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Autor: Henriette von Bissing
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Titel: Ein Brief aus Amerika
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 34–35, S. 529–532, 545–550
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein Brief aus Amerika.
Von Henriette von Bissing.

Das hohe Elbufer zwischen Hamburg, Altona und Blankenese bietet, vom Strome aus gesehen, eine der malerischsten Ansichten Deutschlands, ja der ganzen Welt dar. Von der Höhe bis zum Strande ist die zwei deutsche Meilen lange Strecke mit Landhäusern von allen Dimensionen und Geschmacksrichtungen buchstäblich wie übersät, und wir kennen keinen unter den vielen Genüssen, welche die große Handelsstadt uns bot, der das Herz mehr erweiterte und Phantasie und Gedanken mehr anregte, als den, uns bei schönem Wetter in einem Boote den Strom hinabschaukeln zu lassen, und mit den Augen der Seele wie des Körpers das reiche Panorama in uns aufzunehmen.

Auf den Höhen thronen die Paläste, bald in edelm griechischen Style, mit Säulenhallen und platten Dächern, bald als künstliche Ruinen oder Ritterburgen, einzelne auch als weitläufige ehrliche deutsche Häuser mehr solid und bequem im Innern, als schön von außen. Auch in den Parkanlagen, von denen alle umgeben sind, zeigt sich dieselbe Mannichfaltigkeit des Geschmacks. Hier der einfach edle der Engländer, dort der steife, schnörkelliebende aus der Zeit Ludwig XIV. wechseln ab mit dem überladenen bunten des Holländers, und selbst der des weit entfernten China ist hier vertreten. Auf den mittleren Abhängen finden wir meistentheils die bescheidneren Landhäuser mit zierlichen Blumengärten und schattigen Lauben, in denen man die Familien, beschäftigt oder sich geselligen Genüssen hingebend, erblickt. Saubere Dörfer mit Kirchen, Mühlen und Gasthäusern, Schiffswerften und Fischerhütten, Alles voll Leben und Bewegung, theilen und verbinden die einzelnen Niederlassungen von der Höhe bis zum Strande, an welchem zwischen den Hütten wir noch einzelne zierliche Häuser erblicken, die meist von Schiffscapitainen oder Handwerkern bewohnt sind. In dem ganzen großartigen Gemälde findet das Auge nichts, wodurch es getrübt oder beleidigt werden könnte. Kein Fleckchen Land ist unbenutzt geblieben oder unschön. Eine gewisse Wohlhabenheit bekundet selbst die kleinste Hütte; und auch an Obst- und Küchengärten fehlt es nicht, um dem Tadel derjenigen zu begegnen, die das Wort „Der Mensch lebt nicht vom Brod allein“ gern umkehren möchten.

Doch dies flüchtig skizzirte Landschaftsbild war es nicht, womit wir den Leser unterhalten wollten. Nur in einige dieser vielen Häuser führen wir ihn ein, und nur für das Schicksal zweier Familien unter den Tausenden, die hier wohnen, hoffen wir sein Interesse zu wecken.

Weder Palast noch Hütte, hat das Haus, in welches wir zunächst treten, sich auf einem Abhange zwischen den Parkanlagen des reichen Banquier Blenheim und einem Fischerdorfe auf das Lauschigste eingenistet. Im Süden ist es durch ein Tannenwäldchen von jenem getrennt und geschützt, durch ein von hohem Gebüsch überragtes Stacket von diesem geschieden. Liebliche Plätze im Garten, der es umgibt, gestatten den Blick auf den schiffbelebten Strom oder laden zu unbelauschtem Geplauder trauter Freunde ein. Nur drei Fenster hat das Haus in der Breite, von denen das mittlere die Thüre zu einem kleinen Salon bildet. Zur Linken desselben befinden sich zwei kleine Zimmer, die so ziemlich Alles enthalten, womit die Mode des Tages die Wohnung einer jungen gebildeten Frau, selbst schon des glücklichen Mittelstandes, zu schmücken pflegt. Rechts nimmt das Speisezimmer die ganze Tiefe des Hauses ein, und durch ein Fenster im Hintergrunde sieht man in einen kleinen Obst- und Gemüsegarten, dessen hohe Weinplanke sich an das Tannenwäldchen lehnt. Hinter dem Salon befinden sich die Treppen, die nach oben zu den Schlaf- und Fremdenzimmern, nach unten zu den Wirthschaftsräumen führen.

Der ganzen Einrichtung sieht man es an, daß sie mit Geschmack, von Wohlhabenheit unterstützt, ist beschafft worden, daß der Geist einer sorglichen Hausfrau darüber wacht, daß hier ein junges, Musik und Lectüre liebendes Paar wohnen muß, und daß diese stillen Räume ein Tempel häuslichen Glückes zu sein verdienen. Nur durch Etwas wird der harmonische Eindruck gestört. Die beiden einfachen, schlecht gemalten Portraits in schwarzem Rahmen, die zu beiden Seiten eines dritten über der Causeuse im Putzstübchen hängen, passen nicht hierher, und der Gesichtsausdruck einer jungen Frau von blendender Schönheit, die wir am späten Abend allein und in Betrachtung des mittleren Gemäldes versunken finden, fällt uns zu schmerzhaft auf.

Das Bild in der Mitte stellt einen jungen Mann von so glücklichem und gewinnendem Aeußeren dar, daß wir ihm den Vorzug vor den beiden andern gönnen, von der Hand eines Meisters gemalt zu sein und aus einem breiten Goldrahmen hervorzuschauen, den liebende Hände noch außerdem mit einem reichen Blumenkranze geschmückt haben. Ob die heitere Sorglosigkeit dieses blühenden Antlitzes auf Leichtsinn oder leichten Sinn deutet, wird unsere nähere Bekanntschaft mit dem Original des Bildes, dem jungen Schiffsmakler William Almis, lehren.

Allerdings läßt das in sorgenvolle und nachdenkliche Falten gezogene Gesicht des alten spießbürgerlichen Mannes zur Linken des Jünglings, in dem wir trotz dieser Verschiedenheit auf den ersten Blick den Vater des Letztern erkennen, uns Manches fürchten; allein schauen wir in das wohlbehäbige Antlitz der korpulenten Frau zur [530] Rechten, so beruhigen wir uns schnell. Sie scheint den alten Hypochonder auszulachen, und während seine strenggeschlossenen Lippen, ja selbst seine hagern, hochgezogenen Schultern zu fragen scheinen: „wie soll es nur werden?“ lächeln die ihrigen: „es wird schon noch Alles gut gehn.“

Die junge Dame scheint noch ebenso ungewiß über jenen Punkt zu sein, wie wir, wenngleich ihr rosiges, nur zu Glück und Freude geschaffenes Gesicht augenblicklich den Stempel des Schmerzes und der Verstimmung trägt. „Wenn ich nur wüßte, worüber ich mich ängstige und betrübt bin!“ rief sie endlich laut und unmuthig über sich selbst aus. „Ist William nicht der beste Mann unter der Sonne und der Liebenswürdigste? – Liebt er mich nicht noch ebenso heiß, als damals, als er mir Herz und Hand schenkte? – Und verlange ich mehr vom Schicksal, als seine Liebe und sein Glück? – O Gott, verzeihe mir! – Besitze ich denn nicht außerdem auch noch Alles, was meine kühnsten Mädchenphantasien sich jemals von irdischer Glückseligkeit träumen ließen? – Selbst die Einwilligung seines Vaters, der Segen meiner Mutter fehlen unserem Glücke nicht, und doch – – – –“ Sie schwieg einige Augenblicke, trocknete die feuchten Augen und schlug diese dann zu dem Bilde der alten Dame auf. Ihre Mienen erheiterten sich allmählich, und wehmüthig lächelnd sagte sie: „O du beste aller Tanten und Pflegemütter! daß du noch auf Erden weiltest! Dir würde ich meine kindischen Befürchtungen gern mitgetheilt, du würdest mich beruhigt haben. Denn schon vor deinem Bilde finde ich stets Muth und Trost, ja meinen Frohsinn wieder. Meiner Mutter kann ich meine Sorgen nicht anvertrauen, ich würde ihr damit nur Stoff zu tausend traurigen Vermuthungen geben und durch sie nur noch mehr entmuthigt werden. – –“

„Du guter, wunderlicher Vater,“ wendete sie sich zu dem Bilde des alten Griesgrams, „welche Liebe birgt sich hinter diesen finstern Zügen, die gewiß noch finsterer blickten, als dein einziger Sohn, der Stolz deines Lebens, eines Tages vor dich trat, und dir seine Neigung, nicht zur Tochter des reichen Blenheim, die schon alle Welt seine Braut nannte, weil alle Welt ihre Neigung zu William und ihre Macht auf das Herz ihres Vaters kannte, sondern zur armen Hermine gestand, der Waise eines Landpfarrers, die im kleinen Häuschen am Strande mit Handarbeiten sich und ihre Mutter ernährte. – O William! mein heißgeliebter William! Welch ein Jubel, als du am Abend zu uns hereinstürmtest, mir um den Hals fielst und jubelnd ausriefst: „Er hat eingewilligt!“ Selbst meine stets noch zweifelnde Mutter verjüngte sich mit uns, und als sie uns dann allein ließ, um statt meiner Anstalten zum Thee zu treffen: o Himmel, gebehrdeten wir uns da nicht wie zwei Kinder? und erhoben wir uns dann nicht wieder wie zwei selige Geister des Paradieses weit über die Erde hinweg?“

Hermine versank in Erinnerung an jene Zeit, bis sie plötzlich laut auflachte. „Nein, wie natürlich dem Schelme die Miene feierlichen Ernstes stand, als er nun von dem Gelübde anfing, mit dem er die Einwilligung seines Vaters hatte erkaufen müssen! „Ein Gelübde?“ rief ich erschreckt, und Gott weiß, was ich als die echte Tochter meiner ängstlichen Mutter mir davon vorstellte. „„Ja, denke nur, ich mußte sogar schwören.““ „Schwören? William, bester William! Ach sprich es doch mit einem Male aus, was verlangt Dein Vater von Dir? Ich sterbe vor Angst.“ „„Ja, umsonst kann mein Vater einmal Nichts weggeben, das wäre ganz gegen seine Natur. Bevor er also Ja sagte, mußte ich ihm eidlich, sage eidlich versprechen, zum Ersten –““ „Nun, William, was?“ „„Die drei Bilder, die in seiner Stube über dem Sopha hängen – ich erzählte Dir schon davon – als Geschenk von ihm anzunehmen und ihnen für alle Zeiten, so wie sie sind, im ersten Zimmer unseres künftigen Hauses denselben Ehrenplatz anzuweisen.““ „O, der gute, liebe Vater!“ unterbrach ich voll dankbaren Entzückens den Schelm, dessen Miene noch Nichts von ihrer Feierlichkeit verlor.“ „„Höre nur erst die zweite Clausel,““ sagte er ernst. „„Die erste sollte ein Recept gegen Eitelkeit und zu allerlei moralischen Betrachtungen sein. Aber die zweite! die furchtbare zweite!““ „O William, spanne mich nicht auf die Folter!“ „„Nun, also zum Zweiten habe ich geschworen, in den drei ersten Jahren, von diesem Tage an gerechnet, niemals des Abends ohne Deine Begleitung auszugehen.““ „Ha! dies furchtbare Gelübde auszusprechen, ist Dir gewiß recht schwer geworden?“ Er schloß mir den Mund mit Küssen, und es währte geraume Zeit, bis ich neugierig rief: „Nun, William, zum Dritten und Letzten?“ „„Ja, Hermine, ich habe auch die dritte Clausel beschworen. Der Preis war zu lockend,““ antwortete William, und sein liebes Gesicht nahm nun eine wirklich betrübte Miene an. „„Aber erst jetzt fühle ich, daß in dieser dritten Bedingung etwas sehr Beleidigendes für Deine Mutter und Betrübendes für uns Beide liegt.““ „Was kann Dein Vater gegen meine Mutter Beleidigendes haben?“ fragte ich bestürzt, während mir das Blut in das Gesicht schoß. „„Gegen sie persönlich gar Nichts; nur gegen Schwiegermütter überhaupt ist er aus Erfahrung eingenommen, und … nun ja, es muß heraus! Ich habe eidlich geloben müssen, Deine Mutter niemals als Hausgenossin bei uns aufzunehmen.““

„Laß Dich das nicht betrüben,“ sagte ich nach einer Pause. „Meine Mutter hat oft geäußert, daß, so lange sie lebte, sie das Häuschen nie verlassen würde, das das einzige Erbgut von ihrem Vater, dem Schiffscapitain ist. Sie fühlt sich in dessen Besitz so stolz und glücklich, wie der reiche Blenheim sich nur im Besitz seines Schlosses fuhlen mag.“ „„Aber,““ sagte William, schon wieder den Schelm im Gesichte, „„die beiden Leute, die, so Gott will, nächstens das hübsche Haus, das zwischen beiden liegt, beziehen werden, die nehmen es an Glück mit der ganzen Welt auf.““ „Wer sind sie, William?“ fragte ich, und mein Herz stand still vor freudiger Hoffnung und Spannung. „„Du und ich, mein Herz! Mein Vater hat es gekauft, und mit dem Gelde, das seine Schwester mir vermachte, wollen wir’s einrichten, so schön, daß eine Prinzessin drin wohnen könnte.““ „Ach ja, mein William! unser Glück nimmt es noch immer mit dem der ganzen Welt auf; wenn nur – –“ doch wo bleibt er heute wieder, der böse Mann, so weit hat er noch niemals in den ganzen zwei Jahren, die seit jenem Tage verflossen sind, die zweite Clausel umgangen. Der Abend ist fast zu Ende,“ rief sie erschreckt mit einem Blick auf die Pendule, deren Zeiger die zehnte Stunde wies, und rasch entschlossen eilte sie durch den Salon, wo der runde Tisch vergebens alle Anordnungen zum Thee zeigte, in den Garten hinaus, auf welchen eine milde, sternenhelle Juninacht herniederschaute. Auf und ab wandelnd, lenkte sie ihre Schritte immer wieder unwillkürlich zu einer Gitterthüre hin, durch die man auf einen breiten Kiesweg gelangte, der aus dem Tannenwäldchen kommend nach dem Strande führte, und der von dem schmäleren durchkreuzt ward, auf welchem Hermine ihren Gatten zurück erwartete.

Eine halbe Stunde mochte abermals verflossen sein, schon herrschte ringsum tiefes Schweigen, nur unterbrochen von dem fernen Plätschern der Wellen und dem leisen Säuseln der Bäume. Die Sehnsucht und Spannung, von denen Herminens Herz bewegt ward, hatten allmählich den Charakter der Angst angenommen. Konnte ihm nicht ein Unglück begegnet sein? Erst kürzlich war ein Mann, der in der Nacht den Arzt zu seinem kranken Kinde holen wollte, und der den Richtweg nach Altona über die Bleiche einschlug, von Hunden zerrissen worden. Gräßliches Bild! entsetzenvoller Gedanke! Wenn nun William, um schneller zu ihr zu gelangen, tollkühn denselben Weg einschlug?

Schon wollte Hermine die Pforte öffnen, allein ihre gewissenhafte Dienerin hatte dieselbe schon verschlossen. Noch stand sie überlegend, ob sie den Schlüssel holen und William entgegen gehen sollte, als leichte eilige Schritte nahten. Zwar kamen sie nicht von oben, sondern vom Strande her, allein Hermine überredete sich, William sei bei ihrer Mutter gewesen. Ihr Herz glaubte so leicht, was es hoffte, und bevor sie ihn sah, rief sie ihm freudig entgegen: „Nun endlich, endlich bist Du da!“

Sie lehnte sich dabei, so weit sie konnte, über das niedrige Gitter und glaubte wirklich den Ersehnten zu erblicken, als ein schlank gewachsener Mann mit anmuthiger Eile aus dem Gebüsch zu ihr herantrat. Allein kaum hatte derselbe ihr mit freudiger Ueberraschung und ebenso großer Ehrerbietung „Guten Abend, Madame Almis,“ zugerufen, als sie zu ihrem nicht geringen Schrecken den ihr vom Gerücht ebenso sittenlos als boshaft geschilderten Sohn des Banquiers erkannte, dessen Tochter einst ihre Nebenbuhlerin gewesen war. Im ersten Augenblicke wußte sie nicht, ob sie davon eilen oder bleiben sollte, um ihre so unvorsichtig in die Nacht hinausgerufene Begrüßung zu erklären, da Blenheims Bosheit sonst vielleicht gar eine Geschichte daraus schmiedete. Sein zweites Wort bewog sie zu dem letzteren.

„Ha, allerschönste Frau! niemals hätte ich mir das Glück [531] träumen lassen, von Ihnen so freundlich begrüßt zu werden. Oder sollten Sie mich mit Ihrem Gemahl verwechselt haben?“

„Das bezweifeln Sie gewiß nicht, Herr Blenheim,“ entgegnete Hermine mit ruhiger Würde.

„Wenn Sie es befehlen, muß ich gehorchen,“ entgegnete er mit einer Verbeugung.

Auch Hermine verneigte sich und wollte gehen. Allein mit Williams Namen hielt er sie zurück.

„Almis,“ sagte er, „wird sobald nicht kommen. Vor einer halben Stunde sah ich ihn noch vor dem Alsterpavillon, umgeben von Sängern und Schauspielern, hinter einer Batterie von Weinflaschen, in der allerheitersten Laune. Herrschte nicht seit längerer Zeit eine Spannung zwischen uns, an der ich in keiner Weise schuld bin, so hätte ich mich gerne zu dieser fröhlichen Brüderschaft gesellt. William wird Ihnen vielleicht erzählt haben, daß er bis zu seiner Verlobung mit Ihnen, schönste Frau, ein oft und gern gesehener Gast in meines Vaters Hause war.“

„Er hat es mir erzählt,“ entgegnete Hermine einsylbig, und er fuhr fort: „Daß William nicht versuchte, auch Sie bei uns einzuführen, entschuldige ich mit den Verhältnissen. Aber daß er mich seitdem nicht mehr zu kennen scheint –“

„Hierin irren Sie sehr, Herr Blenheim,“ unterbrach ihn Hermine, es ihm überlassend, in welchem Sinne er ihre Versicherung aufnehmen möchte. Doch wollte sie den gefährlichen Mann auch nicht unnützer Weise gegen sich aufbringen, und so fügte sie freundlicher hinzu: „Mein Mann hat die heitern Stunden nicht vergessen, die er bei Ihnen verlebte. Aber sehr richtig deuteten Sie selbst auf die Verschiedenheit unserer Verhältnisse hin. Schon die Lage unserer kleinen Wohnung spricht für unsern beiderseitigen Wunsch, bürgerlich still zu leben. Sie schienen eilig zu sein, Herr Blenheim, und ich finde, daß es kühl wird. Gute Nacht!“

„Ich war eilig: Jenny Lind singt heute Abend bei uns, und ich hätte schon seit zwei Stunden zuhören sollen. Aber in unserm Hause gibt es nur zu viel Musik, und die Leidenschaft dafür ist hinlänglich durch meine Schwester Nancy vertreten. Ich verspare mir daher gern den Genuß, etwas Außerordentliches zu hören, auf die morgende Oper und leiste Ihnen, wenn Sie es gütigst erlauben, bis zu Almis’ Rückkehr Gesellschaft.“ Er faßte bei diesen Worten den Drücker der Thüre an, als sehe er voraus, Hermine würde nicht das Herz haben, seine Zudringlichkeit zurückzuweisen. Doch er irrte sich.

„Sie sehen, Herr Blenheim,“ sagte sie, „in unserm Hause werden zu dieser Tageszeit keine Besuche mehr erwartet. Auch nehme ich nur solche Herren an, die mein Mann eingeladen. Noch einmal gute Nacht.“

Sie verbeugte sich und ging. Er aber rüttelte noch an dem Schlosse der Thür, und gewohnt, William dieselbe überspringen zu sehen, fürchtete sie schon, der Zudringliche könnte dasselbe thun. Herzhaft kehrte sie sich daher nach ihm um und rief zornig: „Unterstehn Sie sich nicht, den Fuß in unser Eigenthum zu setzen.“ Er aber schlug ein helles Gelächter auf und verschwand in dem Tannenwäldchen.

Unterdessen war William auf seinem gewöhnlichen Wege die Höhe herabgekommen und hatte in der Entfernung die Stimmen gehört und erkannt, ohne die Worte zu verstehen. Er erschrak heftig darüber. Denn obgleich bis heute nicht der kleinste Zweifel weder an Herminens weiblichem Takt, noch an ihrer Liebe und Treue aufgestiegen, fürchtete er doch Alles für ihren Ruf, wenn Jemand sie zu solcher Tageszeit und ohne ihn in einem Gespräch mit Eugen Blenheim bemerkt hätte. Er vergaß darüber, was er zur Entschuldigung seines späten Kommens hatte sagen, was er hatte thun wollen, um Hermine, wie gewöhnlich, bald wieder versöhnt und heiter zu sehn. Mit weiten Schritten strebte er dem Garten zu, allein jetzt war Alles still darin. Schnell übersprang er das Gitter, und bei seinem raschen Eintreten in den Salon entdeckte er sogleich eine große Verlegenheit und Aufgeregtheit sowohl in Herminens Antlitz, als in ihrem ganzen Wesen, die sie noch niemals gezeigt.

Aber sie befand sich auch in einem Seelenzustande, den sie nie zuvor gekannt. Denn die Nachricht, daß William mit Sängern und mit Schauspielern die Stunden hinbrachte, die sogar ein Eidschwur ihn zwang, ihr zu schenken, bestätigte alle schlimmen Ahnungen, die sie seit einiger Zeit hegte. Oft schon wie heute war er nicht zu Tisch nach Hause gekommcn, was er dann mit Geschäften im Comptoir und an der Börse zu entschuldigen pflegte, und was auch bei Kaufleuten, deren Familien weit ab von der Stadt wohnten, leider häufig sich ereignete. Im ersten Jahre ihrer Verheirathung war das indessen sehr selten geschehen, und dann hatte er sie stets durch den Laufburschen davon benachrichtigen lassen. Jetzt unterblieb dies gänzlich; „es nahm zu viel Zeit weg,“ und William hatte mit Herminen verabredet, nicht auf ihn zu warten, wenn er nicht zur bestimmten Stunde da sei. Vergeblich waren seitdem nur allzuoft ihre Bemühungen gewesen, durch ein Leibgericht oder zierliches Serviren des Tisches, wie sonst, ihm eine Freude zu bereiten, und gar oft blieben jetzt auch von ihr die sorgfältig bereiteten Speisen unberührt. Denn trotz Allem, was William und sie selbst aufboten, sie zu überreden, „dies könne einmal nicht anders sein, und das Geschäft sei jetzt um Vieles bedeutender geworden,“ stiegen ihre Besorgnisse mit jedem Tage.

Gegen seine letztere Behauptung sprach überdies noch so Manches. Nicht, wie im ersten Jahre ihrer Verheirathung, verschaffte William die Vorräthe im Haushalte auf wahrhaft verschwenderische Weise. Vielmehr sprach er schon zuweilen seine Verwunderung aus, „daß es schon wieder an Diesem und Jenem fehle,“ obgleich er Herminens Wirthlichkeit kannte. Auch überhäufte er ihre Mutter nicht mehr, wie früher, mit Aufmerksamkeiten und Geschenken, ihr seine Liebe und seinen Dank zu beweisen für das Opfer, als das er es ihr bis dahin anrechnete, sich von dem einzigen Kinde getrennt zu haben, durch dessen Fleiß und Geschicklichkeit die sehr kleine Pension vergrößert ward, von der die Wittwe lebte, die sich die größten Entbehrungen auferlegt hatte, während sie nichts an der Erziehung dieses Kindes sparte. Herminens Mutter war dies freilich sehr lieb, denn sie war zu stolz und zu genügsam. Dennoch war es dieser Punkt, der ihr den Mund verschloß, wenn sie der Tochter ihre Befürchtungen über Williams Lebensweise mittheilen wollte.

So hatte die arme Hermine Niemand, von dem sie Aufklärung hätte fordern oder anhören mögen. Denn ihr Schwiegervater würde der Allerletzte gewesen sein, dem sie Mißtrauen gegen den Sohn hätte einflößen mögen, und im heißen Gebete flehte sie oft zu Gott, daß er ihr in’s Herz geben möchte, auf welche Weise sie mit ihrem Manne selbst darüber reden könnte. Denn das Gefühl, ihm keine Mitgift zugebracht zu haben, welches sie bis dahin nur beglückt hatte, da sie seiner Liebe so gerne Alles, was sie besaß, verdankte, machte sie nun plötzlich verlegen und bange. Aber es handelte sich ja nicht nur um Güter der Erde, sondern um viel höhere, wenn ihr Gatte sich leichtsinnig in den Strudel von Vergnügungen und Verschwendung zurückstürzte, aus welchem, wie ihr Schwiegervater ihr einst gestanden hatte, die Liebe zu ihr ihn emporgezogen.

In diesen Betrachtungen unterbrach sie William, welcher nicht, wie sonst, mit einer heitern Entschuldigung und zärtlichen Liebkosungen, sondern mit einer kalten und strengen Miene eintrat und sich noch sehr zusammenzunehmen schien, als er gleichgültig fragte: „warst Du eben im Garten?“ Aus mehr als einem Grunde wollte Hermine ihm das Zusammentreffen mit Eugen Blenheim gern verschweigen, und indem sie einsylbig „ja“ antwortete, bedachte sie nicht, daß William sich während desselben schon mußte auf dem Wege befunden haben und leicht ihr Gespräch mit angehört haben konnte. Er schwieg eine Minute lang, indem er Hut und Handschuhe ablegte, um ihr Zeit zu lassen, ihm aus freien Stücken eine weitere Mittheilung zu machen. Allein ihre Gedanken weilten schon wieder bei dem Eingange zu ihrer kleinen Rede, mit der sie noch immer nicht auf’s Reine gekommen war. Er ging unterdessen in das Bilderzimmer und kehrte mit der halb verwundert, halb unmuthig klingenden Frage zurück: „Weshalb brennt die Lampe da noch ganz unnützer Weise? oder hast Du Besuch gehabt?“

„Nein, William, eben weil ich allein war, zündete ich sie an,“ entgegnetc sie sanft. „Du tadeltest früher oft meine „lächerliche“ Sparsamkeit, wenn ich es nicht that; aber ich hätte sie auslöschen sollen, als ich in den Garten ging.“

„Du bist also den ganzen Abend allein gewesen?“

„Gottlob nicht den ganzen Abend,“ entgegnete Hermine bewegt. „Sonst hättest Du einen Eid gebrochen.“ Sie sah dann zärtlich zu ihm auf und fügte scherzend hinzu: „Bis Mitternacht dürfen wir wohl noch „Abend“ sagen, und überdem war es neun Uhr Morgens, als Du ohne mich ausgingst.“

[532] „Hermine, ich bitte Dich, laß jetzt diese Anspielungen auf den ebenso lächerlichen als tyrannischen Einfall eines alten, halb kindischen Mannes,“ unterbrach William sie in einem Tone, den sie noch niemals von ihm vernommen und der sie ebensosehr erschreckte, als der durchbohrende Blick, mit dem er sie dabei ansah. Zornbebend, aber mit erzwungener Kälte stieß er die heisere Frage hervor: „Sprachst Du nicht vor zehn Minuten mit Eugen Blenheim?“

Jetzt ging Herminen plötzlich ein Licht über sein Benehmen auf. Natürlich hatte er ihr Gespräch mit dem abscheulichen Blenheim gehört und nicht verstanden, und was mußte er von ihr denken, daß sie darüber schwieg? Sie bedachte sich nun keinen Augenblick länger, ihm gewissenhaft mitzutheilen, wie sehnsuchtsvoll sie ihn erwartet, auf welche Weise sie Blenheim Veranlassung gegeben, sich ihr zu nahen, sowie jedes Wort, das sie mit ihm gewechselt hatte. Während dieser Mittheilung klärten Williams Mienen sich wieder auf, und Rührung trat an die Stelle finstern Verdachtes. Obgleich es ihn sehr verdroß, Herminen von der Art und Weise unterrichtet zu sehen, wie er den größten Theil des Abends hingebracht, maß er sich doch allein die Schuld davon bei. Traulich setzte er sich neben sie, die schon längst wieder versöhnt war, und liebenswürdig, heiter und offener als jemals erzählte er ihr, bevor sie danach fragen konnte, wie er seinen Tag hingebracht.

Sie wußte schon, morgen sang die Lind in „Robert der Teufel“. Wie gern William in Herminens Gesellschaft sie gehört, war nur zu natürlich. Allein morgen war der Geburtstag seines Vaters, den sie mit einem Familiendiner zu feiern beschlossen hatten, und wozu der Letztere sowohl, wie Herminens Mutter, schon eingeladen waren. Sie durften nicht daran denken, vor zehn Uhr Abends die Gäste gehen zu sehen; kein Wunder, wenn William die Einladung Wola’s, des Sängers am Stadttheater, angenommen hatte, der den Robert sang, ihn in die Generalprobe am heutigen Morgen zu begleiten. Hermine kannte Wola, der sie zuweilen besuchte, um mit William zu singen, und der als ein sehr gebildeter Mann in viele der ersten Häuser eingeladen ward. Sie mußte William beipflichten, daß es ein ganz unschuldiges Vergnügen war, sich am Abend mit einigen Flaschen Wein für die ihm erwiesene Auszeichnung und Gefälligkeit zu revanchiren. Daß davon noch einige Cameraden Wola’s Etwas abbekommen hatten, war zufällig geschehen.

William schilderte den Kunstgenuß am Morgen mit so glänzenden Farben, er war überhaupt jetzt wieder so ganz der Alte, daß Hermine sich nicht überwinden konnte, ihn heute mit ihren Besorgnissen noch einmal zu verstimmen. Hätte sie gewußt, daß er durch den Besuch der Probe die Kundschaft eines Schiffscapitains eingebüßt, der ihn mehrmals in seinem Comptoir und endlich noch an der Börse vergeblich aufgesucht und der seine Ladung nun einem andern Makler übergeben hatte, wodurch William allein für dies eine Mal mehr als tausend Mark verlor, so würde sie vielleicht dennoch ihren Entschluß verwirklicht haben. So aber gab auch sie sich dem Glücke des Augenblickes hin, und als sie eine Stunde später zusammen in das Bilderzimmer gingen, um die vergessene Lampe auszudrehen, warf sie ihrem Schwiegervater eine Kußhand zu, schlang den Arm um William und sagte: „Er ist wirklich auch heute nicht am Abend ohne mich ausgegangen.“




Man war nun schon in den blätterstreuenden Herbst gekommen, und die Familie Blenheim wollte morgen ihre Stadtwohnung beziehen. Die Börse war beendet, und die Hallen derselben entleerten sich. Der Banquier, ein kleiner dicker Mann mit hochgetragenem Haupte, stützte sich leicht auf den Arm seines Sohnes Eugen, wohl mehr, um ihn mit aus der Stadt zu entführen, als weil er einer Stütze bedurfte, und schritt seiner auf ihn wartenden Equipage zu. Ein stolzes Lächeln glänzte auf Stirn und Mund, und huldreich, hochmüthig oder vertraulich erwiderte er die vielen Begrüßungen, die ihm auf dem kurzen Wege zu Theil wurden. Der Hamburger beugt sich sonst nicht leicht vor einer Größe, mag sie geistiger oder politischer Art sein; aber vor dem Gelde und der Schönheit beugt er sich. Er lebt überhaupt mehr dem Augenblicke, kein Wunder, wenn er dem huldigt, was diesen am meisten zu schmücken vermag, wenn es auch ebenso vergänglich ist.

Der Vergänglichkeit war in der letzten Nacht erst wieder ein Opfer verfallen. Der König der Börse war gestorben, und nicht nur Blenheim selbst, sondern die öffentliche Meinung erhob ihn auf den verlassenen Thron. Zwar trat der Sohn des Verstorbenen in Haus und Firma ein, allein er besaß mehrere Geschwister und nicht das Genie seines Vaters. Blenheim dagegen war in den Büchern der Bank, nach denen der Werth des Kaufmanns abgeschätzt wird, der nächst größte Millionär, und er war noch ein Stamm, während jener reiche Erbe doch nur ein Ast, wenn auch der Hauptast, des gefällten Baumes war.

Mit welchem freudigen Stolze blickte der reiche Mann um sich, und mit welcher Bewunderung, mit welchem Neide blickte die Menge ihm nach! Ein Fürst träumte er sich zu sein, der so eben die Regierung angetreten, als Eugen ihn erinnerte, daß er den einen Fuß auf dem Wagentritt halte, und ihn bat, den andern doch endlich nachzuziehen, damit er und der Bediente, die vergebens bemüht waren, ihm hinaufzuhelfen, die nicht geringe Aufgabe leichter lösen könnten.

„Willst Du nicht mit nach Haus’?“ fragte Blenheim, als Eugen, den Hut lüftend, vom Wagen zurücktrat.

„Ich esse heute bei Reinville,“ war die trockne Antwort, die den ersten Gifttropfen in den Freudenbecher des Vaters fallen ließ, und mit Stirnrunzeln rief dieser dem Kutscher ein herrisches „Fort, nach Haus’!“ zu. Seine Miene hatte Vieles von ihrer stolzen Sicherheit verloren, als der Wagen funkensprühend durch die Straßen zweier großer Städte rasselte, die den Besitzer für den Beneidenswerthesten aller Sterblichen hielten. Aber ach! – –

Von Madame Blenheim konnte man nicht viel mehr sagen, als daß sie – die reiche Madame Blenheim und Mutter zweier Kinder sei, die ihr längst über den Kopf gewachsen waren. Wie ihr Gemahl, hatte sie, was man sagt, „von unten auf“ gedient; sie war Ladenmamsell gewesen, und er hatte sie geheirathet, als er seine Waaren noch mit der Elle maß. Aus der kleinen Bude, worin sie ihr Geschäft eröffneten, hatten sein Genie und ihre Wirthlichkeit sich so weit emporgearbeitet, und aus dem kleinen Krame war jetzt ein weltberühmtes Engros-Geschäft geworden, das der Vater dem Sohne zur Aussteuer versprochen, sobald dieser solide werde und eine vernünftige Heirath schließen würde, wozu Eugen jedoch bis jetzt noch wenig Neigung zeigte.

Seine Tochter Nancy war des Vaters Liebling; für die Mutter war sie eine Plage. An ihrer Erziehung war allerdings nichts gespart, und in ihrem sehr gescheidten Kopfe lagen große Schätze aufgehäuft, aber wirr und bunt durcheinander, und für das Leben fast nichts davon zu gebrauchen. Ihr Vater betete sie an, obgleich auch sie ihm manchen Kummer verursachte. Sie war ihm zu extravagant, sie haßte alle Geldmänner und sah dagegen fast in jedem Künstler und Literaten noch viel mehr, als er selbst in sich fand.

Dieser Eigenthümlichkeit war auch ihre kurze Liaison mit William Almis zuzuschreiben, dessen Tenorstimme sie bezaubert hatte, als sie ihn einst in einem Privatconcerte singen hörte. Seit er sie verlassen, hatten schon ein Portraitmaler, ein Geigenspieler, ein junger Dichter nach einander von ihrem leicht entzündlichen Herzen Besitz genommen, und augenblicklich kämpfte ihr Vater wieder gegen ihre Passion für einen Italiener an, der ein Graf sein sollte, obgleich er gegenwärtig Nancy’s und anderer junger Damen Sprachlehrer war.

[545] Heute hatte Herr Blenheim sich wieder mit Herrn Belani bei Tische gelangweilt und saß nun am Abend spät mit Mutter und Tochter allein in dem Salon, immer noch verstimmt, während Nancy den Flügel mit Phantasien über das Thema: „Ach, wenn Du wärst mein eigen!“ bearbeitete und, so sehr sie damit die Mutter ärgerte, den Vater dadurch endlich doch glücklich auf andere Gedanken brachte.

Er trat zu ihr, entzückt über die Fertigkeit ihrer Finger, indem er weder der Gräfin Hahn berühmtes Lied, noch die Gefühle kannte, die dasselbe in Nancy’s Herzen weckte oder doch begleitete. Als sie ihr Spiel beendet, küßte der Vater sie auf die Stirne und rief Beifall klatschend: „Möcht’ ich’s doch machen, wie jener Virtuos, der zum Kaiser Joseph sagte: „Ewig schade, daß Ew. Majestät kein Geigenspieler geworden sind!“ Aber nicht wahr, Nancy, Du würdest auch antworten, wie der Kaiser: „Hab’s halter so besser!“?“

Nancy nickte bejahend. Sie hätte gerne weiter geträumt, allein der Vater ließ ihr keine Zeit dazu. Noch hatte er ihr und der Mutter seine stolzen Hoffnungen nicht mitgetheilt, und sie sollten erst noch jeden Zoll der Huldigungen, die er heute eingenommen, mit genießen. Endlich erinnerte Nancy daran, daß die Uhr zwölf geschlagen. Die Mutter war schon lange eingenickt, da sprach der Vater, sich erhebend: „Nun werde ich Gelegenheit haben, mich an Manchem zu rächen, der sich einst gegen mich vergangen. Darunter ist auch der Almis. Wird mir ein Wechsel von dem groben, undankbaren Patron präsentirt, darf ich nur die Achsel zucken und ihn zurückweisen, dann raunt die ganze Börse sich zu: „der ist faul!““

„Du bist wohl gar böse, daß ich den eingebildeten Laffen laufen ließ?“ fragte Nancy verwundert.

„Ich weiß nicht, ob Du ihn hast laufen lassen,“ versetzte der Vater sarkastisch. „Nur das weiß ich, daß er ohne Dank und Abschied davon gelaufen ist. – Und ich hatt’s gut mit dem Burschen im Sinne,“ fügte er, wie zu sich selber redend, hinzu. „Es war doch Einer vom Geschäft und er hatte Kopf. Aus dem wär’ Etwas geworden, wenn ich ihn unter die Zucht nahm.“

„Versuch doch Deine Kunst an Eugen!“ warf Nancy boshaft ein.

„Was willst Du von ihm?“ rief der Vater hitzig. „Er hat Genie, und wenn er sich erst die Hörner abgelaufen, wird er seinen Weg schon machen. Eugen mischt sich nicht in Deine Phantastereien, gönne Du ihm die seinigen. Ihr werdet schon Beide noch einmal vernünftig.“

Die Mutter war erwacht, als ihr Gemahl sich erhoben, und fiel jetzt gähnend ein: „Nun, da der Almis ein solcher Herumtreiber ist, und Du ihn stürzen kannst, so wird er wohl bald bankerott. Da sieh doch zu, Gustav, daß wir das Haus bekommen. Ich möchte die Tannen umhauen und den Park vergrößern lassen.“

„Ach ja, Papa!“ rief Nancy lebhaft, „kaufe das Haus. Es kann so, wie es ist, im Park bleiben und mein eigen, mein Sanssouci, mein Tusculum werden; bitte, bitte, bester Papa!“

„Nun, wir wollen sehen, wie es sich macht,“ entgegnete der Banquier, und sie trennten sich, um in ihre verschiedenen Schlafgemächer zu gehen.




Der alte Almis galt lange Zeit für einen Geizhals und noch immer für einen Sonderling. Er hatte ein Commissionsgeschäft, dem er ganz allein vorstand und das man für sehr einträglich hielt, und man begriff daher nicht, warum er seinen Sohn nicht darin aufgenommen, ihn vielmehr bei seinem Nachbar, dem Schiffsmakler, in die Lehre gegeben hatte. Er selbst kaufte und verkaufte Häuser, die Hunderttausende kosteten, welcher Handel für ihn viel Geld mußte abgeworfen haben; dennoch wohnte er fortwährend in einem sehr kleinen Häuschen, an dessen einfacher Einrichtung nie etwas verändert ward. Bei dem Unterricht seines Sohnes hatte freilich einst auch er nichts gespart, aber an Kost und Kleidung, so viel es anging. Da William keine Brüder hatte, mußte er als Knabe alle alten Röcke seines Vaters allein zu Ende tragen, und es halfen weder Bitten noch Thränen. Der erste neue Rock, den er zur Confirmation bekam, ward so bestellt, daß er ihm noch nach drei Jahren passen mußte.

Kein Wunder, daß der eitle Jüngling desto mehr auf seinen Anzug verwendete, als er sich erst selbst etwas verdiente. Der Vater ließ ihn dabei gewähren, ja seine grämlichen Züge klärten sich mit dem Versuche eines schmunzelnden Wohlbehagens auf, als er seinen Eingebornen eines guten Tages in einen jungen Elegant verwandelt sah. Späterhin gab es freilich mitunter viel Angst und Sturm in dem kleinen Häuschen, durch Schulden veranlaßt, die William gemacht und die zu hoch waren, als daß seine Mittel oder die stets für ihn geöffnete Casse seiner Tante und Pflegemutter [546] dazu ausreichten. Aber diese gute Tante, die nach dem frühen Tode ihrer Schwägerin deren Stelle im Haushalte ihres Bruders ausfüllte, wußte den Letztern immer zum Zahlen zu bewegen, indem sie ihn an das holländische Sprüchwort erinnerte: „Einmal muß der Wein gähren, und der Jüngling rasen.“

Der alte Mann trug seitdem seine Röcke bis zur Fadenscheinigkeit, und wenn seine Schwester, die seine Verhältnisse kannte, wenigstens besser, als sonst Jemand auf der Welt, ihn deshalb tadelte, sagte er: „Es ist gut, wenn der Junge in mir eine Art von Gewissen vor Augen hat, da er in Dir die beständige Vergebung sieht. So wollen wir uns auch für ihn malen lassen, damit er uns noch nach unserm Tode also im Gedächtniß behält.“ Bald nachdem dieses Vornehmen ausgeführt war, starb die Tante, als sei nun ihre Mission auf Erden erfüllt.

Herminens Mutter war eine Verwandte von William’s Lehrherrn, auf dessen Comptoir auch ein armer verwaister Neffe von ihr das Geschäft erlernte, der in ihrem Manne seine letzte Stütze verloren hatte. Harry und William waren Freunde, soweit es ihre verschiedenen Charaktere und Verhältnisse gestatteten, und die kleine Hermine wuchs in den beiden Nachbarhäusern gewissermaßen mit auf, wo sie, so lange sie die Schule besuchte, ihren Tisch hatte. Sie und Harry waren erklärte Lieblinge von William’s Tante; der letztere interessirte sich wenig für das stille, schüchterne Kind. Der Nachbar starb, als William und Harry noch nicht lange ihre Lehrzeit beendet hatten, und der nun gänzlich verwaiste Jüngling ging nach Amerika, um dort sein Glück zu versuchen, und da er nichts wieder von sich hören ließ, hielten ihn seine Freunde endlich für untergegangen, wie so mancher nach Abenteuern suchende Jüngling untergeht.

Seit dem Tode von William’s Tante hatte sein Verkehr mit der Pastorin Walter gänzlich aufgehört, und zwei Jahre mochten verflossen sein, als William einst auf dem Wege, der ihn zu Blenheims, Herminen in die Stadt führen sollte, ihm begegnete. Er erkannte sie kaum wieder, aber geblendet von ihrer madonnenartigen Schönheit, blieb er unwillkürlich stehen. Sie hatte ihn sogleich erkannt und that dasselbe. Er kehrte mit ihr um, und auf dem Wege theilten Beide sich ihre Erlebnisse mit. Harry spielte in dieser Unterhaltung eine Hauptrolle, und William fand dadurch willkommene Gelegenheit, Herminens Mutter zu besuchen. Er holte und brachte Briefe mit Erkundigungen nach dem Verschollenen und Antworten von überseeischen Geschäftsfreunden, die leider nichts über ihn hatten erfahren können.

Als William seinem Vater die Neigung zu Herminen gestand, freute der alte Mann sich darüber im Stillen herzlich, obgleich er es für vortheilhafter hielt, sich hiervon nichts merken zu lassen. Ihm hatte das Mädchen immer sehr gefallen, und er kannte ihre Mutter genau genug, um zu wissen, nach welchen Grundsätzen sie ihre Tochter würde erzogen haben. Ja, er gab sich der gewissen Hoffnung hin, daß sein Sohn, nachdem er eine solche Wahl traf, nun endlich ausgeras’t hätte. Mit ebensoviel kaufmännischer Vorsicht, als väterlicher Liebe, gab er William die Mittel, Haushaltung und Geschäft auf’s Beste einzurichten, und indem er seinem Sohne sagte, daß er nun vor seines Vaters Ableben auf keinen Zuschuß mehr rechnen dürfe, überließ er es dem jungen Paare, mit der Welt und sich selber fertig zu werden.

Damals träumte William noch davon, einst auch noch ein Börsenkönig zu werden, und zu einem Matador in seinem Geschäft besaß er auch alle Anlagen. Mit einem offenen, gewinnenden Aeußeren verband er Schlauheit und Ueberredungskunst, und selbst sein wohlklingendes Organ trug dazu bei, auch den stöckischsten Engländer zu bewegen, ihm seine Schiffsladung anzuvertrauen. Auch verdiente er im ersten Jahre große Summen, sein Credit stieg, und die Achtung auch der gediegensten Geschäftsmänner ward ihm zu Theil. Seine junge Frau war selig in seinem Besitze und ihrer reizenden Häuslichkeit, und hielt es für ein unerhörtes Glück, als sie jetzt auch das Theater und die schönen Umgebungen der beiden großen Städte nach allen Richtungen hin kennen lernte.

Freundinnen besaß und entbehrte Hermine nicht. Die eingeschränkte Lage ihrer Mutter, der Fleiß, mit dem Beide an der Vermehrung ihrer kleinen Einnahme arbeiteten, erlaubte ihnen keinen Umgang, und nur eine alte Dame in Altona hatten sie zuweilen besucht, die den Verkauf ihrer Arbeiten besorgte. Hermine fand es daher weder auffallend, noch betrübte es sie, daß William auch nach ihrer Verheirathung sie in keine Familienkreise einführte, und nur von Zeit zu Zeit einen oder den andern Freund oder Schiffscapitaine zu Tisch lud, was das Geschäft so mit sich brachte.

Als bei William der erste Rausch der Leidenschaft für das schöne Weib verraucht, und ihm das rechte Verständniß für die Seele, die in ihr wohnte, noch nicht aufgegangen war, zog die Macht der Gewohnheit, der Geschmack an Vergnügungen, bei denen sittsame Frauen nicht zulässig, sowie die Spöttereien seiner Bekannten ihn wieder dem Rande des Abgrunds zu, in den er gänzlich zu versinken drohte, wenn keine höhere Macht sich seiner erbarmte. Hermine konnte leider noch immer das rechte Mittel nicht finden, ihn davon zurückzubringen. Sie hatte es auf alle Weise versucht, allein damit nur erreicht, daß William sich in ihrer Gesellschaft zu langweilen begann, und um nicht so schuldig vor sich selber da zu stehen, nach Gründen spähte, sich über sie beklagen zu können. Die gewöhnliche Weise der Leichtsinnigen! Allerlei unsinnige Einbildungen bemächtigten sich dabei seiner. Bald überredete er sich, es sei Eugen Blenheims Teufelskünsten gelungen, Hermine zu bestricken. Bald sollte ihre Mutter, eine fromme und ernste Frau, sie gegen ihn aufhetzen. Im Grunde aber waren diese Einbildungen doch nur ein Beweis von körperlichen und geistigen Leiden und von der erwachenden Regung seines Gewissens.

Eines Tages befand er sich auf dem Wege zur Eisenbahn, um die im Kieler Hafen stationirende Kriegsflotte in Augenschein zu nehmen. Er überdachte dabei seine Lage, die schon sehr kritisch geworden war und ihn leicht zum Bankerott führen konnte, wenn sein Vater ihm nicht half, dem er selbst sich unmöglich glaubte anvertrauen zu können. Er dachte, ob nicht vielleicht Hermine – – aber ihr verändertes Wesen gegen ihn – – – plötzlich warf eine göttliche oder teuflische Macht ihm einen Gedanken in das Herz, der ihm das Blut in den Adern erstarren machte, und bei dem es ihm zum ersten Male klar ward, daß selbst noch in diesem Augenblicke alle Güter der Erde ihm nichts gegen den Schatz galten, in dessen Besitz er sich allzu sicher geträumt, und den niemals besessen zu haben, eben dieser neueste Gedanke war: Herminens Liebe. Klar, wie der Tag, stand die Ueberzeugung vor seiner Seele, daß sie ihren Vetter Harry geliebt und ihn nur geheirathet hatte, weil sein Vater für einen reichen Mann galt. So lange er sich noch als den einzigen Erben eines solchen erwiesen, war sie stets heiter und liebreich gewesen; jetzt waren ihre Lebensanschauungen trübe, und ihre Augen zeigten stets die Spuren von Thränen. Und dann ihre Schwermuth, ihre Ermahnungen zu einem frommen Lebenswandel, die strenge Miene ihrer Mutter! O daß er bisher mit Blindheit geschlagen gewesen und nicht errathen hatte, woran er jetzt wie an ein Evangelium glaubte!

Statt seinen Weg zu verfolgen, schlug er gedankenlos den nach seinem Hause führenden ein; während Hermine, die ihn vor Abend nicht zurückerwartete, sich in dem Bilderzimmer mit einer großen Stickerei beschäftigte, die sie ihrer Mutter schenken wollte, damit diese sie auf dem frühern Wege verkaufen und dafür ihre kleinern Wintervorräthe beschaffen könnte. Niemand, William am Allerwenigsten, sollte und durfte Etwas davon erfahren, und deshalb verschloß sie jedesmal die Thüre, wenn sie ihre vielen Mußestunden zu dieser Arbeit verwendete, die nach einem berühmten Muster, Abrahams Opfer darstellend, mit ebenso viel Kunst als Emsigkeit von ihr ausgeführt ward. In den nächsten Tagen hoffte sie damit fertig zu werden, was des Zweckes wegen so wünschenswerth war, und heute besonders fürchtete sie keine Störung, als das Dienstmädchen an die Thüre klopfte und die Meldung machte, es sei eine Kiste und ein Brief für den Herrn gebracht. Hermine rief ihr zu, Beides im Salon zu lassen. Denn über sie war gerade wieder ein Moment des tiefsten Seelenschmerzes gekommen, und indem sie einen Gang durch das Zimmer machte, um keine Thräne auf die kostbare Stickerei fallen zu lassen, rief sie ein Mal über das andere händeringend aus: „Gott, mein Herr und Vater, erbarme dich seiner und meiner!“

Als sie sich wieder einigermaßen gesammelt hatte, gedachte sie des Briefes und der Kiste, und ohne die Adresse des ersteren, die von einer kaufmännischen Hand geschrieben war, näher zu betrachten, nahm sie ihn der Sicherheit wegen mit in das andere Zimmer und legte ihn gedankenlos in ihr Nähkörbchen. Kaum hatte sie sich wieder an ihre Arbeit gesetzt, als William mit unhörbaren Schritten über den dicken Teppich des Salons an die verriegelte Thüre eilte und sehr frappirt war, Herminen drinnen zu finden, [547] als er ihre Frage: „wer ist da wieder?“ vernahm. Ironisch antwortete er: „Ich bin’s, wenn Du mich aber nicht sehen magst, will ich nicht stören.“

„O William, welcher Einfall!“ rief Hermine letztlich erschrocken; denn schon war sie so zaghaft geworden, daß sie seine unverhoffte Rückkehr einem Unglücksfalle zuschrieb. „Warte nur einen Augenblick,“ fügte sie bittend hinzu, während sie hastig die Arbeit zusammenschlug und in dem Spiegelschrank verschloß. Sie öffnete hierauf eiligst die Thüre und trat dem argwöhnischen Gatten bleich, aber mit einem Engelslächeln entgegen, indem sie in seinem finstern Gesichte nach der Ursache forschte, die ihn sobald zurückgeführt hatte. Sein Aussehen schien ihre schlimmen Ahnungen zu bestätigen. Auch er war bleich wie der Tod, und seine Augen blickten wirr und irrten nach einem Streifblick in ihre verlegenen Züge im Zimmer umher und in das andre hinein, noch bevor er ein Wort sagte.

„Lieber William, was ist Dir widerfahren?“ fragte Hermine, und ihre Angst stieg, als er, statt hierauf zu antworten, mit erkünstelter Freundlichkeit fragte:

„Was ist denn Schönes in der antiken Kiste enthalten, die dort so sorgfältig auf den guten Teppich placirt ist?“

„Sie ist für Dich gebracht, lieber William, und hier ist auch ein Brief,“ sagte Hermine sanft, obgleich in tödtlicher Angst über sein Benehmen.

„Was!“ schrie er mit einem Zornblicke auf die Adresse. „Und Du denkst mich glauben zu machen, daß Du diese Hand nicht kenntest? O, daher Deine wieder gerötheten Augen! daher die verriegelte Thüre und das Schließen des Schrankes! daher Deine Blässe und sichtliche Angst! Verstelle Dich nicht länger, ich ahne, ich weiß Alles. Du hast einen Brief von derselben theuren Hand, von dem Dein Gatte nichts wissen darf und soll. Also dieser liebe, gute, redliche Harry lebt noch und hat doch in den ganzen vier Jahren sich weder um seine zweite Mutter noch um seine ihn so treu und innig liebende Cousine bekümmert?“

Hermine horchte anfangs mit sprachlosem Erstaunen auf William’s Worte, aber kaum verstand sie daraus, daß Harry noch lebe, als sie für nichts weiter Sinn noch Verständniß hatte. „William! mein bester William!“ rief sie, „Harry lebt? der Brief ist von ihm? So erbrich ihn doch und laß uns lesen was er schreibt!“

William wehrte sie mit herrischer Gebehrde von sich ab, als sie unwillkürlich die Hand nach dem Schreiben ausstreckte. „Ja, der Brief ist von Harry,“ sagte er höhnend, „aber dieser ist an mich, und ich halte es wie Du, ich lese auch meine Briefe allein für mich, wenn auch nicht bei verschlossenen Thüren.“ Dabei erbrach er das Couvert, aus welchem auch ein Schreiben an Herminens Mutter herausfiel. Er griff danach, besah die Aufschrift und überreichte es ihr mit einer höflichen Verbeugung, indem er hinzufügte: „Den bringst Du wohl gern selbst und allein an die Adresse.“

Die Schilderung der Gedanken und Gefühle, die während dieser qualvollen Minuten Herminens Kopf und Herz durchirrten, würde mehr Raum erfordern, als dieser Erzählung gewidmet ist. Genug, als William schwieg, stand Hermine hochaufgerichtet vor ihm, und ihn mitleidvoll anblickend, sagte sie: „William, Du bist kein guter Mensch!“ Dann nahm sie den Brief für ihre Mutter und ging damit zur Thüre hinaus.

Als diese sich hinter ihr schloß, sank William in Verzweiflung zurück. Jetzt sollte er den Unterschied zwischen eingebildetem und wirklichem Unglück gewahr werden, indem er fühlte, daß er in Wahrheit nie an Herminens Liebe gezweifelt, und daß er ihre Verachtung nicht überleben könnte. Endlich erbrach er den an ihn gerichteten Brief und hoffte darin wenigstens etwas zu finden, was ihm einen, wenn auch nur scheinbaren Grund zu so wahnsinnigem Benehmen hatte geben können.

Flüchtig überlief er die Schilderung der Erlebnisse seines Jugendfreundes, die sich hierzu allerdings nicht eigneten. Dem armen Harry war es ergangen wie so vielen Anderen, die nach Amerika gehen, um dort reich zu werden, und nichts Andres dahin mitbringen als kaufmännische Kenntnisse, an denen dort kein Mangel ist. „Köpfe habe ich genug und bessere als Du, wenigstens schlauere,“ ruft die neue Welt vergebens der alten zu, „sende mir nur noch tüchtige Arme.“ Mehr als zwanzig Rollen hatte Harry durchgemacht, nur um nicht zu verhungern. Von Ost nach West, von Nord nach Süd war er gewandert, bis er sich zuletzt in Toledo, einer neu gegründeten Stadt, niederlassen konnte. Hier hatte er in Compagnie mit einem jungen deutschen Arzte ein Drogueriegeschäft errichtet, in welchem sie zugleich als Apotheker, Liqueurfabrikanten und Schenkwirthe fungirten und das ihnen die Aussicht eröffnete, mit der Zeit noch einmal wohlhabende Leute zu werden.

„Endlich,“ so schloß Harry’s Epistel, „endlich kann ich nun auch anfangen, einige Zinsen von dem Capital abzuzahlen, das meine gute Tante und ihr Mann durch die Wohlthaten, die sie mir in meiner Kindheit erzeigten, bei mir angelegt. Bevor ich so weit war, wollte ich nicht schreiben. Besser, Ihr hieltet mich für todt, als elend. Wozu sollte es auch nützen, wenn ich die Sorgen einer armen Wittwe mit den meinigen vergrößerte? Zumal mir Niemand helfen konnte und sollte, als Gott und ich selber. Aus Europa hörte ich selten etwas; die größte und angenehmste Neuigkeit war die, daß aus Dir und meiner kleinen Cousine ein Paar geworden. Ich kann Dir nicht sagen, wie tröstlich mir diese Nachricht war, denn nun wußte ich, daß es meiner alten, trefflichen Tante an nichts fehlen würde. Doch, mein lieber William, Du darfst nicht vergessen, daß ich ihr ältester Sohn bin, und mußt es zulassen, daß ich von jetzt an das Meinige beitrage, ihren Lebensabend zu schmücken, wie sie es verdient. In dem anliegenden Schreiben sende ich ihr meine ersten Ersparnisse. Dich bitte ich, Dir die Havannah-Cigarren und den Liqueur aus unserer Fabrik gut schmecken zu lassen, und meiner kleinen lieben Hermine zu sagen, daß sie sich ihres Bruders in Liebe erinnern möge, wenn sie den beigeschlossenen Shawl um ihre weißen Schultern schlägt, die mir immer wie die Fittiche eines Engels vorkamen, wenn das liebreizende Kind meinen Hals umschlang. Sage ihr auch, daß sie es nicht übel nehmen soll, wenn ich für dies Mal nicht auch an sie schreibe; ich kann mir ja denken, daß sie diese Zeilen Wange an Wange mit Dir liest.“

„Hermine! Meine Hermine, ich habe Dich verloren!“ schrie William auf. „Du bist kein guter Mensch! – diese Worte werden ewig wie Flammen in meinem Herzen brennen! Und doch hat ein Engel sie gesprochen, ein gewöhnliches Weib würde mich ein Ungeheuer genannt haben, und mit Recht. Ich wahnsinniger Thor habe selbst das größte Glück der Erde von mir gestoßen! Ich bin so elend geworden, daß ich das Leben nicht mehr ertragen kann!“

Der unglückliche junge Mann würde in diesem Augenblicke das Mitleid selbst des strengsten Sittenrichters geweckt haben, so groß war sein Schmerz, seine Reue, seine Zerknirschung. Endlich raffte er sich mit einem verzweiflungsvollen Entschlusse empor. „Ich muß sie sehen!“ rief er, „zu ihren Füßen will ich sie in die ganze Höllentiefe meiner Schuld blicken lassen und ihr Urtheil, ihre Entschließung in Demuth empfangen und tragen.“

Ohne Hut stürzte er aus dem Hause, den Abhang hinunter, dem Häuschen am Strande zu. Durch die hellen Scheiben suchten seine Blicke das mißhandelte, schuldlose Weib, und neuer Schrecken ergriff ihn, als er Hermine kniend vor ihrer Mutter, das Haupt in deren Schooße verbergend, erblickte. Natürlich wußte die Mutter nun seine ganze Schande; wie konnte er ihr, die ihn wie den Wolf betrachten mußte, der ihr das Lamm geraubt und das Herz desselben zerfleischt hatte, unter die Augen treten? Aber die Mutter sah nicht auf, wie von Schmerz und Zorn bewegt, sie blickte glücklich und wie verklärt auf die Tochter herab, und hatte die Hände segnend auf das Haupt derselben gelegt.

Mit der Miene des Verbrechers, der seine Schuld empfindet und eingestehen will, trat William leise ein und warf sich an Herminens Seite nieder, indem er die flehenden Augen zur Mutter erhob, die ihn freundlich verwundert anschaute, als er ausrief: „O Mutter! Mutter! vergeben Sie mir!“

„Was soll ich Ihnen vergeben, lieber Sohn?“ war ihre fast ängstlich klingende Frage, während Hermine regungs- und athemlos in ihrer Stellung verharrte und keine Ahnung hatte, welche Wirkung Harry’s Brief in der Seele ihres verirrten Gatten hervorgebracht.

„Hat nicht Hermine – o daß ich noch sagen könnte: meine Hermine! – mich bei Ihnen verklagt? Sie zürnen mir, und das mit dem heiligsten Rechte. Versuchen Sie nicht, Ihre Gefühle gegen mich zu verbergen; ich bin nicht gekommen, mich zu entschuldigen, sondern mein Unrecht zu bekennen und mein Urtheil zu empfangen.“

„Hermine, mein Kind, blick’ doch auf und sprich!“ sprach die Pastorin, zärtlich bemüht, das hold erröthete Antlitz der Knieenden aufzurichten, und als das jungfräuliche Weib nun wie Maria, [548] als sie die Verheißung empfing, mit gesenkten Lidern das Haupt erhob, aber noch immer schwieg, überflog eine leise Röthe die Wangen der Matrone, und sie war fast schön zu nennen, als sie mit einer aus weiblicher Würde und Freude gemischten Haltung sprach: „Eigentlich, lieber Sohn, hätten Sie der Erste sein sollen, dem dies schämige Kind das süßeste Geheimniß des Weibes anvertraute. Doch wer weiß, wie lange sie es uns Beiden noch vorenthalten hätte, wenn die große Freude über Harry’s Brief es ihr nicht entrissen. Sie sehen mich ungläubig an? Ja, ja, es ist gewißlich wahr, der Herr unser Gott gab mir an einem und demselben Tage den todt geglaubten Sohn zurück und die beseligende Hoffnung, einen Enkel auf meinem Schooße wiegen zu können.“

Welche Feder wäre fähig, zu schildern, was bei dieser von ihm so heiß ersehnten Nachricht in William’s Herzen vorging? Er war von seinen Knieen aufgesprungen und starrte die Matrone erst ungläubig, dann wie verklärt vor Freude an. Aber unwillkürlich entfernte er sich von Herminen, als fühle er sich nicht würdig, seinem Gefühle Worte zu geben. Da aber erhob auch sie sich, und auf ihn zueilend, umschlang sie ihn mit ihren Armen heiß und innig, während ihre Lippen nichts als nur die Worte: „William! mein ewig Geliebter!“ stammelten.

Lange hielten sie sich so umschlungen, Beide in Thränen zerfließend, während die Mutter, die die ganze Scene mehr errieth, als verstand, nur einzelne Ausrufe hörte, als: „Ich bin ein Elender, ein wahnsinniger Thor!“ – – „O, klage Dich nicht an, sage mir nur, daß Du mich noch liebst!“ – – – „Du kannst mir nicht verzeihen.“ – – „Ich habe nichts mehr zu verzeihen, sobald Du nur an mich glaubst.“ – – „Ist es denn wahr, mein süßes Leben?! Doch sprich es nicht aus mit denselben Lippen, die erst vor einer Stunde sagten, ich sei kein guter Mensch, Gott – Gott, ich verdiene nicht das Glück, Vater zu sein!“ – – „William, Du wirst Deinem Kinde einst noch das edelste Vorbild sein, diese Stunde verbürgt es mir! – –“

Himmlische Minuten! wie sie nur selten denen zu Theil werden, deren Leben auf der Woge der Zeit gleichmäßig dahinfließt! Aber auch sie eilten vorüber, und William fand nun eine selbstquälerische Genugthuung darin, beide Frauen in die Tiefen seiner Brust blicken zu lassen. Vergebens suchte Hermine ihn mehrmals zu unterbrechen, vergebens versicherte ihm die Mutter, daß ihre Tochter sich niemals über ihn beklagt, und er sie nicht in Schmerzen einweihen sollte, zu denen er von jetzt an gewiß niemals mehr Veranlassung geben würde. Ohne Schonung gegen sich verglich er sein Benehmen mit Harry’s einfach redlichem, und indem er auch des Punktes erwähnte, daß der Letztere schon von Ersparungen sprach und einen so edeln Gebrauch davon machte, während aus seiner Mittheilung deutlich hervorging, daß seine Lage augenblicklich noch nichts weniger als glänzend war, gelangte er endlich dahin, sich selbst der gedankenlosesten Verschwendungssucht anzuklagen, und in wahrer Verzweiflung brach er in die Worte aus: „Ja, es muß heraus! Du mußt und sollst Alles wissen, ich bin ein ruinirter Mann! Wenn ich nicht bis übermorgen 4000 Mark habe, die ich nicht aufzubringen weiß, muß ich mich fallit erklären!“

Die Mutter sank bei dieser Nachricht fast in Ohnmacht. Sie warf dann in namenloser Angst den ersten Blick in die Banknote, die natürlich nicht so groß war, um eine solche Summe zu decken. Hermine dagegen fand eine Art Trost darin, als sie sich sagen konnte, daß Geldsorgen ihres Mannes Laune in der letzten Zeit sehr verfinstert und seine Härte, seine Rauhheit gegen sie veranlaßt haben könnten. Auch freute sie sich, als er ihr durch sein Vertrauen endlich Gelegenheit gab, ihm als christliche Ehegattin helfend und rathend zur Seite treten zu können.

„Verkaufe doch das Haus!“ sagte sie heiter. „Von meiner Wäscherin hörte ich, daß Madame Blenheim es sich mit Leidenschaft wünscht, um ihren Park vergrößern zu können.“

Anfangs ergriff William den Gedanken mit Begeisterung, allein bald schüttelte er das Haupt. „Nein,“ sagte er, „das Haus ist mir seit einer Stunde zu theuer geworden. Dort habe ich das höchste Glück genossen, dort habe ich es mit Füßen von mir gestoßen, dort möchte ich es mir auf’s Neue wieder erringen durch ein pflichtgetreues Leben.“

„William!“ rief Hermine begeistert, „was von Deinem Glücke in meiner Hand und in meinem Herzen liegt, das nimmst Du überall mit hin, sei es in eine Hütte oder in einen Palast.“ „Nicht an das Wo ist Seligkeit gebunden, wer hat das Glück schon außer sich gefunden?“ sangst Du nicht oftmals so? Nun wohlan denn, fasse den Entschluß! Laß uns Deinen Vater bitten, den Handel zu machen und uns mit in sein Haus aufzunehmen. „Stadt oder Land, die Außenwelt ist Tand!“ Aus der Stube Deiner Tante wollen wir uns ein neues Paradies schaffen, in der Kammer ist Raum genug für zwei Betten, auch noch für die Wiege unsers Kindes. Die alte Rebekka wird ohnehin zu alt, unser gutes Väterchen gehörig pflegen zu können, Grund genug zu unserer Bitte!“

„Mein Vater soll der Letzte sein, der meine Schande erfährt!“ rief William.

„Nenne nicht dies häßliche Wort, sage lieber Verlegenheit. Und weshalb Dein Vater der Letzte? sind nicht unsere Eltern unsere ersten und natürlichsten Vertrauten?“

„Ja, für die Geheimnisse der Engel und Madonnen!“

„Auch für unsere Verirrungen, geliebter William! Blicke doch in das gute, volle, wenn gleich wehmüthige Auge unserer Mutter! Ich wette, ihre Wehmuth rührt nur von ihrer Ohnmacht, Dir zu helfen, her. Laß uns zusammen und sogleich zu Deinem Vater gehen, ich will ihm unsere Bitte wegen der Aufnahme seiner Kinder unter sein Dach vortragen, Du unterstützest sie dann mit einem offenen Bekenntnisse.“

Jetzt hatte auch die Mutter wieder Kraft gesammelt, und so sehr es sie schmerzte, die Tochter gerade in dieser Zeit so weit von sich zu lassen, fand auch sie sich in die Nothwendigkeit, und beide Frauen hatten endlich die Freude, William zu überreden. Mit ihrem besten Segen entließ die würdige Frau bald darauf die beiden Ehegatten, die nun wieder wie ein Herz und eine Seele, aber mit verdoppelter Kraft und muthig, den besonders für William so schweren Weg antraten.

Das kleine, schmale und hohe Haus des alten Almis lag an einem großen Marktplatze, und das Schreibpult des in Berechnungen Vertieften stand dicht am Fenster. So konnte es geschehen, daß er zu seiner nicht geringen Verwunderung seine Kinder zu so ungewohnter Zeit schon einige Minuten vor ihrem Eintritte gewahr ward. Ihm ahnte sofort, daß William seine Hülfe suche, denn er war nicht so unbekannt mit dessen neuesten Verirrungen, als er sich den Anschein gab. Es finden sich überall Menschen, die es nicht ertragen, Jemand in Unwissenheit mit der Schande oder dem Unglücke eines Verwandten zu sehen. So hatte der schlaue alte Geschäftsmann sich denn schon darauf vorbereitet und sich vorgenommen, nur im äußersten Nothfalle helfen zu wollen. Daß Hermine ihren Gatten begleitete, gehörte freilich nicht mit in diese Vorbereitung, denn gegen sie spielte der Schwiegervater gewissermaßen immer halb und halb den Galanten, und auch jetzt hatte er rasch den bequemen Hausrock mit seinem allerbesten, das grüne Hauskäppchen mit dem schwarzsammtnen vertauscht, das Hermine ihm zu seinem Geburtstage geschenkt, und schon an der Hausthüre trat er den Beiden mit liebreicher Freundlichkeit entgegen, wodurch er Herminens Muth erhöhte, den des Sohnes aber völlig wieder in die Flucht schlug. Hermine nahm denn auch zuerst das Wort, und nicht ohne freudige Verwunderung, aber auch nicht ohne Schrecken vernahm der Alte ihre Bitte, die sie im zärtlichsten Tone vortrug, und sich mit der kindlichsten Demuth zu seiner besseren Pflege erbot.

„Nun, nun, mein Töchterchen,“ entgegnete er nach kurzem Besinnen, „ich finde es natürlich, daß Du, wie andere wohlhabende Frauen, auch gern eine Stadtwohnung hättest. Wäre auch für William bequemer, denn der Weg ist weit, und er brauchte Dich dann Mittags niemals allein essen zu lassen. Ich weiß zwar nicht, ob er das öfter gethan, bekümmere mich nicht um seine Angelegenheiten, so wenig ich ihm erlauben würde, sich in die meinigen zu mischen. – Aber mein Kind, Dein Wunsch kann erfüllt werden, ohne daß Ihr den Krebsgang in diesen alten Kasten zu thun braucht. Das würde dem Credit Deines Mannes schaden, und der Credit gilt dem Kaufmanne mehr als Geld. William hat Dir vielleicht erzählt, daß ich seit Jahren für einen reichen Sonderling, Namens List, nach und nach mehrere Häuser habe kaufen müssen, die ich für ihn administrire. Von einer Zeit zur andern wollte er kommen und eines davon beziehen, aber bis heute hat er nicht Wort gehalten. Im Frühjahre kam eines von diesen Häusern mit einer freien und sonnigen Lage frei, und ich durfte es nicht wieder vermiethen, weil List jedenfalls den Winter darin wohnen wollte. [549] Nun schreibt er wieder ab, und wenn ich bedenke, daß dies alte Haus nachgerade sehr zugig geworden ist, und Deine Mutter, mein Töchterchen, im Winter auch nicht gerade sehr behaglich in dem ihrigen sich fühlen muß, so sehe ich nicht ein, weshalb ich nicht das leerstehende Haus beziehen und Euch Alle als meine lieben Gäste darin einladen sollte. Meublirt ist es auch schon theilweise für List, und wenn Ihr Eure Einrichtung mitbringt – –“

„O Väterchen, herzliebes, gutes Väterchen!“ jubelte Hermine, und es fiel Niemandem ein, daß er nicht das Recht hätte, William’s Schwiegermutter als Hausgenossin bei sich aufzunehmen.

Nun aber sollte die Hauptsache berührt werden, und der Vater hörte es schon dem leidenschaftlichen Danke des Sohnes an, daß demselben noch etwas wie ein Stein auf der Zunge lag. Indessen hatte auch William seinen Entschluß gefaßt und sagte ruhig, als ob es sich um ein gewöhnliches Gespräch handelte: „Ich habe ein Anliegen an Dich, lieber Vater! Ich möchte mein Haus verkaufen und Dir das Geschäft übergeben; Blenheim wünscht es zu haben, um seinen Park damit zu vergrößern, und Du wirst es begreifen, daß dies die beste Gelegenheit zu gutem Profit wäre.“

„Sehr gern,“ antwortete der Vater in demselben Tone. „Du willst im Frühjahr vielleicht ein größeres beziehen, und auch da kann ich dienen, habe eins vor dem Dammthor von List seinen, das ich Dir offeriren kann.“

„Ich danke, lieber Vater, Hermine und ich können es gelegentlich einmal besehen.“

„Ja, ja, es hat Zeit damit –“

„Aber nicht mit dem Verkauf meines Hauses,“ fiel William lebhaft ein. „Der Zeitpunkt ist besonders günstig, um Gartenanlagen zu verändern.“

„Freilich, da hast Du Recht, ich will nächsten Tags die Gelegenheit erhorchen.“

„Könntest Du vielleicht morgen?“ fragte William, und der Vater bewilligte auch diesen Wunsch, ohne nach dem Grunde einer solchen Eile zu fragen.

Hermine blickte von dem Einen auf den Andern und wußte nicht, was sie von Beiden denken, noch wie sie sich bei diesem sonderbaren Gespräch verhalten sollte. Endlich rief sie bewegt: „Aber William, Du wolltest ja unserm liebreichen Vater Alles sagen.“

„Um Gotteswillen nicht mehr als zur Sache gehört!“ fiel der Vater ihr freundlich in die Rede. „Ein guter Geschäftsmann verschwendet nichts, am wenigsten Zeit und Worte. Laß Du, mein Kind, es stets nur Deine größte Sorge sein, den Credit Deines Mannes aufrecht zu erhalten, selbst bei seinem Vater.“


[550] Am nächsten Tage lief eine Nachricht in der Börsenwelt umher, die Viele mit Verwunderung, Viele mit Schadenfreude, die Wenigsten mit Theilnahme anhörten und weiter verbreiteten. Der reiche Blenheim sollte, und schon seit Jahren, große Defrauden bei seinem Engros-Geschäft begangen haben. Er hatte versucht, seinem damit beauftragten Buchhalter die Schuld davon aufzubürden, und dieser war gefänglich eingezogen, Blenheim selbst nur gegen hohe Caution auf freiem Fuß gelassen.

Dies war natürlich kein günstiger Augenblick, ihm das Landhaus anzubieten, denn wenn der reiche Mann die Schuld nicht von sich abwälzen konnte, hatte er damit zugleich seinen Bürgereid gebrochen und konnte dann nicht in Hamburg bleiben.

Dies stellte der alte Almis seinem Sohne vor, und als er die bleiche Verzweiflung in dem Gesichte desselben las, kam er der Beichte, die schon auf William’s Lippen schwebte, eiligst zuvor, indem er sagte: „Ich kann Dir das Haus ja für List abkaufen und es, wenn Du Geld brauchst, gleich baar bezahlen. Er hat es in meinem Kasten liegen.“

William blickte gerührt in das grämliche Gesicht, drückte die Hand seines Vaters und sagte: „Strecke mir nur 4000 Mark vor. Wenn Gott uns bis Weihnacht offenes Wasser erhält, zahle ich es Dir schon in einigen Wochen zurück.“

„Du willst das Haus also nicht verkaufen?“

„Nein, mein herzlieber Vater!“ sprach William in tiefer Bewegung. „Ich möchte gern, daß die Wiege meines ersten Kindes da zu stehen käme, wo ich die Mutter zuerst als mein Eigen umarmte.“

„Was?“ rief der alte Mann freudebebend. „Hermine wird mir einen Enkel geben? Junge! ich schenke Dir das Geld für diese Nachricht.“

Zehn Jahre sind verflossen, seit wir die obigen Familien-Nachrichten niederschrieben. Das schöne Landschaftsbild ist noch dasselbe, aber in den Häusern, in die wir unsere Leser einführten, hat sich Alles verändert. Die Familie Blenheim ist in alle vier Winde zerstreut. Der Banquier ist am gebrochenen Herzen gestorben. Den Sohn haben Gemüthsbewegung und Ausschweifung in’s Irrenhaus geführt. Die Tochter hat einen Componisten zweiten Ranges geheirathet und sich mit ihm am Comersee niedergelassen. Die Mutter zog es vor, in einer großen süddeutschen Stadt ihren Millionen Geltung zu verschaffen.

List hat den Blenheim’schen Palast durch den alten Almis billig erstanden, und dieser ist mit seiner ganzen, jetzt schon sehr zahlreichen Familie hineingezogen, in der die Schwiegermutter keine Stunde mehr entbehrt werden kann.

Im Häuschen am Strande verzehrt die alte Rebekka das Gnadenbrod.

List ist noch immer nicht nach Hamburg gekommen, und wir vermuthen, daß derselbe nie und nirgendwo existirt hat, als in dem Kopfe des alten Almis. Dieser hat sich gänzlich vom Geschäft zurückgezogen und hat alle Gelübde aufgehoben, seit William ein Matador in Haus und Geschäft geworden. Im breiten Goldrahmen prangen jetzt die meisterhaft umgeschaffenen Bilder, daneben das von dem guten Harry, dem man es ansieht, daß es ihm gut geht, und das der Pastorin, Herminens trefflicher Mutter, und vier reizende Bilder, schöne Kinder, die sich jetzt im Park auf der Höhe umhertummeln. Hermine ist eine der schönsten und edelsten Frauen – – geblieben.