Ein Denkmal für Friedrich Rückert

Textdaten
Autor: Dr. Tube
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Titel: Ein Denkmal für Friedrich Rückert.
Untertitel: Volksblatt. Eine Wochenzeitschrift mit Bildern. Jahrgang 1878, Nr. 27, S. 209-211, Nr. 28, S. 218-219
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Herausgeber: Dr. Christlieb Gotthold Hottinger
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Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Dr. Hottinger's Volksblatt
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Erscheinungsort: Straßburg
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Quelle: Scan auf Commons
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[209]



Friedrich Rückert,

geboren den 16. Mai 1788 zu Schweinfurt,

† den 31. Januar 1866 zu Neuses bei Coburg.

I.

Eine Anzahl der namhaftesten deutschen Schriftsteller der Gegenwart bereiten einen Aufruf an das deutsche Volk vor, in welchem dasselbe an die Ehrenpflicht erinnert wird, seinem ruhmgekrönten Sohne Friedrich Rückert ein Denkmal aus Erz zu errichten, wie solche anderen großen Männern an verschiedenen Orten unseres Vaterlandes aufgestellt worden sind. Als Standort des Denkmals schlagen sie des Dichters Geburtsort, Schweinfurt am Main, vor, da zwischen der geistigen Entwickelung eines Menschen und der Stätte seiner Geburt ein innerer Zusammenhang besteht, der die Heimathsorte bedeutender Männer mit gerechtem Stolze erfüllt, und gerade Rückert die Beziehung seiner Heimath zu seinem Dichtergeiste besonders tief fühlte. Er pries „Berg und Strom“ in der Umgebung seiner Vaterstadt in schönem Liede, und als ihm Schweinfurt das Ehrenbürgerrecht ertheilte, schrieb er in seinen Dankesworten:

Von allen Ehren mir am meisten werth
Ist die, womit die Vaterstadt mich ehrt.

Zur Ausführung des Denkmals hat sich in Schweinfurt ein Verein gebildet, dessen Zusammensetzung die beste Behandlung der Angelegenheit verspricht. Indeß ist dieselbe nicht möglich, ohne daß Alle, die je durch Rückerts Gesänge begeistert und erhoben, entzückt und gerührt worden sind, Geldbeiträge senden, die Herr Bürgermeister von Schultes in Schweinfurt entgegen nimmt. Möchte es uns vergönnt sein, durch die nachfolgenden Worte über Rückerts Leben und Dichten die Liebe zu diesem großen Manne auch unsererseits zu stärken.

Friedrich Rückert ist den 16. Mai 1788 geboren zu Schweinfurt am Main, in der bayerischen Provinz Unterfranken. Wie die Sage geht, sollte diese Stadt eigentlich Lammfurt heißen und ein Lamm im städtischen Wappen stehen. Aber unter der Hand des ausübenden Künstlers wurde aus dem edeln Lamm das gemeinere Thier, und die Stadt mußte sich mit dem weniger zarten Namen: „Schweinfurt“ begnügen. Wie dem auch sei, unser Dichter hat glückliche, anregende Jugendjahre in Schweinfurt und seiner lieblichen Umgebung verlebt, deren er gern und oft in seinen Gedichten gedenkt. Im 5ten Lebensjahre siedelte er mit seinen Eltern, Advokat [210] Johann Adam Rückert und Maria Barbara, einziger Tochter des Advokaten Schoppach, nach dem nahen Dorfe Oberlauringen über. Später aber kehrte er in seine Geburtsstadt zurück, um die lateinische Schule daselbst zu besuchen, bis er, 17 Jahre alt, die Universität Jena bezog, wo er nach dem Wunsche seiner Eltern Rechtsgelehrsamkeit studiren sollte. Dieses Studium war jedoch nicht nach seinem Sinne, und er verließ es bald gänzlich, um Sprachwissenschaften zu treiben. 1809 drängte ihn seine glühende Vaterlandsliebe, den Federkiel mit der Muskete zu vertauschen und in dem österreichischen Heere gegen den Eroberer Napoleon zu kämpfen. Allein dieser hatte durch den Sieg bei Wagram den Krieg beendigt, ehe der junge Vaterlandsfreund das Heer erreichte. So kehrte er niedergeschlagen nach Jena zurück und ließ sich auf kurze Zeit als Lehrer (Privatdocent) an der Universität nieder. Er führte sich in diese Stellung mit einer Schrift ein, die von den alten Professoren heftig angegriffen, von den Studenten mit Jubel aufgenommen wurde, so daß diese jenen unter bedenklichen Klängen die Fenster einschlugen. Ein Jahr später wurde Rückert als Gymnasiallehrer nach Hanau berufen, aber das Gottesgericht, welches Napoleon auf den Eisfeldern Rußlands getroffen hatte, begeisterte Rückert noch einmal zum Kriegsdienste. Nur die ernstesten Vorstellungen der besorgten Elternliebe konnten den durch angestrengte Studien sehr Geschwächten zurückhalten. Aber um so kräftiger griff er in die Saiten seines bewegten Herzens und diente seinem Vaterlande besser durch seine Gesänge, als er es durch Heldenthaten vermocht hätte. Seine deutschen Gedichte, welche er unter dem Namen Freimund Raimar herausgab, sind die größte dichterische Gabe der Freiheitskriege. Enthalten sie doch unter anderem Unvergänglichen die in der Form vollendeten, im Inhalt ergreifenden „Geharnischten Sonette“, von denen ein großer deutscher Gelehrter Folgendes sagt: „Die Geharnischten Sonette sind jedes eine werthvolle Perle, welche durch einen unsichtbaren Faden zu einem reichen Perlenkranz verbunden werden. Dieselben, in denen der Dichter seines Volkes Schande und Sieg in Gluthbuchstaben niedergeschrieben hat, geben uns eine dichterisch vollständige Darstellung der Freiheitskriege von dem ersten Auftauchen des Nationalbewußtseins bis zur Vertreibung Napoleons aus deutschem Lande. Sie zeigen uns den Zorn der besseren Männer über die Rath- und Thatlosigkeit des Volkes und seiner Führer, die der Dichter durch den schneidendsten Hohn aus ihrer Gleichgültigkeit aufrüttelt. Sie erzählen von dem Tugendbunde, den selbst vaterländische Regierungen für hochverrätherisch erklärten. Sie trauern und zürnen über die Verblendung der deutschen Stämme, welche noch mit in den Reihen der Feinde kämpften, als schon die Preußen die Fahne der Befreiung erhoben hatten. Sie berichten von der Hilfe, die den Deutschen aus Norden geworden. Sie rühmen die Begeisterung der Jünglinge, welche der Musen stille Stuben verließen, um das Schwert zu ergreifen. Sie besingen den Kriegertod des Heldendichters Körner und preisen die Aufopferung der deutschen Frauen, die all ihr Geschmeide auf den Altar des Vaterlandes niederlegten. Sie führen uns nach Leipzig, wo die Entscheidungsschlacht geschlagen werden soll, und brechen nach derselben in begeisterten Siegesjubel aus.“ Statt aller sei nur eines angeführt, welches den feierlichen Schwur zum Kampfe auf Leben und Tod besingt:

Wir schlingen uns′re Händ′ in einen Knoten;
Zum Himmel heben wir die Blick’ und schwören;
Ihr alle, die ihr lebet, sollt es hören,
Und wenn ihr wollt, so hört auch ihr′s, ihr Todten!

Wir schwören: Stehn zu wollen den Geboten
Des Lands, deß Mark wir tragen in den Röhren,
Und diese Schwerter, die wir hier empören,
Nicht eh′r zu senken, als vom Feind zerschroten.

Wir schwören, daß kein Vater nach dem Sohne
Soll fragen, und nach seinem Weib kein Gatte,
Kein Krieger fragen soll nach seinem Lohne,

Noch heimgehn, eh′ der Krieg, der nimmer satte,
Ihn selbst entläßt mit einer blut′gen Krone,
Daß man ihn heile oder ihn bestatte.

Durch die Herausgabe dieser Gedichtsammlung erhielt Rückert auf Verwendung des Ministers von Wangenheim die Redaction des in Stuttgart erscheinenden „Morgenblattes“. Aber seine Lieder aus jener Zeit klangen immer zorniger über den Wiener Congreß und die enttäuschten Hoffnungen der deutschen Vaterlandsfreunde, bis er selbst Deutschland verließ und nach Italien ging, wo er einen ganzen Winter in Rom zubrachte, um im erfrischenden Verkehre mit Künstlern und Gelehrten besonders das italienische Volkslied zu studiren und nach dem Muster desselben Liebe und Natur zu besingen in einer Reihe von reizenden Gedichten. Nach Deutschland zurückgekehrt, ließ er sich 1820 in Coburg nieder und versenkte sich ganz in das Studium der morgenländischen Sprachen, die ihm zugleich eine neue Fundgrube dichterischer Gedanken und Formen wurden; wir erinnern nur an die, von Göthe namentlich den Musikern empfohlenen „Oestlichen Rosen“, die, ungemein lieblich und mannigfach, hauptsächlich von Wein und Liebe handeln.

Aber unter allen wissenschaftlichen und dichterischen Arbeiten findet er in Coburg die Lebensgefährtin, Luise Fischer, und sein Herz strömt über in dem „Liebesfrühling“, dieser wunderbar duftigen Liedersammlung, in welcher der schon gereifte Mann die ganze Gluth, aber auch die ganze Zartheit einer deutschen Jünglingsliebe nach allen ihren äußeren und inneren Verhältnissen aussingt, aussingt wie es Niemand vor ihm vermocht hat. Es wäre eine vergebliche Mühe, an dieser Stelle eine eingehende Würdigung des „Liebesfrühlings“ zu versuchen oder auch nur eine Auswahl der schönsten, farbenreichsten Blumen aus den „fünf Blumensträußen“, wie der Dichter die Sammlung eingetheilt hat, darzubieten. Nur zwei möchte ich herausgreifen, von denen das erste zeigt, auf welchem festen Grunde des Dichters Liebe ruhte, das zweite aber, mit welcher Schöpfungskraft er auch die innersten Regungen und seligsten Empfindungen der Geliebten dichterisch darstellte: [211]

 1.
Liebste! Wer vom Anfang ist Vertrauter
Unsers Bunds gewesen? Gott allein.
Und als ew′ger Bundeszeuge schaut er
Noch von dort in unser Herz hinein.

Liebste! Niemand kann so rein, so lauter
Der Vermittler uns′rer Liebe sein.
Liebste! Nie ein anderer Vertrauter
Stehe zwischen uns, als Gott allein.

 2.
Liebster, Deine Worte stehlen
Aus dem Busen mir das Herz.
O wie kann ich Dir verhehlen
Meine Wonne, meinen Schmerz!

Liebster, Deine Töne ziehen
Aus mir selber mich empor
Laß uns von der Erde fliehen
Zu der sel′gen Geister Chor.

Liebster, Deine Saiten tragen
Durch den Himmel mich im Tanz.
Laß um Dich den Arm mich schlagen,
Daß ich nicht versink′ im Glanz!

Liebster, Deine Lieder ranken
Mir wie Strahlenkranz um′s Haupt.
O wie kann ich dir es danken,
Wie Du mich so reich umlaubt!

[218]

II.

So viele ewig schöne Lieder des „Liebesfrühlings" wir auch unangeführt lassen müssen, an zwei aus anderen Sammlungen, die damals bereits erschienen waren, wollen wir wenigstens noch erinnern, ich meine „Aus der Jugendzeit“, das gelesen oder gesungen manche stille, heiße Thräne in die Augen lockt, und das Abendlied „Ich stand auf Berges Halde“, das Einem immer wieder einfällt, wenn man an schönen Abenden die Sonne in goldiger Gluth hinter den dunklen Höhen versinken sieht.

Und stimmt es nicht wehmüthig, wenn wir hören, daß dieser liederreiche Dichter auf der Höhe seines Lebens singen muß:

O ihr Herren, o ihr werthen
Großen, reichen Herren all′!
Braucht in euren schönen Gärten
Ihr denn keine Nachtigall?

Hier ist eine, die ein stilles
Plätzchen sucht die Welt entlang:
Räumt mir eines ein, ich will es
Euch bezahlen mit Gesang.

Und wie ernst diese Anfrage gemeint ist, erklärt ein anderes Gedicht, in dem es heißt:

Nicht reichte mehr der Blumen Flor
Zum Futter meiner Jungen.

Da war es ein rechtes Glück, daß Friedrich Rückert 1826 einen Ruf als ordentlicher Professor der morgenländischen Sprachen nach Erlangen erhielt. Allerdings mußte unter den gebieterischen Anforderungen dieses Universitätsamtes die Harfe eine Weile verstummen, aber nur um alsbald desto lauter zu erklingen. Welche Fülle von Liedersammlungen hat der Dichter während der 15 Jahre seiner Erlanger Professur ausgehen lassen, neben allen wissenschaftlichen Abhandlungen! Chinesen, Inder, Perser, alle Völker Asiens müssen ihre geistigen Schätze dem Gelehrten und Sänger zur Verfügung stellen, damit er sie, mit deutschem, christlichem Geiste durchhaucht und verklärt, seinem Volke darbieten könne.

1841 berief der hochherzige, geistvolle König Friedrich Wilhelm IV., der die großen Geister der Zeit in Wissenschaft und Kunst um sich sammelte, unseren Dichter als ordentlichen Professor der morgenländischen Sprachen mit dem Titel eines Geheimen Rathes nach Berlin. Aber kaum daselbst angekommen, sehnt er sich

Aus der staubigen Residenz
In den laubigen frischen Lenz,
Aus dem tosenden Gassenschrei
In den kosenden, stillen Mai,

Aus dem rauschenden Opernsaal
Zu dem lauschenden Frühlingsthal,
aus dem glänzenden Waffenspuk
Zu dem kränzenden Blumenschmuck,

Aus dem häßlichen Stutzerfrack′
Zu der läßlichen Gärtnerjack′,
Aus der stickenden Menschenluft
Zum erquickenden Waldesduft,

Von der stockenden, stolzen Spree
Zu dem lockenden Quell im Klee,
Aus der unendlichen Stadt Berlin
Zu dem ländlichen Neuses hin.

Den Landsitz in dem eine Viertelstunde von Coburg entfernten Dorfe Neuses hatte er vor Jahren von seinen Schwiegereltern übernommen. Und es waren schon in seinen letzten Erlanger Jahren seine glücklichsten Augenblicke, wenn er in dem Frieden von Neuses frei von allen Berufssorgen Ferien halten konnte. Diesen Ferienfrieden von Neuses ersehnte der süddeutsche Dichter in Berlin um so mehr, als seine eifrigen Bestrebungen, seinem königlichen Herrn bei der dringend nothwendigen Veredelung des Theaters zu helfen, von dem Publikum nicht getheilt wurden. Zwei Tage vor der unseligen Märzrevolution 1848 verließ Rückert Berlin, um nicht wieder dorthin zurückzukehren, zumal da er im folgenden Jahre unter sehr günstigen Bedingungen in den Ruhestand versetzt wurde. Er lebte von nun an in Neuses zurückgezogen seiner Familie, aus welcher der älteste Sohn, der kürzlich in Breslau gestorbene Professor der Geschichte Heinrich Rückert, besonders namhaft geworden ist, seinen Freunden, mit welchen er in unverbrüchlicher Treue und opferfreudiger Liebe tief und warm verbunden war, und seinen Studien, von welchen gewiß noch lange nicht alle Errungenschaften aus seinem großen Nachlasse verwerthet und bekannt geworden sind. Nach einem sonnigen Lebensabende fing er 1865 an, in Folge einer Operation, zu kränkeln, so daß die Kräfte des theueren Greises sichtbar schwanden. Am 31. Januar 1866 entschlief er sanft, ohne noch die neue Sonne eines einigen deutschen Vaterlandes zu schauen, unter dessen Propheten er steht. Aber er hat ein besseres Vaterland geschaut, dessen Sonne keine Flecken hat, wie die unsere in diesen schmerzlichen Wochen! Noch im Tode eine seltene Erscheinung, ruhte er in Blumen, die hohe Gestalt mit den tiefliegenden Augen und den scharfen Zügen des von Silberlocken umrahmten Gesichtes. Seine sterbliche Hülle wurde auf dem Gottesacker zu Neuses neben seiner geliebten und gefeierten Gattin Luise beerdigt, und viele Theilnehmende von nah und fern standen an dem offenen Grabe und beweinten den Heimgang eines Dichters von Gottes Gnaden.

Und so wenig das Urtheil über Friedrich Rückert schon abgeschlossen ist, der Ruhm eines großen Dichters von Gottes Gnaden kann ihm nicht wieder genommen werden. Ihm gestalten sich alle, auch die alltäglichsten, Gedanken und Verhältnisse zum Gedichte. Bei einer unglaublichen Herrschaft über die Sprache gießt er diese Gedichte in alle Formen, die einfachsten wie die kunstvollsten, die bekanntesten wie die fremdesten und entferntesten, und durchhaucht sie mit einer Innigkeit und einer Sinnigkeit, mit einer Frömmigkeit und Sittlichkeit, die nur Wenigen in gleicher Weise nachgerühmt werden kann. Und wenn unter der noch nicht einmal ganz zu übersehenden Menge von Gedichten auch werthlose [219] sind, so gilt nur der Spruch: Wenn Homer[1] auch zuweilen schläft, bleibt er nichts desto weniger der große Homer.

Rückert hat sich mit seinen Gedichten ein Denkmal dauernder als Erz errichtet; helfen wir darum auch zu dem gebührenden Denkmal in seiner Geburtsstadt und – was noch wichtiger ist – helfen wir dazu, daß unser Volk statt so vieler seichter Romane und Gedichte der Tagesblätter und Zeitungen seine großen, echten Volksdichter würdigend genieße.

      Metz. Dr. Tube.

Anmerkungen der Vorlage

  1. Ein berühmter griechischer Dichter.