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Titel: Ein Besuch bei Miß Braddon
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aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 832
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[832] Ein Besuch bei Miß Braddon. Welche unserer freundlichen Leserinnen kennte wohl nicht Miß Braddon, die Verfasserin der Romane „Lady Audley’s Geheimniß“, „Aurora Floyd“, „Eleanor’s Sieg“ und noch vieler anderer spannend interessanter Werke? Sie zeichnet sich unter der zahlreichen Legion der englischen Schriftstellerinnen bedeutend aus, indem sie den von ihren Vorgängerinnen breitgetretenen Weg der Moralpredigten, der Proselytenmacherei für Mäßigkeitsvereine, Industrieschulen und religiöse Secten, der guten Lehren für Dienstboten, kurz, der sanften Langeweile entschieden gänzlich verließ und mit Wilkie Collins den englischen Sensationsroman schuf, welcher den französischen Werken dieses Genres an Reinheit und Feinheit der Ausführung weit überlegen ist.

Auch für die Bühne wurden die Romane Miß Braddon’s bearbeitet, und auch hier feierte die schöne Lady Audley mit den sonniggoldenen Locken und dem kindlich-lieblichen Antlitz, die kaltblütige Verbrecherin, sowie die ebenso reiche wie reizende Aurora Floyd, die als romantisches junges Mädchen mit einem Groom durchgegangen ist und dann einen achtbaren Gatten geheirathet hat, während der todtgeglaubte Jockey ihr unablässiger Quälgeist wird, gleiche Triumphe.

Miß Braddon vermählte sich vor etwa zwei Jahren mit dem Verleger ihrer Werke, dem Buchhändler Maxwell in London, der hierbei durchaus nicht blos aus Speculation handelte, wie manche boshafte Zungen behaupten wollten, sondern wohl meist durch aufrichtige Zuneigung für die liebenswürdige, geistvolle Dame dazu bewogen wurde, ihr seine Hand anzubieten.

Ich war so glücklich, mehrere Empfehlungsbriefe sowohl an Herrn Maxwell, wie auch an dessen Gattin zu besitzen, als mich mein Weg vor Kurzem nach London führte. Bei meinem ersten Besuch traf ich blos Herrn Maxwell an, welcher mich auf den folgenden Tag zum Essen einlud, so daß ich meine Neugierde, die vielgenannte Schriftstellerin zu sehen, noch etwas zügeln mußte.

Endlich war doch die erwünschte Stunde erschienen und ich klingelte abermals an der Hausthür des allerliebsten, eleganten Hauses in Mecklenburg-Square, einem sehr ruhigen und stillen Stadttheil, der ganz besonders für solche Schriftsteller geschaffen zu sein scheint, die wie Frau Maxwell zwanzig- bis fünfundzwanzigtausend Thaler des Jahres verdienen. Ich wurde von der berühmten Dame sehr anmuthig und freundlich empfangen und erhielt bei Tische einen Platz ihr gegenüber, so daß ich alle Gelegenheit hatte, sie zu betrachten und zu beobachten. Sie ist eine kleine, ziemlich volle Blondine mit ansprechenden Zügen, einfach, aber sehr geschmackvoll gekleidet, ohne irgend etwas Auffallendes in ihrem Wesen, ihrer Haltung und Sprache. Nichts an ihr verräth im Mindesten den „Blaustrumpf“ nach der Idee, die man sich von einem solchen macht; Niemand ahnt in der freundlichen, zierlichen Hausfrau die kühne Phantasie, welche sich in allen ihren Schriften zeigt.

Den vorherrschenden Auddruck ihres Gesichts bilden Güte und Sanftmuth; ihre Urtheile sind stets wohlwollend, und obgleich sie reiche Kenntnisse besitzt, macht sie doch mit ihrer Gelehrsamkeit in keiner Weise Parade, sie läßt ruhig ihr Licht unter dem Scheffel stehen, wie dies so wenigen ihrer Colleginnen möglich ist, aber gerade dadurch wird ihre Unterhaltung so wohlthuend und liebenswürdig. Sie ist eine sehr fleißige Arbeiterin, die Arbeit wird ihr indeß ungemein leicht. Fast immer arbeitet sie zu gleicher Zeit an zwei bis drei Romanen, die in verschiedenen illustrirten Journalen erscheinen. Ihr Gatte, Herr Maxwell, welcher äußerst thätig und speculativ ist, weiß die schriftstellerische Beliebtheit seiner Frau gehörig zu benützen und verfährt bei der Veröffentlichung ihrer Werke mit vieler Klugheit. Miß Braddon, oder vielmehr Frau Maxwell, steht sehr früh auf und arbeitet den ganzen Morgen, so daß sie gegen Mittag ihr Tagewerk beendet hat, worauf sie entweder spazieren fährt oder spazieren reitet, was sie besonders gern thut, da sie eine sehr gewandte Reiterin ist.

Sie spricht Französisch und auch ziemlich gut Deutsch, liest viel, da sie auch für die neuen Literaturerscheinungen des Auslandrs großes Interesse hegt, und sieht des Abends gewöhnlich einen gewählten Kreis von Bekannten und Freunden um sich, geht aber selbst wenig in Gesellschaft, weil sie sich zeitig zur Ruhe zu begeben pflegt, um des Morgens mit frischen Kräften an die Arbeit gehen zu können.

Sie hat mir einen sehr angenehmen Eindruck hinterlassen, weit angenehmer, als ich nach der Lectüre einiger ihrer letzten Romane, wie „Henry Dunbar“ und „die Frau Doctorin“ etc., die allerdings mit manchem bizarren Beiwerk ausstaffirt sind, für möglich gehalten hätte.