Ein Kammerwagen der Kornkammer

Textdaten
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Autor: H. v. C.
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Titel: Ein Kammerwagen der Kornkammer
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 291, 293, 294
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[291]

Ein Braut- und Kammerwagen im Schwälmergrunde.
Originalzeichnung von H. Sondermann in Düsseldorf.

[293] Ein Kammerwagen der Kornkammer. (Mit Abbildung auf S. 291.) Wer die höchste Höhe des zwischen Rhön und Taunus gelagerten Vogelsbergs in Oberhessen, den fast drittehalbtausend Fuß hohen Taufstein erstiegen hat, steht wie im Mittelpunkte eines Bergsterns, von welchem die Thäler nach allen Himmelsrichtungen hin als Strahlen auslaufen. Von den Thälern, die nach Norden laufen, schmückt eines ein lustiger Bach, der bald zu dem Flüßchen Schwalm anwächst; dasselbe verleiht einer Landschaft, die als „die hessische Kornkammer“ gerühmt wird, den Namen des Schwälmergrundes. Es ist eine wunderliche Welt! Wo die Schwalm herkommt, auf dem Vogelsberge, herrscht oft die bitterste Noth und ist Jahr aus Jahr ein Herr Schmalhans Küchenmeister, während dem Wasser in seinem Laufe bis zur Eder das Glück blüht, daß viel frohe, gesättigte, wohlhäbige Gesichter sich in ihm spiegeln. Die Landwirthschaft geht hier nicht mit Ziegen auf die Weide, sondern behandelt ihren goldenen Boden in großem Stile. Ueberall, wo dies der Fall ist, führt das wohlbegründete Selbstbewußtsein die Bauern auch zu festerem Halten an alten Sitten, Gebräuchen und liebgewordenen Gewohnheiten. Die Schwälmer zeichnen gerade darin sich vor ihren Nachbarn aus. Das wird Jeder finden, der im Lande reist, besonders aber Derjenige, welcher die Ankunft eines Braut- und Kammerwagens zu sehen bekommt.

Es war in einem der freundlichen Dörfer des Schwalmer Grundes, wie unser treffliches Bild bezeugt, wo ich vor einem stattlichen, mit Reben bewachsenen Hause verschiedene Gruppen harrender Leute erblickte. Natürlich blieb ich dort ebenfalls stehen und fragte, was hier los sei. Da sofort ein Dutzend Weiberzungen zugleich die erbetene Auskunft gaben, so dauerte es einige Zeit, bis ich mich durch den Wortschwall und die Schwälmer Mundart zu einigem Verständniß der Angelegenheit hindurchgearbeitet hatte. Man zeigte mir unter dem Vordach der Hausthür ein altes Ehepaar, beide im Feststaat, denn der Alte hatte den langen Sonntagsrock und sie die standesgemäßen zwölf Röcke übereinander an, auf dem Haupte die eigenthümliche Haubenmütze, die den Cereviskäppchen unserer Studenten nicht sehr unähnlich ist, aber an breiten Bändern gehalten auf dem Kopfe fest sitzt. Die beregten Weiberröcke sind sehr kurz, aber dafür trägt man deren mehrere, je nach den Vermögensumständen, so daß eine rechte Bauernfrau, wie eben gemeldet, bis zur Ehrenlast von zwölf Röcken hinaufsteigen kann. Diese beiden Alten hatten ihren Hof (das ist die hierländische Bezeichnung für das gesammte Bauerngut) an ihren ältesten Sohn abgetreten, um sich in den Ruhestand zu setzen, und heute wurde der Einzug der jungen Frau desselben gefeiert. Das ist ein hoher Familienfesttag, den man überall recht theilnehmend mitbegehen kann. Es ist so viel von den alten, zum Theil recht schönen und sinnreichen Sitten und Gebräuchen der Volkshochzeiten verloren gegangen, daß man sich freut, hie und da noch einem wohlbewahrten Stücke derselben zu begegnen.

Da kommen sie. Der Kinderjubel verkündet sie schon aus der Ferne. Zwei Wagen fahren daher, ein leichter Rollwagen, der das junge Ehepaar, und ein schwerer Leiterwagen, der die Ausstattung trägt. Am ersten, dem „Brautwagen“, kann man sich nicht satt sehen, so reich ist er mit Blumen und Laubgewinden geschmückt, eine Sitte, die Braut heimzuführen, die man sich nicht schöner denken kann. Sobald der Wagen hielt, kam der alte Vater die hohe steinerne Haustreppe herab und reichte seiner Schwiegertochter zum Willkommen ein Glas echten alten Kornbranntweins dar. Sie nahm es, trank es herzhaft aus und warf es, dem Gebrauche getreu, so an den Wagen, daß es zerbrach. Hierauf führte der Vater die neue Tochter der alten Mutter zu, die oben unterm Vordache vor der Hausthür geblieben war. Von dort sahen diese Drei allein den weiteren Vorgängen zu, denn nun war der Ausstattungswagen vorgefahren, welcher hier, aber auch in süddeutschen Gegenden, der Kammerwagen heißt. Diese Bezeichnung erklärt sich dadurch, daß ursprünglich auf diesem Wagen hauptsächlich Alles förmlich Parade zu machen hatte, was zur Ausstattung der ehelichen Schlafkammer gehört, und dies bestand ganz besonders in einem vollständigen Bette sammt Bettstelle und in einer grellbemalten und möglichst großen Lade (Kasten, Truhe) oder einem Schrank voll Wäsche. Diese Gegenstände galten und gelten vielfach noch heute auf dem Lande als Werthmesser der Mitgift und des elterlichen Haushalts der Braut und zogen vornehmlich die richtenden Augen der weiblichen Nachbarschaft auf sich. Auf der großen, buntfarbigen, die ganze Länge des Wagens einnehmenden Truhe thronten Wiege und Spinnrad (in Kartoffelklößländern fehlt neben beiden nie als Drittes im Bunde die Kartoffelpresse), und die Fußleiste der Lade entlang an der Vorderseite des Wagens glänzte das blanke Küchengeschirr. An den oberen Leiterstangen zu beiden Seiten des Wagens hing aber die Hauptsache: eine Reihe an sich gewöhnlicher, aus Weiden geflochtener Handkörbe, die jedoch reich vergoldet und bunt bemalt waren. Die Zahl derselben war allen Anwesenden von der größten Wichtigkeit, denn soviel Körbe, soviel mal tausend Gulden bringt die Braut als Aussteuer vom Vaterhause mit.

Man hatte den Zuschauern offenbar die nöthige Zeit gelassen, um Alles genau zu mustern im und am Wagen, von den aufgestapelten Tragkisten unter der Truhe bis hinauf zu den „geschappelten Jungfern“ bei den Betten und von den bändergeschmückten vier Pferden bis zu ihren beiden gleichfalls stattlich ausstaffirten Lenkern. Jetzt begann aber das Abpacken und zwar mit einem wichtigen Festacte, welcher die gespannteste Aufmerksamkeit aller Augen erregte. Der Bräutigam oder junge Ehemann hatte den Rock ausgezogen und trat an den Wagen, wo sich im gleichen Augenblicke die beiden „Geschappelten“ erhoben. So heißen diese Jungfrauen von ihrem Kopfputze, einem hohen Käppchen, von welchem wohl hundert bunte und goldgestickte Bänder vorn bis auf die Stirn und [294] hinten bis auf den Rücken und Schultern herabhängen; eine solche Haube soll oft an zweihundert Gulden kosten. Beide faßten jetzt einen ansehnlichen Pack in ein Betttuch eingeschlagenes Bettzeug, schwangen es ein paar Mal hin und her und warfen es im Schwunge herab. Das ist der große Augenblick für den jungen Mann. Er muß das nicht leichte und schwer handhabliche Pack kunstgerecht auffangen, ohne Schwanken und Wanken, wie es einem richtigen Schwälmer gebührt. Ich war ein wenig besorgt um unsern Helden, denn er erschien mir nicht als besonders kräftig, aber er verstand seine Sache, fest fing er das Pack mit den Armen und hob es auf den Kopf, und begleitet vom allgemeinen Jubel trug er’s im Triumph die Treppe hinauf, als erstes Kammerstück in’s Haus. –

Es soll vorkommen, daß dieses Kunststück mißlingt, daß das Pack auf die Erde fällt oder den Auffänger umwirft; dann wehe dem Sünder! Er hat’s mit seinem jungen Weibe für lange Zeit verscherzt.

Nachdem Stück um Stück vom Wagen gehoben und in’s Haus gewandert war, kam zu guter letzt „der Flachs für die Armen“, welcher unter die Menge geworfen und auf diesem Wege schwerlich auf das Gerechteste vertheilt wurde. Mit diesem Knalleffect schloß das heitere Schauspiel. Die junge Frau war damit von der Bewohnerschaft an- und aufgenommen, und noch nach Jahren, wenn die silberne Hochzeit an den heutigen Tag erinnert, giebt es Leute genug, welche genau zu erzählen wissen, wie viel Körbe und Kisten dazumal die Anne-Marie dem Hans Klos auf dem Kammerwagen mitgebracht hat.

H. v. C.