Textdaten
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Autor: J. L.
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Titel: Ein Apostel der Wahrheit
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 780–783
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Leberecht Uhlich
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Ein Apostel der Wahrheit.


Mitten in die Hauptbegebnisse des jüngsten deutschen Krieges fiel der wohl von Manchem in stiller Sammlung begangene fünfundzwanzigjährige Gedenktag eines Ereignisses, das, zwar nicht vom Donner der Kanonen in alle Lande hinaus verkündet, doch auch der Anstoß wurde zur Erneuerung eines alten gewaltigen Kampfes, des Kampfes um eines unserer edelsten Güter, um religiöse Freiheit. Am 29. Juni war es ein Vierteljahrhundert, daß die sogenannte „lichtfreundliche“ Bewegung ihren Anfang nahm; der Mann, welcher die äußere Veranlassung dazu gab, der als der eigentliche Vater der aus dem Schooße des Protestantismus hervorgegangenen freireligiösen Agitation zu betrachten ist; welcher in einem Umfange wie kein Anderer von ihrem Entstehen an bis auf den heutigen Tag durch Schrift und Wort und durch die Macht seiner Persönlichkeit für sie gewirkt, ihre weitere Ausbreitung gefördert, mit unbeugsamem Muthe ihr Recht vertheidigt und für sie gelitten hat; er gehört in die Reihe jener Geisteshelden, die ihr ganzes Leben einsetzen, die Menschheit aus dem Dunkel des Wahnglaubens zum Lichte des freien Gedankens emporzuringen, das allein ihrer würdig und zugleich ihr unveräußerliches Recht ist. Wer die Geschichte der religiösen Kämpfe unseres Vaterlandes in den letzten Jahrzehnten auch nur einigermaßen. kennt, der weiß, daß hier nur Uhlich gemeint sein kann; mit einer Charakteristik

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Vater Uhlich.

dieses unermüdlichen Apostels der Wahrheit trägt die „Gartenlaube“ ihren Lesern nur eine längst fällige Schuld ab.

Uhlich war es bekanntlich, der am 29. Juni 1841 jene Zusammenkunft sechszehn freisinniger preußischer Pastoren nach Gnadau in der preußischen Provinz Sachsen berief, welche sich zum Schutze der durch das Verfahren des Bischofs Dräseke gegen den Prediger Sintenis bedrohten protestantischen Lehrfreiheit zu dem Verein der „protestantischen Freunde“ oder der „Lichtfreunde“ verbanden. Er war es, der den Standpunkt der protestantischen Freunde, das Festhalten am Recht der freien Entwickelung in der protestantischen Kirche, sowohl als Ordner und Hauptredner auf den vielen lichtfreundlichen Versammlungen, welche bald eine ungeahnte Bedeutung erlangen sollten und im Jahre ihres Verbots 1845 an den verschiedensten Orten Deutschlands von vielen Tausenden besucht waren, sowie als Redacteur der „Blätter für christliche Erbauung von protestantischen Freunden“ verfocht. Uhlich wurde die Seele und der Mittelpunkt der spätern freigemeindlichen Bewegung und ist es bis jetzt geblieben.

Der Bildungsgang des Mannes ist ein so interessanter und lehrreicher, daß wir eine in großen Zügen gegebene Schilderung desselben unsern Lesern nicht vorenthalten dürfen. Ein gläubiges Kind kirchlich-frommer Eltern, kam Uhlich durch den Unterricht eines freisinnigen Predigers und ähnlich gesinnter Lehrer bereits als Knabe zu der Ansicht, daß man in der Religion wie in allen Dingen „vernünftig“ sein müsse. Die rationalistischen Professoren, unter deren Leitung er in Halle Theologie studirte, bestärkten ihn in den gewonnenen Anschauungen. Am christlichen Rationalismus aber hielt er als Landpfarrer, als Führer der „Protestantischen Freunde“ und als Prediger an der Katharinenkirche in Magdeburg fest, kämpfte bis zu dem Augenblick, wo man ihn gewaltsam aus der kirchlichen Gemeinschaft drängte, für freie Entwickelung innerhalb der Staatskirche und vermochte sich von dem historischen Christenthum selbst noch nicht loszusagen, als er zum Sprecher der neugebildeten freien Gemeinde in Magdeburg gewählt wurde. Allerdings war sein Rationalismus immer entschiedener geworden: Jesus, der ihm noch 1843 in den „Bekenntnissen“ in einem mysteriösen Halbdunkel vorgeschwebt hatte, als ein Mittelding zwischen Gott und Mensch, von dem er nicht wisse, wer er eigentlich sei, erschien ihm immer menschlicher, die Bibel wissenschaftlich unbegründet, bis ihn endlich die freie, von dem äußeren Zwange der Kirchengemeinschaft völlig unabhängige Forschung auf den rein menschlichen Standpunkt der Religion führte, von welchem aus das Christenthum nichts weiter als eine der Entwickelungsphasen der Religion ist, die der Kritik des heutigen Geschlechts nicht entzogen bleiben kann. Jetzt predigte Uhlich die Vernunftreligion schlechthin. Seine Vernunft aber hielt noch am persönlichen Gott fest. Dies schien ihm eine jener Forderungen der Vernunft, die geglaubt werden müssen, wenn sie auch nicht bewiesen werden können.

Neuer Kämpfe und Anstrengungen bedurfte es, um auch diese letzten Schranken des anerzogenen Glaubens zu überwinden und ihn in seiner heutigen Ansicht zu befestigen. Nach dieser unterliegt die Religion dem Gesetze, das die ganze Welt beherrscht, der Bewegung. Es giebt für dieselbe keine ewig feste, unbewegliche und unveränderlich starre Grundlage, sondern sie gehört ganz in den Fluß der übrigen menschlichen Dinge hinein. Alle vorhandene Religion ist nichts anderes, als das Erzeugniß früherer Vernunft, so daß die heutige lebendige Religion lebendiger Menschen [782] nichts anderes sein darf, als das Erzeugniß heutiger Vernunft, in der ja schon der unvergängliche Theil des Erbes früherer Vernunft liegt. Denken, nicht Glauben, ist auch in der Religion die Regel. Geltung in ihr kann nur das Erkannte, Gewußte, auf sichern Thatsachen Ruhende haben. Das Vermuthete, Geahnte gehört nicht in die Religion der Gemeinschaft hinein, bleibt Jedem anheimgestellt. Die Thatsachen der Natur und des Menschenwesens sind die Grundlagen der Religion. Es giebt keinen persönlichen Gott außerhalb der Welt, sondern Gott ist in den Dingen selbst; er ist mit der Welt eins. Er blickt uns aus der Blume an und umweht uns im Luftstrom, er rauscht uns in der Welle zu und in dem Baume strebt seine Kraft vor uns empor, in meinem Auge webt und pocht sein Leben, in meinen Gedanken ist er die gesetzgebende, ordnende Macht, in meinem Gewissen redet seine Stimme. Gottes Wort steht am klaren, nächtlichen Himmel und seine Buchstaben sind die schimmernden Sterne, Gottes Wort spricht in den ziehenden Wolken, es redet im Wald und im Felde.

Am schwersten fiel es Uhlich die letzten Consequenzen zu ziehen in der Frage vom Glauben an die Unsterblichkeit der Seele und an ein Wiedersehen nach dem Tode. Er beschreibt in seinem Sonntagsblatte, wie ihm die Hoffnung, in einem Jenseits seine Entschlafenen wiederzusehen, ein gar freundlicher und tröstlicher Gedanke gewesen sei. Aber sein Entwickelungsgang trieb ihn auch in dieser Frage unaufhaltsam vorwärts und brachte ihn zu der Ueberzeugung, daß alle durch die Orthodoxie verbreiteten Vorstellungen von einem künftigen Leben sich wissenschaftlich nicht begründen lassen. Der menschliche Geist in seiner hohen Kraft und Begabung ist ihm das Wundervollste, das sich in dem großen Reiche der Dinge darstellt, aber auch er entspringt aus dem gleichen Mutterschoße der Welt, dem Thier und Pflanze entspringt, und Niemand hat irgendwo ein Zeichen wahrgenommen, daß er ohne Leib bestehen könne.

Es ist klar, daß, sowie Uhlich’s jetzige Anschauung von Gott und der Welt eine offenbar pantheistische ist, seine Ansicht über den menschlichen Geist als eine materialistische bezeichnet werden kann. Es ist hier nicht die Stelle, ein Urtheil über diese Ansicht zu fällen. Wenn aber die Gegner eine solche Anschauungsweise für das „volle Gegentheil von Sittlichkeit“ erklären, so werden sie sowohl durch Uhlich’s Sittlichkeitslehre, als auch ganz besonders durch seine und seiner Anhänger Sittlichkeit auf’s Glänzendste widerlegt. Die Summe der besten Gedanken, über welche heute die Menschheit verfügt, ist Uhlich’s Religion. Sie ist ihm die Hingebung an diese Gedanken, als die Beherrscherinnen des Gemüths und des Lebens. Seine Predigt strebt zu sein eine Darreichung aus diesem Schatze zur Befriedigung des ewigen Verlangens nach dem Wahren, Guten und Schönen. Sie lehrt die Grundsätze der Gerechtigkeit, der Liebe, der Menschenwürde. „Was du willst, daß dir die Leute thun sollen, das thu’ ihnen und umgekehrt. Liebe die Menschen und beweise ihnen deine Liebe mit der That, denn das Wahre, Gute, Schöne, wonach deine Seele strebt, mußt du in möglichst weiten Kreisen pflanzen und pflegen, anders kannst du dir selbst nicht genügen; das allgemeine Wohl ist deine Seligkeit, also laß dich von der Liebe regieren. In allen Dingen das Höchste streben ist dein Beruf und dein Glück.“

Uhlich’s sittlicher Standpunkt wird am besten durch folgende von ihm selbst in neuester Zeit geschriebene Worte bezeichnet: „Eins steht fest und bleibt fest stehen, nämlich, daß ich ein guter Mensch sein muß; das ist die unverrückliche Thatsache des innern Lebens; ich sage, daß gerade die sittliche Nothwendigkeit die allerentschiedenste Thatsache ist, ebenso gut Thatsache der Menschennatur, als wir die Thatsachen in der uns umgebenden Natur finden.“ Mit Recht beruft sich Uhlich auf Jesu Ausspruch: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ Welcher Prediger der Staatskirche möchte sich rühmen, die Gebote seines Heilands in umfassenderer Weise zu erfüllen als Uhlich? Uhlich predigt die Nächstenliebe nicht nur, er beweist sie durch die That. Wem es vergönnt war, persönlichen Verkehr mit ihm zu pflegen, der kennt seine Aufopferungsfähigkeit, seine große Uneigennützigkeit, seinen durch nichts zu ermüdenden Eifer, jede Noth zu lindern und jedem Bedrängten zu helfen. Mögen Andere predigen: „Segne die, die dir fluchen, und thue denen Gutes, die dir Böses gethan haben,“ Uhlich handelt nach diesem Gebot. Von den Theologen der protestantischen Kirchenzeitung, welche seine Lehre eine „materialistische Erniedrigung der Religion, welche von Gottesfurcht und Sittlichkeit das volle Gegentheil ist“, nennen, erklärte er, daß „diese Männer so wacker für die Freiheit der Religion streiten, wie es nur eben ihr Standpunkt zuläßt.“ Wenn man vor Uhlich’s Scheiden aus der Staatskirche gewagt hat, ihn, den entschiedensten Feind jedes Scheinwesens, der Unehrlichkeit und Heuchelei aus selbstsüchtigen Zwecken zu beschuldigen, so muß dieser der Wahrheit auf’s Schmählichste in’s Gesicht schlagende Vorwurf von dem an Leiden so reichen Leben des Mannes, der für seine Ueberzeugung erst vor Kurzem im Gefängniß gelitten, verstummen. Nur ein edler Mann vermag die Gemüthsruhe und innere Zufriedenheit selbst im Gefängniß zu bewahren, welche aus jeder Seite von Uhlich’s vor Kurzem erschienenem Tagebuche über seine letzte Gefängnißhaft „Drei Wochen im Gefängniß“ hervorleuchtet. –

Als Sohn eines Schneiders in Köthen ist Uhlich also ein Kind des Volks, zu dessen treuesten Führern er gehört. Sein reichbewegtes Leben ist, soweit dasselbe der Oeffentlichkeit angehört, allgemein bekannt. Darum können wir hier auf jede weitere Darstellung desselben verzichten. Seine Kämpfe mit dem Magdeburger Consistorium führten 1846 zu seiner Amtssuspension. Seit dem folgenden Jahre den freien Gemeinden angehörend, hat keiner für ihre weitere Ausbreitung so viel gewirkt als Uhlich, aber auch keiner mehr für sie gelitten, als er, der als Führer immer im Vordertreffen des Kampfes stand.

Wegen Anmaßung geistlicher Amtshandlungen stand Uhlich in einem einzigen Jahre dreißig Mal vor Gericht. Nachdem er, sowie sein College Sachse, zwei Jahre lang in den Gemeinden außerhalb Magdeburgs ungestört gepredigt hatte, wurden sie plötzlich im Frühjahr 1852 auf den Bahnhöfen polizeilich in Empfang genommen, im Wartezimmer bewacht, bis der nächste Zug nach Magdeburg zurückging, und dann heimspedirt. Uhlich ertrug diese widerwärtigen Chicanen mit gewohntem Gleichmuth wie elementare Ereignisse, die man nicht ändern kann. 1854 wurde die Magdeburger Gemeinde gänzlich geschlossen; Uhlich lehrte nun im Stillen unter den Festgebliebenen und deren Jugend weiter, bis ihm die neue Aera eine neue öffentliche Entfaltung seiner Wirksamkeit gestattete.

Uhlich steht jetzt im achtundsechszigsten Lebensjahre, silberweißes Haar bedeckt sein Haupt, Leiden mannigfacher Art schwächen seinen Körper. Aber der Greis erglüht noch von demselben Feuereifer für die Wahrheit, welche den Jüngling beseelte, und ist noch immer einer ihrer muthigsten Streiter. Als ihr Apostel zieht Uhlich noch heute von Ort zu Ort, um die Finsterniß zu bekämpfen und das Licht zu verbreiten. Wo eine neue Gemeinde entstehen will, ruft man ihn; weit über die Grenzen des Vaterlandes hinaus verlangt man seine Mitwirkung; in Belgien, wo sich seit einigen Jahren der freie Gedanke zu regen beginnt, hat er bereits persönlich bei der Constituirung einer freireligiösen Gesellschaft mit geholfen; französische, schweizerische, italienische Gesinnungsgenossen haben Verbindung mit ihm gesucht. In dem Bunde der einhundertundsechszehn deutschen freireligiösen Gemeinden ist Uhlich nebst Baltzer, dem Prediger Albrecht in Ulm und zwei schlesischen Juristen Vorstandsmitglied. In dem von ihm herausgegebenen vielgelesenen „Sonntagsblatt“, das sich seit 1849 unter allen Fährlichkeiten, Postdebitsentziehung, Beschlagnahme während eines ganzen Jahres, Hinausdrängung aus Preußen unter Manteuffel behauptet und sich sein Publicum in ganz Deutschland gewonnen und erhalten hat (die Auflage beträgt gegen viertausend), führt er den Kampf gegen jede Bedrückung der religiösen Freiheit und Verletzung der Rechte der freien Gemeinden mit gewohnter Unerschrockenheit fort und vertritt deren allgemeine Interessen nach allen Richtungen hin.

Diese umfassende Thätigkeit ist jedoch nur ein Theil von Uhlich’s öffentlicher Wirksamkeit. Wer glaubt, daß sich diese auf das freireligiöse Gebiet beschränkt, hat von Uhlich eine durchaus falsche Vorstellung. Wo in Magdeburg ein Kampf für Wahrheit, Freiheit und Recht auszufechten ist, wo sich eine Gelegenheit bietet, Bildung und Aufklärung unter dem Volk zu verbreiten, da eilt Uhlich herbei. Auch in politischer Beziehung, in der man ihm früher, besonders wegen seiner Thätigkeit im Jahre 1848 als Mitglied des linken Centrums der Nationalversammlung, eine etwas übertriebene Neigung zum Vermitteln vorgeworfen hat, gehört er jetzt der entschiedensten Richtung der freisinnigen Partei an. Obgleich seine sich immer gleich bleibende, des agitatorischen Feuers entbehrende Ruhe und eine für die politsche Debatte mitunter zu [783] gemüthliche Breite ihn nicht immer zum Parteiredner geeignet erscheinen lassen, dürfen doch die großen Verdienste, die er sich durch unzählige Anregungen in politischen und communalen Fragen erwirbt, hier nicht unerwähnt bleiben.

In dem Magdeburger Arbeiterbildungsverein ist Uhlich eines der eifrigsten Vorstandsmitglieder und einer der thätigsten und geliebtesten Lehrer. Seine Beredsamkeit, die ihn zum Volkslehrer ersten Ranges stempelt, feiert hier ihre schönsten Erfolge, und mag er nun von der Geschichte Magdeburgs, von den deutschen Kaisern, von seinen Reisen, von der Großartigkeit der Natur, von der Schönheit der Blumen oder den Leistungen der Dampfmaschine erzählen, die Arbeiter lauschen mit gespanntester Aufmerksamkeit seinem klaren und anschaulichen Vortrage. Bedenkt man nun, daß Uhlich nicht nur in dem Magdeburger, sondern auch in den benachbarten Bildungsvereinen der gesuchteste Redner ist; daß er in den Winterhalbjahren populäre Abendvorträge über wissenschaftliche Gegenstände vor einem aus beiden Geschlechtern gemischten Publicum hält; daß das Sprecheramt der Magdeburger freien Gemeinde ihm die verschiedenartigsten Pflichten auferlegt, die er alle mit gleicher Gewissenhaftigkeit erfüllt, und daß er sich außerdem an allen gemeinnützigen Dingen auf’s Lebhafteste betheiligt: so begreift man kaum, wie es möglich ist, daß die Kräfte eines Menschen für eine solche Thätigkeit ausreichen, und sollte meinen, daß auch der Gegner dieser in ihrer Art vielleicht einzigen Leistungsfähigkeit und Thatkraft seine Achtung nicht versagen könnte.

Uhlich besitzt nicht den philosophischen Geist eines Wislicenus, die pikante Schreibweise eines Bernhard König, die dichterische Phantasie eines Baltzer, das zündende Feuer eines Sachse. Er verdankt seine Erfolge seiner unerschütterlichen Ueberzeugungstreue, seinem nicht wankenden Mannesmuthe, seiner unermüdlichen, vor keinem Hinderniß zurückschreckenden Thätigkeit, seinem versöhnenden, auch dem erbittertsten Gegner gegenüber sich gleichbleibenden Milde und Sanftmuth, zum großen Theil aber dem eigenthümlichen Charakter seiner Beredsamkeit, welche mit einer bisher nicht übertroffenen Volksthümlichkeit, Klarheit, Einfachheit und Gemeinverständlichkeit des Ausdrucks eine anmuthige, tief poetische, von der Wärme der Ueberzeugung belebte Darstellungsweise verbindet und dadurch den Verstand und das Gemüth des wissenschaftlich gebildeten Mannes wie des einfachen Arbeiters in gleicher Weise befriedigt.

Wie so viele bedeutende Männer und Vorkämpfer für neue Bahnen und Richtungen, hat auch Uhlich gerade in seinen näheren Umgebungen nicht allemal die ihm gebührende Anerkennung gefunden. Erlaubte sich doch im vorigen Jahre in der Stadtverordnetenversammlung derselben Stadt, welche Uhlich 1848 zu ihrem Ehrenbürger ernannt hat, ein Mitglied von einem „gewissen Uhlich“ zu sprechen, und während nach seiner Amtssuspension zu seinen Ehren Magdeburgs Breiter Weg von jauchzenden Menschen wogte und aus tausend Fenstern wehende Tücher ihm ein Willkommen zuwinkten, gehen ihm jetzt viele von den Männern, die ihn damals mit königlichen Ehren empfingen, scheu aus dem Wege. Daß Uhlich durch derartige Erfahrungen von seiner Liebe zu den Menschen nicht das Geringste eingebüßt hat, daß sich in seiner Schrift „Zehn Jahre in Magdeburg“, in welcher er seine Erlebnisse von 1845 bis 1855 schildert, nicht eine Spur von Verbitterung zeigt, ist ein neuer Beweis für die unverwüstliche Güte und Milde seines Charakters. Ihn entschädigt in reichem Maße die Liebe des treuen Volks, welches ihn in den schwersten Zeiten nicht verließ und ihm bis auf diesen Augenblick eine Verehrung zollt, um die mancher Fürst ihn beneiden könnte. Wo Uhlich erscheint, da zieht der Mann aus dem Volke seine Mütze tiefer als vor dem Herrn Oberbürgermeister, und „Vater Uhlich hoch!“ rufen mit begeistertem Jubel die Männer und Frauen des Volks, wenn Uhlich gesprochen. Möge der verehrte Mann, von dessen Thätigkeit ich nur ein schwaches Bild zu geben vermochte, der Sache, für die er kämpft, noch lange in ungeschwächter Kraft erhalten bleiben!
J. L.