Textdaten
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Autor: Carus Sterne
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Titel: Edelweiß
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aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 656–660
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Edelweiß.

Eine Betrachtung über die Natur der Straußbildnerin.
Von Carus Sterne.

Unter allen Blumen der Welt ist wohl keine zweite, an deren Erlangung soviel Muth und Kühnheit gesetzt würde und deren verlockender Reiz schon soviel Menschenleben vernichtet hätte, wie das viel umworbene, vielbesungene Edelweiß unserer Alpen. Allein in den Umgebungen von Berchtesgaden, an den herrlichen steilen Ufern des Königssees sind demselben 1879 bis 1880 binnen Jahresfrist vier Menschenleben zum Opfer gefallen, und zwar handelte es sich dabei in keinem Falle um im Klettern ungeübte, mit den Gefahren der Berge unbekannte Touristen, sondern um Einheimische, die das Edelweiß theils zum Verkauf, theils als Schmuck für ihren Hut suchten. Fremde würden dem nämlichen Geschick wahrscheinlich noch häufiger verfallen, wenn sie es nicht in der Regel vorzögen, dieses Wahrzeichen der höheren Regionen, das Abzeichen der Gipfelbezwinger, drunten im Thale zu kaufen. In der Ebene bildet man sich nicht selten ein, daß diese Blume eine förmliche Liebhaberei besitze, nur an den gefährlichsten Orten, an den steilsten Abhängen und auf den schroffsten Klippen zu wachsen, sodaß sie, einer Loreley unter den Blumen vergleichbar, ihre Verehrer geradezu in’s Verderben locke und überhaupt von Niemand anders als gemsengleich kletternden Hirtenbuben und gefeierten Steigern zu erlangen sei. Dies ist aber keineswegs der Fall. Das Edelweiß ist vielmehr in einer Höhe von über sechstausend Fuß auf Kalkunterlage eine sehr verbreitete Blume, und ich habe sie z. B. im Heuthal am Berninapaß und am Strehlapaß an Oertlichkeiten gesammelt, welche auch nicht die leiseste Gefahr darboten. Das Verhältniß ist vielmehr so, daß diese Blume, eine nahe Verwandte unserer Katzenpfötchen und Sand-Immortellen, an allen Orten, wo ein bedeutender Fremdenverkehr und demnach auch eine gesteigerte Nachfrage nach derselben ist, aus den zugänglicheren Plätzen gänzlich ausgerottet ist, sodaß sie sich eben nur noch an

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Ein Alpenblumenstrauß.
Nach der Natur gezeichnet von C. L. Becker.

[658] den gefährlicheren und nicht Jedermann erreichbaren Standorten behaupten kann.

Man muß die riesenhaften modischen Tellersträuße, in denen die Blume jeden poetischen Reiz verliert und die Körbe voll, welche im Sommer an vielen Eisenbahnstationen zum Verkauf ausgeboten werden, gesehen haben, um das zu begreifen. Angesichts dieses Mißbrauches kann man es nur billigen, daß eine Reihe von Cantons-Regierungen wie Bern, Graubünden und Obwalden, den Edelweißverkauf neuerdings durch Gesetze eingeschränkt haben. Dieselben verbieten zwar Niemanden, das Abpflücken und Ausgraben des bedrohten Kleinods der Alpen wohl aber das Feilbieten desselben auf Märkten und Straßen.

Obwohl die Gefahr einer Ausrottung bei der weiten Verbreitung und der großen Vermehrungsfähigkeit der Pflanze wirklich nicht so groß ist, wie sie erscheinen könnte, muß man diese Maßregel doch durchaus billigen, da es sich bei dem Verkauf und Versand der Wurzelpflanzen um den ziemlich verfehlten Versuch handelt, das Edelweiß in unseren Gärten und Zimmern einzubürgern. Es ist wahr, wir haben viele Alpenpflanzen an unsere Gärten und Töpfe gewöhnt, wir ziehen Eisenhut, Alpenveilchen, Alpenstiefmütterchen, Aurikel, Feuerlilien, Alpenrosen und andere von den Bergen stammende Blumen in unseren Gärten und Alpenanlagen, allein eine ziemliche Anzahl dieser Kinder der freiesten und herrlichsten Natur fügt sich durchaus nicht einer solchen Verpflanzung in tiefere Regionen, und weit entfernt, uns damit zu ärgern, vermehrt diese Freiheits- und Heimathsliebe nur die Bewunderung des echten Pflanzenfreundes für sie, geradeso wie derselbe die selteneren Orchideen seiner heimatlichen Wälder und Wiesen nur um so mehr schätzt je schwerer sich dieselben im Garten einbürgern lassen. Das Edelweiß läßt sich ja, wenn man ihm einige Sorgfalt widmet, Jahre lang im Garten cultiviren, allein meist verliert es schon binnen kurzer Zeit den dichten weißen Filz, der das Gewächs so einzig schmückt, und statt, wie andere Gartengewächse, in der Pflege geschickter Hände an Schönheit zu gewinnen, erinnert es in seiner kümmerlichen Erscheinung dann meist an jene gefangenen Vögelchen, die der egoistische Mensch, ihres Freiheitsdurstes nicht achtend, mit unendlicher Gefühllosigkeit im Käfig dahinschmachten läßt. Auch dem Edelweiß kann keine Gartenkunst die reine dünne Luft und das intensive Licht seiner Heimath ersetzen.

Als ich vor einigen Jahren mit einem jungen Poeten mehrere Wochen in den Hochalpen umherzog, sprachen wir oft von der unvergleichlichen Schönheit der Alpenpflanzen, die ihre Schwestern in der Ebene an Größe sowohl, wie an Farbentiefe und Duft entschieden zu übertreffen scheinen. Ich sage: scheinen; denn die Größe der Blüthen wenigstens beruht im Wesentlichen auf einer Täuschung, die in vielen Fällen nur durch die geringe Stengelentwickelung in dem überaus kurzen Hochalpensommer- und durch die Eigenthümlichkeit der Blätter hervorgebracht wird, sich zu dichten Polstern zusammenzudrängen, welche die Wurzeln vor Kälte schützen. Sie brauchen das Licht dort oben auch nicht mit langen Stengeln und weit umhervertheilten Blättern zu suchen; denn da oben giebt es keinen Schatten, außer dem unentrinnbaren der Bergeshäupter, der Wolken und Nebel, da der Wald viel tiefer liegt. Wer wollte den tiefen Azur der Enziane, das reine Carmin- und Purpurroth der Silenen, Nelken und Primeln der höhern Alpen übersehen? Selbst die gemeinen gelben Habichtskräuter und Löwenzahnarten entwickeln hier ein Goldgelb, das bis zu Orange und Mennigroth sich verdichtet, und die in der Ebene weißen Doldenblumen erscheinen hier rosa bis purpurn überhaucht. Ebenso verkünden die würzigen Düfte der Alpenblumen ihren Ruhm weithin.

Meinem Begleiter verschaffte es seiner Naturgabe gemäß größeren Genuß, diese in die Augen springenden Vorzüge vieler Alpenpflanzen als ein undurchdringliches Geheimniß der Natur zu bewundern; mir hinwiederum sagte es mehr zu sie zu analysiren und das Verständniß ihrer Oberheerschaft in den natürlichen Bedingungen ihrer Existenz zu suchen Es zerstört für mich die Poesie der Natur nicht, nach der neueren, den Lesern der „Gartenlaube“ in einem besondern Artikel (1878, S. 50 bis 52) vorgeführten Blumentheorie zu denken, daß die Blume alle ihre Anziehungskraft und ihre lockenden Reize zu ihrem eigenen Vortheile entfaltet, um dadurch Insecten anzulocken, die ihre Bestäubung und Fortpflanzung sichern; nein, diese Erkenntniß vertieft den Naturgenuß.

Natürlich müßte nach diesen Voraussetzungen ein Wettstreit unter den Blumen um die Entfaltung der höchsten Reize entbrennen, und so haben denn Nägeli und andere Botaniker für die Entfaltung höherer Schönheiten seitens der Alpenblumen schon vor Jahren die natürliche Erklärung darin gesucht, daß in den Hochalpen die Insecten sparsamer seien, sodaß immer nur die farbenprächtigsten und würzigsten Pflanzen-Abarten von ihnen zur Nachzucht ausgewählt und bevorzugt worden seien. Mein verehrter Freund, der Oberlehrer Dr. Hermann Müller, welcher die Beziehungen der Blumen zu den Insecten zu seinem Lebensstudium erwählt und seit einer Reihe von Jahre jeden Sommer seine Ferien in den Hochalpen zugebracht hat, um die Alpenblumen nach dieser Richtung zu untersuchen, auch kürzlich ein besonderes Werk über dieselben veröffentlichte,[1] will freilich diese Erklärung nicht als genügend ansehen. Er meint, es fehle an der Grenze des ewigen Schnees im Sommer durchaus nicht an Insecten, welche geeignet seien, die Fortpflanzung der Blumen daselbst zu sichern, namentlich nicht an den fleißigsten und geschicktester derselben an Bienen und an Schmetterlingen. Nun seien aber die Schmetterlinge jedenfalls die farbenfrohesten aller Insecten, wie schon ihr eigenes, oft in der höchsten Farbenpracht schillerndes Gewand bezeugt, und Dr. Müller schreibt ihrem Ueberwiegen dort oben im Besonderen die Züchtung der von ihnen bevorzugten herrlich carminrothen Alpenblumen zu. Aber die Schmetterlinge sind außerdem auch Duftverständige und verbreiten mittelst besonderer Duftpinsel oft selbst für unsere Nasen sehr angenehme Düfte, wie dies zuerst der ausgezeichnete deutsche Naturforscher Fritz Müller in Brasilien, ein Bruder des Vorgenannten, endeckte. In einem Briefe über einen Ausflug in das Quellgebiet des Rio Negro schrieb mir derselbe vor einigen Jahren in Betreff eines dortigen Tagschmetterlings (Papilio Grayi), daß derselbe wie eine Blume dufte, weshalb er ihn, zum gelegentlichen Daranriechen wie einen Strauß in der Hand getragen habe. Man kann sich deshalb kaum darüber wundern daß die Tagfalter als Beherrscher der mittleren Alpenregionen dort eine Anzahl besonders würziger roter Blumen gezüchtet haben, wie z. B. das Herzbrändli (Nigritella angustifolia) und einige andere Orchideen (Gymnadenia odoratissima) , die gestreifte Daphne und verschiedene Nelken und Primeln – im Gebirge Speik genannt – Blumen deren Duft zwischen Vanille und Nelken schwankt.

„Halt da!“ rief eines Tages mein Begleiter, indem er sich bückte und ein prächtiges großes Edelweiß dicht an unserem Pfade pflückte; „erklärt man dieses farben- und duftlose Symbol der Hochalpen-Natur etwa auch durch den hochästhetischen Formensinn der Insecten? Reichen da die natürliche Zuchtwahl, das Ueberleben des Passendsten, und wie diese Schlagworte sonst noch heißen, auch zur Erklärung aus? Ist nicht diese herrliche Blume vielmehr in aller und jeder Beziehung ein Abbild der majestätischer Natur, in der sie erblüht? Ihre Farbe ist so rein, wie der Firnenschnee der zackigen Bergeshäupter im Sonnen- und Mondenglanz, der dichte schneeige Filz, der selbst die Blumenblätter bekleidet, ist der Nachbarschaft des ewigen Schnees angemessen und der Blumenstern selbst ein frappantes Abbild des Schneesterns, dem die Firnen, Gletscher und alle die Wunder der Hochalpen ihren Ursprung verdanken. Wahrhaftig, das Edelweiß ist ein echtes Miniaturbild der Hochalpen-Natur in ihrer ganzen erhabenen Reinheit und Schönheit, und ein solches, mit seiner Umgebung in vollster Harmonie stehendes Wunderwerk konnte nur die aus dem Ganze schaffende Natur zu ihrer Selbstbespiegelung vollenden.“

[659] Es gelang mir nicht, den Poeten von dieser phantastischen Naturauffassung zu befreien; er hörte kaum darauf, als ich ihm sagte, die Aehnlichkeit mit der Schneeflocke sei eine blos eingebildete und die nüchterne Naturbetrachtung in diesem Falle poetischer, als die poetische, indem sie uns zeigt, daß diese Wunderblume thatsächlich ein Unicum und in gewissem Sinne die höchste Leistung der Flora ist, nämlich gar keine eigentliche Blume, sondern ein Strauß aus Sträußen, von einer geradezu einzigen und künstlerischen Composition. Versuchen wir es nun an dieser Stelle, die eigenartige Natur des Allerweltslieblings zu zergliedern !

Die neuere Blumenerklärung, welche Schopenhauer in die Worte kleidete: die Blumen seien nur um ihrer selbst willen und nicht für andere Wesen schön und anziehend, erklärt uns, warum kleinere Blumen, die für sich im Laube verschwinden würden, wie z. B. die unserer einheimischen Orchideen, des Klees, der Reseda, der Doldenblumen, Scabiosen und unzählige andere, sich zu dichten Aehren, Trauben, Köpfchen, Scheiben und Sträußchen zusammendrängen, um nach dem Principe: „Vereinigung macht stark“, ihre Duft- und Farbenwirkung zu erhöhen und von Weitem besser gesehen zu werden. Die Blume bietet sich in solchem Falle ihren Verehrern gleich als Strauß dar, und oft als ein Strauß von wunderbar zierlicher Composition. Das Straußwinden ist bekanntlich eine Kunst, welche viel natürlichen Geschmack erfordert, und es giebt dabei gewisse kleine Kunstgriffe, welche die Wirkung sehr erhöhen. Um mich nicht in ein Detail zu verlieren, dessen Verfolgung an dieser Stelle die Fülle des Stoffes verbietet, erinnere ich nur an die meist aus Papier oder zartem Stoff gefertigten, zierlich zerschlitzten Manschetten, die wir unseren Sträußen als effectvolle Unterlagen geben. Ich weiß nicht, ob die ersten Straußbildner diesen Kunstgriff der Natur abgesehen haben; jedenfalls verschmäht erstere denselben nicht, namentlich wenn es darauf ankommt, aus kleinen und unscheinbaren Blüthen ein effectvolles Ganzes zu componiren. In der Regel geht jede einzelne Blüthe aus der Achsel eines einzelnen meist grünen Blattes, des sogenannten Stützblattes oder der Bractee hervor, und bei der Vereinigung vieler Blüthen zu einem Strauße vereinigen sich nicht selten die Bracteen unter sich, um diesem Strauße eine geschmackvolle Manschette oder Unterlage zu gewähren. Wir finden solche Beispiele sehr schön bei einer Abtheilung der durch Mohrrübe, Fenchel, Petersilie, Schierling etc. auf unsern Wiesen und Gartenbeeten überall vertretenen Doldenblüthler, die sich durch Bildung kleinerer und dichterer Blüthenstände auszeichnen, nämlich bei den Sterndolden und Mannstreu-Arten, denen sich die weniger bekannten Bupleurum- und Hacquetia-Arten, anschließen. Es ist nun bemerkenswerth, daß sich die schönsten Beispiele von Manschettenbildung unter diesen zum Theil auch in der Ebene vertretenen Arten wiederum im Gebirge finden. Auf dem von Künstlerhand entworfenen Alpenblumenstrauße, der diese Skizze schmückt, sehen wir, die andern Blumen überragend, die beiden verbreitetsten Sterndolden (Astrantia major und minor) dargestellt, von denen Albrecht von Haller in seinem Gedichte über die Alpen sang:

„Der Blumen zarten Schnee, den sanfter Purpur färbet,
Schließt ein gestreifter Stern in weiße Strahlen ein.“

Blickt man diese Blumen in der Natur genauer an, so bemerkt man die zierlichste Zeichnung in dunkelgrüner und violetter Aderung auf weißer Sternrosette. Die Mannstreu-Arten der Ebene, welche Dürer auf seinen Bildern so häufig gezeichnet hat, werden weit übertroffen von der in der Mitte unseres Straußes und in zwei seitlichen Exemplaren dargestellten Alpen-Mannstreu (Eryngium alpinum), deren Blüthenköpfchen von einer bei großen Exemplaren über alle Beschreibung schönen, stahlblau schimmernden Stachelrosette umgeben ist. Mit Recht trägt man sie im Waadtlande als Chardon bleu überall statt Edelweiß oder Gemsbart am Hut, wozu sich der wie aus feinstem, glänzend polirtem und blau angelassenem Stahl gefertigte Strahlenstern prächtig eignet.

Offenbar haben diese Straußmanschetten die Bedeutung von Anlockungsmitteln aus der Ferne, und dies tritt besonders hervor bei solchen Pflanzen, deren Blüthen klein und unscheinbar, womöglich grünlich gefärbt sind, wie bei vielen Arten des großen Wolfsmilch-(Euphorbia-)Geschlechts. Bei den gewöhnlichen Wolfsmilch-Arten unserer Gärten und Triften bilden die Bracteen verwachsene Hüllen, die am Rande mit goldgelben Halbmonden verziert sind, bei einigen andern Arten, die wir in unsern Gewächshäusern ziehen, der Euphorbia fulgens, splendens, punicea, pulcherrima etc. bilden sie, wie schon diese Beinamen besagen, herrliche, meist brennend scharlachrothe Einfassungen des an sich ganz unscheinbaren Blüthenstraußes, welche denselben auch für Menschenaugen so anziehend machen, daß die mexicanischen Damen diese Wolfsmilchsträuße als prächtigsten Schmuck ihres dunklen Haares verwenden, wozu sie sich in der That wie keine anderen natürlichen Sträuße eignen, da sie selbst eine lange, heiße Ballnacht hindurch vollkommen frisch bleiben. Bei der letztgenannten Art, die auch als Poinsettia pulcherrima unterschieden wird – die Spanier nennen sie Osterblume, Flor de Pasqua – wird die zinnoberrothe Straußmanschette handgroß, und sticht von dem maigrünen Laube und den ebenso gefärbten Blüthenknospen prächtig ab.

Dieses Vereinigungsprincip erscheint auf die höchste Spitze getrieben bei derjenigen artenreichsten Pflanzenfamilie, die zugleich nach geologischen Forschungen die jüngste ist und somit als der höchste Ausdruck der pflanzlichen Entwickelung anzusehen wäre, bei den Korbblüthlern (Corymbiferae) oder Zusammengesetzten (Compositae), zu denen unsere Kornblumen, Kamillen, die Gänseblümchen, die Sonnenblumen, Astern, Georginen und auch unser Edelweiß gehören. Die Eigenthümlichkeit dieser Familie besteht darin, daß ähnlich, wie in den früher erwähnten Fällen, zahlreiche, oft Hunderte einzelner Blüthen in einer einzigen, von den äußeren Bracteen gebildeten manschetten- oder korbartigen Hülle zu einer höheren Einheit, gewissermaßen zu einer Blume der zweiten Potenz zusammengefaßt sind. Als die älteren Botaniker erkannt hatten, daß z. B. ein Gänseblümchen ein aus vielen einzelnen Blumen zusammengesetzter Strauß, eine Blüthengesellschaft sei, wehrten sie sich dagegen, diese Blüthenstaaten mit den einfachen Blumen auf eine gleiche Stufe zu stellen. Aber die geistvollen Botaniker Link und Schleiden nahmen die alte Anschauung, daß die Composite ein wirklich abgeschlossenes einheitliches Ganzes, eine Blume höherer Ordnung, die Vollendung des Blumenideals sei, gegen die Einsprüche Cassini’s und Anderer in Schutz, lange bevor man wußte, daß sie zu den auf unserem Erdballe zuletzt aufgetretenen Kindern Flora’s gehören. Jedenfalls sind sie die vollkommensten Blüthen in den Augen der Insecten; denn diese finden hier eine ganze Garbe, ja ein förmliches Erntefeld mit Honigröhren bei einander, welches sie, bequem auf der Scheibe umherspazierend, ausbeuten können, und daher hat auch die Ansicht ihre Berechtigung, daß sie solche Blumenformen gezüchtet haben.

Aber auch hier war der Züchtung immer auffallenderer Blumen höherer Ordnung ein weites Feld geöffnet, und daher erklärt sich eben der unermeßliche Formenreichthum der Korbblumen. In den einfachsten Fällen, wie z. B. bei den Disteln, dem Löwenzahn und vielen andern, sind alle in einem solchen Körbchen zusammen eingeschlossenen Blumen unter sich gleichgestaltete und gleichwerthige Blüthen, das heißt regelmäßige oder unregelmäßige Zwitterblüthen mit je fünf Staubgefäßen und einer zweitheiligen Narbe. Solche Blumen mußten entweder durch bedeutende Größe, wie die Disteln, oder durch einen weitgeöffneten Strauß, wie der Löwenzahn und seine Verwandten, Aufmerksamkeit erregen, um nicht vernachlässigt zu werden, bei manchen von ihnen, wie der Karls-Distel des Gebirges, sind, wie in den oben erwähnten Fällen, die Hüllblätter in’s Mittel getreten und haben die Blumen mit einer silberglänzenden Strahlenglorie umgeben, und ähnlich übernahmen diese Hüllblätter bei den Immortellen und Strohblumen durch unverwelkliche Farben das Anlockungsgeschäft.

In den meisten Fällen dagegen haben sich die Blüthen des Blumenkorbes zum Theil selbst dem Anlockungsgeschäft gewidmet und deshalb in zwei Classen getheilt, die man als Strahlblumen und Scheibenblumen unterscheidet. Schon bei weniger einheitlich zusammengefaßten Blüthenständen, z. B. bei den oben erwähnten Schirmblumen und Scabiosen, sieht man die Randblüthen eine unregelmäßige, auf der äußeren Seite ihres Saumes verlängerte Form annehmen; sie strahlen, vielleicht in Folge günstigerer Lebensbedingungen, aus und tragen dadurch erheblich zur Augenfälligkeit des Blüthenstraußes bei. Bei den Korbblüthen findet man alle möglichen Entwickelungsstufen dieses Vorganges. Der einfachste Fall ist derjenige, wenn die Randblüthen sich nur durch etwas gesteigerte Größe und verringerte Regelmäßigkeit von den inneren Blüthen des Körbchens unterscheiden, sonst aber in Farbe und allgemeiner Gestalt den innern Blüthen gleichgeblieben sind, wie wir dies bei unserer gefeierten Kornblume und einer ebenso schön [660] blauen, aber doppelt so großen Schwester der Alpen (Centaurea montana) sehen, die der Künstler in unserem durchweg in verjüngter Gestalt gezeichneten Strauße mehrfach verwendet hat. Man kann nun nicht verkennen, daß dieses Ausstrahlen der Randblüthen die Anfälligkeit und Anziehungskraft der stillen Gemeinde vermehren mußte, und da dieser Vortheil der Gesammtheit zu Gute gekommen war, so bildete sich je länger je mehr eine vollständige Arbeitstheilung heraus, bei welcher die Strahlblüthen in erster Reihe für die Anlockung der Insecten zu sorgen haben und zu langen, andersfarbigen Fahnen und Zungen auswachsen, dafür aber keinen Blumenstaub erzeugen, gewissermaßen also nur die Blumenblätter dieser „Blumen höherer Ordnung“ darstellen. In den häufigsten Fällen sind diese, die meist gelbe Scheibe wie ein Heiligenschein umgebenden Strahlblüthen weiß oder gelb gefärbt, wie bei den Schaaren der Kamillen, Inula- oder Senecio-Arten, aber bei den auch in unserem Strauße vertretenen, weil im Gebirge heimischen Astern, den Cinerarien und anderen Gartenblumen färbt sich der Strahl im schönsten Gegensatze zu der goldgelben Scheibe tiefblau, violett und roth.

Ein noch anderes Princip machte sich bei solchen Compositen geltend, deren einzelne Körbchen verhältnißmäßig klein und daher unscheinbar bleiben. Ebenso wie in den früher erwähnten Fällen die einzelnen Blumen, ordnen sich hier die Körbchen oder zusammengesetzten Blumen zu Blüthenständen zweiter Ordnung zusammen. Wir sehen dies z. B. bei den Beifußarten, welche lange zusammengesetzte Aehren bilden und von denen die (am Bändchen unseres Straußes dargestellte) ganz in Silberfilz gekleidete, an den Grenzen des ewigen Schnees wachsende Edelraute (Artemisia mutellina) von den Aelplern als ein ebenso ersehnter Hutschmuck angesehen wird, wie das Edelweiß, und im Ganzen kaum weniger Leben gefährden soll, als dieses.

Etwas Aehnliches findet man bei den Arten der Schafgarbe (Achillea), deren kleine Blüthenkörbchen sich zu Dolden vereinigen, von denen mehrere alpine Arten in dem Strauße erkennbar hervortreten. Es sind meist sehr aromatische und zum Theil, wie das Edelweiß und die Edelraute, in Silberfilz gekleidete Kräuter, die man in den Alpen als Wildfräulein oder Iva bezeichnet und zur Bereitung des geschätzten Iva-Bittern einsammelt.

Die höchste Stufe in der Richtung des Vereinigungsprincipes wird aber von dem Edelweiß erreicht, und damit auch die Bewunderung des Botanikers für diese Blume gerechtfertigt. Es handelt sich hier, wie man aus dem monströsen, aber deshalb doppelt lehrreichen obern Exemplare unseres Straußes deutlich erkennt, um einen aus vielen einzelnen Korbblumen gebildeten Strauß, der in der ungeheuren Mehrzahl der Fälle das Ansehen einer einfachen Blume angenommen hat, also nach Schleiden das höchste Ideal der Pflanzenwelt, eine Blume dritter Ordnung annähernd verwirklichen würde. In der Regel sind die vier bis acht äußeren Körbchen mit der größten Regelmäßigkeit um ein größeres Mittelkörbchen geordnet und zu einem natürlichen Kreise verbunden, als ob es sich wirklich um eine künstlerische Composition handelte. Und doch schließt jedes einzelne durch das schwarze Krönchen umgrenzte Körbchen zwanzig bis dreißig männliche und vierzig bis sechszig weibliche Blüthen ein, sodaß die scheinbar einfache Straußblume viele hundert Einzelblüthen enthält. Ihre charakteristische Schönheit gewinnt aber diese Blüthengemeinschaft erst durch die mit weißem Filz überzogene, einen mehr oder minder großen, vier- bis zwanzigzackigen Stern bildende Manschette, die aus den oberen Stengelblättern gebildet wird. Wie die Alpen-Mannstreu ihre Schwestern aus der Ebene, so überragt das Edelweiß seine Verwandten im Thale, und die Botaniker haben es deshalb in den Adelstand erhoben und von dem zierlichen Katzenpfötchen unserer Triften als Löwentatze (Leontopodium alpium) unterschieden.

Ich denke, meine Leser (und der poetische Freund mit eingeschlossen) werden das Edelweiß darum nicht geringer schätzen, wen sie erfahren haben, daß man es im Sinne Schleiden’s als Blume dritter Ordnung und somit als die höchste bekannte Leistung der natürlichen Blumenzüchtung ansehen kann. Mich dünkt, man könnte nach solcher Erkenntniß nur mit noch vertiefter Ueberzeugung beim Anblicke desselben ausrufen:

O, welche Pracht in dieser Einfachheit!



  1. „Alpenblumen, ihre Befruchtung durch Insecten und ihre Anpassungen an dieselben. Mit 173 Holzschnitten.“ Leipzig, Engelmann. 1881 – Diejenigen Leser, die sich auf eine bequeme Weise mit der zierlichen und farbenprächtigen Erscheinung der Alpenblumen bekannt machen wollen, möchten wir bei dieser Gelegenheit auf das schöne bei F. Tempsky in Prag lieferungsweise erscheinende Farbendruckwerk „Die Alpenpflanzen von Joh. Seboth nach der Natur gemalt“ aufmerksam machen. – Ferner wird der „Deutsche und Oesterreichische Alpenverein“ für seine Mitglieder eine „Anleitung zu botanischen Beobachtungen und zum Bestimmen von Alpenpflanzen“ im Frühjahre 1882 herausgeben. Um aber das Erkennen der einzelnen Arten dem Laien zu erleichtern, beschloß man, diesem von Professor Dr. R. W. von Dalla Torre in Innsbruck bearbeiteten Werke noch einen „Atlas der Alpenflora“ beizufügen Die erste Lieferung desselben liegt uns bereits vor; die Kinder der Alpenflora sind in derselben auf hellgrauem Papier in ihren bunten natürlichen Farben von dem bekannten Künstler Anton Hartinger in Wien trefflich wiedergegeben, sodaß die Arbeit das ungetheilte Lob aller Blumenfreunde sich erringen dürfte. Da der Atlas, welcher im Ganzen fünfunddreißig Lieferungen enthalten soll, auch an Nichtmitglieder des Alpenvereins zu dem Preise von zwei Mark für die Lieferung abgegeben wird, so empfehlen wir denselben der Aufmerksamkeit unserer Leser auf das Wärmste.
    D. Red.