Ein Gericht bei den Helvetiern

Textdaten
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Autor: O. H. a. R.
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Titel: Ein Gericht bei den Helvetiern
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 241, 259
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[241]

Ein Gericht bei den Helvetiern.
Nach dem Gemälde von E. Ravel.

[259] Ein Gericht bei den Helvetiern. (Zu dem Bilde S. 241.) Daß „Helvetia“ der offizielle lateinische Name der Schweiz ist, weiß man allgemein aus ihren Münzen und Postmarken. Es wäre aber ein Irrtum. die Namen Helvetier und Schweizer für gleichbedeutend zu halten. Jeder, der ein Gymnasium besucht hat, erinnert sich aus den Denkwürdigkeiten des Julius Cäsar über den gallischen Krieg, daß die alten Helvetier ein keltisches oder gallisches Volk waren, das nach der Versicherung des schriftstellernden Feldherrn alle übrigen Gallier an Tapferkeit übertraf, mit den Germanen beständig Krieg führte und den kühnen Plan faßte, die Oberherrschaft über ganz Gallien zu gewinnen. Die Helvetier bewohnten nur einen, freilich den größten Teil der heutigen Schweiz, nämlich denjenigen zwischen den Alpen und dem Jura und zwischen dem Genfer- und Bodensee. Sie teilten sich in vier Gaue oder Stämme, die in republikanischer Verfassung ohne Oberhaupt lebten, aber unter großem Einfluß eines Adels standen, der auf den Volksversammlungen den Ausschlag gab. Die Helvetier waren sehr eifersüchtig auf ihre Freiheit; sie wohnten in 12 Städten und ungefähr 400 Dörfern; ihre Hauptstadt war Aventicum (jetzt Avenches, deutsch Wiflisburg im Kanton Waadt). Ungebildet waren sie nicht, da sie, wie Cäsar bezeugt, sich griechischer Schrift bedienten, die sie wohl auf dem Handelswege des Rhodan (Rhone) aus der hellenischen Kolonie Massilia (Marseille) erhalten hatten, und Münzen, sogar Goldmünzen prägten.

Auch ihre Kunstfertigkeit war nicht gering, wie zahlreiche Waffen und Schmuckgegenstände aus Gräbern und verlassenen Wohnstätten beweisen (wahrscheinlich waren schon die vielen Pfahlbauten der Schweizerseen von Helvetiern bewohnt). Wie alle Kelten hatten auch sie ihre Druiden, eine festgefügte Priesterkaste, deren Glieder auch die Heilkunde übten, Schulen hielten und den Gerichten vorsaßen. Von ihrer Rechtspflege wissen wir nichts Bestimmtes. Unser Künstler dürfte indessen ziemlich richtig geraten haben, indem er einen ehrwürdigen Druiden in langem weißen Bart, neben ihm rechts einen Krieger und links wohl einen Bauer unter freiem Himmel zu Gericht sitzen läßt, vor dem die Parteien ihre Sache verfechten. Es scheint, daß die Leute in großen Eifer gekommen sind und sich sogar anschicken, mit Speer, Schwert und Steinwürfen aufeinander loszugehen. Das stimmt auch mit dem Charakter der Helvetier. Sie waren mehr Krieger als friedliche Ansiedler. Die Helvetier sind erst von den Römern und dann von den im 5. Jahrhundert in ihr Land eindringenden Alemannen und Burgundern aufgesogen worden. Jetzt hat die Schweiz keine keltischen Elemente mehr, sondern ist zu zwei Dritteln deutsch und zu einem Drittel romanisch. O. H. a. R.