Drei Großthaten der Humanität

Textdaten
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Autor: Johann Hermann Baas
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Titel: Drei Großthaten der Humanität
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 191–193
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Drei Großthaten der Humanität.
Ein Blick in die Technik der heutigen Chirurgie.

Im Laufe der Zeit vollziehen sich Aenderungen nicht allein in Bezug auf die gegenseitige Rangstellung der Völker und der einzelnen Menschen, sondern auch in Bezug auf die Theile und Zweige der Wissenschaft. Stand z. B. im Mittelalter, ja bis in’s vorige Jahrhundert hinein die Theologie noch überall an der Spitze der Wissenschaften, so nimmt sie heute nur höchstens noch in den Vorlesungsverzeichnissen der Hochschulen diesen Rang ein, in Wirklichkeit aber stehen die Naturwissenschaften, obwohl ihr wissenschaftliches Dasein erst zwei Jahrhunderte zurückreicht, gegenwärtig an erster Stelle, gleichwie im achtzehnten die Philosophie und die schönen Wissenschaften.

In Folge solchen Wechsels der Werthschätzung galt in der Arzneiwissenschaft noch vor hundert, ja vor siebenzig Jahren die Chirurgie als der inneren Medicin nicht ebenbürtig, und auch die Vertreter der letzteren dünkten sich über die Wundärzte weit erhaben. Hatte doch der Freiburger Professor Mederer noch gegen Emde des vorigen Jahrhunderts einen Studentencrawall, bei dem er fast in Lebensgefahr gerathen, hervorgerufen einfach deshalb, weil er in seinen Vorlesungen die Gleichwerthigkeit der Chirurgie und inneren Medicin verteidigte und für deren Vereinigung sprach. Heute verkündet der oberste Reichsbeamte vom Bundesrathstische aus:

„Unsere Chirurgie hat seit 2000 Jahren glänzende Fortschritte gemacht; die eigentliche Wissenschaft in Bezug auf die inneren Verhältnisse des Körpers, in die das menschliche Auge nicht hineinsehen kann, hat keine gemacht – wir stehen noch denselben Räthseln gegenüber, wie früher.“

Ein derartiges Zeugniß für die Ueberlegenheit der Chirurgie, deren Vertreter noch im sechszehnten Jahrhundert durch Papst- und Kaisergesetz für „unehrlich“ erklärt wurden, wäre bis vor achtzig Jahren wahrscheinlich belacht und verketzert worden – heute müssen Alle dessen Berechtigung im Großen und Ganzen zugestehen: die Letzte ist nunmehr zur Ersten geworden.

Aber auch in anderer Richtung hat sich ein Wechsel vollzogen. In den verflossenen Jahrhunderten waren Lehre und Praxis der Chirurgie noch ganz und gar volksthümlich: war doch sogar die Sprache der Chirurgie seit dem sechszehnten Jahrhundert fast in allen Ländern die des Volkes, im Gegensatze zur inneren Medicin, die überall in der gravitätischen lateinischen Toga einherstolzirte und dadurch vom Volke sich abschloß. Heute scheint die letztere ganz „populär“ zu werden – und als Hygiene hat sie, wie Pettenkofer in diesem Blatte (vergleiche Jahrgang 1878, Nr. 20) darthat, sogar die Pflicht, es zu werden –, wogegen die emporgekommene Chirurgie sich sozusagen aristokratisch gebärdet, das heißt sich der Kenntniß des Volkes entzieht.

Läßt die Chirurgie sich nun auch in der That nicht popularisiren, so lassen sich doch wenigstens die großartigen Leistungen und Errungenschaften, welche sie in unserem Jahrhundert zu verzeichnen hat, dem Verständnisse des Volkes nahe legen; denn es handelt sich in ihr nicht, wie in der inneren Medicin, um allzu häufig wechselnde Theorien und augenblicklich gepriesene Richtungen der Behandlung, sondern hauptsächlich um bleibende wirkliche Fortschritte, die Jedermann begreifen kann.

Diese nun sind neuerdings wesentlich englisch-amerikanischen und deutschen Ursprungs; die Franzosen, denen man früher ganz besonders chirurgische Befähigung zuschrieb, blieben dagegen, wie sie selbst zum Theil zugestehen, seit Jahrzehnten in der Chirurgie zurück. Zu Grundpfeilern dieser Fortschritte, welche vorzugsweise seit dem dritten Jahrzehnte unseres Jahrhunderts zu Tage treten, sind drei Erfindungen geworden, welche man in Wahrheit als Großthaten der Humanität preisen darf. Diese drei Großthaten haben die Thätigkeit des Chirurgen so wesentlich umgestaltet, daß es uns heute fast mythisch klingt, wenn der berühmte Operateur Dieffenbach noch vor dreißig Jahren schrieb: „Es bebt der fühlende Mensch wohl bei dem Gedanken zusammen, das Messer in eines Menschen Fleisch einzusenken, und das mit kaltem Blute, das Messer hin und her zu bewegen, noch tiefer zu schneiden, mitten unter dem Angstruf des zu Verstümmelnden und dabei zu denken und zu fühlen! Die operative Chirurgie ist ein blutiger Kampf mit der Krankheit um das Leben, ein Kampf auf Leben und Tod.“

Tritt man heute in einen Operationssaal, so sieht man diese geist- und nervenerschütternden Bilder gottlob! nicht mehr: der Angstruf des zu Verstümmelnden ist verstummt; der Blutregen hat aufgehört und auch die Aussichten beim späteren Kampfe um das Leben mit dem Tode sind ganz wesentlich günstigere geworden.

Die drei Erfindungen, welche das zuwege gebracht, sind: die Anästhesirung (Gefühlsberaubung), die künstliche Blutsparung und der antiseptische (fäulnißverhütende) Verband. Mittel und Ausführung der ersteren sind bekannt, nicht so die Geschichte derselben und die Schicksale ihrer Entdecker.

So lange es chirurgische Operationen giebt, war es das Bestreben der Aerzte, Eingriffe mit dem Messer schmerzlos zu vollbringen. Die Chinesen gaben den zu operirenden Kranken Mandragora, die betäubende Alraunwurzel, und auch im Mittelalter ließen europäische Wundärzte Abkochungen aus dieser und Opium, Schierling, Huflattig, Epheu und Essig mittelst eines Schwammes einathmen. Später gab man innerlich Opium allein in großen Gaben, ohne jedoch den Zweck völlig zu erreichen. Im Anfange dieses Jahrhunderts aber entdeckte der große, aus dem Stande der Barbiere, der früher gar manchen berühmten Mann erzeugte, hervorgegangene englische Chemiker Humphry Davy die betäubende Wirkung des Lustgases, und damit begann die Verwirklichung jener uralten Bestrebungen. Vorerst mußten freilich noch mehrere Jahrzehnte vergehen, ehe die Entdeckung fruchtbar ward.

[192] Man sollte glauben, daß die Geschichte einer nur wenige Jahrzehnte hinter uns liegenden, so anfallenden und alsbald auch allgemein bekannt gewordenen Erfindung, wie die Anästhesirung ist, von Anfang an über allem Zweifel stehen müßte. Und doch ist dem nicht so, sondern es schwankten lange Zeit die Angaben über ihren Urheber, wie wenn sie in dunklen Zeiten gemacht worden wäre. Es verhielt sich damit folgendermaßen.

Anfangs der vierziger Jahre wohnte – nach den erneuerten Forschungen Jules Rochard's – der amerikanische Zahnarzt Horace Wells aus Hartford, Connecticut, einer Vorlesung über Chemie bei, in der ein Zuhörer durch Einathmung von Lustgas vorübergehend bewußt- und empfindungslos gemacht worden war. Da kam ihm sofort der Gedanke, ob man das Mittel nicht beim Zahnausziehen nutzbar machen könnte? Gedacht, gethan! Nach Hause gekommen, athmete er das Gas ein und ließ sich während der Narkose einen Zahn ausnehmen. Und als er, ohne Schmerz empfunden zu haben, erwacht war, rief er, sofort die ganze Tragweite der Entdeckung erfassend, begeistert aus:

„Eine neue Aera in der Chirurgie! Ich habe bei der Operation nicht mehr, als bei einem Nadelstiche gefühlt.“

Das war im Jahre 1844. Auch mit Aethereinathmung stellte er 1845 Proben an, setzte aber die Wirkung derselben der des Stickstoffoxydulgases nach. Beide Versuche theilte er dann, ohne sich nur die Feststellung seiner Priorität zu kümmern, dem Bostoner Zahnarzt William Morton und dem Chemiker Charles Jackson daselbst mit. Diese nun eigneten sich Wells' Entdeckung an, verwandten aber ausschließlich Aether. Durch sie wurde die Methode bekannt, und sie ernteten deshalb den Ruhm jener das größte Aufsehen erregenden Erfindung, der betrogene Wells aber fühlte sich über dieses Mißgeschick dermaßen unglücklich , daß er sich am 21. Januar 1847 die Pulsadern öffnete und gleichzeitig Aether einathmete, also unter Zuhülfenahme seiner eigenen Entdeckung sich den Tod gab.

Doch auch die beiden Usurpatoren ereilte die Nemesis. Morton konnte trotz wiederholter, auch nach Paris deswegen unternommener Reisen nicht zur Anerkennung seiner Erfinderschaft gelangen und endete als ein Trunkenbold in New-York im Elend. Jackson aber, der das Mittel geschäftlich ausbeuten wollte, erreichte sein Ziel nicht, und ward in Folge des Fehlschlagens seiner Hoffnungen unheilbar wahnsinnig. Noch vor einigen Jahren vegetirte er in einer Irrenanstalt bei New-York.

Die erste größere Operation unter Aethernarkose – Wells leitete diese letztere – machte im August 1846 Dr. Mary in Boston. Im October folgten Operationen der Doctoren Warren, Hayward und Bigelow, und zwar handelte es sich bei diesen schon um langwierige Entfernung großer Geschwülste. Der Ruf der Entdeckung verbreitete sich sofort nach Europa; denn schon am 17. December operirten Boot und zwei Tage später der berühmte Chirurg Liston in London unter Zuhülfenahme der Aethernarkose. In Paris erklärten sich zu Gunsten der Narkotisirung die bedeutendsten Chirurgen, darunter selbst Velpeun, der noch 1838 in der Akademie eine Aufhebung des Schmerzes als ein Unding bezeichnet hatte. In Deutschland war es der Berliner Operateur Dieffenbach, welcher die Aetherisirung zuerst anwendete. Im Jahre 1848 aber setzte der 1870 verstorbene Edinburger Chirurg und Geburtshelfer Simpson das Chloroform an Stelle des Aethers. Er ward baronisirt und erhielt ein Standbild nach seinem Tode. Und Wells, der Erfinder der Methode? Jede schmerzlos vollzogene Operation bildet eine neue Ehrensäule seines Ruhms.

Mehr noch als der Schmerz ward von jeher der Blutverlust bei Operationen gefürchtet, und diesen Verlust zu mindern oder zu verhüten, bemühte sich das Erfindergenie der Chirurgen von Anbeginn. Aufstreuen von zusammenziehenden, „blutstillenden“ Pulvern, Umschnüren der Glieder, um die Adern zu verschließen, festes Verbinden der Wunden, Ueberfahren der blutenden Gefäße und Wundflächen mit glühendem Eisen, ja Schnittführung mit weißglühenden Messern, Zusammendrehen und Unterbindung der durchschnittenen Schlagadern, die schon den großen Aerzten und Chirurgen der römischen Kaiserzeit bekannt war, aber erst durch den königlichen Leibbarbier Ambroise Paré im sechzehnten Jahrhundert dauernd zur Geltung gebracht ward – das waren die Mittel, welche im Laufe der Zeiten zu dem genannten Zwecke benutzt wurden. Besonders das letztgenannte Verfahren erfüllte diesen auch in hohem Grade. Aber trotzdem ging noch, selbst bei größter Gewandtheit und sicherstem anatomischem Wissen des Chirurgen, während vieler, besonders während langwieriger Operationen mehr Blut verloren, als der Zustand des Kranken und das Kräftebedürfniß bei der nachfolgenden Heilung wünschenswert erscheinen ließen.

Da überraschte im Jahre 1873 der berühmte Kieler Chirurg Friedrich Esmarch die ärztliche Welt mit einem wahren Ei des Columbus, mit der Methode der sogenannten Blutsparung. Seitdem werden die Operationen nicht mehr blos schmerzlos, sondern auch eine große Zahl der früher blutigsten Eingriffe fast ohne jeden Blutverlust ausgeführt. Auch haben seitdem, was fast wichtiger ist, eine größere Anzahl Aerzte, die vorher aus Mangel an Herrschaft über die Blutung dies nicht vermochten, sich an schwere Operationen gewagt, die sonst als eine Art Monopol der bedeutenden Chirurgen galten.

Bei Operationen geht nicht allein aus den verhältnißmäßig wenigen großen und größeren Adern, welche durchschnitten werden. sondern auch aus unzähligen kleineren und kleinsten im Fleisch und den anderen Geweben bekanntlich viel Blut verloren. Außerdem enthält der durch das Messer des Chirurgen zu entfernende Theil eine größere oder geringere Blutmenge. Beide Verluste nun verhütet das Esmarch'sche Verfahren. Nehmen wir ein Beispiel zur Erläuterung!

Es soll ein Arm nahe der Schulter entfernt werden. Um den unterhalb der Operationsstelle in diesem enthaltenen Blutantheil zu „sparen“, umwickelt man, an den Fingern beginnend und bis über den Ort, wo das Glied abgesetzt wird, hinaus fortfahrend, dieses mit einer starken Gummibinde. Durch letztere wird alles in dem Arme befindliche Blut in den Körper zurückgedrängt; der erstere wird blutleer gemacht. Darnach umschnürt man mit einem starken Kautschukschlauche die Schulter und befestigt die Enden dieses an einander. Ist dies geschehen, so nimmt man die Binde wieder ab. Wird nun dicht unterhalb des Schlauches das Fleisch durchschnitten und der Knochen dann abgesägt, so kann vom Körper her, weil jener die Adern durch Druck verschlossen hält, kein Blut mehr ausfließen und die Operation kann auf diese Weise ohne jeden Blutverlust vor sich gehen. In dem entfernten Arm aber ist nur ein Minimum von Blut enthalten.

Der Nutzen dieser Blutsparung springt sofort in die Augen. wird doch mit jedem „gesparten“ Tropfen Blutes eine Summe von Lebenskraft erhalten, die der Heilung sicher zugute kommt. Das Verfahren aber ist, wie ersichtlich, so einfach, daß man sich wahrhaft wundert, daß es nicht schon längst erfunden worden; gerade das Einfache jedoch muß vom Blicke des Genius erfaßt werden, wenn es nutzbar werden soll – das ist eine alte Erfahrung. Dazu bedarf das Genie aber noch des Untergrundes einer Zeit, die ihm die besonderen Hülfsmittel – im vorliegenden Falle das Kautschuk – zur Verfügung stellt.

Die dritte Gefahr, welche durch operative Eingriffe erwächst, ist die Vergiftung der gesammten Säftemasse von der Wunde her in Folge von Zersetzung ihrer Absonderungen. Diese Gefahr war von jeher, besonders in Spitälern, noch größer, als die durch Schmerz und Blutung hervorgerufene. Und auch sie ward, ganz neuerdings wenigstens, bis zu einem früher ungeahnten Grade bezwungen.

Ungefähr um dieselbe Zeit nämlich, als Esmarch seine glänzende Entdeckung bekannt machte, wurde durch den englischen Chirurgen Joseph Lister eine neue Methode der Wundbehandlung, die sogenannte antiseptische, das heißt fäulniß- oder zersetzungverhütende, veröffentlicht, die seitdem zwar in der jeweiligen Ausführung, nicht aber ihrem Wesen nach mehrfach verändert wurde. Das letztere besteht darin, daß sie die Wunden gegen die zersetzende Einwirkung der Luft schützt, das heißt die in derselben vorhandenen zersetzenden Substanzen, als welche man heute die Keime niederer mikroskopischer Pilze betrachtet, von denselben fern hält und tödtet. Dieser Zweck wird folgendermaßen erreicht.

Nachdem vor Beginn der Operation nicht allein alle Instrumente, Schwämme etc., sondern auch die Umgebung der zu operirenden Stelle und die Hände des Operateurs, wie die seiner Gehülfen, sorgfältig durch Abwaschung mittelst einer starken Lösung von Carbolsäure in Wasser gereinigt worden sind, wird die Operation selbst, von Anfang bis zu Ende, unter beständiger Besprengung der Wundfläche (durch den sogenannten Spray-Apparat) mittelst zu Nebel zerstäubten Carbolsäurewassers ausgeführt. Die Fäden zur Unterbindung der [193] Adern und zur Naht der Wunde – man nimmt dazu Darmsaiten, sogenannten Katgut – müssen bis zur Verwendung in Carbolöl aufbewahrt sein. Auch der erste Verband wird nur aus Stoffen hergestellt, welche mit Carbolsäure durchtränkt sind, und mit der größten Sorgfalt der Art angelegt, daß er, so viel immer möglich, die Luft abhält. Statt Carbolsäure wird von einem Theile der Chirurgen Thymol, Salicylsäure etc. zur Desinfektion, das heißt zur Zerstörung jener als Ursache der Wundkrankheiten geltenden Pilzkeime verwendet. Jeder in der Folge nöthige Verbandwechsel wird unter denselben strengen Vorsichtsmaßregeln und mit den gleichen Verbandstoffen ausgeführt und der Operirte in möglichst reiner Luft gebettet.

Während vorher die Heilung bedeutender Wunden nicht leicht ohne langwierige Eiterung vor sich ging, ist bei dem Lister’schen Verfahren die sofortige Verwachsung der Wundränder ohne Eiterung, die sogenannte erste Vereinigung der Wunden, heutzutage die Regel. Und das gilt selbst unter so ungünstigen Verhältnissen, wie sie beispielsweise der letzte russisch-türkische Krieg mit sich brachte. Durch die Abkürzung der Heilungsdauer und Verhütung der Eiterung kommen dann aber noch die „Verwundetengeißeln“, welche so zahlreiche Opfer forderten, die Wundkrankheiten, besonders Eiter- und Wundjauchevergiftung und diphtheritische Ansteckung des ganzen Organismus von der Wunde aus, in Wegfall. Durch die Beseitigung dieser Gefahren ist es dahin gekommen, daß nicht mehr die Hälfte, ja nicht einmal mehr der vierte Theil der früheren Todesfälle nach Verwundung und Operationen heute, sich ereignet.

Jede der drei genannten Entdeckungen würde einzeln der Chirurgie unserer Zeit ohne Frage die Ueberlegenheit über die frühere für alle Folge sichern, alle drei aber in Verein drücken ihr den Stempel einer hohen Vollendung auf. Was vor vierzig Jahren noch die Kühnsten nicht zu hoffen wagten, was sie, hätte man ihnen die Erreichung eines solchen Zieles versprochen, ohne Zweifel als das Hirngespinnst eines Irren belacht haben würden: daß man jemals schmerzlos und blutlos operiren und die meisten noch so großen Wunden eiterlos werde heilen können, das ist heute erreicht. –

Trotz aller großen Fortschritte, welche die neueste Zeit gebracht hat, darf man nicht dem so leicht anfänglich sich geltend machenden Enthusiasmus das ruhige Urtheil opfern; denn operirt werden zu müssen kann man heute so wenig wie früher als ein gleichgültiges Ereigniß für den Kranken bezeichnen, wohl aber darf man es preisen, daß der Chirurg mit Aussicht auf Erfolg heute auch noch Solche zu operiren wagt und heilen kann, für die früher nur sichere Aussicht auf qualvolles Sterben vorhanden war. Und die drei Erfindungen, welche das ermöglichten, sind gewiß „Großthaten der Humanität“: nehmen sie doch so viel Schlimmem, aber zufolge des Ganges der menschlichen Dinge Nothwendigem die damit früher verbundenen Schrecken und ein gut Theil seiner Gefahren. – „Die gute alte Zeit!“ – kein Chirurg und kein Verwundeter wird sie zurückwünschen. – Die Chirurgie hat große und dauernde Fortschritte gemacht; sie giebt nicht so viel gute und immer gut gemeinte Rathschläge, wie die innere Medicin, aber sie handelt gut.

Dr. J. Herm. Baas.