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Titel: Ein Künstlerkleeblatt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 261, 266–267
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[261]

Adalbert Matkowsky als Don Carlos.     Alexander Barthel als Karl Moor.     Josef Kainz als Romeo.
Ein Künstlerkleeblatt.

[266]

Ein Künstlerkleeblatt.

(Mit den Bildnissen auf S. 261.)


Wenn wir aus der Zahl der jüngeren Darsteller der deutschen Bühne, unter denen sich so viele anerkennenswerte Talente befinden, das auf der Vorderseite dieser Nummer abgebildete Künstlerkleeblatt herausheben, so geschieht es nicht nur deshalb, weil diese drei gegenwärtig zu den gefeiertsten Schauspielern zählen, sondern auch, weil sie thatsächlich für die Kunst der Gegenwart in ihrem Gebiet besonders hervorragende Vertreter sind. Es ist begreiflich, daß die Darsteller der feurigen Liebhaberrollen auf die empfänglichen Gemüter der Mädchen und Frauen den größten Eindruck machen; der Lebenskreis, in welchem sich ihre Gefühle und Gedanken bewegen, wird ja hauptsächlich von diesen Darstellern vertreten, und wenn jene für das hinreißende Dichterwort noch zugleich den Zauber einer anziehenden Persönlichkeit einsetzen, so müssen sie ja auf der ganzen Linie triumphieren. Daher kommt es, daß für unser Künstlerkleeblatt in der Frauenwelt ein besonders reges Interesse besteht, welches sogar bisweilen den gerechten Maßstab der Beurteilung etwas zu gunsten dieser „Jugendlichen“ verrückt hat. Wir kennen nicht die Geheimnisse der Schreibsekretäre, wir können nicht die Huldigungen in Vers und Prosa, nicht die Rosabriefchen und Schleifchen und Haarlöckchen kontrollieren, mit denen stille Bewunderung und leidenschaftliche Verzücktheit die Künstler heimgesucht hat; wir wissen nicht, in wie vielen Boudoirs die Bilder derselben zu andächtiger Verehrung aufgestellt sind, doch das wissen wir, daß nach den Aufführungen, in denen sie mitgewirkt haben, sich öfters das ganze weibliche Publikum in eine große Claque verwandelte und die Begeisterung desselben weit über das Maß hinausging, das an gewöhnlichen Theaterabenden üblich ist. Doch die Begeisterung für Kunst und Künstler, die wie jeder Enthusiasmus etwas Epidemisches hat, hängt mit den edelsten Strebungen und Richtungen unseres Gemütes zusammen und wenn sie auch einmal das rechte Maß überschreitet – wir möchten nicht wünschen, daß die Ansteckungsfähigkeit dafür je erlösche.

Der erste dieses Kleeblatts, Josef Kainz, hat, ganz abgesehen von seinen künstlerischen Leistungen, schon wiederholt von sich reden gemacht: einmal durch seine Beziehungen zu König Ludwig II. von Bayern, deren wir in unserem Blatte bereits gedacht haben (s. Jahrg. 1886, Nr. 27), dann durch seinen Konflikt mit dem Direktor des Berliner Theaters, Ludwig Barnay. Josef Kainz ist am 2. Januar 1858 zu Wieselburg in Ungarn geboren als einziger Sohn eines Staatseisenbahnbeamten; auf den Wunsch seines Vaters versuchte er sich als Schauspieler auf dem Wiener Sulkowskitheater und wurde dann Schüler der Wiener Hofburgschauspielerin Kupfer-Gomansky-Heigel. Ein Probegastspiel vor Dingelstedt und den Regisseuren des Burgtheaters hatte die Folge, daß er von August Förster für das Leipziger Stadttheater engagiert wurde, das dieser im Juli 1875 übernehmen sollte. Bei einem Gastspiel am Kasseler Hoftheater, welches Kainz in der Zwischenzeit unternommen, machte er trübe Erfahrungen; er wurde als völlig unreif entlassen. Und nicht besser erging es ihm in der Theaterstadt an der Pleiße; er debütierte mit wenig Erfolg und wurde, wie er selbst in seinen eigenen Aufzeichnungen sagt, eine Zielscheibe des Spottes für fast alle Theaterbesucher Leipzigs, wegen seiner affenartigen Gebärden als Liebhaber. Doch die Zeit der Niederlagen endete bald – und zu den ersten Siegen verhalfen ihm die „Meininger“. Er war im August 1876 am Hoftheater zu Meiningen als Ferdinand in „Kabale und Liebe“ aufgetreten, wurde auf drei Jahre engagiert, zog mit ihnen durch die deutschen Lande und errang 1879 seine ersten großen Erfolge in Berlin als Prinz von Homburg und als Kosinsky in Schillers „Räubern“. Am Wiener Stadttheater spielte er dann den Melchthal mit solchem Gelingen, daß ihn Laube sofort engagierte, doch noch ehe Kainz die Stellung angetreten, legte Laube die Direktion nieder. Durch Possart an das Münchener Hoftheater berufen, machte er unter der genialen Leitung desselben große Fortschritte in seiner Kunst und wurde von ihm der „Societät“ des „Deutschen Theaters“ in Berlin empfohlen. Bei der Eröffnungsvorstellung am 19. September 1883 spielte er den Ferdinand in „Kabale und Liebe“, bald darauf den Don Carlos, eine Glanzleistung des Darstellers, die außergewöhnliches Interesse erregte. 1886 verheiratete er sich mit der deutsch-amerikanischen Schriftstellerin Sara Hutzler, die ihm 1893 durch den Tod entrissen wurde. 1889 trat er in den Verband des „Berliner Theaters“, ein Schritt, der für ihn schlimme Verwicklungen und trostlose Verhältnisse zur Folge hatte. Denn bei einem Konflikt zwischen ihm und dem Direktor Barnay gab das Schiedsgericht des Kartellverbandes dem letztere recht und Kainz wurde von allen Bühnen, die dem Verband angehören, geächtet. Er mußte durch Gastspiele an kleinen Theatern und durch Vorlesungen, zu denen in Berlin die begeisterte Frauenwelt strömte, sich seinen Lebensunterhalt verdienen. Oskar Blumenthal, der nicht dem Verbaud des Bühnenvereins angehörte, öffnete ihm die Pforten des Lessingtheaters in Berlin und er spielte dort den Willy Janikow in „Sodoms Ende“. Dann reiste er nach Amerika zu einem Gastspiel, das ihn nach New York, Chicago und Milwaukee führte. Zurückgekehrt nach Berlin, wurde er von L’Arronge, der zu diesem Zweck aus dem Kartellverband ausgetreten war, wieder dem Deutschen Theater gewonnen, nachdem Kainz 20000 Mark an Barnay gezahlt hatte. Hier wagte er seinen ersten Versuch als Charakterdarsteller und spielte den Franz Moor mit gutem Erfolg. Auch in seinem Hamlet traten erfolgreich Eigenschaften seines Talents hervor, die im Charakterfach erst Gelegenheit zu voller Entfaltung haben. Unter der neuen Direktion des „Deutschen Theaters“, die im vorigen Jahre Otto Brahm übernahm, hat er sein Rollengebiet in dieser Richtung erweitert.

Josef Kainz hat keine Heldenfigur, das Heroische liegt ihm fern; aber schwärmerische Liebhaber, zartbesaitete Charaktere mit einem leidenschaftlichen Zug, von einer lebhaften Jugendlichkeit, in welcher bisweilen noch das Knabenhafte durchblickt, auch junge Helden, die von der bleichen Farbe der Reflexion angekränkelt oder die innerlich zerrüttet und schwankend sind, Rollen, welche dabei geistige Beherrschung und Durchdringung verlangen – das sind die Aufgaben, die er mit seiner Persönlichkeit deckt und in denen er Vorzügliches leistet. „Eine schlanke Gestalt, jede Bewegung geschmeidig und anmutig, ein blasses, nicht schönes, aber geistvolles, von nervöser Lebendigkeit durchzucktes Gesicht, in welchem ein Paar dunkler, jetzt schwärmerisch blickender, jetzt feurig aufleuchtender Augen eine wundervoll beredte Sprache führt, eine warme sonore Stimme, welche jeder seelischen Empfindung den überzeugendsten Ausdruck leiht,“ so hat ein deutschamerikanischer Kritiker die Erscheinung des Künstlers und die Mittel seiner Kunst treffend charakterisiert. Frei von allem Deklamatorischen, sucht er seinen Gestalten charakteristische Lebenswahrheit zu geben. Darin gelang ihm der glücklichste Wurf mit seinem Don Carlos, den er mit einer fast kindlichen Jugendlichkeit spielt, als einen unverdorbenen, aber auch unreifen Jüngling, der nervös überreizt in dem Banne der Leidenschaft liegt. Von dieser Auffassung ausgehend, stattet er seine Rolle mit einer großen Zahl von eigenartigen Zügen aus, von denen keiner aus dem Gesamtbilde herausfällt. Seine feurige Beredsamkeit an der Leiche Posas im letzten Akt hat etwas Hinreißendes. Auch sein Romeo hat eine scharf ausgeprägte Jugendlichkeit und wird ganz von seiner Leidenschaft wie von einer unwiderstehlichen dämonischen Macht beherrscht, er weiß seiner Darstellung einen so hinreißenden Zug zu geben, daß das Publikum diese Macht mitempfindet. Sein Prinz von Homburg, für dessen träumerisch nervöses Naturell Kainz wie geschaffen erscheint, der feurige, stürmische Ferdinand in „Kabale und Liebe“, der übermütige Prinz Heinz in „Heinrich IV.“, der Ernesto in Echegarays „Galeotto“, der von Akt zu Akt an Bedeutung wächst, der Marcus in „Arria und Messalina“ mit seiner Liebesglut und seinem innern Kampf, vor allem der König in Grillparzers „Jüdin von Toledo“ – jede dieser Rollen bedeutet für den Künstler einen als Bühnenereignis gewürdigten Triumph, den er auf der Bühne davongetragen.

Der zweite Künstler unseres Dreiblatts, Adalbert Matkowsky, preußischer Hofschauspieler, stammt von den baltischen Gestaden, er ist am 6. Dezember 1859 in Königsberg, der Stadt der „reinen Vernunft“, geboren und hat dort seine Gymnasialbildung erworben. Man erzählt sich, daß Alexander Strakosch, als sich Matkowsky ihm vorstellte und um ein Urteil über seine schauspielerische Befähigung bat, ihm jedes Talent absprach. Doch Matkowsky ließ sich durch dies ablehnende Urteil nicht entmutigen, er nahm in Berlin Unterricht und beteiligte sich an den Vorstellungen der Liebhabergesellschaft Urania. Ohne lange an kleinen Theatern Spießruten laufen zu müssen, fand er schon 1877 ein Engagement am Dresdner [267] Hoftheater, wo er sich schnell einen so günstigen Ruf erwarb, daß sich Pollini veranlaßt sah, ihn 1886 dem Ensemble des Hamburger Stadttheaters einzureihen; von dort kam er 1889 an das Königliche Schauspielhaus in Berlin, dessen Ueberlieferungen wesentlich dazu beitrugen, seinem Talent, das noch viel Ueberwucherndes und Ueberschäumendes hatte, die rechte Bahn zu weisen.

Matkowsky ist ein so eigenartiger Darsteller wie Kainz; er hat dieselbe hinreißende Leidenschaftlichkeit wie dieser, aber sie ruht doch auf einer andern Grundlage. Bei Kainz ist sie nervös, die Summe verschiedener zusammenwirkender Einflüsse, bei denen hohe geistige Reizbarkeit und Erregbarkeit wesentlich mitspielen; bei Matkowsky hat sie eine elementare Kraft und geht aus einem temperamentvollen Wesen hervor. Er hat nichts Grüblerisches, nichts geistig Zersetzendes, es ist bei ihm alles aus einem Guß; er setzt stets sein ganzes Wesen ein und erobert sich meist im Sturm die Sympathien des Publikums, besonders der schöneren Hälfte desselben. Wo ihm dies nicht gelingt, stößt er auch bisweilen auf entschiedene Ablehnung. So hat die Wiener Kritik neuerdings nicht viel von ihm wissen wollen. Zu seinem Rollenkreis gehören nicht blos Don Carlos und Ferdinand, sondern auch Fiesko und Egmont. Sein Don Carlos ist von ganz anderer Art als derjenige von Kainz; er ist auf einen andern Ton gestimmt. Aehnlich wie er spielte einst der große Charakterdarsteller Dawison die Rolle. Man wird zwar den Don Carlos Matkowskys, der das Liebhaberfach seit Jahren bekleidet, nicht mit jenem ungelenken Infanten Dawisons vergleichen wollen, der nur ein Versuch, ein Seitenpas seiner Künstlerschaft war; gleichwohl sind zwei Ähnlichkeiten unverkennbar: einmal das hinreißende Feuer der Darstellung und dann in den Gefühlsscenen ein etwas weinerlicher Ton, der an slavische Sentimentalität erinnert.

Zündend wirkt Matkowsky auf den Höhen des Affektes, wo sich sein Organ voll, groß, imposant entfaltet: so als Carlos beim Abgang in der Scene mit der Eboli und in den beiden großen Scenen mit dem Könige; in den ersten Auftritten mit Posa wie auch später bisweilen zeigte sich eine etwas süßliche Ueberschwenglichkeit. Das Organ Matkowskys ist ausgiebiger und mächtiger als dasjenige Dawisons, sein Fach ein anderes, aber gerade das elektrisierende Feuer des Vortrages ist beiden gemein. Das zeigte Matkowsky auch als Prinz von Homburg. In den späteren Scenen, in denen der Prinz sich wiedergefunden aus haltloser Schwärmerei und schwächlicher Verirrung – da schlägt er einen vollen innerlichen Ton an und wird den wunderbaren Versen der Kleistschen Muse durch einen Vortrag gerecht, bei dem ein schönes machtvolles Organ und innere Begeisterung harmonisch zusammenwirken. Daß Matkowsky in einer Rolle, in welcher er nur sein Temperament frei gewähren zu lassen braucht, als Ferdinand in „Kabale und Liebe“ glänzt, ist selbstverständlich; geradezu hinreißend wirkt er vor allem in der Vergiftungsscene des letzten Aktes, die er nicht nur mit einer alles Detail trefflich ausmalenden künstlerischen Sauberkeit, sondern auch mit einem wahrhaft dämonischen Zug spielt, wobei der Sarkasmus, die wilde Entschlossenheit, die maßlose Verzweiflung, nachdem er seinen Irrtum erkannt, in Spiel und Rede mit ergreifender Wahrheit zum Ausdruck gelangen. Sein Romeo atmet die ganze sinnliche Liebesglut des feurigen Südländers, die namentlich in der Balkonscene eine berauschende Schwüle und Ueppigkeit entfaltet. Bei dem eigenartigen Naturell Matkowskys ist es begreiflich, daß die Charaktere, die von der bleichen Farbe der Reflexion angekränkelt sind, ihm weniger zusagen, daß er wenigstens größere Schwierigkeiten darin findet, sie mit seinem eigensten Wesen zu verschmelzen. Dies gilt besonders von seinem Hamlet, trotz der Vorzüge, die auch dieser Leistung nachzurühmen sind.

Der dritte unserer jungen Liebhaber und Helden ist Alexander Barthel, dessen künstlerische Physiognomie weniger markante Züge trägt, aber dafür durch einen harmonischen Gesamteindruck anzieht und befriedigt. Barthel ist am 18. Mai 1864 als Sohn des Hofmalers Gustav Adolf Barthel zu Braunschweig geboren, besuchte das dortige Realgymnasium und machte seine ersten theatralischen Versuche auf dem Sommertheater in Celle, wo er den Falkentoni im „Goldbauer“ spielte. Dann wurde er am Braunschweiger Hoftheater engagiert, wo er unter Anton Hiltls Leitung in seiner Kunst bemerkenswerte Fortschritte machte. Eine kürzere künstlerische Station in Hamburg blieb ohne Einfluß auf seine Entwicklung; doch ein glücklicher Stern führte ihn dann zu den „Meiningern“, wo er sich als Romeo die ersten Lorbeern erwarb. Wenn ihm die ausgezeichnete Schule dieser künstlerischen Truppe, die er auf ihren letzten Kunstreisen begleitete, sehr zu statten kam, so trug er auf der anderen Seite nicht wenig dazu bei, daß ihre Vorstellungen glänzenden Beifall und Ruhm erwarben; denn mit seiner sympathischen Persönlichkeit war er ein Hauptträger des Ensembles. Er spielte überall in Deutschland und auch im Auslande eine große Zahl der jugendlichen Liebhaber- und Heldenrollen und die Begeisterung der Zuhörerschaft galt oft in erster Linie seinen Leistungen. Nach der Aufführung der „Jungfrau von Orleans“ durch die „Meininger“ in Berlin engagierte L’Arronge den Künstler für das Deutsche Theater im November 1890. Er hatte hier keinen leichten Stand, denn sein Vorgänger war Josef Kainz. Doch er behauptete sich mit Erfolg in seiner Stellung, die er zwei Jahre lang einnahm. Seit dem Jahre 1892 ist Barthel am Stadttheater in Frankfurt a. M. engagiert, wo er ebenfalls bereits die Sympathien des Publikums gewonnen hat.

Barthel besitzt nicht jenen schwärmerischen Zug, wie er einem Kainz und Matkowsky eigen ist, die wie mit einem magnetischen Bann das Publikum und besonders die Frauenherzen fesseln; aber er gewinnt seine Siege durch die edle und schöne Haltung, die er seinen Jugendgestalten giebt, wobei er keineswegs den lyrischen Zauber preisgiebt, der einem Max Piccolomini, Romeo und Leander eigen sein muß; sein klangvolles und warmes Organ vermag diesen Zauber festzuhalten. Doch wo diese Jünglingsgestalten einen heldenhaften Zug gewinnen, wie in Romeos Tybaltscene oder heim Abgang des Max am Schluß des dritten Aktes in „Wallensteins Tod“ – da ist er in seinem eigentlichen Element. Eine Prachtleistung ist sein Karl Moor – er deckt das Idealbild dieses Schillerschen Helden mit seiner Kraft, seinem Feuer und einem Zug von Größe, der die verbrecherischen Verirrungen adelt. Unübertrefflich ist er in der Schlußscene des vierten Aktes, die er mit hinreißendem Schwung und allem Aufwand seiner nie versagenden Mittel durchführt. Welchen ritterlichen Adel hat sein Lionel! Und welch ein fein und glänzend ausgeführter Charakterkopf ist sein Marc Anton! Wie ergreifend sein Schmerz an Cäsars Leiche, wie machtvoll in ihrer Steigerung seine Beredsamkeit auf dem Forum! Wie versteht er die merkwürdige Mischung in Kleists Hermann, dem Cherusker, zur Einheit zu gestalten. Daß Barthel zu charakterisieren versteht, zeigte er auch als König in dem grellbeleuchteten, aber spannenden Drama Fitgers „Die Rosen von Tyburn“; er wußte dem wankelmütigen Fürsten durch den Adel der Erscheinung noch eine gewisse Sympathie zu sichern.

Das „Deutsche Theater“ in Berlin hat bisweilen Dramen von Friedrich Hebbel und Friedrich Halm gegeben, die nicht zum eisernen Bestand des deutschen Bühnenrepertoires gehören, und so den Darstellern Gelegenheit geboten, neue Rollen aus sich selbst heraus zu schaffen. So war das Hebbelsche Drama „Gyges und sein Ring“ wohl nur auf dem Burgtheater aufgeführt worden, als L’Arronge es auf sein Repertoire setzte. Herr Barthel spielte den Gyges und zeigte sich in der Darstellung des jungen feurigen Griechen auch der Hebbelschen Dramatik und ihrer spröden Kraft gewachsen. Die großen Scenen mit Rhodope spielte er trefflich. Viel öfter ist Friedrich Halms „Wildfeuer“ über die Bühne gegangen. Doch sagte das Stück im ganzen dem Berliner Geschmack nicht zu. Den Erfolg am „Deutschen Theater“ verdankt es dem guten Spiel der Mitwirkenden, besonders auch Barthel, der als Marcel einen der Halmschen Pädagogen so darstellte, daß die Kritik diese Rolle für seine beste erklärte. Und wenn es die Pädagogik der Liebe gilt, da müssen wir noch einer anderen Rolle gedenken, in welcher sie ihr Lehramt in etwas derberer Weise ausübt – des Shakespeareschen Petrucchio in der „Widerspenstigen Zähmung“. Hier zeigt der Darsteller die ganze Quellfrische seines ursprünglichen Talents; dieser Petrucchio ist ein Prachtmensch, naiv, urwüchsig und von unverwüstlichem Humor bei allen seinen Gewaltthätigkeiten.

Barthel ist ein Darsteller, frei von aller Verschwommenheit und Zerflossenheit, mehr für diejenigen jugendlichen Charaktere geschaffen, die einen heldenhaften Zug, einen männlichen Charakter haben und dem in Bezug auf die Liebe ein leidenschaftlicher Jaromir immer besser liegt als ein schwärmerischer Max oder Carlos. Jedenfalls ist Barthel mehr für das Heldenfach berufen, während sich Kainz dem Charakterfach zuwendet und Matkowsky noch auf lange hinaus das Monopol für die Darstellung leidenschaftlicher Liebesglut behaupten wird. †