Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Dschang Liang
Untertitel:
aus: Chinesische Volksmärchen, S. 257–259
Herausgeber: Richard Wilhelm
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Eugen Diederichs
Drucker: Spamer, Leipzig
Erscheinungsort: Jena
Übersetzer: Richard Wilhelm
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
E-Text nach Digitale Bibliothek Band 157: Märchen der Welt
Eintrag in der GND: [1]
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Bearbeitungsstand
fertig
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[257]
86. Dschang Liang.

Dschang Liang stammte aus einem der Staaten, die von dem Kaiser Tsin Schï Huang vernichtet worden waren. Er wollte sich für seinen König rächen und sammelte deswegen Gesellen um sich, den Tsin Schï Huang zu ermorden.

Tsin Schï Huang machte einst eine Reise durch das Land. Als er in die Landsteppe von Bo Lang kam, da bewaffnete Dschang Liang seine Leute mit eisernen Hämmern, um ihn totzuschlagen. Tsin Schï Huang hatte aber immer zwei Reisewagen, die einander ganz gleich waren. Im einen saß er selbst, im zweiten saß ein anderer. Dschang Liang und die Seinen trafen auf den falschen Wagen. So mußte Dschang Liang vor der Rache des Kaisers flüchten. Er kam über eine verfallene Brücke. Es wehte ein eisiger Wind, und Schneegestöber wirbelte durch die Luft. Da traf er einen uralten Mann in schwarzem Turban und gelbem Gewande. Der ließ einen seiner Schuhe ins Wasser fallen, blickte Dschang Liang an und sprach: „Kindchen, hol ihn mir!“

Dschang Liang beherrschte sich, holte den Schuh und brachte ihn dem Greis. Der streckte den Fuß aus und ließ [258] ihn sich anziehen. Dschang Liang tat auch diesen Dienst auf ehrerbietige Art. Da freute sich der Greis und sprach: „Kindchen, du bist zu brauchen! Komm morgen früh, ich hab etwas für dich!“

Am andern Tag, als es eben dämmerte, kam Dschang Liang an. Der Greis war schon da und tadelte ihn: „Du kommst zu spät! Heut sag ich dir nichts. Morgen mußt du früher kommen.“

So gings drei Tage lang, und Dschang Liang ward nicht müde. Da war der Greis zufrieden, holte das Buch von den geheimen Ergänzungen hervor und gab es ihm. „Das mußt du lesen!“ sagte er; „dann wirst du der Meister eines großen Kaisers. Wenn du dein Werk vollbracht, so suche nach mir am Fuß des Gu Tschong Berges. Dort wirst du einen gelben Stein finden, das bin ich.“

Dschang Liang nahm das Buch und half dem Ahn des Hauses Han bei der Eroberung des Reiches. Der machte ihn zum Grafen. Von dieser Zeit an enthielt sich Dschang Liang der menschlichen Nahrung und sammelte sich im Geiste. Er pflegte Verkehr mit den vier Weißbärten vom Schangberge und genoß mit ihnen das Abendrot in den Wolken. Er begegnete einmal ein paar Knaben, die sangen und tanzten.

Ein Knabe sang:

„Grüne Kleider mußt du tragen,
Dann kommst du ans Himmelstor.
Mußt die goldne Mutter grüßen
Und dich vor dem Holzherrn neigen!“

Als Dschang Liang das hörte, verneigte er sich vor dem Knaben und sagte zu seinen Freunden: „Das sind Engelkinder des Königvaters vom Osten. Die goldne Mutter ist die Königin des Westens. Der Holzherr ist der Königvater des Ostens. Das sind die beiden Urkräfte, die Eltern des Männlichen und Weiblichen, die Wurzel und Quelle von Himmel und Erde, denen alles Lebende seine Entstehung und Nahrung verdankt. Der Holzherr ist der Meister der [259] männlichen Heiligen, die goldne Mutter ist die Herrin der weiblichen Heiligen. Wer ewiges Leben erlangen will, muß zuerst die Mutter grüßen, dann vor dem Vater sich neigen. So kann er aufsteigen zu den drei Reinen und vor dem Höchsten stehen. Die Engelkinder zeigen durch das Lied den Weg, wie man geheimen Sinn erlangen kann.“

Zu jener Zeit ließ sich der Kaiser hinreißen, einige seiner treuen Diener zu töten. Da verließ Dschang Liang seinen Dienst und ging nach dem Gu Tschong Berg. Dort fand er bei dem gelben Stein den Alten, erlangte geheimen Sinn und kehrte heim. Er stellte sich krank, löste seinen Körper auf und verschwand.

Als später der Aufruhr der „roten Augenbrauen“ ausbrach, öffnete man sein Grab. Man fand aber nur einen gelben Stein darin. Dschang Liang wanderte mit Laotse im Unsichtbaren.

Sein Enkel Dschang Dau Ling ging einst zum Kunlun-Berg, um die Königin Mutter des Westens zu besuchen. Dort traf er auch Dschang Liang. Dschang Dau Ling erlangte die Macht über Dämonen und Geister. Er war der erste Taoistenpapst. In seiner Familie hat sich das Geheimnis von Geschlecht zu Geschlecht vererbt.

Anmerkungen des Übersetzers

[402] 86. Dschang Liang. Vgl. Schen Siän Dschuan.

„in gelbem Gewande“: Andeutung des Taoismus, vgl. Nr. 42.

„Das Buch von den geheimen Ergänzungen“ = Yin Fu Ging. Vgl. Liä Dsï, Einleitung.

„Grüne Kleider mußt du tragen usw.“: Die hier gegebene Zusammenstellung des grünen Herrn und der goldenen Mutter als Eltern alles Lebens erinnert merkwürdig an die Stelle im Faust:

Grün ist des Lebens goldner Baum.“