Ein Besuch in Bremerhaven und in der Wesermündung

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Titel: Ein Besuch in Bremerhaven und in der Wesermündung
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aus: Die Gartenlaube, Heft 16–17, S. 228–232, 24–245
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ein Besuch in Bremerhaven und in der Wesermündung.
Machtlos zur See. – Die Flotte der deutschen Hansa und die von 1848. – Bundescontingent von Bremen, Hamburg und Lübeck. – Bremerhaven, seine Anlage und sein rasches Wachsen. – Die Schleußen. – Das Auswanderungshaus und seine Einrichtung. – Ebbe und Fluth. – Gefährlichkeit der Nordsee. – Wegweiser zur Auffindung des Fahrwassers. – Leuchtfeuer und Leuchtthurm.

„Machtlos zur See!“ Dies Wort muß der Deutsche im Auslande häufig hören, ohne es mit Grund widerlegen zu können. Der Eingeborne des Binnenlandes, den seine Verhältnisse nicht aus den gewohnten Lebenskreisen hinaustreiben in die Ferne, fühlt selten ganz, welch schwerer Vorwurf in diesem Worte verborgen liegt. Eine Nation von mehr als vierzig Millionen Seelen, die ein Recht hat, sich den gebietenden und herrschenden Völkern Europa’s beizuzählen, die in allen wichtigen politischen Fragen ihre Entscheidung abgibt, die sich rühmen darf, eben so reich zu sein an großen historischen Erinnerungen, als sie sich neben andern Nationen auszeichnet durch hervorragende Bildung, durch bewundernswürdige Leistungen in Literatur, Kunst und Erfindungen aller Art, eine so in jeder Hinsicht große Nation muß es sich geduldig gefallen lassen, daß man sie halb spöttisch, halb schadenfroh „machtlos zur See“ schilt!

Es gab eine Zeit, wo dies anders war, obwohl diese Zeit glorreichen Andenkens weit zurückliegt in der Geschichte und in eine Epoche deutscher Vergangenheit fällt, von der sonst nicht gerade viel Lobenswerthes zu erzählen ist, wenn wir das Ganze des Reiches in’s Auge fassen, das sich damals stolz noch das heilige deutsche römische Reich nannte. In jenen Tagen trüber Wirrniß, politischen Haders und nationaler Zersplitterung gelang es der Thatkraft strebenden Bürgerthums, durch energisches Auftreten und gemeinsames [229] Zusammenwirken, sich auch auf der See Macht zu erringen. Der Bund der Hansa war es, der sich eigene Flotten schuf, blutige Schlachten zur See schlug, ruhmvolle Siege erkämpfte und die hansische Flagge zu Ehren brachte. Ein deutsches Reichsbanner kannte man damals nicht auf den Meeren, die Flagge der Hansa aber war geachtet und gefürchtet, wo immer sie sich zeigte. Sie machte sich geltend auf allen damals der Schifffahrt eröffneten Meeren, und unter dem Schutze derselben gründeten die alten Hansen jene wichtigen Factoreien oder Comptoire, die ihnen einen großen Theil des europäischen Nordens zinsbar machten, und von denen noch einige wenige Ueberreste sich selbst bis auf unsere Tage erhalten haben. Freilich war es nicht eigentlich das Bedürfniß, nationalen Ruhm sich zu erringen, das die Hansen zu so kühnen Unternehmungen anfeuerte. Der Patriotismus, wie wir diesen Begriff jetzt fassen, gab den Hansen nicht den Impuls zur Ausrüstung ihrer Flotten. Sie bemannten und bewehrten ihre Schiffe nur, um ihre Handelsfahrzeuge zu schützen, und namentlich, um den Häringsfang an den Küsten Schoonens mit aller Ruhe und Bequemlichkeit betreiben zu können.

Der Leuchtthurm an der Wesermündung.

Später hörte man wenig mehr von Kriegsschiffen der Hansestädte, und wie wenig das Reich darauf Ansprüche machte, die Herrschaft, welche es auf dem Lande ausübte, auch auf die See auszudehnen, ist leider nur allzu bekannt. An die Nothwendigkeit eines Schutzes auf dem Meere dachte man im deutschen Binnenlande ernstlich wohl erst im Jahre 1848. Es soll hier nicht die Rede sein von dem Versuch, eine deutsche Flotte zu schaffen. So schön der Gedanke war, eine solche Schöpfung in’s Leben zu rufen, und so rüstig man in den Jahren 1848 und 1849 daran arbeitete, das in der That patriotische Beginnen auch zu fördern: der Versuch selbst wurde unter zu ungünstigen politischen Verhältnissen gemacht, als daß er hätte gelingen können. Ist nun aber auch der letzte Kiel jener schnell bemannten und mit zum Theil trefflichen Geschützen ausgerüsteten deutschen Kriegsschiffe längst schon wieder an den Meistbietenden verkauft worden, zu der Einsicht ist man doch auch in den Cabineten deutscher Fürsten seitdem gekommen, daß es hoch nöthig sei, endlich einmal daran zu denken, Deutschland auch zur See wehrhaft zu machen.

Die Verhältnisse, selbst die Küstenstrecken deutscher Bundesländer sind diesem Unternehmen keineswegs sehr günstig, allein hat man, wie es scheint, den ernsten Willen, auch durch die größten Hindernisse sich an der Ausführung des einmal gefaßten Entschlusses nicht irre machen zu lassen, so wird unermüdeter Ausdauer dies patriotische Unternehmen auch gelingen. Die Krone Preußen strebt mit dankenswerther Anerkennung diesem Ziele entgegen. Die Erwerbung des Jahdebusens zwischen Ems und Weser, und die Vorkehrungen, welche die preußische Regierung an jener flachen Küstengegend trifft, um einen Hafen für Kriegsschiffe daselbst zu schaffen, legen Zeugniß davon ab. Im Ganzen aber geschieht – dies sprechen wir unumwunden aus – noch viel zu wenig, um alsbald die noch so junge preußische Kriegsmarine auf einen achtunggebietenden Stand zu bringen.

Es ist zu bedauern, daß man nicht längst schon darauf verfallen ist, die drei freien Städte Bremen, Hamburg und Lübeck, welche ein Contingent an Truppen für den Bund stellen, das kaum in Betracht kommen kann, dieser ihrer [230] Bundespflicht zu entbinden. Die Bevölkerung aller drei Städte und Staaten würde, so weit sie militairpflichtig ist, sich weit besser zum See-, als zum Landdienste eignen, und wir sind fest überzeugt, daß sich mit ihr eine Anzahl von Kriegsschiffen bemannen ließe, die genügend wäre, die deutsche Handelsmarine allerwärts zu schützen, wo sie des Schutzes bedürfte, und der deutschen Nation als solcher gebührend Respect zu verschaffen. Alle seefahrenden Nationen kennen und achten den deutschen Seemann, dessen Trefflichkeit über alles Lob erhaben ist. Keine andere Nation, die englische nicht einmal ausgenommen, thut es ihm zuvor in Ausdauer, Ruhe, Besonnenheit und entschlossenem Wagen. Darum würde eine deutsche Kriegsmarine, die sich aus Seeangeborenen recrutirte, sich in sehr kurzer Zeit mit jedem übermüthigen Gegner auch auf dem Meere messen können.

Was uns in dieser Hinsicht die nahe oder ferne Zukunft etwa bringen mag, wer kann so kühn sein, dies jetzt schon bestimmen zu wollen? Die Verhältnisse können auch hier Vieles rascher ändern und zeitigen, als man hoffen darf. Bis dies geschieht, wollen wir uns wenigstens des Thatsächlichen freuen, und hier tritt uns eine Erscheinung entgegen, die uns erhebt, die unsern Muth stählt, und die wir deshalb so hoch schätzen, weil sie dem Schooße des freien deutschen Bürgerthums entkeimt ist. Wir meinen das Wachsen der deutschen Handelsmarine, die patriotischen Unternehmungen namentlich der hansischen Schwesterstädte Bremen und Hamburg, ihre Flaggen öfter denn je auf dem großen Ocean wehen zu lassen und die deutsche Post- und Packetschifffahrt frei von allem fremden Einflusse zu machen.

Es ist dies ein Fortschritt von unberechenbarer Wichtigkeit. Durch die Begründung und Eröffnung der beiden großen oceanischen Dampfschifffahrtslinien, welche der Bürgersinn Bremens und Hamburgs schuf, und durch die das gesammte Deutschland direct mit der großen nordamerikanischen Union in directen und zwar regelmäßigen Verkehr getreten ist, fängt der Deutsche erst wieder an heimisch zu werden auf dem Weltmeere. Die „Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actiengesellschaft“, die außer ihren fünf imposanten eisernen Schraubendampfern, deren jeder 400 Pferdekraft besitzt, auch noch eine Anzahl Segelschiffe stets in Activität erhält, und der Bremer „Norddeutsche Lloyd“ sind Unternehmungen von großer Tragweite. Beide sagen dem Auslande, daß die Deutschen gewillt sind, nach und nach eine gebietende Stellung unter den seefahrenden Nationen einzunehmen, und finden sie im Gemeinsinn ihrer stammverwandten Brüder nur die Unterstützung, welche beiden Unternehmungen gebührt, so wird man alsbald auch an den Küsten der neuen Welt mit größerer Achtung von uns sprechen.

Diese Betrachtungen drängten sich uns bei einem Besuche auf, den wir vor einiger Zeit Bremerhaven abstatteten. Der Name dieses noch nicht dreißig Jahre existirenden Ortes ist auch den Bewohnern des Binnenlandes bekannt und geläufig. Hamburg und Bremen, Cuxhaven und Bremerhaven sind Namen, die Jeder, auch der Ungebildete, in stiller Gebirgseinsamkeit Lebende hört oder liest. Nach einem dieser Orte bricht ja der Unzufriedene, gelockt von dem blendenden Schimmer der fernen Goldländer oder gerufen von vorangegangenen Freunden, die ein seltener Glücksstern leitete, auf, um sich nach den Gestaden der neuen Welt einzuschiffen. Jener Exodus von Hunderttausenden, der seit ein paar Decennien namentlich aus den deutschen Binnenländern sich nach den beiden Handelsemporien an der Elbe und Weser ergießt, macht die Hafenorte beider Seestädte so bekannt im Innern Deutschlands. Hier erblicken alljährlich Tausende zum ersten Male ein Seeschiff, hier ruht das erstaunte Auge befangen, voll banger Ahnungen auf dem schäumenden Strome, der seine grauen Wogen brandend gegen das Ufer rollt. Der Athem des Meeres weht sie hier an, und so weit beim Anblick der unübersehbaren Wassermasse das Herz Vieler werden mag, Manchem dürfte es auch vor Bangigkeit stärker schlagen, als zuvor.

In der alten Welt gehören schnell wachsende Städte zu den Seltenheiten. Orte älteren Ursprungs vergrößern sich wohl in entsprechender Weise, wenn die Verkehrsverhältnisse ihnen günstig waren, neu entstandene Ortschaften haben dagegen fast immer lange zu kämpfen, ehe sie sich eine gewisse Bedeutung erringen. Eine Ausnahme hiervon macht Bremerhaven, dessen Entstehung in das Jahr 1830 zurückdatirt, und das gegenwärtig nicht blos eine schöne, sondern auch eine sehr belebte Seestadt bildet, die noch täglich wächst, und der ohne Frage eine sehr bedeutende Zukunft bevorsteht.

Bekanntlich liegt die Mutterstadt dieses Ortes, das alte berühmte Bremen, zu tief im Lande, um Seeschiffe im Stadthafen einlaufen zu sehen. Eine Seehandelsstadt von Bremens Bedeutung mußte diesen Uebelstand stets schmerzlich empfinden, und derselbe mußte sich ihr desto unerträglicher gestalten, je größer die Fortschritte des Schiffsverkehres durch die zweckmäßigere Bauart der Schiffe wurden. Vegesack lag zwar nahe und auf Bremer Gebiet, aber auch hier fehlte der Weser noch die erforderliche Tiefe, um großen Schiffen das Aussegeln im Strome bis dahin zu gestatten. Einen passenden Platz zur Anlegung eines wirklichen Hafens für tiefgehende Seeschiffe bot erst die Mündung der Geeste in die Weser. Bis soweit aber erstreckte sich nicht das Territorium der alten Hansestadt. Der silberne Schlüssel im rothen Felde konnte wohl an der Gaffel vorüberziehender Schiffe wehen, an einem Flaggenstocke auf festem Lande durften ihn die Bremer nicht aufhissen. Das flache Land an der Geeste stand unter der Botmäßigkeit Hannovers, das ein Fort daselbst erbaut und mit Kanonen schweren Calibers besetzt hat, welche das Fahrwasser des sich bereits verbreiternden Stromes bequem bestreichen können.

Einer der bedeutendsten Bürger Bremens, hervorragend durch Geist, Bildung und praktischen Blick, der im Jahre 1857 verstorbene Bürgermeister Smidt, von vielen seiner Mitbürger Vater Smidt genannt, erwarb sich vorzugsweise das Verdienst, das so wichtige Stück Land an der Mündung der Geeste seiner Vaterstadt zuzuwenden. Seinem diplomatischen Talent gelang es schon 1827, Hannover zur Abtretung eines Gebietstheiles an der Weser und Geeste an die unternehmende Handelsstadt zu bewegen, und hier wurde die neue Hafenstadt nebst den wichtigen dem Handel und der Seeschifffahrt dienenden großartigen Anlagen erbaut.

Der Ort blühte alsbald auf, breite, regelmäßige Straßen, wohnliche, zum Theil stattliche Gebäude entstanden in Menge, und so wuchs Bremerhaven dergestalt, daß man die Zahl seiner jetzigen Einwohner – ohne die ansehnliche Menge der Fremden – schon auf 6000 schätzt. Drei kurze Jahre nach erfolgtem Ankaufe genügten, den mit nicht geringen Schwierigkeiten verbundenen Hafenbau zu beendigen, so daß derselbe 1830 bereits Seeschiffe aufnehmen konnte. Dieser Hafen, einer der zweckmäßigsten und gesichertsten an den flachen Ufern der Nordsee, zerfällt eigentlich in drei besondere Häfen, von denen das neue Bassin, mit besonderem Eingange, die größten und tiefgehendsten Seeschiffe aufnehmen kann, der Außen- und Binnenhafen aber für kleinere Schiffe von geringerem Tiefgange, so wie für die eigentlichen Weserkähne bestimmt ist.

Ein sehenswerthes Bauwerk bietet namentlich die große Schleuße dar mit ihren kolossalen zwei Paar Fluth- und Ebbethüren, die je nach Bedürfniß sich öffnen und schließen, eine sogenannte Fächerschleuße. Ihre ganze Länge beträgt 285 Fuß, die des eigentlichen Schleußenbassins allein 141 Fuß. Der Binnenhafen besitzt eine Länge von 2600 Fuß bei einer Breite von 216 Fuß. Diese räumliche Ausdehnung gewährt mindestens vierzig großen Schiffen Platz zu bequemem Anlegen, ohne den Verkehr hin- und wiedersegelnder Fahrzeuge im Hafen selbst zu behindern. Es herrscht hier Jahr aus, Jahr ein, so lange die Schifffahrt nicht durch strenges Frostwelter unterbrochen wird, ein ungemein reges Leben. Schiffe aller Größen und von der verschiedensten Bauart kommen und gehen, bald mit im Winde sich blähenden Segeln, bald von keuchenden Dampfern geschleppt. Schraubendampfschiffe neuester Construction, deren schwarze Riesenleiber mit ihren im Verhältniß zu den schlanken Masten nur kurzen Schloten alle anderen, auch die größten Segelfahrzeuge überragen, fesseln das Auge des Fremden und sind namentlich ein Gegenstand der Bewunderung für die gewöhnlich bedeutende Anzahl Auswanderer, welche auf kleineren Schiffen von Bremen herabkommen, um in Bremerhaven an Bord der Packetschiffe zu gehen, die sie den Orten ihrer Bestimmung zuführen sollen.

Zum großen Theile hat Bremerhaven sein rasches Gedeihen und den Wohlstand seiner Bevölkerung der Auswanderung zu verdanken. Kein anderer deutscher Hafenplatz zeigte sich regsamer und sorgte so früh für prompte und sichere Ueberfahrt auswandernder deutscher Brüder. Den Bremer Rhedern bleibt der Ruhm unbenommen, daß sie es zuerst waren, die auf möglichste Sicherheit Auswanderungslustiger Bedacht nahmen. Ihre gut eingerichteten Schiffe machten der über England geleiteten und meistentheils durch Agenten betriebenen Auswanderung, die wieder mit amerikanischen Gesellschaften in Verbindung standen, Concurrenz, Es ward dadurch für alle Auswanderer ein wesentlicher Vortheil erreicht, da die Bremer [231] Rheder streng gewissenhaft verfuhren, ihre Versprechungen hielten, Niemand mit Willen übervortheilten und nur tüchtige, seehaltige Schiffe in Fahrt setzten, die von gebildeten, humanen und erfahrenen Capitainen commandirt wurden.

So leitete Bremen frühzeitig den größten Arm des deutschen Auswandererstromes nach dem neu angelegten Bremerhaven. Da es aber vorkam, daß unberechenbare Umstände die Abfahrt selbst bereitliegender Schiffe doch verhinderten, was z. B. anhaltende widrige Winde stets thun, und die Zahl der aus dem Binnenlande Kommenden mit jedem Tage zunehmen konnte, so war man bedacht, diesen zur Zeit eigentlich Heimathslosen ein Asyl zu eröffnen, wo sie ruhig dem Tage ihrer Abreise entgegenharren konnten. Dies Asyl ist das Auswandererhaus.

Jeder Fremde, den Geschäfte oder der Wunsch, sich zu unterrichten, nach Bremerhaven führen, sollte dies imposante, in jeder Hinsicht vortrefflich eingerichtete Gebäude, das schon durch seine Architektur in die Augen fällt, besuchen. Es ist ein Hospiz für Jedermann; man fragt hier nicht nach Rang und Namen der Ankömmlinge, die Bezeichnung „Auswanderer“ genügt, um dem Anklopfenden die gastliche Thür desselben zu eröffnen.

Das Auswandererhaus liegt nahe am Strome, unfern dem Landungsplatze der Weserdampfschiffe. Aus seinen Fenstern übersieht man den Hafen und die mit Segeln belebte Weser. Erbaut wurde dies Gebäude im Jahre 1850, und zwar überließ der Staat dazu für billigen Preis ein Terrain von 30,000 Quadratfuß. Es enthält in seiner gegenwärtigen Einrichtung zehn geräumige, hohe und luftige Säle, die zusammen 2500 Personen fassen können. Jeder einzelne Saal ist so eingerichtet, daß er mit einem ihm eigens zugehörigen Wasch- und Badezimmer zusammenhängt, das stets mit frisch zulaufendem Wasser gespeist werden kann. Die Schlafstätten erinnern an das Schiffsleben und bereiten die im Auswandererhause Einkehrenden zweckmäßig auf diese den Meisten noch unbekannte Lebensweise vor. Dieselben bestehen nämlich aus Kojen, und es ist den Auswanderern gestattet, sich während ihres Aufenthaltes in Bremerhaven so darin zu vertheilen, wie es ihren Bedürfnissen am besten entspricht. Es befördert dies nicht allein das gesellige Zusammenleben Gleichgesinnter und Gleichgearteter, sondern es gewährt auch außerdem noch die nicht gering anzuschlagende Vergünstigung, daß nach dem Wunsche der Auswanderer die Nummern der Kojen des Hauses mit Leichtigkeit auf die im Schiff zu beziehenden Kojen übertragen werden können.

Den Tag über können die hier Logirenden an geräumigen Tischen Platz nehmen und sich mit Unterhaltung etc. die Zeit verkürzen. Hier wird auch gemeinschaftlich gespeist. Die gereichten Speisen sind reinlich, nahrhaft und reichlich und werden in der Küche des Hauses zubereitet. Auch dabei wird auf die bevorstehende Seereise bereits Rücksicht genommen, indem die Speisen des Auswandererhauses ungefähr der auf den Auswandererschiffen gereichten Schiffskost entsprechen. Jeder Saal hat ferner einen besonders abgegrenzten Raum, wo die Bewohner ihre zu täglichem Gebrauche unentbehrlichen Effecten und Utensilien aufbewahren. Für Beleuchtung und Ventilation dieser Säle ist hinreichend gesorgt, eben so für deren Reinigung, die unter Aufsicht besonders dafür angestellter Wärter vorgenommen wird. Diese Wärter sind außerdem verpflichtet, über die Aufrechthaltung der Ordnung zu wachen. Kranke finden ein gut eingerichtetes Lazareth, das von den Wohnsälen entfernt liegt, damit das aus denselben dringende Geräusch die Leidenden nicht störe. Auch einen Betsaal einzurichten hat man nicht vergessen. Derselbe führt den Namen Capelle, liegt im unteren Raume des Gebäudes und es wird darin regelmäßig Gottesdienst nach lutherischem Ritus gehalten. Damit jedoch auch Katholiken ihr religiöses Bedürfniß befriedigen können, lebt in Bremerhaven ein katholischer Missionär, an welchen katholische Auswanderer sich zu wenden haben.

Einen schlagenden Beweis für den starken Besuch dieses Auswandererhauses liefern die statistischen Angaben. Diese weisen nach, daß – um nur ein Beispiel, statt vieler, anzuführen – von 58,551 Auswanderern, welche im Jahre 1852 in Bremerhaven sich einschifften, deren 37,429 in diesem großen Hospiz wohnten und daselbst gespeist wurden. An einem einzigen Tage des Jahres 1853 vertheilte die Kochanstalt 4085 Portionen Essen.

An sonstigen Baulichkeiten Bremerhavens sind ferner noch als sehenswerth zu nennen: das Hafenhaus, welches dem Amtmanne und dem Hafenmeister zur Amtswohnung dient, und die Kirche, deren Thurm noch nicht ganz beendigt ist. Auch ein Theater fehlt Bremerhaven nicht, obwohl es ein eigenes Schauspielhaus noch nicht besitzt. Die bescheidene Muse Thalia behalf sich vorläufig bis auf bessere Zeiten, wo man ihr größere Aufmerksamkeit wird zuwenden können, mit dem Saale eines Gasthauses, den man indeß recht geschmackvoll zu einem heiteren Musentempel eingerichtet hat.

Diejenigen, welche sich unterrichten wollen, dürfen Bremerhaven nicht verlassen, ohne eine der Schiffswerften besucht zu haben, auf welchen Bremer Rheder ihre Seeschiffe bauen lassen. Einige dieser Werften besitzen auch Docks. Es sind dies hinter der Stadt an der Geeste gelegene Bassins, die mit dem Flusse in Verbindung stehen und in welche zur Zeit des Hochwassers, worunter man die höchste Anschwellung der Fluth versteht, Schiffe, die einer Reparatur bedürfen, einlaufen. Sobald das Wasser wieder fällt (ebbt), leeren sich diese Behälter von selbst und das zu reparirende Schiff kommt auf’s Trockene zu liegen, so daß es bequem untersucht, die schadhaften Stellen ausgebessert, der Kiel mit neuem Kupferboden versehen und, was sonst etwa nöthig ist, damit vorgenommen werden kann.

Obwohl Bremerhaven eine wirkliche Seestadt ist, lernt man doch durch einen Aufenthalt in dem vielfach anziehenden Orte die eigentliche See immer noch nicht kennen. Wir sehen freilich das Ebben und Fluthen des Meeres, das regelmäßig zwei Mal innerhalb vierundzwanzig Stunden die Wogen der Weser höher aufrauschen und dann wieder stiller in seichterem Bette dem Meere zurollen macht. Das Meer mit seinen Wundern und Schrecken aber ahnt nur das in die Ferne schweifende Auge, das auf dem immer breiter werdenden Wasserspiegel ruht und wie aus der Tiefe emporsteigend die Segel der stromaufwärts ziehenden Schiffe langsam näher und näher schweben sieht. Es sollte aber kein Binnenländer unterlassen, ist er einmal bis Bremerhaven gekommen, auch das Meer in seiner ganzen Herrlichkeit zu überschauen. Hier am Quai der behäbigen Hafenstadt sieht er das Anschwellen der Fluth, einige Meilen weiter stromabwärts vernimmt er den Gruß des heiligen Meeres selbst, den donnernden Wogenschlag, die Brandung, die nie ruhend, bald nur surrend und murmelnd, bald wie Sturmgeheul rasend und zischend ihre weißen Häupter über die grünen Borde der Erde hebt.

Sieben Meilen unterhalb Bremen liegt Bremerhaven, drei Meilen weiter abwärts vermischen sich die Gewässer der Weser mit den Wogen der Nordsee, der man mit so vielem Rechte den Beinamen „die Stürmische“ gibt.

Für den Seefahrer ist die Nordsee eines der gefährlichsten Meere, besonders in der Nähe der großen Strommündungen, welche an den Küsten Flanderns, Hollands und Deutschlands ihre gewaltigen Wassermassen derselben zuführen. An flachen Gestaden befinden sich regelmäßig beträchtliche von der See bedeckte Flächen von nur sehr geringer Tiefe. Die Ströme führen eine unglaubliche Menge von Sand und Schlamm mit sich, der sich hüben und drüben an den flachen Küsten ansetzt und so theils feste, theils bewegliche Bänke und Watten bildet. Tiefe Bänke nehmen oft große Flächen ein und sind zur Zeit der Ebbe theils nur wenige Fuß tief mit Wasser bedeckt, theils treten sie dann auch ganz zu Tage. Nur die Fluthwoge spült über sie hin und macht sie geeignet zur Befahrung mit wenig tiefgehenden Schiffen, den sogenannten Küstenfahrzeugen. Zwischen diesen oft Stunden, ja Meilen langen und breiten Sandbänken, denen die Seefahrer bestimmte Namen beigelegt haben, bilden Fluth und Ebbe jene tiefen und breiten Fahrrinnen, in denen auch die größten Seeschiffe stets eine hinreichende Tiefe finden, um sicher darauf segeln und dem Hafen zusteuern zu können.

Zu leichterer Auffindung des Fahrwassers an solchen schwer zugänglichen Küsten hat der menschliche Erfindungsgeist verschiedenartige Hülfsmittel ersonnen, welche den von hoher See kommenden Schiffern schon aus weiter Ferne anzeigen, wie sie steuern müssen, um nicht auf Untiefen zu gerathen. Wie mannigfaltig aber derartige Vorkehrungen auch sind, dennoch vermögen sie Strandungen und Schiffbrüche nicht jederzeit zu verhindern. Dicke Nebelluft, heftiges Schneegestöber, vornehmlich aber wildes Sturmwetter sind Feinde der Schifffahrt, die der menschliche Scharfsinn mit all’ seinen sinnreichen Erfindungen nie ganz abzuwehren im Stande ist.

Die Wegweiser für den Seemann an den Küsten zerfallen in Tage- und Nachtzeichen. Jene bestehen vorzugsweise aus charakteristisch gestalteten, thurmartigen Holzgerüsten, die auf niedrigen Sandbänken errichtet sind und oft schon mehrere Meilen weit vom Lande entfernt in See erkannt werden können. Diese Zeichen nennt man Baaken, und jede solche einzelne Baake führt einen besonderen [232] Namen, wie auch jede anders geformt ist, damit ja keine Verwechselung stattfinden kann, was die Schiffer nur irre führen und die Strandungen, anstatt sie zu verhindern, befördern würde. So gibt es an und innerhalb der gegen fünf Meilen breiten Elbmündung die Kugel- oder Strengenflü-Baake, die Norder- und Ostbaake und die Scharhörnbaake auf dem großen gefahrvollen Sande Scharhörn, welcher von der kleinen Insel Neuwerk sich weit in die Nordsee hinaus erstreckt. Die Wesermündung wird durch die Jungfernbaake, die drei Baaken und die große Bremer Baake auf dem hohen Wege markirt.

Alle diese Zeichen müssen dem ansegelnden Schiffer in einer gewissen, stets sehr genau angegebenen und jedem Seemann bekannten Stellung erscheinen, wenn er einen ebenfalls bestimmten Punkt auf See erreicht hat, der sich durch nautische Instrumente und seemännische Berechnungen mit Hülfe des Compasses und vorgenommener Peilungen[1] unschwer bestimmen läßt. Nach diesen Stellungen der Seemarken hat der ansegelnde Schiffer zu steuern, um das sichere Fahrwasser aufzufinden. Bei Nebelwetter sind diese Marken natürlich nicht zu erkennen, und es bleibt dann dem Schiffer nichts übrig, als Anker zu werfen, vorausgesetzt, daß die Gegend des Meeres, wo er sich befindet, und die Beschaffenheit des Windes dies gestattet, oder, was nicht selten vorkommt, die Nähe der gefahrvollen Küste zu verlassen und wieder die hohe See zu suchen, wo die größere Tiefe des Meeres ihm das Segeln erleichtert.

Schwieriger als am Tage ist das Einlaufen großer Schiffe in schwer zu passirenden Fahrrinnen in der Nacht. Zu möglichster Erleichterung der Schifffahrt hat man deshalb an allen Küsten, und namentlich an und in den Mündungen großer, stark befahrener Ströme die Leuchtfeuer erfunden.

In früheren Zeiten behalf man sich häufig durch das Anzünden wirklicher Feuer, die in hohen Lohen auf besonders dazu errichtetem Mauerwerk aufschlugen, und so den Seefahrern theils als Warnungszeichen, theils als Leitsterne dienten. Die fortgeschrittene Wissenschaft erfand zweckmäßigere Einrichtungen, erbaute hochragende feste Leuchtthürme, und unterhielt auf deren Höhen in eigenthümlich construirten Laternen während des Nachts fortdauernd brennende Lichter. Neuerdings hat man auch diese vielfach verbessert und dadurch eine Erleuchtung der Gestade des Meeres erzielt, die sich vollkommener kaum denken läßt, wenn die Zahl der aufgestellten Leuchtthürme überhaupt groß genug ist, was freilich von den Nordseeküsten noch nicht behauptet werden kann.

Einer der am vollkommensten eingerichteten Leuchtthürme innerhalb der Gewässer, welche die deutschen Küsten bespülen, ist unbedingt der Bremer Leuchtthurm, in dessen Laterne zuerst seit December 1856 die weithin strahlenden Lampen angezündet wurden.

[243]
Feuerschiffe. – Die verschiedenen Lichter des Leuchtthurmes. – Der Bremer Leuchtthurm und seine Bauart. – Die Kuppel der Laterne. – In welcher Weise der Schiffer das Licht der Thürme zu benutzen hat. – Der Thurmwärter. – Der Beleuchtungsapparat. – Der Leuchtthurm als letzte Hülfe der Strandenden.

In der Voraussetzung, daß es namentlich den binnenländischen Lesern dieses Aufsatzes erwünscht sein könnte, über Leuchtthürme im Allgemeinen und über den genannten Bremer Leuchtthurm in’s Besondere etwas Genaueres zu erfahren, sei in Nachfolgendem Einiges darüber gesagt.

Wie schon bemerkt, werden Leuchtfeuer an den Meeresküsten oder mitten im Meere an gefährlichen Stellen zunächst deshalb angezündet, um den Seefahrern die nächtlichen Pfade des Meeres weniger zu beleuchten, als anzudeuten. Wie es nur nöthig war, die Tageszeichen verschieden zu gestalten, damit in den unübersehbaren Wasserwüsten der Schiffer den rechten Pfad einschlage, so erforderte die Nacht zu Erreichung dieses Zweckes noch weit größere Vorsicht. Man hat deshalb vor die äußersten Mündungen der Ströme und, wo es nöthig war, auch in dieselben Feuerschiffe gelegt. Die Elbe z. B. besitzt deren drei, von denen das äußerste bei der rothen Tonne, also an der Stelle liegt, wo man annimmt, daß die Elbe sich mit der Nordsee vermählt habe. Diese Feuerschiffe erblickt der Seefahrer entweder gleichzeitig mit dem höher in der Luft sichtbar werdenden Lichte des Leuchtthurmes oder sie treten bald früher, bald später in den Horizont seines Sehkreises. Wie das Licht des oder der Feuerschiffe sich zum Strahlenkerne in der Laterne des Leuchtthurmes stellt, das gibt ihm einen Fingerzeig, nach dem er sich bei Führung des Steuers stets zu richten hat. Oft kommt es vor, daß mehr als ein Leuchtfeuer zugleich in der Ferne sichtbar wird. Dann muß er, vertraut mit den für Seefahrer bestimmten Nachrichten, wissen, wie sich die verschiedenen Lichter im Verhältniß zu ihm, d. h. zu dem von ihm geführten Schiffe, zu stellen haben, wenn er das rechte Fahrwasser nach dem Hafen finden soll, den er anlaufen will.

Damit nun auch hier dem Seemanne sein schwieriger Lebensberuf so weit möglich erleichtert werde, hat man die Lichter auf den Leuchtthürmen verschieden eingerichtet. Es gibt feste, weiße Lichter, die stets einen völlig egalen Schein, gewöhnlich sichtbar auf zwölf, vierzehn, sechzehn, ja bis zwanzig Seemeilen, ausstrahlen, ferner Lichter, die ihre Farbe ändern, wenn der Schiffer beim Ansegeln von dem sichern Fahrwasser um einige Compaßstriche abweicht. Es geht dann gewöhnlich das feste weiße Licht in ein rothglühendes über. Gewahrt der Seemann diese Veränderung, so muß er peilen, die Richtung ändern und dies so lange fortsetzen, bis das rothe Licht dem weißen wieder weicht. Auch hat man sogenannte Drehfeuer, die sich um ihre eigene Achse bewegen und abwechselnd ein weißes, rothes oder auch bläuliches Licht zeigen. Kommen also verschiedene Lichter gleichzeitig bei Nacht in den Gesichtskreis des Seefahrers, so kann er, sei’s aus der Farbe ihres Scheines, sei’s durch die Stellung der Lichter zueinander und zu dem Fahrzeuge, das ihn trägt, immer ganz genau erkennen, wo er sich befindet und welchen Cours er zu steuern hat, um glücklich seinen Bestimmungsort zu erreichen. Ein Wechsellicht ist z. B. das auf der Insel Wangerooge befindliche. Es ist dasselbe so eingerichtet, daß es alle zwei Minuten blitzartig helle, brillant glänzende Strahlen (courtes éclipses) ausströmt, die jedoch nur wenige Secunden sichtbar sind. Der ansegelnde Schiffer gewahrt es gleichzeitig mit dem Lichte des Bremer Leuchtthurmes und dem weiter links sichtbar werdenden Feuer auf dem großen Thurme der Insel Neuwerk in der Mündung der Elbe.

Aus dem Gesagten ersieht man, daß nicht nur die Anlegung der Leuchtthürme, sondern auch deren Erhaltung und namentlich die Pflege des Lichtes auf denselben zu den schwierigsten Geschäften gehört. Der Leuchtthurm soll zuerst den Schiffern ein Zeichen in finsterer oder stürmischer Nacht sein, das ihm von ferne ermuthigend entgegenblinkt und ihm sagt, wo er sich befindet; er soll ihm aber auch, zertrümmern die stürmischen Wogen sein Fahrzeug oder treiben sie es trotz aller Mühe doch auf den Strand, ein bergendes Asyl darbieten. Damit er beiden Zwecken dienen möge, macht er eine ganz eigenthümliche Einrichtung nöthig. Und hier darf wohl der eben erwähnte und eines Besuches werthe Bremer Leuchtthurm als Muster mit aufgestellt werden.

Dieses interessante Bauwerk erhebt sich auf dem „hohen Wege“, wie der Sand an der Mellum genannt wird, an der Stelle der bisherigen Bremer Baake, auf 53°, 42′, 5″ nördlicher Breite und 8°, 14′, 52″ östlicher Länge von Greenwich. Er ist aus Ziegelsteinen, die von einer concaven Steinböschung umgeben sind, durch den Hafenbaudirector in Bremerhaven, J. J. van Ronzelen,[2] erbaut, achteckig und wird in einer Höhe von 34 Fuß über ordinärer Fluth von einer mit eisernem Geländer eingefaßten Terrasse umgeben. Die Erbauung desselben, auf welche hier nicht näher eingegangen werden kann, war mit außergewöhnlichen Schwierigkeiten verbunden, da die Baustelle sich auf einem lockeren Sande mitten im Meere befand und bei jeder Fluth mehr als sechs Fuß hoch vom Wasser überspült ward. Dennoch wurden die unglaublichen Schwierigkeiten in verhältnißmäßig kurzer Zeit glücklich überwunden, und als erst der Grund gelegt und die Mauern bis über ordinäre Fluthhöhe glücklich aufgeführt waren, rückte der Bau seiner Vollendung rasch entgegen.

Die Basis des Grundmauerwerks hat 45 Fuß im Durchmesser, birgt, außer einem geräumigen Keller von 16 Fuß Durchmesser, eine Cisterne, welche 650 Kubikfuß Wasser enthält, und ein parallel mit der Kellerwand laufendes Spargewölbe von 9½ Fuß Höhe und 6 Fuß Breite. Der Eingang zum Thurme besteht aus Werkstücken von belgischen Steinen, die Treppe, welche nach dem Lagerräume führt, aus Sandstein. Die um den Thurm laufende Terrasse hat eine Breite von 4 Fuß und wird von einem gußeisernen Geländer umschlossen. Ueber dieser Terrasse erhebt sich der Thurm in Form einer regelmäßigen achteckigen Pyramide, die in einer Höhe von 93 Fuß abgestumpft ist. Der innere Raum des Thurmes ist rund, sein Durchmesser in der Höhe der Terrasse 16 Fuß, am oberen Ende aber 12 Fuß. Sämmtliche im Thurme befindliche Treppen sind von Sandstein und Freitreppen. Ueber der unteren Terrasse enthält der Thurm fünf verschiedene Etagen, dabei einen Kirchenraum mit Sparheerd etc. Das obere Krongesims umgibt außerhalb der Laterne wieder eine Terrasse.

Die erwähnten Etagen, welche zu Wohn- und Schlafräumen eingerichtet sind, haben eine runde Form, Schränke, Schlafstellen, eiserne Windöfen mit separaten Schornsteinen, die bis oben hinausgehen. [244] Küche, Lagerraum, Dienst- und Laternenstube sind mit Fliesen belegt, die Wand der Laternenstube aber, damit es nicht darin stäuben möge, auch noch mit kleinen weißen Fliesen.

Das oberste Ende der Kuppel der Laterne, die ein regelmäßiges Zwölfeck bildet und einen äußeren Durchmesser von 11½ Fuß hat, steht 118 Fuß über Null, das Licht der Laterne aber mit seinem Kerne 107 Fuß über Null, Diese Laterne, die außer ihren zwölf gußeisernen Ständern von 1 bis 3½ Zoll Stärke noch 60 Zwischensprossen hält, von denen die drei unteren Reihen mit Wasserrinnen und die untersten mit Ventilationsöffnungen versehen sind, besteht aus 48 Spiegelscheiben von ½ Zoll Stärke und ist mit einem Blitzableiter versehen.

Das Licht, nach dem Fresnel’schen Systeme, ist ein katadioptrisches[3] zweiter Ordnung, fest und weiß, und wird fünfzehn bis sechzehn Seemeilen weit gesehen. Auf vielen früher erbauten Leuchtthürmen bediente man sich parabolisch geschliffener und versilberter Hohlspiegel. Diese Spiegel stellte man in die Peripherie eines Kreises, damit die zu beleuchtende Horizontfläche davon beleuchtet würde. Man hat später bemerkt, daß ungeachtet des hellstrahlenden Lichtbündels, welches solche Hohlspiegel hinauswerfen, dennoch in der Entfernung dunkle Zwischenräume entstehen, was zu Täuschungen Anlaß geben kann. Die von Fresnel getroffene Einrichtung hat diesem Uebelstande abgeholfen. Er nahm im Centrum der Laterne einen einzelnen Lichtpunkt als Brennpunkt und stellte einen Glasapparat auf, welcher cylinderförmig um den Brennpunkt herumgeht. Der Mitteltheil dieses Glasapparates ist, der Höhe nach, linsenförmig dioptrisch (strahlenbrechend), seine oberen und unteren Theile dagegen sind katadioptrisch (strahlenbrechend und wiedergebend) eingerichtet. Diese oberen und unteren Theile des Apparates bestehen aus prismatisch geschliffenen kreisförmigen Glasringen, deren Seiten oder Steigungen so berechnet sind, daß die aus dem Brennpunkts dahin kommenden Lichtstrahlen von der ersten Fläche gebrochen und dann von der zweiten so reflectirt werden, daß sie horizontal und parallel mit der Achse ausströmen, indem jeder Lichtstrahl, welcher aus einem Prismenglase nach dem Gesetze der Brechung unter einem Winkel, welcher kleiner als 90° ist, in die Luft austritt, nicht gebrochen, sondern reflectirt wird. So gelingt es Fresnel, das ganze von seinem Apparate bestrahlte Feld des Horizontes dergestalt zu beleuchten, daß es auch nicht von der geringsten Verdunkelung unterbrochen wird.

Das Licht des Bremer Leuchtthurmes erhellt nun westlich die See um die Insel Wangerooge, südlich die ganze breite Wasserfläche der Wesermündung vom Leuchtthurme nach Bremerhaven und wieder rückwärts von Blexen nach Fedderwarden. Unbeleuchtet dagegen bleibt die Küste der Mellum[4] und die ganze Jahde, eine Fläche, die 120 Grad des Horizontes mißt. Dieser Raum ist im Fresnel’schen Apparate mit parabolisch geschliffenen Hohlspiegeln oder Reflectoren von versilbertem Kupfer ausgefüllt, welche die Intensität des Lichtes ungemein verstärken.

Nähert sich nun ein Schiff, über die Wasserwüste der Nordsee steuernd, der Wesermündung, so tritt es in der Gegend der ersten Weserschlüsseltonne, in einer Entfernung von etwa 16 Seemeilen, in den Bereich des Lichtkreises, welchen der Apparat des Bremer Leuchtthurmes über das Meer ausstrahlt. Der Schiffer weiß jetzt, wie er steuern muß; damit er aber, dem Lichtkerne, mithin auch der Küste näher kommend, die sichere Fahrstraße nicht verliere und sich zu sehr den gefährlichen Untiefen in der Wesermündung nähere, hat man noch ein besonderes Warnungslicht im Bremer Leuchtthurme angebracht. Es befindet sich dies ebenfalls katadioptrische Licht fünfter Ordnung in einer abgeschlossenen Abtheilung des Küchenraumes, ungefähr 38 Fuß über ordinärer Fluthhöhe. Das Licht ist weiß und dient vorzugsweise dazu, den Seefahrern anzudeuten, wo sie die bisher auf das große Licht des Thurmes genommene Richtung zu verlassen haben. Den weißen Glanz dieses kleinen Lichtes im Auge behaltend, vermeiden die ansegelnden Schiffe die gefahrvolle Mellum oder den sogenannten schwarzen Tonnenwall, finden leicht den Eingang nach dem Dwasgatt, und erreichen so unbehindert die Gegend der Jungfernbaake, womit das Einlaufen in die Weser für glücklich beendigt gelten darf. Sollte jedoch der Zufall solche Schiffe nur um ein Geringes zu weit südlich abführen vom sicher einzuhaltenden Cours, so tritt vor das erwähnte kleine Licht als Warner ein rother Schein, welcher dem Schiffer andeutet, daß er anders steuern müsse. Erst wenn das weiße Licht ihm wieder entgegenwinkt, droht ihm keine Gefahr mehr.

Es liegt auf der Hand, daß Tausende von Menschen ohne das Vorhandensein der Leuchtthürme an den Küsten und in den Strommündungen elend zu Grunde gehen würden. Da aber unendlich viel auf die Pflege solcher Lichter ankommt, damit ihr Schein genau so, wie er für Seefahrer durch officielle Bekanntmachungen angegeben wird, auch stets in See sichtbar sei, gehören zu den Aufsehern oder Wärtern auf Leuchtthürmen ebenso zuverlässige, wie streng gewissenhafte Leute. Es existiren daher für Leuchtthurmwärter, deren jeder größere Thurm mehrere hat, die strengsten und minutiösesten Vorschriften, die sich theils auf ihr Verhalten selbst beziehen, theils und vornehmlich mit der Instandhaltung des höchst complicirten Apparates, ferner mit der Behandlung und Anzündung der Lampen, mit dem Aufsetzen der Gläser, dem Putzen der Laternen etc. beschäftigen. Jeder Docht, jede Lampe, jedes Glas u. s. w. hat seine Reserven, die eben so gut gehalten sein müssen, wie die im Dienst befindlichen. Einsatzscheiben für die Laterne sind ebenfalls in ausreichender Zahl vorhanden, denn es ist möglich, daß der Orkan eine Scheibe zerbricht oder, was auch schon vorgekommen ist, daß die im Sturm gegen das Mauerwerk rasende See losgerissene Steine bis zur Laterne hinaufschleudert und eine der halbzölligen Spiegelscheiben einknickt. Ferner muß daher auch einer der diensthabenden Wächter, so lange die Lampen brennen, in der Laternenstube anwesend sein, weshalb für den Winter dazu erforderliche warme Kleidung für die Wächter Seitens des Staates geliefert wird.

Es würde zu weit führen, die Behandlung des Apparates vor und bei Anzündung der Lampen zu beschreiben, obwohl das Verfahren dabei schon interessant ist, weil man Alles berechnet hat, um kein auch noch so unbedeutendes Fäserchen an einem der Dochte, kein Stäubchen an den Glascylindern sich ansetzen zu lassen. Für keinen Menschen auf der Welt ist die größte Ordnungsliebe und Accuratesse eine heiligere Pflicht, als für die Lampenwärter auf Leuchtthürmen. Nur der höchst sinnreichen Einrichtung des Apparates möge, da sie für jeden Gebildeten von Interesse ist und vielleicht mehr als einen binnenländischen Leser veranlaßt, Bremerhaven und die Wesermündung zu besuchen, am Schlusse dieses Aufsatzes noch gedacht werden.

Der optische Theil dieses Apparates besteht aus vier Linsenschirmen von Glas, acht Schirmen mit dreiseitigen prismatischen Ringen, welche sich ober- und unterhalb der Linsenschirme befinden, und aus zwei mit Silber plattirten Reverberen. Diese letzteren nehmen ein Drittheil des Horizontes oder 120° als verdunkelten Theil, wie schon vorhin bemerkt wurde, ein, während die Glastheile das Licht der Lampen auf zwei Drittheile oder 240° hinausstrahlen.

Diesen sinnreich construirten Apparat erleuchtet eine mechanische Lampe mit drei concentrischen Dochten, deren Flammen sich im gemeinsamen Brennpunkt der Gläser und Reverberen befinden. Druckkolben führen der Flamme das erforderliche Oel zu. Ueber dem Glascylinder der Lampe ist ein mit einer Klappe versehenes Blechrohr, der Regulator, angebracht. Dieser mündet in ein Abzugsrohr, welches den Dunst und Qualm der Lampe bis über die Glasringe hinausleitet. Der ganze optische Apparat steht so fest, daß er nicht verrückt werden kann. Die Lampe trägt ein auf den Diensttisch befestigter Dreifuß. Ehe sie eingestellt wird, muß ihr Gang in allen ihren Theilen vorher einige Stunden genau beobachtet werden. Hat die Flamme nach erfolgter Einstellung ihren vollen Glanz erhalten, so muß sie 500 Grammes oder 1 Pfund Oel per Stunde verbrennen. Damit dies geschehe, und die Flamme stets in voller Lichtentwickelung verbleibe, wird viermal so viel Oel, als die Flamme eigentlich verbraucht, zu ihr hinaufgehoben, nämlich 2000 Grammes oder 4 Pfund per Stunde, oder 250 Grammes in 7½ Minuten. Das übrig bleibende Oel fließt über und in den Behälter zurück.

Besteht der eigentliche Zweck aller Leuchtthürme zunächst darin, den Seefahrern die Meerespfade an für die Schifffahrt gefährlichen Gegenden zu beleuchten und ihnen die Richtung anzudeuten, in welcher sie dem noch fern liegenden Hafen zusteuern sollen: so treten doch häufig Umstände ein, welche diesen Zweck vereiteln. Undurchdringliche Nebel verhüllen auch die hellglänzendsten Lichter, und wenn [245] der Seefahrer ihrer endlich trüb und in ganz anderer Gestalt ansichtig wird, ist es oft schon zu spät. Die unüberwindlichsten Feinde des Seefahrers aber sind die Stürme, deren Gewalt keine menschliche Vorsicht berechnen, keine menschliche Macht besiegen kann. Das vom Orkan über den aufgewühlten Ocean gepeitschte Schiff wird, ist es nicht möglich, es von den verderblichen Sandbänken fern zu halten, im Angesicht des leuchtenden Pharus von den Wogen auf Untiefen geworfen und von der Wucht der Wellen wie Glas zertrümmert.

Von der ungeheuern Gewalt der Meereswogen können diejenigen, welche nie mit eigenen Augen eine stürmische See gesehen haben, sich kaum eine Vorstellung machen. Centnerschwere Felsblöcke werden von einer einzigen großen Woge bergaufwärts gerollt, und der springende Kamm einer sich bäumenden Welle, der im Sonnenlicht einem riesigen Diadem von Silber ähnelt, zerschmettert vielzöllige Balken, als wären es dünne Holzsplitter. Selbst die gewöhnliche Brandung auf sandigem Flachstrande zerschlägt die stärksten Boote in unzählige Stücke.

In solcher Noth, die der Seemann in seinem schweren Berufe nur zu oft kennen lernt, setzt er, wenn schon die Planken seines Schiffes im Anprall der Sturzseen brechen, seine Hoffnung noch immer auf den Leuchtthurm. Das stille Licht über dem schäumenden Meere sieht auf ihn herab aus Himmelshöhen wie das Auge Gottes. Er bietet die letzten Kräfte auf, um ein Boot von dem zerschellenden Wrack loszumachen, greift zu den Rudern und strebt dem Thurme zu. Erreicht er ihn und gelingt es seiner seemännischen Geschicklichkeit, an dem ragenden Gemäuer anzulegen, dann weiß er, daß er für diesmal dem Tode entronnen ist.

Um solchen Unglücklichen mit dem Nöthigsten beispringen und den Erschöpften, vielleicht schon Halbtodten Pflege angedeihen lassen zu können, befinden sich in größeren Leuchtthürmen erwärmte Räume etc. Auch der Bremer Leuchtthurm besitzt solche in der kalten Jahreszeit stets erwärmte Stuben. Auch hält man eine beträchtliche Anzahl wollener Decken bereit, damit die Schiffbrüchigen zunächst durch Benutzung derselben den Gebrauch ihrer erstarrten Glieder wieder erhalten. Auch für genügenden Proviant ist stets gesorgt. Und so erfüllen denn die Leuchtthürme[WS 1]eine doppelte Pflicht der Menschlichkeit. Sie zeigen in finsterer Nacht den Seefahrern die Pfade durch die unendlichen Wasserwüsten und bieten im Sturm verunglückten Schiffern ein sicheres Asyl und unentgeltliche Pflege.



  1. Messungen.
  2. Die detaillirten Angaben, über die Construction des Thurmes, so wie über die Beleuchtungsart sind dessen „Beschreibung des Baues etc.“ entlehnt.
  3. Ein Licht, welches eine Vergrößerung oder scheinbare Annäherung des Sehgegenstandes bewirkt, und sowohl mittelst Brechung der Lichtstrahlen als durch Zurückstrahlung von Spiegeln aus hervorgebracht wird.
  4. Eine große Sandbank.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Leutthürme