Ein Autograph Franz Schubert’s

Textdaten
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Autor: L.
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Titel: Ein Autograph Franz Schubert’s
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 526
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[526] Ein Autograph Franz Schubert’s. Ich habe die Reichen nie ihrer Geldschätze wegen beneidet; ich habe mich dem Spruche des Paters in Wallensteins Lager. „contenti estote, begnügt Euch mit Eurem Commißbrode," unschwer mit ruhiger Resignation gefügt. Nur in einem Falle läßt mich meine Philosophie ganz und gar im Stiche; da verwandelt sich die Milch meiner frommen Denkart in gährend Drachengift, – wenn ich einer Auction von Autographen beiwohne, die Schätze sehe, die da ausgeboten werden, und die triumphirend glücklichen Mienen derjenigen bemerken muß, denen die volle Börse das höchste Gebot erlaubt, um das Kleinod davonzutragen. Welch’ ein wunderbares Interesse haben doch für mich, wie für so viele Tausende, die Handschriften berühmter Personen! Worin liegt es denn nur? Ach! in gar vielen Dingen, – zunächst in einer Menge Fragen. Wie hat er geschrieben? Deutlich – undeutlich in großen oder kleinen Zügen? groben oder feinen? unordentlichen oder geregelten, schief- oder geradlinigen? Hat er geändert, zugesetzt, weggestrichen, hat er Fahnen gemacht? Wie bewegte sich seine Hand beim Schreiben – fuhr sie eilig, hastig, flüchtig über das Papier umher, stockend oder ruhig, besonnen, sicher etc. etc.? Ist das Autograph die erste unmittelbare Niederschrift, oder wurde es nach einem Concept copirt?

Alle diese Fragen sind schon interessant an sich, denn was wäre uninteressant an einem großen Manne?

Aber damit ist die Anziehungskraft für die Autographenliebhaber noch nicht erschöpft. Für Alle besonders nicht, die in demselben bezüglichen Fache schaffen. Da treten die Folgerungen hinzu, die Vermuthungen, die man aus jenen Aeußerlichkeiten, den Schriftzügen, auf das innere Walten des Geistes beim Schaffen zu ziehen angeregt wird.

Eine eilige, flüchtige Hand zum Beispiel wird, denken wir, natürlich den gediegenen Inhalt eines talentreichen oder genial-schöpferischen Geistes vorausgesetzt, auf eine schnelle und leichte Productionskraft schließen lassen. Sichere, feste, gleichmäßig regelmäßige Schriftzüge scheinen ein ruhigeres, langsameres, besonnener überlegendes Schaffen anzuzeigen. Aenderungen ausgestrichener Stellen, Einschiebsel zwischen den Zeilen, oder gar vielfache Fahnen am Rande mögen als Kennzeichen gelten, daß sich dem Verfasser die Gedanken zuerst meist noch in unsicherem, zweifelhaftem Wesen, unzutreffendem Ausdruck und ungeglätteter Form vorstellen Alle diese und mehrere dergleichen Verschiedenheiten zeigen die vermiedenen Handschriften bedeutender Geister, und wenn die daraus geschöpften Vermuthungen auf die Geistesweise und Arbeitsmethode derselben auch keine unwiderleglichen sind, so werden gänzliche Täuschungen dabei doch nur höchst selten vorkommen. Eine solche wäre zum Beispiel allerdings, wenn man aus den Mozart’schen reinlichen, fast ohne alle Aenderungen bestehenden ersten und einzigen Niederschriften seiner Werke auf die ebenso leichte und sichere Hervorbringung derselben schließen wollte; denn es ist hinlänglich bekannt und beglaubigt, daß er sie erst lange Zeit mit sich herumtrug, und erst, wenn sie sich im Kopf vollständig ausgestaltet hatten, nieder-, eigentlich nur abschrieb, wie unter Anderen die einzige Niederschrift der Partitur der Zauberflöte beweist, in welch’ umfangreichem Werke äußerst wenige Aenderungen zu bemerken sind. Beethoven dagegen arbeitete in ganz entgegengesetzter Weise, machte viele Skizzen vorher, arbeitete sie aber hauptsächlich erst während des Niederschreibens aus, und veränderte dann die ursprünglichen Intentionen in so vielfacher Weise, daß es oft recht schwer, ja unmöglich wird, aus dem Gewirre der verschiedensten über-, unter-, neben-, und zwischengeschriebenen, radirten und wiederum corrigirten Lesarten, und dazu noch an sich in kaum zu entziffernden Krakelfüßen, die eigentliche definitiv von ihm festgestellte Lesart herauszufinden.

Ein Unicum nun wohl in Hinsicht auf Schaffensweise und Niederschrift ist unter allen Tondichtern Franz Schubert, der genialsten Componisten einer in allen Gattungen der Tonkunst, und „der begnadigtste Liedersänger aller Zeiten", wie ihn Otto Gumprecht in seinen trefflichen musikalischen Charakterbildern nennt. Franz Schubert brütete nicht vorher, wie Mozart, im Kopfe, er entwarf auch nicht Skizzen und änderte vielmals, wie Beethoven, sondern er sah an jeder tondichterischen Aufgabe im Augenblick das Wahre, Rechte, seine unbeschreiblich rege Empfindung und allezeit willig ergiebige Phantasie stellten ihm die schönste ausgeprägteste Gestalt unmittelbar vor, und er brachte dieselbe schnell, aber in sicherer, reinlicher und regelmäßiger Handschrift auf das Papier.

So schrieb der Achtzehnjährige in einer kurzen Nachmittagsstunde gleich beim Entstehen im Geiste, also frisch geschaffen feinen „Erlkönig“, diese „Verklärung der Goethe’schen Ballade in Tönen“ nieder, seinen am volkstümlichsten gewordenen, wenn nicht gar seinen gelungensten Gesang. Nur ein wiederholtes Durchlesen der Goethe’schen Worte, in immer sich steigernder Aufregung, erzählt Joseph Spann, der Freund, der bei der Entstehung desselben zugegen gewesen, hatte genügt, um das Gebilde derselben in Tönen vollendet vor seine Seele zu stellen, und in rastlosem Vollzuge folgte die nur noch mechanische Arbeit des Niederschreibens. Am Abend desselben Tages schon sang er die neue Composition seinen Freunden vor.

Wenn nun schon, wie jede Autographen-Auction zeigt, Briefe berühmter Männer, selbst die kürzesten wenige Zeilen enthaltenden, und keineswegs immer an Inhalt bedeutend, theuer bezahlt werden, so kann man sich denken, was ein Tonkünstler für das vollständige Manuscript des „Erlkönigs“ bieten würde, der die Mittel dazu besäße. Gut und gern seine hundert Thaler. Aber auch dafür war es nicht, es war überhaupt nicht zu haben. Und jetzt – wird uns die genannte Handschrift durch den Verlagsbuchhändler Wilhelm Müller in Berlin für den Preis von – zwanzig Neugroschen geboten! Allerdings ist es nicht die Urschrift Schubert’s selbst, aber mit Hülfe einer jungen Kunst, der Photo-Lithographie, ein so treues Abbild derselben, daß man kaum an den Unterschied zwischen Urschrift und Copie denken kann.

Ein noch besonders erhöhtes Interesse gewinnt aber gerade dieses Autograph durch den Umstand, daß von dem „Erlkönig“ zwei Niederschriften existiren. Schubert componirte ihn Ende 1815 oder spätestens 1816, während derselbe erst im Jahre 1821 im Stich erschien. Aus dieser Zwischenzeit, wenn nicht vielleicht unmittelbar vor dem Druck, wird wohl die zweite Originalhandschrift stammen (im Besitz der Fr. Dr. Clara Schumann, der Glücklichen!), welche den „Erlkönig“ in der altbekannten Gestalt zeigt. Was diese gegen die erstere Verschiedenes bietet, hat der Vorredner zu der Photo-Lithographie, Franz Espagne, angegeben, worauf wir verweisen müssen. Interessanter ist (für uns wenigstens) die hier gebotene erste Niederschrift, als ursprünglichste Intention, und der Vergleich derselben mit der zweiten Bearbeitung Schubert’s. Wahrlich, der Herr Verleger ist der Wohltäter des größten Theils der musikalischen Menschheit geworden, denn seine Idee wird natürlich ergriffen und nachgeahmt werden, und so mögen, ach, wie Viele von nun an des Wonnegefühls theilhaftig werden können, das bis jetzt nur äußerst wenigen Wohlhabenden vergönnt ward, Autographen berühmter Tondichter selbsteigen zu besitzen und sich an ihrem Anblick fort und fort erfreuen zu können.

L.