Ein Capitel von der Schwiegermutter
Die Tischgenossen auf der blüthenumrankten schönen Veranda saßen sich in sehr unbehaglichem Schweigen gegenüber.
„Es wird besser sein, ich kehre morgen wieder nach Hause zurück,“ wandte sich endlich die Schwiegermutter mit leise bebender Stimme an den neben ihr sitzenden Onkel Clemens, während die junge Frau unverwandt vor sich niedersah und ein sehr finsteres Gesicht machte.
„Was fällt Dir ein, Mutter,“ rief der Gutsherr, „das darfst Du uns nicht anthun! Du wolltest den Sommer über hier bleiben und wirst unser Haus nicht so verlassen. Emmy, sage der Mutter, daß Dir das leid thun würde!“ „Wenn meine Worte von vorhin Dich beleidigt haben, so bedaure ich dies sehr,“ kam es kalt und gezwungen von Emmy’s Lippen, und da keine weitere Herzlichkeit nachfolgte, stand Robert auf und nahm den Arm der alten Frau: „Wir gehen ein wenig zu den Anlagen hinüber; bis zum Abend habt Ihr Euren Wortwechsel vergessen, und von der Abreise redest Du mir nicht mehr, Mutterchen, wenn Du mich lieb hast.“
Und er zog seine Mutter in den Garten, ohne noch ein Wort an Emmy zu richten, die sich gleichfalls erhoben hatte und ganz mechanisch die Teller zusammen stellte. Als sie aufblickte, sah sie die großen hellblauen Augen des Onkels prüfend auf sich gerichtet.
„Wollen wir ein wenig nach der oberen Terrasse gehen, liebe Emmy?“ fragte er jetzt. „Ich meine, ein kleiner Erholungsgang könne Dir gut thun.“
Sie nickte stumm, es schimmerte seltsam in den braunen Augen, und sie preßte die Lippen fest zusammen, als sie den dargebotenen Arm ergriff und leicht an des Alten Seite durch den dunkeln Laubgang aufwärts schritt. Plötzlich blieb sie stehen und rief, indem sie hastig den Kopf aufwarf:
„Nein, es ist unerträglich, auf diese Weise zu leben. Fortwährend Rücksicht über Rücksicht nehmen, fortwährend seine Handlungen und Worte und zuletzt auch seine Gedanken fälschen, nur um nicht an diese ewigen kleinlichen Empfindeleien anzustoßen! Ich wußte es ja, was mir bevorstand, und hatte mich mit zehnfacher Geduld gerüstet, aber zuletzt geht sie mir doch aus. Und es soll nun noch wochenlang so fortgehen? Ich kann es nicht ertragen!“
„Was kannst Du nicht ertragen, Emmy?“ fragte ernsthaft Onkel Clemens. „Die erste kleine Widerwärtigkeit nach zweijährigem Glück?“
„Eine kleine Widerwärtigkeit nennst Du es, wenn sie überall herumtadelt und mir das Leben verbittert und zuletzt noch meines Mannes Herz von mir abwendet! So wie heute hat er noch nie mit mir gesprochen, niemals!“ – Und die langverhaltenen Thränen brachen los.
„Kind, Kind,“ sagte der Onkel kopfschüttelnd und zog das schluchzende Frauchen zu sich nieder auf eine Bank – ich kenne Dich seit acht Tagen nicht mehr. Ist das meine heitere verständige Emmy, die den alten Onkel nun schon Monate lang so liebenswürdig pflegt und erträgt?“
„Erträgt!“ lachte Emmy unter ihren Thränen, „Dich, den besten und weisesten der Menschen, vor dem ich mich alle Tage schäme, daß ich so dumm und doch so glücklich bin, während er vom Leben nur Arbeit und Entsagung hatte! Ich möchte Dir immer im Stillen dafür abbitten!“
Der alte Mann lächelte eigen vor sich hin. „Mir kann das Nichts helfen, liebes Kind, ich habe längst mein Glück von den Zufälligkeiten dieser Welt unabhängig zu machen gewußt. Aber Du kommst mir vor, wie Einer, der das regenfeuchte Land nochmals gießt, während nebenan ein gedecktes Beet vertrocknen will.“
„Was meinst Du damit, Onkel?“
„Kannst Du es nicht selbst finden, Emmy? Ist Deine alte, einsame, kränkliche Schwiegermutter so außerordentlich glücklich, daß sie keiner Liebe, keiner theilnehmenden Sorglichkeit bedarf?“
„Was fällt Dir ein!“ rief Emmy lebhaft; „das ist eine ganz andere Sache. Ich lasse es nicht an Respect ihr gegenüber fehlen, zur Liebe aber kann sich Niemand zwingen und es wäre eine recht erbärmliche Heuchelei, dergleichen zu thun. Das ja ganz rein unmöglich!“
„Ja, ja,“ sagte der Onkel leise, „man übt immer nur die Tugenden, die süß zu üben sind, und macht sich dann ein Verdienst daraus. Eine alte Geschichte, ich habe sie schon oft erlebt!“
„Onkel,“ rief die junge Frau, „ich merke es schon die ganze Zeit, Du giebst mir Unrecht, also sage mir nur Alles gerade heraus. Aber es soll mich doch wundern, ob Du behaupten kannst, diese endlosen, langweiligen Geschichten, der alberne Kram von Zahnperlen und Salben für mögliche und unmögliche Wunden, das ewige Beaufsichtigen hinter den Mägden her sei ganz richtig und vernünftig, und nicht vielmehr um aus der Haut zu fahren vor Aerger.“
„Ich behaupte das nicht, mein Kind, obgleich viel größere Menschen als Du und ich in der Welt weit Schwereres ertragen haben, als die stets wohlgemeinten, wenn auch manchmal –“
„Langweiligen!“
[677] „Meinetwegen, langweiligen Reden einer alten Frau. Was ich aber behaupte, ist dies: Du bist unbedingt verpflichtet, diese langweiligen Reden mit Geduld und guter Laune anzuhören und mit Liebenswürdigkeit zu erwidern, und von dieser Verpflichtung kann Dich Niemand lossprechen.“
„Das geht doch zu weit! Ich kann und will nicht heucheln, das habe ich Dir schon vorhin gesagt, und keine andere Frau an meiner Stelle würde es thun. Meine Pflichten,“ hier färbten sich ihre Wangen, „glaube ich pünktlich und gewissenhaft zu erfüllen –“
„Halt, liebes Kind,“ sagte der Onkel lächelnd, „ich sehe schon, wir müssen ein wenig tiefer anfassen. Was nennst Du Deine Pflichten? Die zärtliche Liebe für Mann und Kind, die Sorge um ihr Wohl, das freie glückliche Leben hier auf dem Gute, heitere Geselligkeit, dazu Ordnung und Reinlichkeit im Hauswesen – Alles das, was Dir selbst Freude und Behagen verschafft und ohne alle Ueberwindung zu vollbringen ist? Glaubst Du denn wirklich, das Leben stelle an einen denkenden Menschen keine höheren Aufgaben, als einfach seinen natürlichen Bedingungen nachzuleben? Nein, Emmy, die Liebe für Mann und Kind darf sich keine Frau als Verdienst anrechnen, nicht einmal die Arme, welche um ihretwillen mit Noth und Elend kämpft. Was würdest Du von einem Manne halten, der sich mit der Liebe für seinen Beruf spreizen wollte? Die ist natürlich und selbstverständlich – das Verdienst aber beginnt erst bei der freien Leistung über die Verpflichtung hinaus, bei Kampf und Entsagung und Selbstüberwindung im Dienst des Ganzen!“
„Du bist hart, Onkel,“ sagte Emmy leise, „ich kann Dich versichern, viele Andere an meiner Stelle würden recht ungezogen mit ihr gewesen sein, und ich habe mich immer zurückgehalten –“
„Ja, ja, die Zurückhaltung war deutlich zu spüren,“ lächelte der Onkel, „und mit den Anderen, Tieferstehenden wollen wir uns doch lieber nicht vergleichen, mein Kind, man kommt sonst nach und nach zu einem verzweifelt bescheidenen Maßstabe. Was glaubst Du wohl, Emmy: wird sich Deine alte Schwiegermutter nach diesen angenehmen kleinen Scenen plötzlich ändern, werden ihr durch höhere Erleuchtung die Grundlagen der Physik, Nationalökonomie, Gesundheitslehre und was sie sonst noch zu interessanteren Reden befähigen würde, angeflogen kommen?“
„Ach, geh doch!“ lachte Emmy halb widerwillig.
„Also, liebes Kind,“ sagte der Onkel sehr ernsthaft, „ist es an Dir, so lange zu probiren und zu ändern, mit derselben Ausdauer, die ein Künstler für sein Werk hat, bis Du ein hübsches, gutes, erfreuliches Verhältniß zwischen Euch Beiden zu Stande gebracht hast. Deine Schwiegermutter ist eine durchaus gutartige Frau, die nur, wie wir Alle, ihre menschlichen Schwachheiten hat, folglich ist sie, wie jeder Mensch, mit dem man aus zwingenden Gründen auskommen muß, zu studiren und zu behandeln. Seinen freiwilligen Umgang kann man sich wählen, und ich hielte Den für den größten Narren, der hierin etwas Anderem als seiner Sympathie folgen würde. Aber sobald es sich um gegebene Verhältnisse handelt, ist es keine Geschmackssache mehr, dann hat man seine Aufgabe vor sich, und ich sehe nicht ein, warum eine Frau an ein solches Problem nicht ebenso viel Nachdenken und Thatkraft wenden soll, als ein Mann an die seinigen! Wenn ihr die Lösung gelingt, wenn sie sich als Schöpferin eines schönen Familienlebens betrachten darf, dann ist dies eine Leistung, welche jeder vernünftige Mensch zu den höchsten rechnet, obwohl sie sich aus lauter kleinen Momenten zusammensetzt.“
„Ich sehe nur nicht ein,“ sagte Emmy „warum gerade ich allein verpflichtet sein soll, mich fortwährend zu überwinden. Ich will Dir meinetwegen zugeben, daß wir alle Beide schuld sind, aber warum soll ich denn thun, als ob ich es allein wäre, und alle Fehler nur an mir suchen?“
„Weil es Dir doch nicht anders hilft, weil noch kein [678] Mensch ein großes Werk fertig gebracht hat, der sich gleich drei Fuß von seiner Nase ein Ziel setzte und nicht vielmehr den Sprung mit allen Kräften that, je weiter, desto besser. Es ist schon dafür gesorgt, daß jedem begeisterten Streben das Bleigewicht anhängt, man braucht es nicht in der eigenen Tasche mitzubringen und auszurechnen: ‚Bis hierher will ich großmüthig sein, aber nicht weiter!‘ Kind, Kind, ich sage Dir: Wer nicht früh seine Wahl trifft und mit vollem Herzen die Sache der Großen und Guten zu der seinigen macht, der verfällt der Kleinlichkeit und dem Egoismus, Euern beiden Schooßsünden, Ihr sanften holden Frauen, und geht darin unter. Bin ich es denn allein, den der Ekel anfaßt, wenn er die Menschen sieht, die, wie neidische Kinder, ihren kleinen Vortheil ängstlich festkrallen und darum schreien und keifen? Und das Leben ist so kurz, die Gelegenheit zum Wohlthun so hundertfach, und Niemandem fällt es ein, wie leicht er sich und Anderen das berühmte ‚Jammerthal‘ etwas freundlicher machen könnte!“
Emmy’s gutes Herz fing an, sich zu rühren. Sie kam sich während des Onkels letzter Rede schon lange nicht mehr so tiefgekränkt vor, im Gegentheil, es stieg ein ganz kleines Etwas von bösem Gewissen in ihr auf. Sie schwieg aber und beugte sich auf die Rose nieder, die sie in der Hand hielt. Der alte Mann sah in die abendglänzende Landschaft hinaus, dann wandte er sich wieder zu ihr:
„Unser Leben ist durch die unabwendbaren Schicksale schon reich genug an Noth und Herzeleid, man sollte es sich nicht noch freiwillig verbittern. Rings um uns lauern Armuth, Krankheit und Tod. – Niemand legt seinen Weg zurück, ohne wenigstens Einem von ihnen seine Opfer zu bringen, aber sie bringen sich leichter und reiner, wenn das Herz nicht von des Lebens Gemeinheit vergiftet ist. Niemand kann die großen Plagen des Menschengeschlechtes aus der Welt schaffen, aber die kleinen, überflüssigen Qualen, die man sich gegenseitig in blindem Unverstand zufügt, die könnten beseitigt werden, und welche Rolle fiele Euch dabei zu, Ihr Frauen, wenn Ihr groß genug dächtet, sie zu begreifen!“
Emmy wollte antworten, der Onkel legte die Hand sanft auf ihren Arm und sagte:
„Laß mich aussprechen, Kind, was mir in dieser letzten Woche bei Euren täglich wiederholten Streitigkeiten so sehr auffiel. Wir sehen uns vielleicht nicht so bald wieder allein, und ich habe zu Deiner guten Natur das Vertrauen, daß sie nur des Fingerzeiges zum rechten Weg bedarf. – Weißt Du, was der ganze Grund der häßlichen, gereizten Streitigkeiten zwischen so vielen Frauen und speciell zwischen Schwiegermüttern und Töchtern ist? Das böse Wort, die Stichelreden, die Ihr Euch von frühester Jugend angewöhnt, als Waffe gegen Euresgleichen zu gebrauchen, das ewige Corrigiren und Besserwissen, oft sogar gegen den Ehemann. Eine unwürdige, schändliche Waffe, dieses Sticheln, gleich dem Indianerpfeil mit der vergifteten Spitze. Und Ihr seid nicht geknechtete Orientalinnen, nicht verachtete Negerweiber, auf deren Geschwätz keiner ihrer Männer auch nur achtet, sondern Ihr steht inmitten der Familie sehr berechtigt, sehr einflußreich da, nur für meinen Geschmack nicht hinreichend verpflichtet. Auf Eurer unbedachten Zungenspitze, in Euren leichtfertigen Händen tragt Ihr stets das Brandgeschoß, was ohne viel Federlesens geworfen wird, sobald die Gelegenheit passend scheint. Wenn ich die Frauen zu ‚emancipiren‘ hätte, beim Himmel, ich würde ihnen zu allererst die Ehre anthun, sie für ihre Worte in derselben Weise verantwortlich zu machen, wie es die Männer sind, und ich glaube doch, die schnellen Zünglein würden nach und nach durch die unangenehmen Folgen etwas behutsamer werden.“
„Als ob die Männer keinen Streit untereinander hätten!“ warf Emmy ein.
„Ich rede nur von der Art des Streites, liebes Kind. Differenzen sind überall unvermeidlich, wo verschiedene Interessen gegeneinander stoßen, aber wozu haben wir denn unsere ganze vielberühmte Humanität und Bildung, vom Christenthum ganz zu schweigen, wenn wir dadurch nicht in Stand gesetzt werden, die kleinen Differenzen mit schonender Rücksicht zu überwinden, die größeren und großen in offener Auseinandersetzung mit den Andern auszutragen? Ich möchte die Schwiegermutter sehen, und wenn sie eine der berüchtigten ‚bösen‘ wäre, die nicht nach und nach weich würde, wenn sie einer stets gleichbleibenden Güte und Rücksicht begegnete. Natürlich werden die Gelegenheiten nicht ausbleiben, wo verschiedene Ansichten und Absichten sich gegenüber stehen. Dann muß geredet werden. Aber statt mit verdeckten Batterien anzurücken und: piff paff! mit Stichelreden das Gefecht zu eröffnen, warum nicht einfach sagen: aus diesem oder jenem Grunde kann ich das, was Du verlangst, nicht thun, Mama! und ihr die Sache wirklich auseinander setzen, statt nach Eurer Lieblingsgewohnheit immer den eigentlichen Grund zu verschweigen und tausend unstichhaltige dafür geltend zu machen?“
„Das kann man eben nicht immer,“ antwortete Emmy lebhaft, „es giebt Dinge, die sich gar nicht so klar machen lassen, selbst einem Manne nicht, während man doch lebhaft fühlt: es ist so und muß so sein!“
„Ach, liebes Kind,“ rief der Onkel lachend, „kommst Du mir auch mit dem Gefühlsargument? Das bedeutet eigentlich, daß ich die Schlacht gewonnen habe, denn es ist immer Euer Letztes, wenn das übrige Pulver verschossen ist. Aber ich lasse es Dir nicht passiren, Emmychen, was vernünftig gedacht ist, kann man klar machen, folglich ist das Verschwiegene entweder unvernünftig, oder – ich muß auf das schlimme Wort zurückkommen – so egoistisch, daß man es aus Scham verschweigt. Dort sitzt auch der Haken, Ihr könnt hundertmal den Grund nicht nennen, denn es würde doch sonderbar lauten: ich bin zu bequem oder zu eigensinnig, dies oder jenes zu thun.“
„Das ist man auch nicht immer,“ sagte Emmy, „sondern man hat einmal seine gewohnte Art, eine Sache zu machen, und soll sie nun ohne Grund plötzlich ändern –“
„Wobei das Endresultat, die gewaschenen Vorhänge oder der Topf voll eingemachter Kirschen, sich natürlich ganz gleich bleibt. Aber man ließe sich lieber lebendig braten, als zugeben, daß die andere Art auch gut, möglicherweise ebenso gut sei, als die eigene. Und gar den Gedanken hegen, man könne es um des lieben Friedens willen einmal auf die andere Weise probiren, da man doch sonst ziemlich viel Sinn für Veränderung besitzt, nein, diese Zumuthung wäre schrecklicher, als alle Gräuel, die sich sonst in der Weltgeschichte hier und da zugetragen haben sollen!“
„Uebertreibe nicht gar so arg, Onkelchen,“ lachte Emmy. „Weiß ich doch, daß Du die Frauen nicht so tief stellst, um im Ernste anzunehmen, daß wir alle unsere Schul- und Herzensbildung mit dem Eintritt in das Eheleben vergessen könnten!“
„Schul- und Herzensbildung? Ja, das frage ich mich auch oft staunend,“ sagte der Onkel. „Wo ist sie hingekommen, wenn man die strebsamen jungen Damen nach ein paar Jahren als Frauen wiedersieht? Ihr lernt doch mit scheinbarem Eifer in Schulen und Cursen das Wissenswürdigste menschlicher Geistesgeschichte; bleibt denn davon Nichts hängen, ist denn Das, was den Knaben und Jüngling begeistert und ihm die Richtung für’s Leben verleiht, nur Euch gegenüber ganz wirkungslos? Stehen die großen Figuren der Weltgeschichte nicht auch für Euch als Trost und Vorbild da? Man sollte denken, daß, wer einmal die Lebenskämpfe der großen Männer und Frauen mit tiefem Antheile begleitet hat, hinfort seinen Mund nicht mehr öffnen würde, um über die kleinen Widerwärtigkeiten seines sonst ganz glücklichen Lebens zu klagen. Etwas mehr große, allgemeine Interessen, Ihr Frauen, etwas mehr wirkliches Gemüth und etwas weniger sogenannte Gemüthlichkeit, und es wäre Euch geholfen! Um wie viel richtiger würdet Ihr Eure kleine Umgebung taxiren, wenn Euch der Blick auf den großen Horizont frei bliebe, wenn Ihr begriffen hättet, wie viel interessanter die Dinge sind, als die Personen, wenn Ihr Euch um das Wesen der Dinge kümmern wolltet! Die sämmtlichen Gattin-, Hausfrau- und Mutterpflichten könntet Ihr bei dieser Auffassung erst recht musterhaft erfüllen und wäret selbst am glücklichsten dabei!“
Es wurde ganz still, die junge Frau saß mit gesenktem Köpfchen da. „Nun, Emmy, warum widersprichst Du mir nicht?“ fragte der Onkel endlich.
Sie hob die schönen glänzenden Augen zu ihm auf: „Weil ich Dir nicht widersprechen kann, weil Du Recht hast. Ich will Dir folgen und thun, was in meinen Kräften steht; ob es mir so gelingen wird, wie Du meinst, weiß ich freilich nicht.“
[679] „Es wird Dir gelingen, mein Kind,“ sagte der Onkel aufstehend und küßte sie herzlich auf die Stirn. „Wer die Wahrheit so muthig anhört und ihr ohne Zaudern die Ehre giebt, der kann Großes vollbringen. Das Ziel hoch gesteckt, Emmy, und die Augen unverwandt darauf gerichtet, den festen Willen im Herzen, dann kann’s nicht fehlen.“
Sie schritten langsam wieder den Berg hinab, es war still in Haus und Hof, der Herr hatte mit der Frau Medicinalrath eine kleine Spazierfahrt nach den neuen Anlagen gemacht. Das war Emmy gerade recht, sie ging zu ihrem Kindchen und saß noch lange mit ihm in der großen Laube, wo man weit über die Felder hinsieht. Ihre Augen verfolgten die schmale graue Figur des Onkels, der längs dem Waldrande seinen Abendspaziergang machte.
Zwei Stunden später saß die kleine Familie auf der Veranda wieder um den Theetisch vereinigt. Rosen und Jasmin dufteten durch die laue Nacht, dann und wann zog ein großer Falter seine Kreise um die Kugellampe, deren Schein sich über die blanken Geschirre und die im Kreise darum befindlichen Menschengesichter ergoß. Sie sahen Alle freundlicher aus heute Abend.
„Wir haben eine schöne Fahrt gemacht, fing die Mama an. „Robert hat mir gezeigt, was er Alles in den letzten Wochen angelegt hat, ich muß sagen, er hat alle Ehre davon. Ach ja,“ sagte sie, sich zurücklegend und nach dem mondbeschienenen Garten hinausblickend, „es ist wunderschön hier bei Euch.“
„Nun, liebe Mama,“ sagte Emmy etwas erröthend und mit unsicherer Stimme, „wenn es Dir hier wirklich gut gefällt, so machst Du uns auch gewiß die Freude, den ganzen Sommer da zu bleiben. Daß es Robert’s höchster Wunsch ist, weißt Du, und was in meinen Kräften steht, es Dir hier behaglich zu machen, soll gewiß geschehen. Wenn ich in der letzten Woche manchmal etwas heftig war –“
Aber die alte Frau ließ sie nicht weiter kommen. „Nein, nein, liebstes Emmychen, Du brauchst Dich nicht anzuklagen,“ rief sie und gab ihr einen herzlichen Kuß. „Wir alten Leute sind auch wunderlich, aber wenn man nur den guten Willen hat, muß es doch gehen! Du hast Recht, Robert,“ sagte sie dann zu diesem gewandt, „sie hat ein gutes Herz!“
Aber dieser hörte sie kaum, seine strahlenden Augen hingen an dem erröthenden lieblichen Gesichte ihm gegenüber, und mit dem innigsten Glücksgefühle empfand er es, daß sein junges Weib eine schwere Ueberwindung nur seinetwillen geübt hatte. Und als Emmy diesem Blicke voll Liebe und Stolz begegnete, fühlte sie eine so süße Befriedigung im Herzen, daß es gar keine weitere Ueberlegung brauchte, um den eben betretenen Weg für den richtigen zu erkennen. Sie schlug die Augen nach dem Onkel auf, dieser aber beobachtete gerade mit großem Interesse einen dicken Nachtfalter, der sich auf dem nächsten Jasminzweige wiegte. – – –
Jahre sind seitdem vergangen, Emmy steht als glückliche, geliebte Frau im Kreise ihrer heranwachsenden Kinder, und aus dem gezwungen freundlichen Verhältnisse zur Schwiegermutter ist mit der Zeit ein aufrichtig herzliches geworden. Das Bewußtsein, so vieler Menschen Glück zu begründen, verleiht Emmy eine immer neue Freudigkeit des Handelns, während die alte Frau dankbar die sanfte Hand segnet, deren Walten ihren Lebensabend so schön erheitert.
Und Derlei wäre anderwärts wohl auch möglich!