Ein Ansiedler-Blockhaus in Nordamerika

XXXIII. Die Dogana und Santa Maria della Salute in Venedig Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band (1833) von Joseph Meyer
XXXIV. Ein Ansiedler-Blockhaus in Nordamerika
XXXV. Die Felsenbrücke in Virginien, in den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika
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ANSIEDLERS BLOCKHAUS
Nordamerica.

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XXXIV. Ein Ansiedler-Blockhaus in Nordamerika.




Ihrer Hundert und neun und sechzigtausend zogen, nach amtlichen Angaben, im vorigen Jahre aus Europa über’s Meer nach Nordamerika. Noch Hunderttausende schicken sich zu gleichem Zuge an, und in die heißen Thränen des Schmerzes bei der Trennung von den Scheidenden mischen sich bei den meisten der Zurückbleibenden Hoffnungen des Wiedersehens. Nur für die, welche nicht arbeiten mögen, oder können, ist Amerika ein Grab für die ziehenden Geliebten!

Aber was ist die Ursache dieser neuen Völkerwanderung? Was treibt diese zahllosen Schaaren aus dem Lande ihrer Väter? Was treibt die Menschen, sich loszureißen von Allem, was nach Gewohnheit, Begriffen und Neigungen der Menschen ihnen am theuersten ist auf Erden, und zu fliehen über Meer und Länder in den fernsten Welttheil? Sind’s die Dämonen des Krieges? Wir leben in Frieden! Sind’s des Todes Würgengel, Pest und verheerende Seuchen? Sie haben uns verlassen! Oder ist’s der Fluch des Himmels, der auf Europa lastet, was die Menschen fortscheucht? Hat der Lauf der Gestirne seine Gesetze, hat die Erde ihre Bahn geändert? Ist das Feuer [81] der Sonne für den Welttheil erloschen? Ist das Erdreich, sind die Gewässer verschlossen, steigen keine Wolken mehr auf, fällt Thau und befeuchtender Regen nicht mehr? Behalten die Berge vielleicht ihre Quellen zurück, sind die Flüsse vertrocknet? Tragen nicht mehr die Pflanzen Saat und Früchte, zeugen nicht mehr die Thiere ihres Gleichen? oder hat Gott die Elemente entfesselt, mit Erdbeben und Fluthen und Flammen den Welttheil zu verwüsten? Antwortet ihr Ziehenden! Hat Gott die ursprüngliche feste Ordnung, die er der Natur anwieß, aufgehoben für den Welttheil, hat euch der Himmel die Güter verringert, die er den Geschlechtern vor euch gewährte, sind der Hülfsquellen, die er den Menschen vor euch anwieß, weniger geworden? Sprecht, Auswanderer! Hat Gott die Mauern euerer Städte umgestürzt, daß ihr sie flieht, hat Er eure Felder verwüstet, daß ihr sie verlaßt, hat Er euch die Erndten geraubt, oder die Fruchtbäume zerknickt, hat Er den Lohn euerer Arbeit euch entrissen, hat Seine Habsucht euch arm und elend gemacht? Wanderer, so sprecht doch, sagt, welche Zauberkraft euch zwingt, die blühenden Länder Europas voll prachtvoller, üppiger Städte, voll gesegneter, lachender Gauen und fruchtreichen Fluren, die Aeltern, die Geschwister und Freunde zu verlassen, die Gefahren und Kosten der Reise über das Weltmeer zu tragen, um – die Einsamkeit in den Wäldern Nordamerika’s zu suchen? Unglückliche ihr, oder Verrückte! gebt Antwort! – – – Wohl Tausend und aber Tausend öffnen den mit bitterm Lächeln umzogenen Mund; und die Antwort – sie hat ja längst ein Echo in jeder Männerbrust gefunden!


Das der Ansiedlung noch harrende Innere von Nordamerika ist kein Feenland wie Mancher, träumerisch, es sich vormalt; es ist ein Land der Mühe und der Arbeit. Man denke sich einen unermeßlichen Wald, halb so groß wie Europa, in dem die meistens erst in der Nähe großer Ströme, oder der Kanäle angebauten Strecken mit ihren Städten und Dörfern wie Oasen in der Wüste zerstreut liegen, verbunden durch die in allen Richtungen sich durchkreuzenden Poststraßen und natürlichen und künstlichen Wasserwege, und man hat eine richtige Vorstellung von der Beschaffenheit des Landes im Allgemeinen gewonnen.

In einem solchen Lande ist’s aber Arbeit und Arbeit allein, welche ein zufriedenes, glückliches Daseyn verheißt. Wer also jene scheut, wer Anstrengung fürchtet, der betrete es nicht. Es ist auch ein freies Land, und frei, nicht zaghaft, sondern fest und entschlossen, klar auch über seinen Entschluß und ganz einig mit demselben muß Jeder seyn, der die Reise dahin antritt mit dem Vorsatze, keine Gefahr zu scheuen, jedem Ungemach zu trotzen, und, allen möglichen Hindernissen entgegen, fest nach dem Ziele, – Gewinnung einer freien, unabhängigen, der Menschenwürde [82] angemessenen Lage für sich und die Seinigen – zu ringen. Wer zu solchem Vorsatz sich nicht erheben kann, der ertrage sein Schicksal und bleibe zu Hause; oder er gehe, und sey sicher der fürchterlichsten Täuschung. Viele gingen ohne Muth, ohne Geschick, ohne Arbeitslust, unfähig zu den Anstrengungen, die die Gründung einer ersten Niederlassung in Wäldern, die noch nie den Axthieb des Holzhauers schallen gehört, erheischen; – Viele auch, die in Europa nie ein Geschäft geführt oder gewußt, was es sey, unter dem Schweiße seines Angesichts sein Brod zu essen, gingen hin – und Elend war in Amerika ihr Loos. Manche gingen an unfruchtbaren Kenntnissen reich, für die sie Anstellung und üppigen Lohn zu erndten hofften; aber sie bedachten nicht, daß dort die Staatsmaschine ohne die Tausend und aber Tausend Räder geht und gut geht, welche sich, rasselnd und klappernd, in der europäischen bewegen, und daß die meisten Aemter da drüben Ehrenämter sind, in welche der schlichte Verstand und der redliche, patriotische Sinn zu Rathe sitzen, nicht aber pedantische Gelehrtheit oder die Weisheit der Pandekten und des Korpus Juris. Noch Andere gingen in der Meinung, der Amerikaner stehe auf einer tiefen Stufe der Unwissenheit in Handel, Industrie, Ackerbau und Gewerbe, und unter einem solchen Volke könne man mit etwas Pfiffigkeit, wenig Mühe und wenig Wissen bald zu Ansehen und zu Vermögen gelangen; aber wie erschraken diese, als sie das aufgeklärteste, klügste, fleißigste Volk der civilisirten Welt fanden, das in allen Gebieten des fruchtbringenden Wissens, in Künsten und Gewerben, das Höchste leistet, und bei dem nicht Unterricht zu geben, sondern zu nehmen sey! Alle Auswanderer der Art verfehlten ihr Ziel gänzlich, und Tausende solcher büßen jährlich ihre Thorheit in selbstverschuldetem Elende. Wenn sie nicht die Noth zum tüchtigen Gebrauch ihrer Arme ermuthigt, so gehen sie schmählich unter. Für Solche sey der Name Amerika ein Wort der Warnung!


In unserm Bilde ist die erste Niederlassung eines Auswanderers treu veranschaulicht. Ein Stück vortreffliches Waldland, von dem man überall 100 Morgen vom Staate für 125 Dollars kauft, bilden des Ansiedlers Besitzthum. An der dasselbe durchschneidenden Straße, nahe einer Felsenquelle, hat er sich mit Hülfe der Kolonisten in seiner Nachbarschaft sein Blockhäuschen aus Baumstämmen und Brettern erbaut. Ein Pferd, eine Kuh, einige Schaafe, Schweine, Hühner – damit beginnt er seine Wirthschaft. Noch hat er das schwere Geschäft des Urbarmachens, des Ausrodens des Waldes vor sich; doch hat er bereits einen Anfang gemacht, wie ein paar gefällte und verbrannte Baumstämme im Vorgrunde andeuten. Mit der Axt auf der Schulter schreitet er eben dem Gehölze zu, das saure Tagewerk noch bei Mondschein fortzusetzen.

Ein solches Blockhäuschen ist freilich eine gar ärmliche Wohnung, schlechter als sie der ärmste Landmann in Deutschland besitzt; aber in ihr haust der Ansiedler auch nur ein, höchstens die zwei ersten Jahre. War er tüchtig [83] an der Urbarmachung seines Grundstücks und hatte er in Betreff des Bodens gut gewählt, dann sieht er bald durch unglaubliche Fruchtbarkeit den Fleiß seiner Hände so reichlich belohnt, daß er sich ein größeres, bequemeres Haus bauen kann, und das erste dient ihm fortan als Scheune. Noch ein paar Jahre, und auch das zweite, größere wird zu Ställen und Speichern. Der Ansiedler aber errichtet sich ein Wohnhaus von Stein, bequem und stattlich. Wohlhabenheit ist bei ihm eingekehrt, und als Blockhäusler schon ein Freiherr von Rechtswegen, wird er es nun auch dem Aeußern nach. Fast abgabenfrei, durch Nichts in der nützlichen Anwendung seiner Kräfte und seiner Geschicklichkeit gestört, behält er das, was er erwirbt, ganz und ungeschmälert, sein Vermögen wächst von Jahr zu Jahr, Achtung und Vertrauen seiner Mitbürger rufen ihn zu den Ehrenämtern des Gemeinwesens, dem er angehört, kurz er erndtet die Früchte, die in diesem Lande, in welchem man von angeerbten, oder verliehenen Vorrechten, von Monopolen, Privilegien, Geburtsrang und Ehrenzeichen, und ihren Gegensätzen nichts weiß, – der Arbeit sicher beschieden sind. –