Textdaten
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Autor: Marie von Locella
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Titel: Ein Brief über W. Heimburg
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 155–156
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[153]

W. Heimburg in ihrem Arbeitszimmer.
Nach dem Leben gezeichnet von W. Claudius.

[155]
Ein Brief über W. Heimburg.
(Mit dem Bilde S. 153.)
Dresden, Februar 1897. 

 Meine liebe junge Freundin!

Als Sie Ihre Fragen über Wilhelmine Heimburgs Leben und Ergehen an mich richteten statt an die gefeierte Schriftstellerin selbst, war es Ihnen gewiß bekannt, wie sehr diese mit Briefen aus ihrem Leserkreis überschüttet wird - so sehr, daß es ihr, die nie gern einen Dank oder Gruß schuldig bleibt, doch unmöglich ist, sämtliche Zuschriften zu beantworten, die aus allen Gauen Deutschlands und Oesterreichs ihr zuströmen. Selten vergeht ein Tag, der nicht ein Zeichen der Liebe und Verehrung bringt, und zumal in der Weihnachtszeit hat der Postbote nicht wenig zu tragen an den Päckchen, die Spenden verschiedenster Art, oft von ihr ganz unbekannten Gebern, enthalten. Ob künstlerisch gestaltet oder von schlichtem Fleiß hergestellt, sind sie der Empfängerin alle gleich lieb als Beweis jenes sympathischen Bandes, das ihre Leser mit ihr verbindet.

Wie sehr W. Heimburg (ihr Familienname ist Bertha Behrens) auch im Ausland bekannt und geschätzt ist, geht aus den zahlreichen Uebersetzungen ihrer Schriften hervor. In fast allen europäische Sprachen sind ihre Romane und Novellen teils in Gesamt-, teils in Einzelausgaben erschienen, zuletzt im Czechischen. Diese Verbreitung spricht wohl am beredtesten dafür, daß diesen liebenswürdigen Erzählungen ein Zauber innewohnt, der allüberall sich unmittelbar die Herzen erobert. Und fragt man sich, worauf derselbe beruht, so staunt man über die Einfachheit der Mittel. Gerade die Schlichtheit, die anspruchslose Natürlichkeit ist es, die diesen Zauber ausübt. Die Tiefe des Empfindens, das zarte Verständnis für das Gefühlsleben, vereint mit einer glücklichen Beobachtungsgabe, verleihen ihren Büchern einen ungewöhnlichen Reiz. Ihre Schilderungen, zumal von Frauenschicksalen und alledem, was die Kraft des weiblichen Charakters ausmacht, der Treue, der Hingabe, der Aufopferung haben sie zu der heute wohl gelesensten Erzählerin am deutschen Familientisch gemacht. Wie fein sind in ihren Romanen und Novellen die Herzensfäden gesponnen! Und doch wie frei sind sie von übertriebener Empfindsamkeit, vor welcher die Verfasserin ein frischer Zug von Schalkhaftigkeit und Humor bewahrt! Gesund und natürlich sprudelt der Quell ihrer Erfindungsgabe und ebenso fließend und ungezwungen ist ihre Sprache, fern von effekthaschenden Stil- und Geschmacklosigkeiten, wie sie in neuester Zeit fast zur Mode werden. Die Wärme des Tons, die Unmittelbarkeit der Stimmung, die zumal manche ihrer Novellen zu wahren Kabinettstücken machen, zeigen W. Heimburg als eine Dichternatur, die auch dem feinfühligsten Leser viel zu geben versteht.

Doch, was erzähle ich Ihnen da! Alles dies ist schon oft und von berufenerer Feder gesagt worden. Wie soll man aber von W. Heimburg sprechen, ohne auf ihre Bücher einzugehen? Nicht nur, daß ihr Wesen sich in den Hauptvorzügen derselben fast durchsichtig spiegelt – nein, ihre schriftstellerische Arbeit macht auch den Hauptinhalt ihres Lebens aus. Aus ihr schöpft sie die beste Befriedigung. Das Talent, das eine gütige Fee ihr mitgegeben, ist der Sonnenstrahl, der ihr Dasein erhellt, vergoldet und beleuchtet. Ob sie in ländlicher Stille, wie früher in dem Giebelstübchen des Elternhauses, arbeitet oder wie jetzt in dem unruhigen Treiben der Großstadt, wo an Stelle des patriarchalischen Kachelofens ein moderner „Amerikaner“ Wärme verbreitet – überall trägt ihre Phantasie sie hinaus über die engen Grenzen des eigenen Lebens und läßt sie in Sinnen und Schaffen innerlich eine weite, reichbewegte Welt erleben.

Mit zagen Schritten betrat sie vor über zwanzig Jahren die Schriftstellerlaufbahn. Ihre erste Novelle „Melanie“ legte sie unter den Christbaum als Weihnachtsarbeit für ihren Vater. Dieser, selbst auf literarischem Gebiete thätig, so weit es sein zeitraubender ärztlicher Beruf erlaubte, entdeckte mit sicherm Blick die Begabung seines Töchterchens, und trotz deren Bedenken sandte er das Manuskript an die Frauenzeitung „Victoria“. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten und ebensowenig das Honorar. Fünfundsiebzig Mark selbsterworben! Der jungen Autorin, die eben mit der Notenmappe aus der Musikstunde heimkehrte, schien es ein Kapital! Die Frage, ob dasselbe zum Ankauf eines Schreibtisches verwendet werden solle oder lieber zu etwas prosaischerem, wurde eifrig erwogen, aber man entschloß sich für das erstere. Mit welchem Selbstvertrauen konnte man sich zu neuem Schaffen an den eigenen Schreibtisch niedersetzen, und in der That führte ein glücklicher Stern das junge Mädchen von den kleineren bald zu größeren Erfolgen. Trübe Schatten hatten sich auf ihr Leben gesenkt und die tieferen Saiten ihres Wesens erklingen lassen. Nach schwerem Leid war sie in längere Krankheit verfallen und in dem Geiste der Genesenden erwachten wie zum Trost die Gestalten des Buches, das bestimmt war, ihren Ruf dauernd zu begründen. Während ihren spätern Romanen selten oder nie Vorgänge aus der Wirklichkeit zu Grunde liegen, war es hier doch ein äußerer Anlaß, an den ihre schöpferische Phantasie anknüpfte. Sie erinnerte sich, wie ihre Blicke, aus dem bescheidenen Mädchenstübchen ins Freie schweifend, stets an dem Fenster gegenüber in der engen Straße haften geblieben waren. Dort wohnte ein altes Fräulein, das nur von Erinnerungen zu leben schien, denn nichts trat verschönend in ihr Leben als Gesang und Spiel, womit die Einsame sich die Zeit vertrieb. Zuweilen näherte sie sich dem Fenster und dann sah W. Heimburg in welke, müde Züge, durch ein reiches inneres Leben seltsam vergeistigt. Bald tauschten die Nachbarinnen einen gelegentlichen Gruß aus, und gewiß ahnte die ältere von den beiden nicht, daß ihre Begegnung in der jüngeren den Keim zu der ergreifenden Erzählung weckte, die [156] unter dem Namen „Aus dem Leben meiner alten Freundin“ von dem Städtchen in der Altmark, wo W. Heimburg damals lebte, einen weiten Flug in die Welt nehmen sollte. Nicht gleich fand dies Buch die rechte Würdigung. Die „Gartenlaube“ schickte das Manuskript zurück als nicht geeignet für ein Blatt, das wöchentlich erscheine. Nun wurde es im Feuilleton der Magdeburger Zeitung gedruckt und später als Buch im Verlag von A. und R. Faber. In dieser Gestalt sandte es der Vater der Autorin gegen deren Willem, da sie ihre Arbeit noch immer für minderwertig hielt, an den Herausgeber der „Gartenlaube“, Ernst Keil, der es aufs höchste bedauerte, daß er, durch eine Kur von den Redaktionsgeschäften seiner Zeitschrift damals ferngehalten, die anziehende Erzählung nicht persönlich hatte prüfen können. In diesem Sinne schrieb er, wie schon früher einmal (vergl. Jahrg. 1884, S. 650) in der „Gartenlaube“ mitgeteilt wurde, an Wilhelmine, erklärte sich tief bewegt von dem stimmungsvollen Reiz des Buches, das er als eine sichere Bürgschaft für die glänzende Zukunft der jungen Schriftstellerin betrachte. Sein Brief schloß mit den Worten: „Solche Ermutigung darf Ihnen ein Mann geben, der Tausende von Manuskripten und darunter manch Vortreffliches gelesen, und der morgen die letzte Nummer des ersten Vierteljahrhunderts seiner Zeitschrift zusammenstellt.“

Von jetzt an ständige Mitarbeiterin der „Gartenlaube“, verstand sie es, in steigendem Maße die Gunst des Publikums zu gewinnen, und als die Leitung des Blattes später in andere Hände überging, dauerte das glückliche Zusammenwirken zwischen Verfasserin und Herausgeber fort. Alle ihre Romane haben seither in der „Gartenlaube“ sozusagen das Licht der Welt erblickt und es ist fast zur Tradition geworden, daß jeder Jahrgang eines ihrer Werke bringt, denn sie ist für viele Leser eine vertraute Erscheinung, die man nicht missen mochte.

Aber die vielen, welche sie als Schriftstellerin so genau kennen, möchten – wie Sie mir schreiben – gern auch etwas von ihrer Person, ihrem Leben wissen, und bitten Sie um Erfüllung dieses Wunsches. Das ist nun nicht ganz leicht. Wilhelmine Heimburg spricht nicht gern von sich und hat eine bestimmte Art, alles abzulehnen, was sich mit teilnehmender Neugier an sie zu drängen versucht. Ihrer feinen vornehmen Natur widerstrebt alles Reklamewesen, daher ihre Scheu, an die Oeffentlichkeit zu treten, was zur Folge hat, daß man sie nie in Vereinen oder auf Kongressen sieht, in denen sich die Leute „von der Feder“ zusammenfinden. Sie hat auch nicht viel Zeit hierfür. Im Winter arbeitet sie, leider viel gehemmt durch Kränklichkeit. Die bessere Jahreszeit wird auf Reisen zugebracht, deren Ziel nur zu oft mehr vom Arzt als von ihrer freien Wahl abhängt. Seit sie im Jahre 1889 ein schweres Nervenleiden durchgemacht, drängen die Aerzte auf einen Wechsel ihrer Lebensweise. Damals teilte sie das freundliche Heim ihrer Eltern in Kötzschenbroda bei Dresden – ein idyllisches Landhaus mitten im Garten, in dem es im Frühjahr üppige „Boombluth“ und im Herbst viel saftige Birnen und süße Weintrauben giebt. Leider mußte dies enge Zusammenleben mit Vater und Mutter unterbrochen werden, wenn an eine Fortsetzung ihres schriftstellerischen Schaffens gedacht werden sollte. Nun entschädigt Fräulein Heimburg sich und die Eltern durch möglichst häufige Besuche, zumal die Sonntage gehören stets ihrer Familie. Dann kommt ihr an der Hausthür die liebe freundliche Gestalt der alten Mama entgegen, während der Vater schon lange vorher mit einem Feldstecher den Weg entlang gespäht hat. Beider Willkommen wird übertönt von dem Freudengebell des schwarzbraunen Teckels, Namens „Männe“, der weiß, daß auch ihm stets etwas mitgebracht wird.

Unsere Dichterin ist eine ebenso zärtliche Tochter wie Schwester und Tante. Ein liebliches Pflegetöchterchen hatte sie Jahre hindurch in ihrer ältesten Nichte, deren Erziehung sie vollendete und die aus dem geselligen Elternhaus immer noch gern und häufig in dem stillen Heim der Tante einkehrt, deren litterarische Neigung sie geerbt zu haben scheint. Wilhelmine Heimburg gehört zu den bevorzugten Frauen, denen es geglückt ist, sich durch eigene Kraft zu einer überaus angenehmen Lebensstellung aufzuschwingen. In ihrer künstlerisch ausgestatteten, schmucken Häuslichkeit waltet sie als tüchtige Hausfrau, die auch den Nähtisch im Erker nicht nur als Zierde betrachtet. Der Vormittag gehört meist praktischen Geschäften und Spaziergängen. Nachmittag und Abend, soweit sie diese allein verbringt, sind dem Schreiben und der Lektüre gewidmet. Lauschige Leseplätzchen sprechen überall in der Wohnung für die Lieblingsbeschäftigung der Herrin und gemütliche Plauderecken laden ihre Freunde zum Bleiben ein. Dann waltet sie mit heiterster Anmut ihres Amtes als Wirtin, und wer ihr näher tritt, weiß, daß diese Anmut der Ausdruck ihres ureigenen Wesens ist, jener wahren Liebenswürdigkeit des Herzens, die den Weg zu anderer Herzen findet. Ein Hauch echter Weiblichkeit liegt über ihrer Persönlichkeit ausgebreitet, warm im Empfinden, ist ihr Wesen rasch im Handeln, wo es gilt, anderer Not und Leid zu lindern.

Mit lebhaftem Interesse verfolgt sie alle neueren Erscheinungen auf litterarischem Gebiet und ist eine fleißige Theaterbesucherin, besonders des Schauspiels, wenn sie nicht gerade tief in der Arbeit steckt. Ist dies der Fall, dann ist sie freilich unzertrennlich von ihrem Schreibtisch – einem neuen von stattlicherem Umfang als der erste. Hier umgeben sie die Bilder ihrer Lieben und zahlreiche Andenken an Freunde und Bewunderer, sowie an ihre Reisen. An diesem Arbeitsplatz hat sie auch der ihr befreundete Künstler W. Claudius nach dem Leben gezeichnet.

Im Frühjahr erwacht die Sehnsucht ins Freie, dann sucht sie mit Vorliebe schöne waldreiche Gegenden aus. Die Natur, die schon auf ihre Kinderseele, als sie in dem großelterlichen Forsthaus ihre schönsten Stunden verlebte, einen tiefen Eindruck machte, lockt sie auch heute noch immer hinaus in Berg und Wald und Heide. Im Thüringerwald, im Schwarzwald und im Harz sucht und findet sie Stärkung für ihre Gesundheit und eine Zuflucht aus dem Drang der Arbeit, für die sie leider mehr von ihren Kräften einsetzt, als es sich zuweilen mit ihrer zarten Gesundheit verträgt. Zur Zeit denkt sie daran in einem der waldumrauschten Thäler des Harzes, wo ihre Wiege gestanden, sich ein Sommerheim zu bereiten. Möchte es ihr beschieden sein, dort sonnige Tage fröhlichen Wanderns und stiller Rast zu genießen, in denen sie sich zu neuem Schaffen und Wirken zu stärken vermag! In diesem Wunsche stimmen wir gewiß alle überein - Sie, mein liebes Fräulein, die zahlreichere Verehrer unserer lieben W. Heimburg und

Ihre ergebene  
M. v. Locella.