Ein Kampf gegen den Schmutz
Ein Kampf gegen den Schmutz.
Weit billiger als mit Schmutz und Unordnung wird ein Haushalt geführt mit Reinlichkeit und Ordnung, deshalb sollten diese zwei lieblichen und untrennbaren Schwestern überall, namentlich in die Wohnungen der Armen einziehen; Gesundheit, Wohlstand und Familienglück werden ihnen bald folgen.“ Das sind in der That wahre und goldene Worte, die man nicht oft genug wiederholen kann, und deren Erfüllung jeder aufrichtige Menschenfreund erstreben sollte, denn wie groß auch die Fortschritte der Neuzeit sein mögen, wie hoch die Cultur in unserem Jahrhundert gestiegen ist: trotz der Canalisation und der Gasbeleuchtung der Städte, trotz ihrer Versorgung mit Wasserleitungen und ihrer Verschönerung durch Parkanlagen und Promenaden, trotz all des äußeren Glanzes, der unser Auge besticht, giebt es in jeder Stadt, groß oder klein, enge dunkle Gäßchen mit baufälligen Häusern, in denen der Schmutz des Elends wie eine Giftpflanze wuchert. Die in denselben enthaltenen finsteren Wohnungen sind gewöhnlich nur dem Polizeidiener oder barmherzigen Armenpfleger bekannt, der Mensch aus den besseren Ständen weiß sie in der Regel sorgfältig zu meiden. Nur wenn ein begabter Schriftsteller einmal die Feder ergreift und schauerliche Schilderungen der Proletarierviertel vor dem leselustigen Publicum entrollt, werden sie zu einem sensationellen Gegenstande der Unterhaltung; nur wenn eine pestartige Krankheit von solchen Straßen aus gegen die „Stadt“ ihre tödlichen Pfeile entsendet, ertönt der laute Angstruf, man solle diese Pesthöhlen aus der Welt schaffen! Dann soll der Staat kein Geld sparen, die Häuser aufkaufen, die Einwohner in die gesunden Vorstädte bringen, um die Gesellschaft vor den ihr drohenden Gefahren zu retten.
Sonst aber, in gewöhnlichen Zeitläuften, wenn keine Anhäufung verbrecherischer Thaten, keine Epidemie die Gemüther in Unruhe versetzen, denken die Wenigsten daran, jene Stätten des Elends aufzusuchen und in ihnen Werke der Menschenliebe zu verrichten; sonst hören die Meisten geduldig den Worten zu, die wir in unserer Einleitung wiedergegeben, und antworten, mit den Achseln zuckend: „Fromme Wünsche! Es ist ein leeres Verlangen, die Armuth aus der Welt zu schaffen!“ So urtheilt die große Masse. Ihr gegenüber steht ein kleines Häuflein aufopferungsvoller Männer, die es als ihre Pflicht erachten, das Loos der Armen zu mildern, und die Dank ihrer Ausdauer mit geringen Mitteln Segensreiches geschaffen haben.
Einige von ihnen haben nun vor Kurzem auch dem Schmutz und der Unreinlichkeit, die mit dem socialen Elend unzertrennbar verbunden zu sein schienen, den Krieg erklärt, und wir sind in der freudigen Lage, unsern Lesern über die ersten Siege in diesem Feldzuge gegen einen großen gemeingefährlichen Feind zu berichten.
Vor einiger Zeit erhielten wir durch die Post ein kleines gedrucktes Heft, und an der Handschrift der Widmung erkannten wir unsern alten Freund aus Darmstadt, der uns schon früher Anregungen zu den Artikeln über die Pfennigsparcassen und über die Volksküche in der Familie gegeben, Artikeln, die, wie wir aus [808] zahlreichen Zuschriften erfuhren, an vielen Orten des Vaterlandes großen Nutzen gestiftet haben.[1] Ebenso wichtig, ebenso überraschend ist die letzte Nachricht unseres Darmstädter Freundes, die wir unserem Leserkreise mittheilen möchten.
Der Verein gegen Verarmung und Bettelei in Darmstadt geht nach eigener Beobachtung von der Ueberzeugung aus, daß Armuth und Unreinlichkeit nicht nothwendig zusammengehören. Man muß nur das Uebel an der Wurzel fassen und die Armen selbst zur Ordnung und zur Reinlichkeit erziehen. Freilich ist eine solche Erziehung ungemein schwierig, denn der Schmutz erweist sich als die unterste Stufe des socialen Elends, und wer in ihn versunken ist, der hat auch zum größten Theil den frohen Lebensmuth und die Energie des Willens verloren. Es giebt eben Wohnungen, die vom Schmutz so durchsetzt sind, daß selbst Geschenke von neuen Kleidern und Betten den Sinn für die Reinlichkeit bei den Bewohnern nicht zu wecken vermögen. Die halbfaulen Fensterrahmen, die morschen Dielen und abgebröckelten Wände lassen sich nicht rein und blank halten, und wenn auch ein Versuch zum Bessern unternommen wird, so wird er durch die unsaubere Umgebung im Keime erstickt.
In der That sind in diesem Kampfe die Gesunkenen viel zu schwach, um durch Selbsthilfe allein den Feind bezwingen zu können. Sie sind auf fremden Beistand angewiesen, und dieser sollte ihnen dadurch gewährt werden, daß man energisch mit der Neuherstellung so verwahrloster Wohnungen vorgeht.
Der erste Versuch nach dieser Richtung hin ist in Darmstadt in glänzendster Weise gelungen. Zwei Freunde, Mitglieder des Vereins, kauften ein altes Haus, das für diesen Zweck geeignet erschien, und beschlossen, in demselben Ordnung zu schaffen. Und in welchem Zustand befand sich die alte Baracke!
„Das Haus ist in der Langegasse, inmitten der Altstadt, also passend gelegen,“ sagt der Bericht, „enthält 7 Wohnungen, und sein in jeder Hinsicht mangelhafter Zustand gab ein gutes Bild des Durchschnittswerthes solcher Häuser und Wohnungen für den vorliegenden Zweck, auch in der Hinsicht, daß während des Umbaues überall Schäden zu Tag kamen, welche vorher nicht sichtbar waren. Da waren, in Folge schadhafter Bedachung, zerbrochener Wasserrinnen und Mangel an Luftzug, Balken halb oder ganz verfault, Mauern geborsten, fast alle Fensterrahmen, Fußböden und anderes Holzwerk verwittert; das mußte Alles erneuert, verbessert, Luft, Licht und Bequemlichkeit geschaffen und zuletzt Tünche und Anstrich neu hergestellt werden, wenn das Werk gut, schön und dauerhaft sein sollte, erhöhte aber natürlich die Kosten ansehnlich.
Während unseres Umbaues machten wir nun eine ganze Reihe werthvoller Erfahrungen. Den sämmtlichen Bewohnern war verkündigt worden, daß der Umbau stattfinden und für sie viele Belästigungen mit sich bringen werde, und daß man an sie das Verlangen stellen müsse, nicht nur sich in Alles zu fügen, sondern auch überall hülfreiche Hand zu leisten, wo es die Umstände erfordern würden. Dagegen wurde ihnen ein Nachlaß der Miethe während der Bauzeit (etwa 2 Monate) in Aussicht gestellt. In diese Bedingungen fügten sich Alle, und ihre eifrigen und freudigen Dienste trugen nicht wenig zur Förderung des Werkes bei.“
Das Haus steht jetzt fertig da; sein Aeußeres ziert die enge Gasse; im Innern aber ist da, wo man vorher über dunkle, gebrechliche, von dicker Luft erfüllte Treppen ging, jetzt möglichst Luft und Licht geschaffen, und durch helle Gänge tritt man in freundliche Wohnräume, in welchen man die Freude über die Veränderung auf den glücklichen Gesichtern der Bewohner lesen kann.
Um aber in dem renovirten Hause die Reinlichkeit dauernd zu erhalten, wurde eine besondere Hausordnung entworfen, deren strenge Handhabung der eingesetzte Verwalter – in diesem Falle ein Mitglied des Vereins – zu überwachen hat.
In dieser Hausordnung befindet sich auch eine segensreiche Einrichtung, die überall nachgeahmt zu werden verdient.
Man hielt es für nützlich, ja für nothwendig, daß von Familien, welche von kleinen täglichen oder wöchentlichen Einnahmen leben, die Miethe wöchentlich gezahlt werde, um die Leute nicht in Schulden gerathen zu lassen. An jedem Sonnabend Abend wird diese Miethe in dem Hause erhoben und in einem Büchlein quittirt, welches von dem Verein geliefert wird. Diese Erhebung findet in Darmstadt durch zwei Damen, die dem Verein angehören, statt, die bei ihren wöchentlichen Besuchen werthvolle Gelegenheit finden, heilsamen Einfluß auf die Familien der Armen auszuüben.
An der vollen und rechtzeitigen Zahlung der Miethe kann von den Erheberinnen nichts nachgelassen werden; in besonderen Nothfällen muß der Miether rechtzeitig die Hülfe des Vereins anrufen, sonst wird ihm die Wohnung sofort gekündigt.
So gewöhnen sich die Leute allmählich nicht nur an Ordnung, sondern auch an Pünktlichkeit in Erfüllung ihrer Verpflichtungen.
Aber – wird wohl mancher von den Lesern den Einwand erheben wollen – das ist Alles sehr schön, die beiden Menschenfreunde haben den Armen neu hergestellte Wohnungen geschenkt, das können nicht alle Hausbesitzer thun, nicht Jeder kann Geld ausgeben, ohne für diese Ausgabe einen Gewinn zu beanspruchen. Darauf können wir erwidern: die beiden ungenannten Menschenfreunde haben den Armen geholfen, aber sie haben ihnen nicht einen Pfennig geschenkt; sie hatten ihr Geld früher in Staatspapieren angelegt, jetzt steckt es in dem Hause, und es trägt ebenso gute Zinsen wie früher, nur haben die beiden Männer, von denen der eine das nöthige Geld vorgeschossen und der andere mit Sachkenntniß die Arbeit geleitet, mehr reine Freude an ihrem edlen Werke, als an dem Abschneiden der Coupons.
Wahrlich, das ist eine neue Art der Anlage des Capitals, die ihrem Erfinder zum Ruhme gereicht, sie stellt den Besitz in den Dienst der Besitzlosen, ohne irgend Jemand zu schädigen, sie hilft den schroffen Gegensatz zwischen Arm und Reich mildern; sie fördert im stillen Wirken die guten Sitten und die Wohlfahrt des Volkes kräftiger als tausend Zukunftsprogramme über die sociale Frage. Wir rufen laut hinaus in’s deutsche Land an Alle, die ein Herz haben für ihre armen Brüder und Schwestern:
- ↑ Vergl. „Gartenlaube“ Jahrg. 1880, S. 764 und Jahrgang 1883, „Zwanglose Blätter“, Beilage zur „Gartenlaube“ Nr. 13.