Dunkle Gebiete der Menschheitsgeschichte/Die Moundbuilders in den Vereinigten Staaten
Dunkle Gebiete der Menschheitsgeschichte.[1]
Die geographische Verteilung der Kulturgebiete im heutigen Amerika ist eine ganz andere als in den Zeiten vor der
Entdeckung, und kein Erdteil bietet einen so interessanten Gegenstand für die Erforschung der Ursachen menschlicher Kulturentwicklung, kein Erdteil hat aber auch eine so dunkle und schwierige Vorgeschichte wie die Neue Welt. Während in vorkolumbischer Zeit der einheimische Mensch den Höhepunkt seiner Gesittung in den Ländern Centralamerikas und in einigen Gebieten Südamerikas erreichte, liegt heutzutage der Schwerpunkt amerikanischer Entwicklung in den nördlichen Ländern des Erdteils, in den Vereinigten Staaten mit ihrem glänzenden Aufschwung. Von Mittel- und Südamerika und ihren alten Kulturländern, von dem großen mächtigen Aztekenreich in Mexiko, von den Inkas in Peru weiß jeder Gebildete, und diese Völker gehören mit demselben Recht in die „Weltgeschichte“
wie die Völker der Alten Welt und des klassischen Altertums. Weniger bekannt ist die Vorzeit Nordamerikas. Welchen Standpunkt nahmen die ursprünglichen Bewohner jener gewaltigen Länderstrecken der Vereinigten Staaten in früheren Jahrhunderten vor der Ankunft des weißen Mannes ein? Nicht nur die zahlreichen Leser der „Gartenlaube“ in den Vereinigten Staaten, auch die europäischen Leser wird angesichts des modernen Nordamerika mit seiner staunenswerten Entwicklung, seinen Riesenstädten, die in wenigen Jahrzehnten gleichsam aus der Erde wuchsen, seinem Eisenbahnnetz, das überall die Wildnis erschlossen hat, die Beantwortung der Frage interessieren: welche Völker lebten dort, bevor der Europäer das Land betrat, was hat der amerikanische Mensch auf diesem reichen Boden aus eigenen Kräften geleistet? Und damit betreten wir wiederum ein dunkles Gebiet der Menschheitsgeschichte.
Wem fielen nicht bei dieser Frage zunächst die romantischen „Indianergeschichten“ ein, die „Lederstrumpf-Erzählungen“, die er im Kindesalter verschlungen hat? Ist es nicht der „rote Mann“ gewesen, der als wilder Nomade jagend und Krieg führend die Urwälder und Prärien Nordamerikas durchstreifte, seine angestammten Jagdgründe? War nicht Nordamerika vor der Ankunft der Europäer eine Wildnis, mit ungeheuren Urwäldern und Prärien, in denen Indianerstämme lebten, die von keiner Kultur berührt waren, und die der weiße Eindringling erst in blutigen Kämpfen zurückdrängen mußte?
Gewiß gilt das von vielen dieser Gegenden für die Zeit, da die ersten Europäer dorthin kamen. Indessen ist das nicht immer so gewesen. Auch der jungfräuliche Boden Nordamerikas birgt uralte Denkmäler der Vorzeit, Denkmäler von einer Bedeutung, wie wilde Nomaden und Jäger sie nicht zurücklassen, und aus denen wir schließen müssen, daß auch in den Vereinigten Staaten einst Völker wohnten, die eine gewisse Kulturstufe erreicht hatten und weit über den heutigen Indianern standen. Ihre Geschichte, ihr Alter und ihre Stammeszugehörigkeit freilich liegt in tiefem Dunkel, und da sie hauptsächlich zahlreiche und zum Teil sehr bedeutende Erdwerke (Hügel, englisch mounds) als Spüren ihres Daseins zurückgelassen haben, so nennt man sie die „Moundbuilders“, die Hügelerbauer.
In einem großen Teile der Vereinigten Staaten, vom Michigansee bis hinunter nach Texas, der Halbinsel Florida und Kalifornien, finden sich zahlreiche Erdwerke, insgesamt viele Tausende, von der [77] verschiedensten Art und der verschiedensten Größe. Ihr Hauptgebiet sind die großen Flußthäler des Mississippi in seinem oberen Lauf, des Missouri und des Ohio. Ganz besonders häufig sind sie im Staate Ohio, wo man allein über 10000 Denkmäler dieser Art zählt! Erde und lose übereinandergeschichtete Steine sind das Material dieser Bauten, die Steine bilden den festen Kern, über den die Erde aufgeschüttet ist. Bald sind es einfache Hügel, bald terrassen- und pyramidenförmige Anlagen, bald Wälle und andere Erdwerke von der verschiedensten Form, viereckig, kreisrund, oval etc. Manche erheben sich kaum einen Meter über die Erdoberfläche, andere sind bis zu 40 und 50 Meter hoch und haben mehrere hundert Meter Umfang und einen Rauminhalt, der nach Hunderttausenden von Kubikmetern zählt. Unsere Abbildung des 32 Meter hohen Manard Mound in Arkansas (Fig. 1) giebt ein Beispiel der imposanten Größe und der seltsamen Form mancher dieser Erdbauten. Wie viele Menschen mögen an diesen Werken gearbeitet haben und wie lange mag die Arbeit gedauert haben! Andere ziehen sich als Erdwälle von mäßiger Höhe meilenlang hin, und eine besonders merkwürdige Art sind Werke in Tier- oder Menschengestalt (siehe Fig. 2 und 9). Da sind riesengroße Bilder von Vögeln und Fischen, von Bären, Eidechsen, Schildkröten und anderen Tieren in charakteristischen und deutlich erkennbaren Umrissen. Nur solche Tiere sind dargestellt, die in der Neuen Welt einheimisch waren, keines der Tiere kommt vor, die erst durch die Europäer in Amerika eingeführt sind, wie das Pferd, das Rind oder das Schaf. Auf einem Hügel in Adams County in Ohio ringelt sich eine ungeheure Schlange von über 300 Metern Länge, aus einem Erdwall naturwahr nachgebildet.
Welchen Zweck diese Erdwercke hatten, ist bei einer großen Anzahl leicht zu erkennen. Ein Teil von ihnen sind Grabstätten und bildet somit ein Seitenstück zu den „Hünen-“, bezw. „Hügelgräbern“ in Europa. In ihrem Innern findet man Skelette in steinernen Grabkammern, oft in beträchtlicher Menge, bis zu mehreren Hunderten, vielleicht im Kampfe gefallene Krieger, und mit ihnen die verschiedenen Gegenstände, die auch jene unbekannten Völker gleich vielen andern ihren Toten mit ins Grab zu geben pflegten. Andere Erdwerke haben unzweifelhaft als Befestigungen gedient und lassen in ihrer Anlage erkennen, daß die alten Moundbuilders bedeutende strategische Geschicklichkeit besaßen. Wieder andere sind anscheinend Tempel, Opferstätten oder Versammlungsplätze gewesen, und die Mounds in Tier- und Menschengestalt haben jedenfalls eine religiöse und symbolische Bedeutung gehabt.
Allerlei Gebrauchsgegenstände aus dem Zeitalter der Moundkultur sind in Menge aus diesen Erdwerken zu Tage gefördert worden, und sie geben uns ein ziemlich klares Bild der Kulturverhältnisse jener entlegenen Zeit. Vor allem sind es recht geschickt und geschmackvoll gearbeitete Thonwaren, Vasen, Schüsseln, Becher, Krüge und andere Trinkgefäße, in deren Herstellung diese unbekannten Völker eine besondere Kunstfertigkeit gehabt zu haben scheinen. Dann hat man zahlreiche Pfeifenköpfe, aus Thon geformt oder aus verschiedenen Steinarten wie Marmor, Schiefer, Porphyr geschnitzt, vorgefunden, die ebenfalls dafür Zeugnis ablegen, daß die Moundbuilders in der Herstellung von plastischen Gegenständen vielen Kunstsinn besaßen und über die rohen Nachahmungsversuche der Wilden weit hinaus waren. Ganz besonderes Geschick bethätigten sie in der Wiedergabe von Tieren, sie müssen gute Naturbeobachter gewesen sein. In wunderbar sorgfältiger Arbeit und überraschender Naturtreue verfertigten sie Pfeifenköpfe in Gestalt von Vögeln, Schildkröten, Bären und anderen Tieren (s. Fig. 3), ja auch menschliche Köpfe stellten sie mit charakteristischem Ausdruck und lebendiger Wiedergabe der Wirklichkeit dar. Gute Beispiele davon sind das in Figur 4 abgebildete Thongefäß in Form eines menschlichen Kopfes und die Pfeifenköpfe Figur 5 und 6, dieselben zeigen uns auch den Typus jenes unbekannten Volkes und lassen erkennen, daß es der Sitte des Tätowierens huldigte. Auch die Kunst des Webens war den Moundbuilders bekannt, wie die Reste von Stoff zeigen, die man hin und wieder in den Mounds fand.
Daß die Moundbuilders harte Steine so geschickt zu bearbeiten verstanden, ist um so bewunderungswürdiger, als ihnen, ebenso wie den hochcivilisierten Völkern Mittelamerikas, das Eisen gänzlich unbekannt war. Ihre Werkzeuge bestanden zum größten Teil aus Stein, von den Metallen bearbeiteten sie fast nur Silber und Kupfer. Reines Kupfer namentlich wurde vielfach zu Waffen zu Schmuck und anderen Gegenständen verarbeitet, und zwar in kaltem Zustande, durch mühsames Hämmern, da sich gediegenes Kupfer zum Schmelzen nicht eignet. Sie gewannen es aus Bergwerken, die man an den Ufern des Oberen Sees (Lake Superior) wieder entdeckt hat, und die einen überzeugenden Beweis davon liefern, daß die Moundbuilders in einem keineswegs niedrigen Kulturzustande lebten. Es ist höchst auffallend, daß die ältesten Spuren des vorgeschichtlichen Menschen in diesem großen Gebiet der Vereinigten Staaten ihn gleich im Besitz des Metalls zeigen, während bekanntlich in Europa ein langer Abschnitt, das Steinzeitalter, vorhergeht, in welchem der urgeschichtliche Mensch lediglich den Stein als Werkzeug benutzte. Muß nicht auch den Moundbuilders eine ähnliche frühere Entwicklungsstufe vorangegangen sein? Aber wo sind ihre Spuren geblieben?
In der That lassen alle Ueberbleibsel aus dem Zeitalter der Moundbuilders klar erkennen, daß sie auf einer höheren Kulturstufe standen als die heutigen Indianer. Freilich steht ihre Gesittung immer noch weit zurück hinter der jener Völker Centralamerikas, der Mayas oder der Azteken, von denen in den „Altamerikanischen Kulturbilderm“ (im Jahrg. 1892 der „Gartenlaube“) die Rede war, die Moundbuilders waren nur im Besitz einer Halbkultur. Immerhin waren sie jedenfalls keine Nomaden- und Jägervölker, die, in kleine Stämme zersplittert, ohne feste Ansiedelungen umherschweifen, sondern sie müssen ein einheitliches großes Volk gebildet haben, das feste Wohnsitze hatte und den Ackerbau betrieb. Denn ihre Niederlassungen sind am zahlreichsten in den fruchtbaren Flußthälern, und manche Anzeichen sprechen dafür, daß dort große volkreiche Wohnstätten bestanden haben, und daß die Moundbuilders ihre Ländereien gegen die Ueberschwemmungen der Flüsse durch Dämme zu schützen wußten. Auch Handel müssen sie getrieben haben, denn das Kupfer aus den Bergwerken am Oberen See kann nur im Wege des Handels bis nach Florida hin, über deutsche Meilen, verbreitet worden sein, wo es überall in den Mounds vorkommt.
[78] Wer war nun aber dieses rätselhafte Volk, dessen eigenartige Kultur schon vor Ankunft des weißen Mannes untergegangen ist, und dessen Kunstfertigkeiten bei der späteren einheimischen Bevölkerung der Vereinigten Staaten verschollen sind? Welchem Stamme gehörten sie an, welche Sprache redeten sie, wie alt ist ihre Kultur, wie weit zurück liegt ihre Blütezeit? Ueber all diese Fragen herrscht vollständiges Dunkel, und wir sind lediglich auf Vermutungen und Schlüsse angewiesen. Und gerade diese Fragen sind von hohem Interesse, weil sie in Zusammenhang stehen mit dem großen Problem: welches ist der Ursprung der einheimischen Rasse Amerikas, wie ward die Neue Welt bevölkert?
Erst gegen Ende des vorigen Jahrhunderts lenkte sich die Aufmerksamkeit der Gelehrten in den Vereinigten Staaten auf diese Denkmäler amerikanischen Altertums. Ein lebhafter wissenschaftlicher Streit knüpfte sich an die Frage nach dem Ursprung der Moundbuilders und ihrem Alter. Die großen und reichen wissenschaftlichen Institute der Vereinigten Staaten, wie z. B. die „Smithsonian Institution“ in Washington, haben sich die Erforschung der Mounds eifrig angelegen sein lassen, und in der Union sind bekanntlich für solche wissenschaftliche Zwecke stets reiche Mittel vorhanden. Zwei Meinungen sind es vor allem, die einander gegenüberstehen. Die einen wollen in den Moundbuilders ein fremdes, ausgestorbenes Volk sehen, das in Urzeiten von ferne her, aus anderen Gegenden der Neuen Welt, oder gar aus anderen Erdteilen, eingewandert ist, und legen daher den Erdwerken ein sehr hohes Alter bei. Die anderen leugnen das hohe Alter der Moundkultur und halten die Moundbuilders für die direkten Vorfahren der heutigen Indianer, für einen großen Völkerbund seßhafter und ackerbautreibender Indianerstämme.
Schon die Frage nach dem Alter der Moundbuilderzeit und jener zahllosen seltsamen Erdwerke ist schwierig zu beantworten und hat die widersprechendsten Lösungen gefunden. Auf vielen der Mounds steht dichter Urwald, Bäume von riesigem Umfang, deren Jahresringe auf ein Alter von 800 bis 1000 Jahren schließen ließen. Man wollte ferner die Beobachtung gemacht haben, daß die menschlichen Skelette, die sich in den Mounds vorfanden, vielfach in so verwittertem und bröckligem Zustand waren, daß sie förmlich an der Luft zerfielen, während das bei den Skeletten aus den europäischen Hünengräbern nicht der Fall war. Diese Merkmale sind indessen vielfach bestritten worden, und selbst die Schlüsse, die man aus den Jahresringen alter Bäume, die auf den Mounds gefällt wurden, gezogen hat, sind auf Grund neuerer Forschungen der Botaniker über das Wachstum der Bäume und die Bildung von Jahresringen als nicht stichhaltig angefochten worden.
Bei dieser Frage kommen wir nun aber auf eine höchst interessante und merkwürdige Thatsache, die man als Beweis für das ungeheure Alter der Moundkultur angesehen hat. Unter den oben erwähnten Pfeifen in Tiergestalt, welche die Moundbuilders so kunstvoll zu schnitzen verstanden, hat man mehrere gefunden, die anscheinend ein Tier aus der Familie der Elefanten darstellen. Zwei Pfeifen dieser Art sind in Figur 7 und 8. abgebildet. Auch ein Mound von ähnlicher Gestalt in Wisconsin ist zu erwähnen (Fig. 9). Die Länge des Rüssels, den die Tiere in diesen Darstellungen haben, läßt es ausgeschlosseu erscheinen, daß etwa der Tapir oder ein anderes Rüsseltier der amerikanischen Fauna gemeint sein könnte. Der Elefant kommt bekanntlich in Amerika nicht vor. In prähistorischer Zeit aber, und zwar wenigstens bis zur Eiszeit, ist er, wie die zahlreichen fossilen Funde beweisen, in den Vereinigten Staaten außerordentlich verbreitet gewesen, und außer ihm hat auch das Mammut und das Mastodon in den Urwäldern Nordamerikas gehaust. In Ohio und Kentucky sind die Spuren von beiden außerordentlich zahlreich, und der große englische Geologe Charles Lyell meint, angesichts des Umstandes, daß sie sich oft in den jüngsten Schichten der Erdoberfläche befinden, müsse man auf den Gedanken kommen, daß diese Tiere von den Indianern ausgerottet seien. Während nun einige Gelehrte der Meinung waren, daß das Zeitalter der Moundbuilders danach bis in ferne Perioden der Erdgeschichte zurückgehen müsse, in denen noch ausgestorbene Tiere der Urwelt auf der Erde hausten, haben andere Forscher die Ansicht ausgesprochen, daß die Zeit, als der Elefant in Amerika lebte, keineswegs allzuweit zurückliege. Man hat sogar bei den heutigen Indianerstämmen Sagen angetroffen, die sich auf die Existenz und Ausrottung gewaltiger Tierungeheuer in den Urwäldern beziehen, und in denen man eine Erinnerung an den Elefanten oder das Mammut hat sehen wollen. An sich würde ja das schnelle Aussterben dieser Tierfamilie nichts Auffallendes haben, man denke nur, wie schnell in unserer Zeit der Büffel, der ehemals in unabsehbaren Herden die Prairien belebte, bis auf wenige Reste ausgerottet worden ist. Auch die Echtheit der Pfeifen in Elefantengestalt hat man bezweifelt. Es ist darüber viel gestritten worden. Doch sind einige davon auch nach dem Urteil von namhaften deutschen Forschern unbedenklich als echt anzusehen.
Ein Umstand bleibt schließlich noch zu erwähnen, der vor allem das hohe Alter der Mounds beweist. Gewisse Anzeichen lassen erkennen, daß die Erdwerke der Hügelerbauer errichtet wurden zu einer Zeit, als die Oberflächengestaltung in den Flußthälern der Vereinigten Staaten eine andere war als heutzutage. Man hat Spuren von Wasserwirkung an einzelnen Mounds gefunden, die jetzt mehrere Kilometer von den Flüssen entfernt liegen. In den Thälern haben die Flüsse, je nachdem sie im Laufe der Jahrhunderte ihr Bett tiefer in den Boden eingruben, terrassenförmige Abstufungen des Bodens zurückgelassen. Fast stets liegen die Mounds auf den älteren Anschwemmungen der Ströme, während sie auf der jüngsten Terrasse so gut wie gänzlich fehlen. Es läßt sich daher mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß die Flüsse zu jener Zeit einen anderen Lauf hatten als heutzutage, und daß damals die jüngsten Anschwemmungsterrassen derselben noch nicht bestanden.
Andere Gelehrte wollen dennoch, wie gesagt, das hohe Alter der Mounds nicht gelten lassen und berufen sich dafür auf einige allerdings auch höchst merkwürdige Funde, die man in Mounds gemacht hat. So wurden in einem Erdhügel in Nordkarolina einige gänzlich verrostete Stücke einer flachen Klinge aus Eisen aufgefunden, also einem Metall, das den Moundbuilders unbekannt war. In einem Mound in Tennessee entdeckte man ferner ein altmodisches Messer mit Horngriff von unzweifelhaft europäischem Ursprung, in einem anderen in Wisconsin einen Feuerstein von der Form, wie man ihn früher an den Schlössern der Gewehre benutzte etc. In Wisconsin kamen aus einem Mound gar einige silberne Kreuze und Armbänder zum Vorschein, eins von den letzteren mit dem eingeprägteu Worte „Montreal“ versehen! Allerdings war dieser letztere Mound nicht mehr unversehrt, sondern ersichtlich schon einmal geöffnet. Andere Mounds aber, in denen derartige Gegenstände gefunden wurden, sollen nach der Versicherung der Gelehrten, welche die Ausgrabungen leiteten, völlig unversehrt gewesen sein. In vielen Fällen sind allerdings solche Erdwerke später von Europäern aus irgend welchen Gründen aufgegraben worden, und dabei mögen dann dergleichen sonderbare Fundstücke hineingeraten sein. Jedenfalls beweisen solche Funde nichts, wenn nicht jeder Zweifel an der Unversehrtheit des betreffenden Mounds ausgeschlossen ist.
Auf Grund so verschiedenartiger Beobachtungen sind erklärlicherweise die widersprechendsten Theorien über den Urspring der Moundbuilders aufgestellt worden. Die abenteuerlichen und gänzlich unwissenschaftlichen Vermutungen, die hier ebenso wie bei anderen rätselhaften Völkern ausgesprochen sind, wollen wir gar nicht erst erwähnen. Einige Forscher haben sich damit begnügt, [79] die Moundbuilders für ein unbekanntes fremdes Volk zu erklären, das untergegangen ist. Andere haben sie in Zusammenhang gebracht mit den alten Kulturvölkern Centralamerikas, besonders mit den halb sagenhaften Tolteken, die als Begründer der Kultur einstmals in Mexiko ein mächtiges Reich gegründet haben sollen und denen besonders nachgerühmt wurde, daß sie großartige Baudenkmäler zu errichten verstanden. Man meinte, daß sie vor ihrer Einwanderung nach Mexiko eine Zeit lang in Nordamerika ansässig gewesen seien und die Mounds als primitive Beispiele ihrer damals noch nicht entwickelten Baukunst zurückgelassen hätten. Auch als Vorfahren der Azteken, die später das von Cortes zerstörte mexikanische Reich gründeten, hat man die Moundbuilders bezeichnet.
Neuerdings ist nun, wie schon angedeutet, von vielen amerikanischen Gelehrten die Ansicht verfochten worden, daß die Moundbuilders direkte Vorfahren gewisser Indianerstämme gewesen seien. Man hat darauf hingewiesen, daß zu den Zeiten, als die ersten Europäer in die Gegenden kamen, in denen heute die Mounds angetroffen werden, dort nach den Schilderungen dieser ersten Einwanderer Zustände herrschten, die der Moundkultur entsprechen. Es wohnten dort Indianerwölker, die den Ackerbau trieben und eine gewisse Halbkultur besaßen. Auch davon, daß die Eingeborenen der südlichen Gegenden der Union damals Erdwerke errichteten, finden sich mannigfache Anzeichen. Garcilasso de la Vega, der in seiner Historia de Florida die im Jahre 1540 unternommene Expedition des Kapitän Hernando de Soto in jenen Gegenden beschreibt, erzählt, daß die Indianer auf Florida ihre Wohnstätten auf künstlichen Erdwerken zu errichten pflegten. Viele andere Schilderungen von Entdeckungsreisen und Ansiedelungsversuchen aus jener Zeit enthalten ähnliche Andeutungen, die auf die Errichtung von Erdwerken nach Art der Mounds bezogen werden können. Robert Beverley in seiner History of Virginia, 1705, berichtet, daß die Eingeborenen von Virginien steinerne Pyramiden erbauten, die sie heilig hielten, er erwähnt auch die Sitte, einen Erdhügel zu errichten in einem bestimmten Falle, auf den wir noch heute anzuspielen pflegen, wenn wir von der Beilegung eines Streites sprechen. Wenn nämlich nach Beendigung eines Krieges ein Friedensschluß zu stande kam, so wurde feierlich „die Streitaxt begraben“ und über derselben ein Hügel aus Steinen errichtet. Diese und ähnliche Ueberlieferungen aus der Zeit der ersten europäischen Entdeckungsreisenden und Ansiedler lassen jedenfalls darauf schließen, daß damals die Sitte, Erdwerke zu errichten, bei den Eingeborenen der Golfstaaten noch nicht ganz erloschen war.
Ja, nach den Untersuchungen amerikanischer Gelehrten sollen Mounds bei manchen Indianerstämmen noch in neuerer Zeit errichtet worden sein. Cyrus Thomas, ein eifriger Forscher auf dem schwierigen Gebiete der Moundkultur, hat ein reiches Material zusammengestellt, um nachzuweisen, daß die Cherokesen wahrscheinlich Mounderbauer gewesen sind; auch bei anderen Indianerstämmen hat man sich bemüht, Anzeichen zu finden, daß die Sitte, Erdwerke zu errichten, noch in historischer Zeit bei ihnen in Uebung gewesen ist. Ferner berichten Sagen nördlicher Indianerstämme, wie der Delawaren und der Irokesen, von einem großen südlichen Indianervolke, das von einem König regiert wurde, der in der Haupstadt des Landes wohnte. Die Tallegwi wird dieses mächtige Indianervolk des Südens genannt. Diese Tradition hat man auf die Moundbuilders gedeutet und danach angenommen, daß ehemals ein großer Völkerbund verschiedener seßhafter und ackerbautreibender Indianerstämme im Süden der Vereinigten Staaten bestanden habe.
Trotz alledem ist die Frage ihrer Lösung nach wie vor fern und das Dunkel, welches über dem rätselhaften Volke liegt, ist noch keineswegs gelichtet. Die Einwendungen, die man gegen die Annahme eines hohen Alters der Mounds erhoben hat, treffen nicht allgemein zu, und die in einigen Mounds gemachten Funde, die erkennen lassen, daß die betreffenden Erdwerke erst nach der Ankunft der Europäer errichtet sind, können nicht die untrüglichen Beweise hohen Alters bei zahllosen anderen Mounds widerlegen: vor allem ihre Lage auf den älteren Anschwemmungsterrassen der Flüsse und das Wachstum uralter Baumriesen auf manchen von ihnen. Wenn selbst die Jahresringe der Bäume kein völlig untrügliches Zeichen sein sollten, so kann es sich immerhin nur um geringfügige, bei so großen Zeiträumen wenig in Betracht kommende Ungenauigkeiten handeln. Ein Mindestalter bis zu 1000 Jahren müssen wir nach der Schätzung der auf einzelnen Mounds gefällten Bäume als erwiesen ansehen.
Dann weicht aber auch die Kultur der Moundbuilder von der der Indianer zu erheblich ab, als daß die einen direkte Vorfahren der anderen sein könnten, und vieles spricht dafür, daß die Hügelerbauer ein einheitliches Volk waren, nicht ein bloßer Bund einzelner verschiedener Indianerstämme. Alle Funde aus der Moundzeit zeigen uns eine eigenartige charakteristische Kultur, die in vielen Beziehungen weit über der der heutigen Indianer steht. Ein entwicklungsgeschichtlicher Zusammenhang zwischen den Moundbuilders und den Indianerstämmen ist nicht zu ersehen. Offenbar haben wir hier dieselbe Erscheinung, die so oft auf der Erde wiederkehrt, daß eine gewisse Kultur, die jahrhundertelang bestanden hat, endlich zu Grunde geht, und das Volk, das sie geschaffen hat, ausstirbt. Wir brauchen uns die Moundbuilder nicht als fremdes und von weit her gekommenes Volk vorzustellen. Aber wir werden nicht fehl gehen, wenn wir das Ergebnis unserer Erwägungen dahin zusammenfassen: die Hügelerbauer waren ein untergegangenes großes einheitliches Volk amerikanischer Rasse, mit den heutigen Indianern vielleicht verwandt, aber einer fernen Vergangenheit angehörig. Ihre Kultur muß durch viele Jahrhunderte hindurch bestanden haben, wann, ist nicht mehr festzustellen, ihr Untergang aber muß über ein Jahrtausend zurückliegen. Spuren der Sitte, Erdwerke zu errichten, mögen sich lange nach dem Aussterben der Hügelerbauer bei den späteren wilden Indianerstämmen, welche nach ihnen diese Gegenden bewohnten – vielleicht als Besieger der Moundbuilders und Zerstörer ihrer Kultur – erhalten haben. Jedenfalls stehen die mühsam zusammengesuchten Spuren solchen Gebrauchs aus historischer Zeit in keinem Verhältnisse zu der großen Zahl und der Bedeutung der alten Erdwerke, und es ist gewagt, das Volk der Hügelerbauer daraufhin zu Vorfahren der heutigen Indianerstämme zu machen. Der Schluß, den wir demnach ziehen müssen, daß die Vereinigten Staaten schon in grauer Vorzeit von seßhaften und in Halbkultur lebenden Völkern bewohnt waren, wird auch durch anderweitige Beobachtungen bestätigt. Auch außerhalb des Gebiets der Mounds trifft man Spuren alter Ansiedelungen: in den Hochplateaus der Gebirgseinöden von Utah, Arizona, Colorado und Neu-Mexiko im Südwesten der Union, die sog. „Pueblos“, große kasernenartige Städte, aus zahlreichen, wie Bienenzellen an- und übereinandergebauten Wohnräumen bestehend, in denen eine nach Tausenden zählende Bevölkerung gewohnt haben muß. Dann die „Cliff-Houses“ (Klippenhäuser), befestigte Plätze, Wachttürme und Wohnhäuser, an fast unzugänglichen Stellen jäh abstürzender Felsen, zum Teil wie Schwalbennester an die steilen Wände geklebt. Und hier haben wir bestimmte Nachrichten, daß schon die ersten spanischen Eindringlinge diese Wohnstätten verlassen und in Trümmern vorfanden. Für ihr hohes Alter spricht ferner der Umstand, daß sie jetzt in völlig wasserloser Felseneinöde liegen, was früher, als diese Gebiete so reich bevölkert waren, unmöglich der Fall gewesen sein kann. Indessen diese Völker haben nicht die Größe und Bedeutung der Moundbuilders gehabt, sie waren auf ein kleineres Gebiet beschränkt.
- ↑ Vergl. Jahrg. 1894, S. 156.