo Männer zusammenkommen, hast du nix zu thun.“

„Ah na,“ antwortete der Alte, „fortschaffen laß ich mich nit. Ein Tiroler bin ich wohl doch!“

Jetzt kam ein Bauer aus dem unteren Innthal an – rasch, hastig trat er ein. Er wußte Neuigkeiten. – Bei Kufstein und durch den Paß Strub seien bayrische und französische Truppen eingebrochen, thäten sengen und brennen, daß es ein Graus ist! Kein Haus und kein Mensch sei vor ihnen sicher. Die Tabernakel [203] thäten sie ausrauben in den Kirchen, bei Kitzbühel an der Straße stehe ein Muttergottesbildnis, harauf hätten sie geschossen wie auf eine Scheibe!

„Was sagst? Was sagst?“ harrschte der alte Kohlenbrenner, „auf die Muttergottes?“ – Ein langes Messer riß er aus der Scheide. Blaß war er bis über die Lippen. Fortrasen wollte er – „Boarn derstechen!“

„O du närrischer Wastel!“ rief ihm der Sandwirt zu. „Wenn wir’s so machen wollten, na, da möchten wir freilich nichts ausrichten.“

„Weil’s halt gegen unsere lieb Frauen geht, hat er doch Kurasch, der Kohlenbrenner,“ sagte der Kapuziner und hieb dem Alten wohlgefällig die Hand aufs Knie.

Sprach der Ander!: „Kurasch allein ist halt zu wenig, da heißt’s auch gescheit sein.“

„Das denk’ ich wohl auch,“ sagte der Seppel vom Rinn. „Wir müssen die Höllteufel erst weiter herkommen lassen. In die Bergschluchten herein! Aus den Schachen hinabpfeifen mit den Kugeln! Von den Bergen Steine niederlassen! In den Klausen die Wasserwehren aufbrechen! Da werden wir schon was ausrichten. Unser Tirolerland selber hilft Krieg führen.“

„Und unsere liebe Frau wird uns auch nit verlassen,“ sagte der Rotbart.

„Verhoff’s!“ versetzte Peter, der Mahrwirt. „Aber – will ich sagen – wir dürfen uns auch nit auf sie verlassen. Heißt das, wir müssen selber machen was wir können. Und jeder so viel, als wenn er ganz allein wär.“

Sie hielten die Hände hin, faßten sie, drückten sie derb: „Das wird sich nit fahlen!“

„Ich für mein Teil weiß schon was,“ fährt der Peter fort.

„Pulver in den Jaufenhöhlen, so viel als der Will,“ sagt der Sandwirt.

„Ich brauch keins,“ antwortet der Mahrwirt, „ich schieß’ die Berge los.“

„Wie ist das gemeint, Peter?“

„Das werdet ihr schon sehen.“

So redeten sie und besprachen alles. Ob sie fertig wären, im „Puschterthal“ und im oberen Innthal? „Die Puschterthaler, das sind stade Locherln, die kommen nit vorwärts!“ rügte der Sandwirt.

„Im Zillerthal sind sie bereit.“

„Im Stubaithal auch.“

„Die Etschthaler warten schon hart auf den Tanz!“

Der Sandwirt weist auf einer alten Landkarte die Marschlinien, die Uebergänge, die Versammlungspunkte und bestimmt Stellen, die zum Angriff sich eignen. Jeder wußte irgend einen Vorschlag. „Das thät’s, das kunnt ma probieren!“ sagte der Sandwirt zum einen; „das ist zu dumm!“ zum andern.

„Männer!“ rief plötzlich ein knochiger Holzknecht, „redet’s nit so lang und geht’s glei mit. ’s Pulver dersparen wir fürs Gamselschießen. Den Boarn schlagen wir die Schädel mit dem Kolben ein!“

„Bedank’ mich für den guten Rat!“ spottete ein bärtiger Grobschmied.

„Zum Lachen ischt’s!“ schrie der Sandwirt auf. „Was glaubst denn, Schmied? Handgemenge nur, wenn die gleichen Waffen sein. Die Boarn und Franzosen, die sein dir ein bissel anders gestellt, mein Lieber, als wir! Vor Augen kommen dürfen wir ihnen nit! Von hinterwärts! Immer von hinterwärts, merkt’s euch das! Als ihnen einmal in den Schuß laufen – lieber zehnmal flüchten. Aber nit flüchten zum Nachgeben, nur zum Rasten und dann wieder voran! Mit dem Waffenzeug wären wir so weit bei einander. Fuhrwerk, wenn wir noch mehr hätten! Wer zurück muß, nit in sein Haus, nur ins Hochgebirg’! Da heroben in den Hütten sind Rüben und Erdäpfel. Wer sein Vieh auf die Almen bringen kann, der soll’s gleich thun. Und Weib und Kind wohl auch. Haus und Hof leer stehen lassen, sich nichts draus machen, wer’s nimmer sieht.“

„’s ischt wohl eine harte Zeit!“ seufzt ein Waldbauer und schneuzt sich heftig in sein blaues Sacktuch.

„Zum Dunner!“ sagt ein anderer, „Wenn’s mich trifft, ich rait’s fürs Sterben ab.“

„Dumme Rederei!“ verwies ihn der Sandwirt. „Scharfschützen, wer sagt denn was vom Sterben! Rösser, wenn du noch auftreiben kannst, und Bergkarren. Und beim Pulver, gebt’s mir mit dem Feuer achting, ich sag’ euch’s!“

„Und meine hölzerne Kanon’ wär’ nit zu brauchen?“ fragt der Wagnermeister von Pfunds, der aus Ahornholz eine Kanone verfertigt und mit wuchtigen Eisenreifen beschlagen hatte.

„Alles ischt zu brauchen,“ antwortet der Sandwirt. – „Weiß noch einer was? Nit. Also die Karten habt’s ang’schaut. Ausgeredet ischt’s. So wollen wir jetzt halt noch einen dazu einladen.“

Sie verstanden ihn. Ihre schweren Hüte zogen sie vom Kopf und beteten laut ein Vaterunser. –

Wenige Tage später ist ganz Tirol in hellem Aufruhr gewesen.

Ein beispielloser Kampf, heldenhaft und schlau – betend und jauchzend haben sie die Feinde erschlagen und vertrieben. Und auf dem Berge Isel haben die Tiroler am fünfzehnten August 1809 einen Napoleons-Geburtstag gefeiert, wie der korsische Welteroberer bis zur Zeit wohl keinen erlebt hatte. Dann saß zu Innsbruck in der Kaiserburg einer, der unterschrieb die neuen Verordnungen und Landesgesetze mit schwerfälliger Hand: „Andres Hofer, Komandant von Dirol“.

Wenige Monate später aber, mitten im Winter, da sitzt derselbe Andres Hofer als Flüchtling in einer öden Berghütte der Passaieralpen. Ein hoher Preis ist auf seinen Kopf gesetzt. – Die Bayern und Franzosen überfluten Tirol, sie marschieren plündernd und brandschatzend über den Brenner gegen das paradiesische Thal von Brixen hinab, wo Peter, der Mahrwirt, sein Heimwesen hat.

Dem Peter, der auch als Flüchtling im Gebirge umherstreift, fällt nun jene Sache ein, die er sich einst ausgedacht, aber bisher noch nicht zur Ausführung gebracht. Es hatte ihm zu sehr davor geschaudert. Nun aber, da der Feind das Herz Tirols, und auch das seine getroffen, versammelt er eine Anzahl entschlossener Männer. – Durch die wilden Engschluchten des Eisak, wo heute die Brennerbahn geht, einst aber auf enger Straße Kaufherren, Fürsten und Kardinäle gezogen, wo auch Wolfgang Goethe gewandert gegen sein geliebtes Italien durch jene schattendunklen Schluchten fluteten die feindlichen Scharen. Und dort war es, wo Peter, der Mahrwirt, mit seinen Mannen hoch am steilen Berghang die unerhörte That vollführte. Am Hange, der nach unten durch Buschwerk verdeckt war, zog er mittels aneinander gebundener Baumstämme Wagerecht eine lange Brücke hin und belastete sie mit Erdreich, Geröll und Gestein bis hoch hinan. Und als die Feinde unten heranmarschierten, arglos mit klingendem Spiele, da ließ er auf ein gegebenes Zeichen die Bänder abhauen; die ungeheuere Lawine fuhr zur Tiefe und begrub fünfzehnhundert Soldaten. Der Eisak, so erzählt die bauende Sage, staute sich gegen Sterzing hinauf, und als er den Schuttwall durchbrach, wälzten sich die Leichen hinaus ins Brixnerthal.

Diese Gewaltthat des Mahrwirtes war aber geschehen nach dem Wiener Friedensschluß, der die Bayern zu endgültigen Herren von Tirol gemacht hatte. Peter wurde gefangen und zu Bozen als Rebell gerichtet. Sein Richter, der französische General Baraguay, wollte dem Manne wohl, der seine Heimat so übermenschlich verteidigt hatte, er ließ ihm nahe legen, daß Peter durch eine Angabe, als habe er zur Zeit der That vom Friedensschluß keine Kenntnis gehabt, sein Leben retten könne. Peter antwortete: „Ich habe aber vom Friedensschluß gewußt und mit einer Lüge kaufe ich mein Leben nicht.“ – Dann ist er erschossen worden. Zur selben Zeit, als zu Mantua auch Andreas Hofer sein Leben lassen mußte – aus Treue zum Heimatland.

Diese Geschichten sind groß wie antike Heldensänge. Nimmer kann man an sie denken, ohne daß einem warm wird hinter dem Brustfleck. In meinem Buche „Peter Mayr, der Wirt an der Mahr“, habe ich die herrlichen Männer poetisch zu fassen gesucht; sie sind in ihren geschichtlichen Zeit- und Raumverhältnissen dem Dichter gegenüber kaum weniger spröde, als sie es dem Feinde gewesen. Der Bildner bannt sie leichter in den Raum. Im Anschauen von Meister Defreggers Gemälde „Ein Kriegsrat im Jahre 1809“ ist mir wieder das Herz aufgegangen und also dieses Plaudern geschehen über längst Bekanntes und doch immer neu Erhebendes – über die Helden von Tirol.