Textdaten
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Autor: Rudolf Cronau
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Titel: Das amerikanische Mekka
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 660–663
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Um die Erde.

Von Rudolf Cronau.
Dritter Brief. Das amerikanische Mekka.

„Ein Besuch der Nationalhauptstadt ist nur halb gemacht, wird in denselben nicht das Heim und Grab Washingtons eingeschlossen,“ sagt Edward Everett, der Biograph Washington’s. Um mich dieser Unterlassungssünde nicht schuldig zu machen, verließ ich am Morgen des 8. April das Weichbild der „Stadt der wunderschönen Entfernungen“, mit welchem Namen der Amerikaner seine Landeshauptstadt treffend belegt, Mount Vernon, das Heim Washingtons, ist im County Fairfax in Virginien, sechszehn Meilen südlich von Washington gelegen, und wer sich in den kühlen Schatten seiner herrlichen Baumgruppen flüchten will, den entführt der „Corcoran“, ein trefflicher, eigens dazu gebauter Dampfer, nach dem amerikanischen Mekka.

Es war Frühling, Frühling in Virginien. Das riesige Dampfboot keucht stromab, umschwärmt von zahlreichen kleineren Schaluppen und Segelbooten. Eine köstliche Fahrt! In den Fluthen des Potomac zeichnen sich die Umrisse der mehr und mehr zurückweichenden Hauptstadt zitternd ab. Ueber das Gewirr der hölzernen Baracken, die das Stromufer bekleiden, wo ganze Negerhorden mit den Fischern um den Betrag ihrer Beute feilschen, erheben sich die stolzen Paläste der Capitale, das „Weiße Haus“, die Residenz des Präsidenten, die elastischen Giebel und Fronten der Treasure- und Interiordepartements, der verfehlte Bau des Kriegsministeriums und das halb kirchliche, halb schloßartige Smithsonian-Institut, der Centralpunkt des wissenschaftlichen Lebens in Amerika. Weit zur Rechten blinkt die schneeige Riesenkuppel des Capitols im Sonnenschein, doch all die stolzen Bauten sie werden überragt von dem Marmorpfeiler des Washington-Monuments, das der amerikanischen Nation ihren größten und besten Mann in dankbarer Erinnerung halten soll.

Der ursprüngliche Entwurf des Denkmals, dessen Grundstein am 4. Juli 1848 gelegt wurde, beabsichtigte einen kreisförmigen Bau von 250 Fuß Durchmesser und 100 Fuß Höhe, und darauf einen Obelisk von 70 Fuß im Quadrat an der Basis und 500 Fuß Höhe. Die innere Mauerfläche des Denkmals war dazu bestimmt, Steinblöcke mit passenden Inschriften als Beiträge von fast allen Nationen und fast allen Volksclassen der Erde aufzunehmen, um die allgemeine Verehrung für den edlen Mann zu bezeugen. In dem Rumpfe des Denkmals und in dem anliegenden Bauschuppen begegnen wir Marmorblöcken aus Carrara und Paros, Granittafeln, bedeckt mit deutschen, chinesischen, türkischen, griechischen und malayischen Inschriften, und selbst fern entlegene Indianerhorden haben in Form roher Porphyr- und gepreßter Lehmbrocken ihr Scherflein beigetragen zu dem stolzen Bau.

Wie aber die Geschichte lehrt, daß derartige Werke durch freie Beiträge selten oder nie zu Stande gekommen – so auch hier. Hatten die ursprünglichen Beiträge hingereicht, das 1783 beschlossene, 1848 aber erst begonnene Monument zu einer Höhe von 184 Fuß zu bringen, so waren sie später kaum noch hinreichend, den Bau vor Verfall zu schützen, und gingen schließlich ganz ein. Erst nachdem der Staat die Sache in die Hand genommen und in einer der letzten Congreßsitzungen die nothwendige Summe bewilligt hat, ist Aussicht zur Vollendung des Monuments vorhanden.

Der erste Landungsplatz unseres Bootes ist Alexandria, der zweite Fort Foote, welchem bald darauf Fort Washington folgt. Von dort hat man den ersten Blick auf Mount Vernon; das Anziehen der Flagge, das feierliche Klingen der Schiffsglocke, ein Geläute, das „tolling bell“ genannt wird, verkündet den Passagieren daß sie sich dem Heim Washington's nähern.

Die „Tolling bell“ ertönt von jedem das Grab Washington’s passirenden Dampfer; eine Sitte der Ehrerbietung für den edlen Todten, die man auf den Commodore einer englischen Flotte, [661] Gordon, zurückführt, welcher, als er am 24. August 1814 Mount Vernon passirte, anordnete, die Glocke des Flaggenschiffes in kurzen, gemessenen Schlägen zu läuten. Menschliche Größe erhielt niemals einen schöneren Zoll der Verehrung, als Washington ihn durch diesen Act seemännischer Begrüßung empfing.

Der Strom ist hier zwei Meilen breit und scheidet die Staaten Maryland und Virginien. Von der Hügelkette, die dem letzteren Staate zugetheilt wurde, blinkt zwischen hohen Baumgruppen das einfache Mount Vernon hernieder, einst der Wohnsitz, jetzt die Ruhestätte Washingtons, von dem sein Volk sagte: „er war der Erste im Kriege, der Erste im Frieden und der Erste im Herzen seiner Landsleute“ – eine Sentenz, die auch das Motto bildet, welches die Statuen zu Ehren des Todten schmückt.

Washington’s Grab in Mount Vernon.
Nach der Natur gezeichnet von dem Specialartisten der „Gartenlaube“ Rudolf Cronau.

Sind wir an’s Land gestiegen und haben wir die halbe Höhe unseres Weges hinter uns, so begegnen wir in einer kleinen Schlucht einigen Trauerweiden, die dem Grabe Napoleon des Ersten auf St. Helena entstammen. Wenige Schritte noch, und wir stehen vor dem Grabe Washington’s. Heilige Stille herrscht rings umher; nur aus dem dunklen Nadelholze, das über das Grabmal seine Schatten webt, tönen des Spottvogels seltsame Laute. Das Grab besteht, dem testamentarisch angesprochenen Wunsche Washington’s gemäß, aus einem schlichten Backsteinbau; die Frontseite ist anspruchslos und hat einen weiten bogenförmigem durch ein eisernes Gitter geschlossenen Eingang, über welchem eine einfache Marmortafel die Inschrift trägt:

„Within this enclosure rest the remains of
General George Washington.“
(„Innerhalb dieser Umzäunung ruhen die Reste des
Generals Georg Washington.“)

Die Vorhalle zu dem Gewölbe umfaßt zwölf Fuß im Geviert, und hier sind die beiden Sarkophage aufgestellt, welche die Ueberreste Washington’s und seiner Gemahlin umschließen; während in dem Gewölbe im Hintergrunde etwa dreißig Anverwandte ruhen, Glieder der Familien Washington, Blackburn, Corbin, Bushrod, Lewis und Custis. – Das ursprüngliche Grab, in welchem der General bis zum Jahre 1881 schlief, befindet sich etwa hundert Schritte zur Rechten, jenseits des zu dem Wohnhause führenden Weges und wurde aufgegeben, nicht nur weil es der tiefen Ruhe entbehrte, die das heutige Grabmal umgiebt, sondern vornehmlich auch darum, weil es zu wenig fest gebaut war, um die Gebeine des großen Todten vor räuberischen Eingriffen, die in der That vorgekommen waren, zu schützen.

So wurde denn in der Congreßsitzung des Winters 1832 der Vorschlag laut, die Leiche in die Krypta des Capitols zu übertragen, und der hundertjährige Geburtstag Washington’s sollte zugleich der Tag dieses feierlichen Actes sein, aber die Bestimmung [662] des letzten Willens des Generals bezüglich dieses Punktes war so entschieden, daß der Vorschlag aufgegeben wurde. Die Uebertragung der Leiche in die neue Grabkammer geschah am 7. October 1837, und damit Niemand die Ruhe Washington’s störe, ward das Thor des Gewölbes geschlossen und der Schlüssel in den Potomac versenkt. Die Marmorsarkophage, durch das Gitter den Besuchern sichtbar, sind ebenso einfach, wie die Aufschriften, die ihre Flächen zieren.

Martha,

Consort of Washington.

Died May 21st, 1801; Aged 71 years –“

so lautet die Inschrift des einen Sarkophags, während die des anderen als einzigen Schmuck das Wappenschild der Vereinigten Staaten zeigt und darunter das einfache Wort:

„Washington“

Lenken wir nun unsere Schritte dem Hause zu, in welchem der Liebling der amerikanischen Nation lebte und starb, so führt unser Weg an einer mächtigen Eiche vorüber, unter welcher er häufig zu ruhen pflegte. Das Haus ist ein Holzbau und wurde im Jahre 1743 von Lawrence, dem Bruder Washingtons, errichtet und von ihm zu Ehren des britischen Generals Vernon, mit welchem er während der Campagnen in Westindien 1741 bis 1742 sehr befreundet gewesen, Mount Vernon genannt. Georg, der große amerikanische Staatsmann und Patriot, ward nicht hier geboren, sondern in der alten Heimstätte seiner Vorfahren am Bridges Creek, nahe dem Punkte, wo derselbe in den Potomac mündet. Jenes Haus ist längst verschwunden, und nur ein mit einer Inschrift versehener Stein bezeichnet die Stelle, wo das alte Farmhaus gestanden. – Nach dem Tode seines Bruders erbte Georg das Gut auf Mount Vernon und unter seiner Wirthschaft wurde das einfache Landhaus zu einem großen mit schönen Colonnaden und Balustraden verzierten Heerensitze, dessen Länge 98, dessen Tiefe 30 Fuß betrug.

Treten wir in die Haupthalle des Hauses, so finden wir die Wände mit allerhand Reliquien und Bildern bedeckt, die an den letzten Bewohner erinnern, und hier sehen wir auch als erstes Object von Interesse den in einem Glaskästchen hängenden „Schlüssel zur Bastille“, welches Emblem der Unterdrückung nach Zerstörung der Bastille dem „großen Freunde der Freiheit“ 1789 von Lafayette mit folgenden Worten zugesandt wurde: „Es ist ein Tribut, welchen ich schulde als Sohn meinem adoptirten Vater, als Adjutant meinem General, als Missionär der Freiheit meinem Patriarchen.“

Thomas Paine, ein Republikaner in London, welchem der Schlüssel zur ersten Aufbewahrung übergeben war, schrieb an Washington erfreut: „daß die Principien von Amerika die Bastille geöffnet, ist nicht zu bezweifeln, und deshalb kommt der Schlüssel an seinen richtigen Platz.“

An die Hausflur schließen sich verschiedene Räume; zunächst gelegen ist das Musikzimmer oder „East Parlor“, im Stile der Revolutionszeit geschmackvoll ausgestaltet, unter welchem wir unter Anderem ein Spinett, Washington’s Brautgeschenk an Eleanor Custis, gewahren.

Weiter gelangen wir in das alte Eßzimmer, in dem die hervorragendsten Geister der Neuen Welt so oft beisammen gesessen. Decke und Wände sind mit Stuckornamenten geziert, der größte Schmuck aber besteht in einer Kaminbekleidung aus Carrarischem Marmor, dessen Ausführung Canova zugeschrieben wird. Dieses Kunstwerk, von einem Engländer Washington zum Geschenke gemacht, fiel während der Ueberfahrt von Italien nach Amerika in die Hände französischer Piraten, welche, als sie entdeckten, für wen das Werk bestimmt war, es unversehrt an den Ort seiner Bestimmung sandten. In der Mitte desselben Raumes fand auf einem Tische von Rosenholz ein aus dem Granit des zerstörten Gefängnisses gefertigtes Modell der Bastille seinen Platz, ebenfalls ein Geschenk Lafayette’s.

Haben wir das sogenannte Westparlor und das Familienzimmer passirt, welche, wie die Mehrzahl der anderen Gemächer, mit Denkwürdigkeiten aus dem letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts ausgestattet wurden, so treten wir in die Bibliothek. In den Tagen Washington’s war dieselbe der Lieblingsaufenthalt der Familie, und gar oft saß der große Staatsmann hier am Fenster oder in dem nahen Portico, um den Blick über den herrlichen Strom und die wunderbare Landschaft zu seinen Füßen gleiten zu lassen. Jetzt ist die Bibliothek wüst und leer; denn die Bücher gelangten in den Besitz des Bostoner Athenäums, und die Kostbarkeiten gingen in alle Winde.

Eine breite, dreimal getheilte Treppe führt uns nach oben, bis an das Gemach, welches Lafayette während seiner Besuche auf Mount Vernon inne zu haben pflegte. Haben wir ein zweites Zimmer passirt, in welchem zahlreiche Reliquien und Kleidungsstücke aufbewahrt werden, so stehen wir in dem Sterbezimmer Washington’s. Es ist ein mittelgroßes Schlafzimmer, zur Rechten ein Feuerplatz, an welchem das Wappen des Hauses noch erhalten ist. Zur Linken schließen sich ein bescheidenes Ankleidegemach und ein zur Aufbewahrung von Wäschegegenständen dienendes Gelaß an, während zwei große Fenster genügend Licht spenden und zugleich eine wunderbar schöne Aussicht über den Fluß hinüber nach den blauen Hügeln des Staates Maryland eröffnen, Das zwischen beiden Fenstern abgestellte Bett ist dasselbe, auf welchem Washington starb; es ist genau in derselben Weise ausgestattet, wie während der Lebenszeit des großen Generals. Ebenso sind die wenigen und bescheidenen Möbel im Gebrauch Washington’s gewesen.

Eine interessante Erinnerung aus den schweren Tagen, in denen der Liebling der amerikanischen Nation zur Ruhe gegangen war, ist das an der Wand hängende handgroße Zeitungsblättchen des New-Yorker „Mercantile Advertiser“ vom 21. December 1799, welcher in geradezu erschütternder Weise Washington’s Hingang beklagt:

„Wir empfinden eine Trauer, die unsere Sprache nicht beschreiben kann, wenn wir zurückblicken auf die bedrückende Nachricht, daß am Sonnabend, den 14. dieses Monats, auf seinem Sitze Mount Vernon in Virginien plötzlich starb

Georg Washington,

Generallieutenant und Oberbefehlshaber der Armeen der
Vereinigten Staaten von Amerika.
‚Eine korinthische Säule im Tempel der Unsterblichkeit.‘
Reif an Jahren, bedeckt mit Ruhm, reich an Zuneigung des

Amerikanischen Volkes.

Leser, wo immer du bist, in welchem Theile der Erde du wohnst, beweine mit uns den Tod des Freundes der Freiheit, des Erlösers unseres Landes, des Verteidigers unserer Rechte, des Kriegers, des Staatsmannes und des bescheidenen Bürgers, weicher niemals in seiner Pflicht abwich vom Pfade der Wahrheit, niemals sich anmaßte ungebührende Macht in den Stellungen, die ihm gegeben waren dessen Handlungen beabsichtet waren zum allgemeinen Wohle, von seinen frühesten Tagen bis zum Ende seiner Zeit … Im Felde, im Cabinet, als einfaches Glied der Gemeinde – überall gebot er Achtung und Bewunderung; in jedem Sinne des Wortes war er ein Mann, wie ihn ähnlich wieder zu sehen uns niemals erlaubt sein wird, ein Mann, dessen Tugenden in immerwährender Erinnerung bleiben werden.“

Endlich beschauen wir noch eine zweite Treppe höher das Kämmerlein, welches der hinterlassenen Wittwe zur Wohnung diente, jetzt aber in modernem Stile ausgeschmückt ist. Frau Martha war das Muster einer virginischen Hausfrau, schön, intelligent, ehrenhaft und praktisch. Die achtzehn Monat ihrer Wittwenschaft verbracht sie zumeist am Fenster ihrer stillen Klause, vielfach ohne andere Gesellschaft als die ihrer Katze, zu deren bequemerem Zutritt die Thür an der Ecke einen Ausschnitt zeigte.

Haben wir noch einen Blick in den schönen Blumengarten und die das Herrenhaus umschließenden Anlagen geworfen, so verlassen wir Mount Vernon, das jetzt im Besitze des „Mount Vernon-Frauenvereins“ ist, durch denselben Laubengang, durch welchen Washington dereinst seine Braut in sein Heim geführt, durch denselben Laubengang, durch den vierzig Jahre später der endlose Zug Leidtragender sich bewegte, die gekommen waren, den Liebling der Nation zur ewigen Ruhe zu betten.

Wir besteigen das Schiff – wieder flattert die Flagge am halben Mast; wieder tönt in gemessenen Schlägen die „tolling bell“; wieder stehen die Matrosen und alle Passagiere entblößten Hauptes – so ehrt das amerikanische Volk seinen größten Todten.