Ein Jägerstücklein vor Paris

Textdaten
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Autor: R. L....g
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Titel: Ein Jägerstücklein vor Paris
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[119] Ein Jägerstücklein vor Paris. Wir hatten, so schreibt uns ein preußischer Jäger vor Paris, seit einiger Zeit den Vorpostendienst, seitlich vom Wäldchen von Bondy, übernommen. Kümmerten wir uns wenig um die Granaten, welche sie uns so groß wie die kleinen Kinder von drüben herüberschickten, sobald sich auch nur ein einzelner Mann von uns sehen ließ (die Vorposten an den zumeist gefährlichen Stellen sind sämmtlich eingegraben), so ärgerte uns doch nicht wenig ein großes, eine Strecke vor unserer äußersten Vorpostenkette gelegenes steinernes Gartenhaus, in welchem sich größere und kleinere französische Patrouillen oft während der Nacht festsetzten, und von welchem aus dann am Morgen unsere Leute beschossen wurden, sobald sie sich nur die geringste Blöße gaben. Gingen wir dem Neste mit Hurrah zu Leibe, dann freilich kniffen die Rothhosen mit fabelhafter Geschwindigkeit aus, während zu gleicher Zeit von drüben die Granaten auf uns angerasselt kamen, daß es eine Art hatte.

Was war zu thun? Wünschten wir dem verdammten Gartenhause sammt und sonders den Untergang, so nahmen die drüben sich dafür nur umsomehr in Acht, je einmal eine Granate hinein zu werfen und dadurch den beliebten Schlupfwinkel ihrer Patrouillen selbst zu zerstören – des Nestes wegen aber Pionniere herkommen zu lassen und dasselbe in die Luft zu sprengen, das hätte schließlich doch mehr Umstände gemacht, als es in der That werth war.

Da kommen wir denn einmal bei einer nächtlichen Schleichpatrouille über unsere Vorpostenlinie hinaus und statten dabei auch dem Gartenhause einen Besuch ab, uns den Fall einmal gründlich in der Nähe zu besehen. Das Haus schien keinem Besitzer der „tieferen Mittelclasse“ zu gehören. Es war famos eingerichtet, oder besser, war famos eingerichtet gewesen; denn Alles, was ein französisches Soldatenherz entzücken mochte und zu gleicher Zeit leicht transportabel und nicht allzu niet- und nagelfest war, hatten die Herren Franzosen bei ihren nächtlichen Besuchen bereits mit großer Sorgfalt ausgewählt und mitgehen heißen. Immerhin aber erinnerte noch das elegante Meublement, wenngleich theilweise zerschlagen und zerfetzt, an geschwundene Pracht und Herrlichkeit; dazu gehörten auch ein Paar schön gearbeitete Marmortischchen eines großen Zimmers, wahrscheinlich des Speisesaals, welche zwei Gypsbüsten, Brustbilder in Lebensgröße, trugen – ich weiß nicht, wen vorstellend. Wir langten eine der Statuen herunter, und – ein famoser Gedanke blitzt einem unserer Leute in diesem Moment durch’s Hirn. Ohne ein Wort zu sagen, zieht er seine Feldmütze aus der Tasche und stülpt sie dem Gypsgesicht auf sein würdiges Haupt; dann zieht er den Waffenrock aus, die dunkle Unterjacke herunter, und drüber damit über Brust und Schultern des weißen Mannes. Wir hatten sofort die Ansicht unseres Cameraden errathen, und lachend standen wir im Kreise herum. Nun mußte der Popanz nur noch eine große Pfeife in die Physiognomie bekommen. Aber eine unserer Pfeifen dranzugeben, das war zu viel verlangt; so mußte denn ein hakenförmiges Holzstück, welches am Boden lag, aushelfen, und ohne Besinnen schlug ich dasselbe unserm Bleichgesicht, weil es den Mund nicht öffnen wollte, durch die geschlossenen Lippen. Noch wird ein Marmortisch, unter einem „verflossenen“ Spiegel stehend, herangeschoben, wird an eines der großen Fenster gegen Paris hingestellt, und der Popanz darauf, der nun, die Jägermütze keck auf dem Ohr und die Pfeife im Mundwinkel, unverwandt durch das offene Fenster gegen Paris hinausschaut. Das Werk ist vollbracht und wir überlassen unseren nächtlichen weißen Freund nunmehr seinem Schicksal.

Am andern Morgen, der Nebel hatte sich kaum zertheilt, hören wir’s auch schon durch die Lüfte herüberkommen – nicht wie Zephyrsäuseln, sondern wie donnerndes Granatensausen. Der erste „Zuckerhut“ fliegt einige fünfzig Schritte über das Gartenhaus hinweg, der zweite geht schon kürzer, und die dritte Granate – sie beobachten drüben durch vortreffliche Gläser – prasselt glücklich in den Giebel des Gartenhauses hinein. – „Hat gesessen!“ ruft mir mein Nachbarposten zu und reibt sich vergnügt die Hände. „Jetzt wird unserem Bleichgesicht wohl die Pfeife ausgehen!“

[120] Die Herren Franzosen aber mußten vermuthen, daß sich eine größere Abtheilung von uns in dem Gartenhause festgesetzt habe und daß irgend Etwas im Werke sei; sonst hätte ja der Observationsposten in der Jägermütze seine gefährliche Stellung gewiß nicht so hartnäckig behaupten können!

Binnen Kurzem waren denn auch noch einige Treffer in das Gartenhaus eingeschlagen und dieses selbst total in Trümmer verwandelt.

Unsere Berechnung war richtig gewesen; das Facit stimmte. Wir hatten den Parisern eine gehörige Nase gedreht; sie hatten sich, wie wir es wollten, ihren eigenen Schlupfwinkel zerstört und Monsieur Franzmann konnte unsere Posten hinfort nicht mehr vom Gartenhause aus beunruhigen.

R. L…g.