Ein Gast aus dem fernen Osten

Textdaten
<<< >>>
Autor: Gustav Mützel
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein Gast aus dem fernen Osten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 800–802
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[800]
Ein Gast aus dem fernen Osten.
Studie aus dem Berliner zoologischen Garten von G. Mützel.


„He! Holla!“ rief mir am Charfreitage 1878 mitten im Menschengewühl des Berliner zoologischen Gartens Director Bodinus zu, „versäumen Sie ja nicht den Tragopan!“

„Balzt er wieder?“

„Prächtig, prächtig!“ erschallte die Antwort, und der andere Morgen – es war am 20. April – fand mich um acht Uhr vor dem geräumigen Gehege der Vögel, auf welche die Aufmerksamkeit der Leser zu lenken der Zweck dieser Zeilen sowie des begleitenden Bildes ist.

Schon seit einer Reihe von Jahren war Temminck's Tragopan (Ceriornis Temminckii), der Hornfasan, wie Brehm ihn genannt in Europa eingeführt; in mehreren zoologischen Gärten waren Pärchen gepflegt und beobachtet worden, doch nirgends hatte man bisher eine Balz, das Werbespiel des liebedurstigen Hahnes gewürdigt. Selbst die Forscher, welche den Tragopan in seiner fernen Heimath auffanden und Mittheilungen über sein Freileben machen, schweigen vollständig über die im höchsten Grade merkwürdigen Veränderungen, welche sich bei dieser Gelegenheit in der äußeren Erscheinung des Vogels vollziehen.

Im Jahre 1876 beobachtete Dr. Bodinus zuerst den Balz-Act und machte mir Mittheilung davon, doch trotz eifrigen Bemühens konnte ich damals des mir als entzückend geschilderten

[801] 

Tragopane.
Nach der Natur gezeichnet von G. Mützel.

[802] Anblickes nicht theilhaftig werden. Ebenso ging mir's im nächsten Jahre, wo ich während vierzehn Tagen je mehrere Stunden auf der Warte stand. Meine im jahrelangen Beobachten lebender Thiere zum Zwecke bildlicher Darstellung derselben gründlich vorgeübte Geduld hatte eine harte Probe zu bestehen. Endlich belohnte jener Tag vor Ostern meine Ausdauer: von acht Uhr morgens bis sechs Uhr abends genoß ich zwölf Mal das bezaubernde Schauspiel – ich sah, staunte und malte.

Wie sehr übertraf die Wirklichkeit die begeisterten Schilderungen, die mir das Außergewöhnlichste in Aussicht gestellt hatten! Wie arm und schwach erwies sich die Phantasie gegenüber der Schöpferkraft der Natur! Dreimal mußte ich erst sehen, ehe mir der Verlauf der Sache klar wurde und ich Fassung gewann, zur bildlichen Darstellung zu schreiten.

Schon in seinem Alltagskleide ist unser Tragopan sowohl durch Färbung wie Gestalt von hervorragender Schönheit, und unbedingt gehört er mit seinen Vettern zu den prachtvollsten Gliedern der großen Familie der Hühnervögel. Von der schwarzen Stirn aus zieht sich ein gleichgefärbtes breites Band über die Augen, geht um den Hinterkopf und säumt die blaue warzige Haut des Gesichts und des Halses. Auf dem Scheitel leuchtet ein feurig-goldener, über den Nacken reichender Schopf, unter welchem sich zwei zurückliegende dünne fleischige hellblaue „Hörnchen“ verbergen. Das lebhafte Orange des Nackens geht auf dem Rücken in Blutroth, dieses aber auf dem Schwanze in Braun über; die ganze Unterseite prangt in hellleuchtendem Roth. Alle Federn tragen vor der Spitze perlgraue Tupfen, die auf dem Rücken schwärzlich umrandet sind, auf dem Bauche sich jedoch derart vergrößern, daß aus ihnen schöne Längsbänder entstehen. Die Füße sind korallroth; der Schnabel ist bleigrau. Diese ernsten und doch so reichen Farben verbinden sich mit der kräftigen, geschlossenen Gestalt voll anmuthiger Bewegungen zu einem edlen, wohlthuenden Ganzen.

Umsomehr mußte ich erstaunt sein, den Prachtvogel einen Hochzeitsschmuck entfalten zu sehen, auf dessen Vorhandensein nicht das Mindeste hindeutet und welcher seine stets zur Schau getragene Schönheit noch auf's Wunderbarste erhöht. Das ganze Gesicht des Tragopans ist nämlich mit einer blauen sammetartigen Haut bedeckt, welche an der Kehle einen krausen Beutel, hinter dem Auge eine herabhängende Falte und zur Seite des Halses eine oben mit Federn besetzte Querwulst bildet.

In der Balze werden nun durch vermehrten Zufluß von Blut sowohl die oben erwähnten Hörnchen zu circa acht Centimeter hohen Hörnern geschwellt und gestreckt, wie auch die Gesichts- und Kehlhaut sich zu einer hufeisenförmigen zwanzig Centimeter langen, siebenzehn Centimeter breiten Scheibe ausdehnt, deren Form und Fleckenzeichnung im höchsten Stadium der Entwickelung unser Bild zeigt. Die Färbung theilt diesen Schild in drei Felder, ein mittleres und zwei seitliche. Ersteres, aufgeblasen und daher gewölbt, ist von einem herrlichen saftigen Kornblumenblau, gemustert durch unzählige Spritz- und Tropfenflecke vom feinsten bezauberndsten Hellkobaltblau. Von derselben Farbe sind auch die Randfelder des Schildes; eine einfache großartige Fleckenzeichnung in glühendstem Blutroth verleiht jedoch dem Ganzen eine märchenhafte Pracht, die wohl kaum von irgend einer Erscheinung an einem anderen Thiere übertroffen werden dürfte. Die Farbenwirkung dieses Schildes, im Verein mit dem rothen graugeperlten Gefieder und dem saftigen Grün der Umgebung ist von berauschender Schönheit – doch um zur vollen Empfindung derselben zu gelangen, muß man Zeuge des ganzen Verlaufes des Liebesspieles sein, dessen festlichen Schmuck ich soeben schilderte.

Die guten Erfolge der Züchtung der Tragopane bei uns sind zweifellos in der Aehnlichkeit des Klimas ihrer Heimath mit dem unserigen begründet. Die Gebirge Asiens vom nordwestlichen Himalaya durch Nepal, Sickim bis China sind ihr Verbreitungsgebiet, dichte Wälder nicht weit unterhalb der Schneegrenze ihre Wohnplätze, die sich im Sommer noch über die Regionen der Birke und des Rhododendron hinaufziehen, im Winter jedoch bis in tief gelegene üppigere Waldungen verlegt werden. Gesellschaften von zwölf bis fünfzehn Stücken, durch Gewöhnung oder Verwandtschaft zusammengeführt, bewohnen gemeinschaftliche Gebiete von großer Ausdehnung und machen auf festbestimmten Straßen zusammen ihre Herbst- und Frühjahrsreisen, ohne sich gerade in eng geschlossenem Verbande zu bewegen, sodaß man in Bezug auf sie nur ganz allgemein von einem Volke oder einer Kette sprechen kann. –

Wie hier, so hört man auch in ihrer Heimath selten einen Laut von diesen Vögeln, da sie nur durch Verfolgung in Angst gesetzt ihre Stimme, ein meckerndes Gackern, welches nach und nach in ein zusammenhängendes Gekreisch übergeht, ertönen lassen, worauf der bisher durch Gestrüpp und Büsche schlüpfende Vogel sein Heil im Fluge sucht. Es ist das Geschrei meist ein Zeichen, daß der Vogel flieht; denn auch der auf einen Baum sich rettende läßt die Stimme erschallen, bis er sich in dem Gezweige versteckt hat. Die im Ganzen zutraulichen, in der Wildniß wenig scheuen Vögel fallen bald nach dem Auftreiben wieder ein – erst nach wiederholter Beunruhigung salviren sie sich in weitere Ferne, indem sie sich vorzugsweise in tiefergelegene Weideplätze flüchten. Ihr Flug ist durch ein ganz charakteristisches Schwirren ausgezeichnet, welches diese Wildhühner, auch wenn man ihrer nicht ansichtig ist, von allen anderen zu unterscheiden gestattet.

Daß die Tragopane dort, wo sie häufiger durch den Menschen Nachstellungen zu erfahren haben, sehr bedeutend an Vorsicht, Scheu und selbst Listigkeit zunehmen, ist wohl erklärlich und findet seine Analogieen in der ganzen thierischen Welt; die bloße Anwesenheit eines Menschen in ihrem Gesichtskreise veranlaßt solche gewitzigte Vögel schon, in den dichteste Kronen der Bäume den Schutz zu suchen, welcher sie vor den Anschlägen des gefährlichsten Feindes aller Thiere zu bewahren im Stande ist.

Sobald das Frühjahr herannaht, beginnen die Tragopane ihre Wanderung in die hoch gelegenen Sommerquartiere und lassen den Paarungsruf ertönen, der dem geschilderten Angstlaute sehr ähnlich klingt. Wie aber der Nestbau, das Brüten und die Aufzucht der Jungen vor sich gehen, das hat sich bisher noch den Blicken der reisenden Forscher entzogen, wie uns überhaupt eine eingehende Lebenskenntniß des wilden Vogels noch mangelt. Bei uns legt die Henne freiwillig selten mehr als sechs Eier; nur wenn man ihr die gelegten wieder nimmt, legt sie deren mehrere. Die Eier sind von schöner Form, haben starke Schalen und eine den Perlhühnereiern ähnliche Farbe: sandgelb, mit sehr feinen Fleckchen gezeichnet. Nach ungefähr sechsundzwanzig Tagen Brütens durchbrechen die Jungen die Schalen und werden von der Mutter, die sich schon dem Brutgeschäfte eifrig gewidmet hatte, sorgsam geführt.

Zum Theil vertauschen sie schon im ersten Lebensjahre das Jugendkleid mit dem der Erwachsenen; im zweiten Jahre sind sie völlig ausgefärbt und fortpflanzungsfähig, und von dieser Zeit ab bilden sie eine so hervorragende Zierde schattiger Parks, daß eine emsige Zucht des herrlichen Vogels höchst wünschens- und empfehlenswerth erscheint. „Leider,“ schreibt mir Dr. Bodinus, „kennt man in unserem Lande diesen schönen und prächtigen Vogel zu wenig, wiewohl seine Haltung und Fortpflanzung ebenso leicht durchzuführen sein dürfte, wie die des Perlhuhns. Er ist im höchsten Grade genügsam; eine zu gute Nahrung bringt ihm sogar den Untergang; viel Grünes, Beeren, Obst, gekochte Kartoffeln, etwas Sämereien, namentlich Buchweizen, Weizen, Mais erhalten ihn bei guter und dauernder Gesundheit; ja bei genügender Freiheit in einem Parke mit Rasen dürfte er kaum besondere Fütterung nöthig haben. Die Henne ist eine zärtliche Mutter; die Jungen sind bei einiger Sorge sehr leicht zu erziehen und bäumen bald auf. Ein frostfreier Raum genügt als Aufenthalt während des Winters, kurz, der wohlhabende Besitzer eines Parkes oder größeren Gartens würde, findet er sonst Freude an schönem Geflügel, den Erwerb eines so herrlichen Vogels nicht bereuen. Es würde nur nöthig sein, die Eier von einer Bauernhenne ausbrüten und die Jungen von ihr führen zu lassen, damit sie sich, auch nachdem sie selbstständig geworden, in ihrem Geburtsorte heimisch fühlen.“

Hoffen wir, daß diese Empfehlung von befugter Seite dazu wirke, daß in nicht allzu ferner Zeit der Tragopan wenigstens ebenso häufig in Parks und Geflügelhöfen getroffen werde, wie der Gold- und Silberfasan, der Pfau und die zarten Enten Chinas und Südamerikas!