Distanzritt und Humanität

Textdaten
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Titel: Distanzritt und Humanität
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aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 738–739
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[738] Distanzritt und Humanität. In den ersten Oktobertagen hat sich zwischen Berlin und Wien ein Schaustück abgespielt, das die Augen von ganz Europa auf sich lenkte und die öffentliche Aufmerksamkeit, insbesondere in Deutschland und Oesterreich-Ungarn, lebhaft beschäftigte.

Es war ein Wettreiten veranstaltet zwischen deutschen und österreichisch-ungarischen Offizieren, und zwar in der Weise, daß die Deutschen von Berlin nach Wien, die Oesterreicher von Wien nach Berlin zu reiten hatten. Hohe Preise waren für die Flinksten ausgesetzt, und zu dem Sporn, der in diesen respektablen Summen und in zwei Ehrenpreisen lag, trat noch der landsmannschaftliche Ehrgeiz – wer reitet besser, der Deutsche oder der Oesterreicher?

Ein tapferes Reiterstück, männliche Kraft, Geistesgegenwart und Ausdauer wissen auch wir zu schätzen, und wenn es bei dem geblieben wäre, was anfangs wohl mit diesem Distanzritt in Aussicht genommen war, nämlich zu zeigen, was ein tüchtiger Reiter mit seinem guten Rosse leisten kann, ohne das letztere zu Schanden zu reiten, so hätten die Sieger allgemeinen Beifalls sicher sein dürfen. Aber es ist leider ganz anders gekommen!

Es wurde geritten, schneidig und scharf, Tag und Nacht, mit spärlicher Ruhe und spärlicher Nahrung, erst wohl in fröhlichem Trab, zuletzt in hastigem Voranhetzen – und sie kamen an, die edlen Renner, todmüde und abgetrieben, mit sporenzerfetzten Flanken und striemenbedecktem Leib, mit hängender Zunge und stumpfen verglasten Augen, wenige Stunden am Ziele, und sie mußten elend verenden, wenn sie nicht schon unterwegs auf der Strecke geblieben waren, einer um den anderen ein Opfer für – ja, was war’s, wofür sie geopfert wurden?

Es gehört zu den Obliegenheiten unserer Heeresleitung, sich über die Leistungsfähigkeit des ihr zu Gebote stehenden Materials an Menschen und Thieren Klarheit zu verschaffen. Es ist dies von höchster Bedeutung für den Krieg, also für die Vertheidigung des Vaterlandes. Hätte sich der Ritt in dem durch diese Pflicht gegebenen Rahmen gehalten, hätte man sich, wie es zweifellos der schon angedeutete ursprüngliche Gedanke der Veranstalter war, darauf beschränkt, festzustellen, wieviel ein geübter Reiter auf gut eingerittenem, sorgfältig trainiertem Pferde im Dauerritt zu leisten vermöge, ohne dabei samt seinem Rosse dienstunfähig zu werden, so hätte sich dagegen nichts einwenden lassen.

Leider ist die Ausführung diesem Gesichtspunkt nicht treu geblieben. Die Idee des Distanzritts Berlin-Wien verwandelte sich während der Ausführung in eine reine Sportsidee, und diese Ausartung des ursprünglichen Plans ist es, welchem von rund zweihundert edlen Pferden an die dreißig zum Opfer gefallen sind, derer nicht zu gedenken, die infolge der ubermäßigen Anstrengungen zu elenden Krüppeln herabgesunken sind, kaum noch fähig, als Droschkengäule traurigster Sorte ihr Dasein zu beschließen.

Und darum hat sich mit Recht die öffentliche Meinung empört über die Scenen, die sich in diesen Oktobertagen zwischen dem Tempelhofer Steuerhäuschen und Floridsdorf abgespielt haben! Wie, dürfen wir künftig mit pharisäischem Gesittungshochmuth auf die Stiergefechte der Spanier herabschauen? Wie, dürfen wir auch künftig dem armen Karrenführer die Polizei auf den Hals schicken, wenn er um seines kümmerlichen Erwerbes willen sein kläglich verkommenes Thier einmal übermäßig anstrengt und es mit grausamen Peitschenleben vorwärts treibt? Wahrlich, zwischen Wien und Berlin ist Schlimmeres geschehen in diesen Tagen, und die, welche die Verantwortung dafür tragen, können nicht die Entschuldigung für sich beanspruchen, daß sie nicht wußten, was sie thaten.

Man sage nicht: wer konnte ahnen, daß es so gehen würde! Wir können nicht annehmen, daß die Theilnehmer an dem unheilvollen Ritte sich über die Leistungsfähigkeit ihrer Pferde so sehr im Unklaren befunden haben, daß sie die Folgen nicht hätten voraussehen können; jedenfalls mußten sie im Verlauf des Ritts die unzweideutigste Aufklärung gewinnen, wohin die Ueberspannung sie führen würde, und sie mußten die Aufregung, welche sie dem Ziele entgegentrieb, bemeistern.

Nun das Unglück geschehen ist, bleibt uns nur noch übrig, die Hoffnung auszusprechen, daß ein derartiger Versuch in diesen Formen nicht wiederholt [739] werde. Wir aber reichen den Preis denjenigen Reitern, denen menschliches Mitgefühl mit ihren Thieren über sportlichen Ehrgeiz ging und die unterwegs lieber den weiteren Wettbewerb aufgaben, als daß sie sich zu Mitschuldigen an einer jammervollen Thierquälerei gemacht hätten!