Ein Besuch bei Alfred Tennyson

Textdaten
<<< >>>
Autor: unbekannt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein Besuch bei Alfred Tennyson
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 464
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Besuch in „Farringford House“ auf der Isle of Wight
Blätter und Blüthen
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[464] Ein Besuch bei Alfred Tennyson. Auf meiner Heimkehr nach dem lieben Deutschland nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Amerika verweilte ich auch längere Zeit in England, wo es mich trieb, den englischen Lieblingsdichter der Gegenwart, ihren poeta laureatus, Alfred Tennyson, in seinem eigenen home, dem reizend gelegenen „Farringford House“ auf der Insel Wight aufzusuchen, da ich so glücklich war, einige Empfehlungsbriefe an ihn zu besitzen. Sein Haus ist so recht das Ideal einer Dichterheimath, zugleich geräumig, malerisch, elegant und dennoch anspruchslos. Die breite Front ist ganz mit Epheu bezogen, während sich rechts eine schöne, mit Geißblatt umrankte Veranda hinzieht, zu der links ein Treibhaus mit ausgewählten exotischen Pflanzen das Pendant bildet. Als ich auf das liebliche Haus zuschritt, freute ich mich über die wohlgepflegten breiten Pfade, die von uralten Eichen zu beiden Seiten völlig überdacht waren, da dieselben oben ihre Zweige und Wipfel wie zu einer schützenden Laube verbunden hatten. Von dieser kühlen, schattigen Allee aus blickt man auf große, saftiggrüne Rasenplätze mit reizenden Blumen- und Strauchpartien und jenseits derselben sind wieder herrliche Baumgänge, wo ich mir den Dichter auf- und abwandelnd vorstellte, wenn er die lieblichen Phantasiegebilde ersinnt, welche später die Welt entzücken.

Jetzt begegnete mir ein Diener, welcher mich in ein Cabinet führte, wo er mich bat, zu warten, bis er seinem Herrn meinen Besuch gemeldet haben würde. Hier wurde mir das Warten leicht, denn ich befand mich in einem sehr interessanten kleinen Naturaliencabinet, das mir förmlich ein Inhaltsverzeichniß der Lieblingspassionen Tennyson’s zu sein schien; da war eine größtentheils von ihm selbst zusammengetragene Sammlung von Mineralien und Versteinerungen, merkwürdigen Crustaceen, Muscheln und Krystallen, Alles sorgfältig geordnet und classificirt. Wenige Minuten später wurde ich in ein äußerst gemüthliches Zimmer geführt, wo ich von Tennyson’s Gattin und seiner unverheiratheten Schwester freundlich bewillkommnet ward. Die Damen zeigten mir einige auserlesene Photographie-Albums, in denen die Nachbildungen der berühmtesten Meisterwerke der Malerei und Baukunst enthalten waren; dann trat Tennyson selbst ein. Wie soll ich sein Aeußeres beschreiben? Er ist wohl beinahe fünf und einen halben Fuß groß, erscheint jedoch viel kleiner, da er ziemlich gebeugt geht; sein Alter beträgt höchstens fünfzig Jahre, allein eben die gebückte Haltung und die Brille läßt ihn älter erscheinen: dazu ist er so merkwürdig altmodisch gekleidet, daß er mehr einem alten Gemälde als einem Zeitgenossen aus dem nennzehnten Jahrhunderte gleicht.

Sein Rock mit der kurzen Taille und den langen Schößen glich etwa den Röcken, in denen wir Schiller abgebildet sehen; er schloß eng an und bestand aus einem graumelirten Stoff, ebenso die Weste und die Beinkleider; unter den breiten Hemdkragen war eine schwarze Cravatte lose geschlungen, deren Enden vorn herabhingen. Aber dies Alles vergißt man bei dem Anblick seines Gesichtes, der mächtigen, gedankenschweren, breiten, hohen Stirn, dem langen, seidenweichen, schwarzen oder vielmehr stark mit Grau gemischten Haar, das bis auf die Schultern fällt, und vor Allem den dunkelgrauen, sanften Augen. Sein Mund lächelt fast immer, allein die Augen sind wie abwesend und scheinen in entfernten Regionen umherzuirren, wenn er spricht; dieser eigenthümliche Blick läßt sich gar nicht beschreiben, man muß ihn selbst beobachten. Seine Stimme ist voll und klangreich, aber er wählt seine Worte bedächtig, und ich möchte deshalb fast glauben, daß er ebenso langsam und bedächtig arbeitet, jeden Satz nochmals abwägt und daran herumfeilt, bevor er ihn niederschreibt.

Unser Gespräch drehte sich um die Schönheiten der Insel Wight, um England und meinen Aufenthalt daselbst, dann kamen wir auf Deutschland zu sprechen und ich war erfreut, Tennyson so bewandert in unserer Literatur zu finden und ihn so eingenommen dafür zu sehen. Er wurde ordentlich lebhaft, als er von Schiller’s dramatischen Werken sprach, unter denen er Don Carlos den Vorzug zu geben schien. Zuletzt wandte sich unser Gespräch auf Amerika und mein dortiges Leben, und ich fragte ihn, ob er nicht einmal dorthin reisen werde, wo ihn viele tausend Bewunderer seiner Werke freudig willkommen heißen würden. Er unterbrach mich jedoch mit einem entschiedenen:

„Nein, das werd’ ich nie!“

„Aber warum nicht?“

„Ach, die Amerikaner sind mir zu gewaltthätig, ich liebe sie nicht, ich denke noch mit Grauen an den langen, langen Bruderkrieg.“

„Aber jetzt herrscht ja Friede und die Sclaverei ist zu Ende –“

„Mag sein,“ fiel er schnell ein, „aber die amerikanische Presse ist entschieden brutal und unvernünftig!“

Ich suchte ihn zwar von der Einseitigkeit dieser Ansicht zu überzeugen, fand es aber doch für besser, auf ein anderes Gesprächsthema überzugehen, und so verrauschten mir die Augenblicke mit Windesflügeln in der Unterhaltung mit dieser reinen, klaren Seele. Ich verließ Farringford House mit den freundlichsten Erinnerungen und reich beschenkt mit Bildern, Blumen und Autographen.