Ein Belagerungskrieg zwischen Schwalben und Sperlingen

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Titel: Ein Belagerungskrieg zwischen Schwalben und Sperlingen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 695–697
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein Belagerungskrieg zwischen Schwalben und Sperlingen.

Der fröhliche, fleißige Gast des Sommers, der den Sommer macht, von welchem ein Dichter singt, daß er die Tempel und Dächer und Balken und Friese und Ecken und Winkel, an und unter welchen er seine hängende Wohnung anklebe, heilige, und die Luft, in der er lebe, baue, brüte und zwitschere, gesünder und würziger sei, als sonst, die Schwalbe ist unter unsern häuslichen Freunden einer der gemüthlichsten, liebenswürdigsten und interessantesten. Fast überall hat man eine herzliche Pietät für die Schwalbe und ihr Nest, selbst die ungezogendsten Bauerjungen nehmen ihr Nest nicht aus, da sonst, wie die Kuhmagd mit feierlicher Miene des Glaubens versichert, die Kühe Blut milken und dem Hause und den Ställen noch andere Unglücksfälle begegnen. Ueberhaupt hüllt sich die Schwalbe in den Vorstellungen der Leute, bei denen sie ihre Sommerwohnung aufschlägt, noch gern in romantisches Mysterium. Selbst die Naturkundigen waren und sind zum Theil noch jetzt im Zweifel über ihre Winterquartiere und die Art, wie sie den Winter durchbringt.

Vor mehreren Jahren behauptete ein gelehrter und frommer Mann in einer besondern Schrift, daß die Schwalben im Monde oder einem andern kleinern, mit bloßen Augen nicht sichtbaren Trabanten der Erde überwinterten. Doch war dies den nichtfrommen Naturalisten etwas zu arg, so daß sie ihn sofort gründlich aus der gelehrten in die fromme Welt hinausbissen. Klaus Magnus war der Erste, der die sehr populär gewordene submarine Theorie aufstellte, nämlich, daß sich die Schwalben im Herbste in langen Reihen, wie an einen Faden gefädelt, in einander fügten und in’s Meer versenkten, bis das frühlingende Quaken der Frösche sie wieder aufriefe. Diese Theorie galt lange als ausgemachtes, naturwissenschaftliches Factum, selbst bei Linné und sogar bei dem größten Thiergelehrten Cuvier. Man las in gelehrten Gesellschaften authentische Berichte von Fischern, die ganze Reihen Schwalben aus dem Bette von Flüssen gezogen haben wollen. Endlich stand ein ungläubiger Deutscher, dessen Namen ich vergessen habe, mit dem öffentlich ausgebotenen Preise auf, daß er für jede solche ausgefischte Reihe Schwalben so viel pures Silber geben wolle als sie noch naß wiegen würden. Noch Niemand hat den Preis gewonnen, er ist also vielleicht noch zu haben. Die submarine Theorie verschwand aber seitdem unter den Gelehrten und fristet heut zu Tage nur noch ein gläubiges Dasein unter den Landleuten, die noch frei sind von dem „Schmerze der Erkenntniß.“ Aber wo logiren sie nun im Winter? Wahrscheinlich in Aegypten oder sonst irgendwo, wo’s im Winter Sommer ist, aber, unter uns gesagt, ich weiß es nicht.

Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Und wozu brauche ich Wärme, wenn die Schwalbe gekommen ist? Und da ist sie eines schönen Frühlingsmorgens, des schönsten in diesem Jahre, der noch mitten im harten Winter den „theuern“ Ofen unterstützt, wenn wir daran denken, da sitzt sie auf dem Pflocke an der Stallwand und zwitschert so lustig, so Allegro, so sommerlich, daß der Bauerjunge [696] sofort beschließt, heute zum[WS 1] ersten Male barfuß zu gehen. „Man wußte nicht, woher sie kam,“ wie Schiller vom Mädchen aus der Fremde, der Poesie sang, so daß die Polizei von Flachsensingen gleich strengen Befehl erhielt, auf sie zu fahnden. Aber die Schwalbe darf sich jetzt überall ohne visirten Paß und ohne Aufenthaltskarte ansiedeln, in so gutem Rufe, in solcher Achtung steht sie. Da zwitschert sie und fängt sofort an, ihr altes Haus vom vorigen Sommer zu repariren oder ein neues zu bauen. Mit feiner geologischer Kenntniß wählt sie sich solchen Lehm oder Schmutz, der sich für ihr kühnes Bauwerk am Besten eignet. Ist eine gehörig zähe Substanz nicht leicht aufzutreiben, wie auf sandigem Boden, bringt sie dem lockern Material Zähigkeit und Halt durch Einflechtung kleiner Strohstückchen bei, was sie von dem Lehmwandbauer oder der Lehmwandbauer von ihr gelernt haben mag. Da sie an glatte, perpendiculäre Wände anbaut ohne hervorragende Punkte, ohne irgend eine Art von Stütze und Waffe gegen die Schwerkraft, kann man sich denken, wie fest und genau und genial sie bauen und besonders den Baugrund legen muß. Von uns Menschen, von den besten Architecten könnte es ihr Keiner nachmachen. Wie bringt sie den ersten Halt und Grund an die glatte, steile Wand? Gebt Acht, wie sie sich mit ihren gespitzen, gespreizten Füßchen an die nackte Wand anklammert, den ausgebreiteten Schwanz als Stütze gegen dieselbe drückt, und nun flink, aber sorgfältig beginnt, ihr erstes, zubereitetes, nasses Baumaterial in die feinsten Poren der Wand einzuleimen! Nun baut sie mit ihrer lieben Ehehälfte um die Wette in zwölf bis vierzehn Tagen ihr rundes, prächtiges Meisterstück von Sommerpalast, stark, compact, warm und weich für die erwartete Nachkommenschaft, ganz genau Zweck entsprechend mit der kleinen Oeffnung, aber just unter dem Vorsprunge des menschlichen Bauwerks. Die äußerliche Kruste ihres Kunstwerks sieht allerdings sehr bäuerisch, rauh und unpolirt aus, aber sie hat’s in sich: Wie rund, weich, warm und gemüthlich ist es inwendig mit Stroh, Gras und Federn obenauf ausgepolstert! Die zärtlichste, junge Mutter kann für ihr lang erwartetes „Erstes“ nicht so sorgsam nähen, sticken und Bettchen stopfen. Welche Mühe macht ihnen dieses Haus! Bei aller blitzenden, ätherischen Eile können sie nur langsam bauen, da sie jede neu aufgesetzte Schicht erst trocknen lassen müssen, ehe sie die nächste anfangen können. Und wie viel Arbeit macht jede Schicht. Jedes Bischen, das sie im Schnabel auf einmal herbeibringen, wir mit einer zitternden, vibrirenden, ungemein schnellen Bewegung des Kopfes in den kleinsten Theilen ein- und angedrückt, und mit dem Schnabel und Kinn (wenn man hier so sagen darf) so lange gerichtet und geschoben, bis es genau zu ihrer architektonischen Idee paßt. Dabei sind sie sehr capriciös, fangen manchmal drei, vier Nester an und geben sie wieder auf, weil ihnen etwas daran verfehlt erscheinen oder eine bessere Baustelle aufgefallen sein mag. Das fertige Nest hält dann aber auch für mehrere Sommer aus, höchstens daß sie jedes Frühjahr etwas daran ausbessern. Die, welche in ihre alten Häuser ziehen, gewinnen deshalb mit Hervorbringung und Auffütterung ihrer Nachkommenschaft allemal einen Vorsprung von vierzehn Tagen bis drei Wochen, so daß sie schon lange von ihren piependen, kleinen Gelbschnäbeln bei jeder Rückkehr mit einer Fliege begrüßt werden, während die neuen Ansiedler noch still und andächtig brüten müssen. Aber Junge und Alte sind fix und fertig, flug- und fanggeübt, ehe der alte Weibersommer, erglänzend im niedern Mittagsstrahl, sie zur großen Abreise ruft, wenn sie nur sonst nicht in ihrer friedlichen Arbeit gestört werden.

Aber die Sperlinge! Die gottlosen, frechen, barbarischen Spatze! Als Barbaren und Faullenzer können sie natürlich nicht solche Nester bauen, wie Frau und Herr Schwalbe. Aber sie möchten eben so comfortabel wohnen, und suchen deshalb nicht selten die Nester der Schwalben durch List oder Gewalt und förmliche Belagerung zu erobern. Dieser ewige Krieg zwischen Schwalben und Sperlingen ist bekannt, aber nicht Jeder hat Zeit und Gelegenheit, solche großartige Kriege und Belagerungen, wie mir von einem englischen Geistlichen mitgetheilt wurden, mit anzusehen. Seine ganz aus speciellstem Erlebniß geschöpfte Erzählung eines solchen Krieges ist ungemein interessant und giebt uns einen tiefen Blick in das geistige Leben, die Intelligenz, die Kunst und Kriegswissenshaft dieser kleinen Leutchen.

Der Geistliche ist Prediger in dem versteckten Dörfchen Stanbourne, Grafschaft Essex, und wohnt in einem jener alten elisabeth’schen wunderlichen Häuser, die mit ihren Ecken und Winkeln, Giebeln und Vorsprüngen, Gängen und Veranden dem Lande in England noch jetzt ein so ganz absonderlich englisches Gepräge geben. Die Veranda ist reich und duftig mit Rosen und grünen, blühenden Schlinggewächsen bedeckt. Unter ihr und unter andern Vorsprüngen nisten jedes Jahr zahlreiche Familien von Schwalben, die von dem Herrn Pastor und besonders von seiner rosigen, runden Frau so geliebt und liebevoll beobachtet werden, daß sie ohne Furcht dicht über ihren Häuptern zwitschern und ganz dicht neben ihnen ab- und zufliegen.

„Die Nester waren dieses Frühjahr alle vollendet und Alles in der schönsten Harmonie und Ordnung, so daß es nichts Besonderes mehr zu beachten gab.

„Aber plötzlich eines Morgens wurden wir schon um vier Uhr durch ein ganz ungewöhnliches, lebhaftes Zanken und Streiten, durch den lebhaftesten Wortwechsel der Schwalben draußen aus unsern Morgenträumen geweckt. Dazwischen hindurch schrillte das frechste Geschnatter von Sperlingen. Wir eilten hinaus, zu sehen, was unsern lieben Ansiedlern passirt sei, und fanden, daß ihre Wohnungen von einer ganzen Armee Sperlinge belagert wurden. Dieser massenhafte Angriff war ganz gegen alles Völkerrecht und mir, der ich unsere Thiere aller Art stets genau beobachtet, so ganz außerordentlich neu, daß ich den ganzen Verlauf des Krieges mit dem gespanntesten Interesse verfolgte. Wahrscheinlich waren die Sperlinge durch eine Feuersbrunst oder sonst einen Unglücksfall plötzlich heimathlos geworden, und hatten nun mitten in der Hitze drängender Brützeit keine Zeit mehr, sich neue Herde zu begründen. Wenigstens wüßte ich mir diesen massenhaften, hitzigen und hartnäckigen Angriff gegen unsere Ansiedler nicht leicht anders zu erklären. Ich dachte, die Sperlinge hätten wenig Aussicht auf Erfolg, ihren starken, überlegenen und blitzschnellen Feinden gegenüber, die ihre Heimath zu vertheidigen hatten; aber ich fand bald, daß die Sperlinge viel Kriegstalent vor den Schwalben voraus haben. Sie sind einiger, organisirter durch bestimmte, sociale Gesetze. Auf ihren Plünderungszügen haben sie Vor- und Nachposten ausstehen, welche bei der geringsten, nahenden Gefahr Lärm schlagen. Sie haben eine geregelte Rechtspflege und besondere Gerichtssitzungen zur Untersuchung und Bestrafung ihrer Verbrecher.

„Diese Sitzungen an einsamen Orten, besonders Waldessäumen, sind schwer zu beobachten, da ausgestellte Wachen bei jeder Annäherung Ungeladener Lärm schlagen, womit die Sitzung sofort aufgehoben und nach einem andern Orte verlegt wird. Also klug sind die Sperlinge, wie der Teufel, der auf eine Seele spekulirt, aber auch hartnäckig, entschlossen und ausdauernd. Keine Niederlage, keine erzwungene Flucht konnte ihre zuavenartige Kühnheit und Unverschämtheit brechen. Tag für Tag erneuerten sie ihre Belagerungskünste, uneingedenk jedes Eigenthumsrechts und sonstiger Gesetze anderer Staaten. Ungeachtet der schärfsten Aufmerksamkeit (kein Nest war jemals leer gelassen) und Tapferkeit der Schwalben erreichten die Sperlinge deren Nester doch mehrere Male und thaten bedeutenden Schaden. Dieser ward zwar mit Tagesanbruch von drei bis fünf Uhr jedesmal wieder ersetzt, aber die Sperlinge gaben deshalb ihre Bemühungen nicht auf. Ohne eine entfernte, schwache, verlegene, nicht ernstlich wollende Obrigkeit, wie die belagernden Engländer, ohne schwerfällige Mißverwaltung, ohne Befehle, die sich unter einander kreuzten und aufhoben, ohne schwere Belagerungswerkzeuge, leicht, einig, unverdrossen und ausdauernd setzten sie ihren Krieg den ganzen Sommer hindurch fort. Endlich nachdem die Schwalben mit aller möglichen List und Tapferkeit sich nicht mehr zu halten hoffen konnten, da schon zwei Nester von den Sperlingen in Besitz genommen waren, verfielen sie auf eine neue Taktik. Die von Sperlingen eingenommenen Nester wurden natürlich, wie dies alte Regel bei ihnen ist, rasch und derb zugebaut, so daß diese, halb verhungert, sich endlich durchbrechen und durch Räumung des fremden Besitzthums gegen den Hungertod schützen mußten. Außerdem wurden alle andern Schwalbennester zugebaut und mit neuen Oeffnungen dicht an der Wand hinten versehen, mit Oeffnungen, in welche eben nur die schlanken Schwalben mühsam hineinschlüpfen konnten. Der Spektakel und die Wuth der Sperlinge, als sie dieses listige Manoeuvre entdeckten, war lächerlich erhaben; aber als richtige Spatze gaben sie deshalb ihre Attaquen immer noch nicht auf, auch dann noch nicht, als mehrere Versuche, die stets bewachten Festungen mit Sturm zu nehmen, ganz entschieden zurückgeschlagen worden waren. Wir beobachteten [697] den Kampf jeden Tag so lange und oft, als wir irgend Zeit erübrigen konnten. Dabei fiel uns besonders ein tapferer Wache stehender Schwalbensoldat auf.

„Wochen lang bemerkten wir ihn jeden Morgen zuerst und jeden Abend zuletzt immer in derselben Position wie angemauert: nämlich den Schwanz zum Neste herausstreckend, vor dem die Sperlinge solchen Respect bewiesen, daß sie nie einen persönlichen Angriff auf dieses Nest wagten. Dieser wachende, ewige Schwalbenschwanz ward bald die Curiosität und Merkwürdigkeit der ganzen Nachbarschaft und aller unserer Freunde. Er stand auch noch ununterbrochen Wache, als endlich die Sperlinge (nachdem die jungen Schwalben ausgebrütet waren) sich vollständig zurückzogen. Der Schwanz der Schwalbe stand Wache noch, als der Herbst die ganze Kolonie schwärmend umher trieb und endlich ganz mit sich fortnahm.

„Die Blätter fielen, der Schwalbenschwanz stand noch Wache. Alles war still und herbstlich draußen, jedes Nest, aus dem es so lustig aus- und eingeflogen, aus dem die Jungen so appetitreich hervor gepiept, war öde und leer. Mit unerträglich gewordener Neugier nahm ich endlich eines Morgens die Leiter, um die heroische Schwalbenwache näher kennen zu lernen. Ich entfernte vorsichtig einige Brocken des Nestes und griff hinein. Das Nest war leer. Die ganze Wache bestand aus nichts als drei Federn, die mit kluger Berechnung so befestigt worden waren, daß sie genau einem Schwalbenschwanz glichen. Die Sperlinge hatten ihn auch fortwährend als ganze reelle, tapfere Schwalbe respectirt. War es Zufall oder Kriegslist? Ich will es nicht entscheiden, die Thatsache aber ist richtig und hat eine große Menge Zeugen für sich.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: zu