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Titel: Diebskerzen und Diebsfinger
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aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 224
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[224] Diebskerzen und Diebsfinger. Wie die Zeitungen berichten, ist zu Ellerwald bei Elbing in der Sylvesternacht ein grauenhaftes, fast unglaubliches Verbrechen begangen worden. Ein Arbeiter brachte mit kaltem Blute ein Frauenzimmer um, schnitt ihr Stücke Fleisch aus dem Leibe, schmorte dieselben und machte sich aus dem gewonnenen Fett eine Kerze. Die sogenannten „Grieben“ zehrte er auf. Man erkennt auf den ersten Blick, daß bei dieser Bestialität der furchtbarste Aberglaube im Spiele ist. In Wirklichkeit spukt, trotz der vielgerühmten Aufklärung unsers Jahrhunderts, noch so mancher finstere Wahn in den Köpfen, und namentlich hat es noch nicht gelingen wollen, den Aberglauben aus denselben auszutreiben. Es kann sonach nicht fehlen, daß hin und wieder selbst ein Verbrechen nicht gescheut wird, um zu dem abergläubischen Zwecke zu gelangen, wie in dem vorliegenden Falle. Eine weitverbreitete Sage ist, daß Derjenige, welcher ein aus Menschenfett gefertigtes Licht mit sich führe, unsichtbar werde; auch soll sich Derjenige, welcher Menschenfleisch, namentlich ein gekochtes Menschenherz ißt, unsichtbar machen können. Diese Sage ist uralt und tritt in mancherlei Varianten auf. In der Regel werden zu den Zauberkerzen die Finger neugeborener Kinder verwendet. Diese geben, angezündet, eine Flamme, welche „alle Leute im Hause schlafend erhält“. Sie machen also nicht gerade unsichtbar, sondern bewirken nur, daß diejenigen Personen, bei welchen der Dieb einbricht, nicht aus dem Schlafe erwachen. Auch wurden sie von Eingeweihten benutzt, um sich „fest zu machen“. In Bautzen wurden zu Anfange des siebzehnten Jahrhunderts zwei Mörder hingerichtet; diese hatten – natürlich auf der Folter – ausgesagt, daß sie, um sich fest zu machen, „neugeborener Kindlein Finger sich verschafft, in Bier gethan und sich gegenseitig zugetrunken“. Ferner graben die Hexen die Leichen kleiner Kinder aus und schneiden ihnen die Finger ab, um damit Zauberei zu treiben. Am 7. August 1619 wurde in Sorau ein Landsknecht mit glühenden Zangen gepeinigt, gerädert und noch lebend auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Dieser Landsknecht hatte – natürlich wieder auf der Tortur – bekannt, daß er drei Frauen ermordet und aus ungeborener Kindlein Därmen, die er über Breter gespannt und abgedörrt, sowie auch aus ihren Fingern Zauberdrähte zubereitet, diese mit Wachs von Altarkerzen überzogen und im Namen aller Teufel zu einer Kerze geformt habe. Einige dieser Zauberkerzen hatte er dem Koche auf dem Schlosse zu Sorau gegeben, der damit, wie die Chroniken melden, „erschreckliche Thaten“ verrichtete. Dieser Koch bekannte, peinlich befragt, daß er sieben Mordthaten begangen, und wurde auf wahrhaft kannibalische Weise hingerichtet. Glimpflicher kam ein Maurer in Ober-Haynewalde (Lausitz) davon, der einen Diebsdaumen von einem in Böhmen Gehenkten besaß, dies aber freiwillig auf dem deshalb von Edelleuten, Geistlichen und Schöppen abgehaltenen Gerichtstage eingestand; er wurde zwar zum Feuertode verurtheilt, aber später zu einer Woche Halseisen, Kirchenbuße und Geldstrafen begnadigt. In Böhmen findet sich die Sage von den Diebskerzen in folgender Gestalt: „Ein Dieb schneidet einem todten Kinde einen Finger ab und läßt ihn so lange trocknen, bis er sich anzünden läßt. Bei diesem Lichte kann er stehlen, so viel er will, ohne daß Jemand aufwacht und ihm das Handwerk verdirbt.“ Sodann: „Die Finger eines im Mutterleibe gestorbenen Kindes sind die besten Kerzen der Diebe: sie geben ihnen Licht und machen sie unsichtbar.“ – Das bei der früher erwähnten Art, Diebeskerzen anzufertigen, unerläßliche Menschenfett spielt in der Geschichte des Aberglaubens eine bedeutende Rolle. In Böhmen z. B. kommt es bei einem Aberglauben vor, bei dem es sich um die Erlangung der Fähigkeit handelt, zwölf Meilen in einer Stunde zurückzulegen. „Zur Erreichung dieser Macht wählt man einen Tag vor dem heiligen Johann dem Täufer. Zur Nachtzeit gehe an einen abgelegenen Ort, welcher dir für deine Zauberei gelegen zu sein scheint, und halte ein Holz zum Feuer machen bereit. Wenn es elf Uhr schlägt, mache um dich einen Kreis mit geweihter Kreide, zünde das Holz an und stelle darauf einen neuen, noch ungebrauchten Topf. Nun nimm Menschenfett und eine Eidechse, welche du früh vor Sonnenaufgang gefangen hast, und Kreuze machend wirf Beides mit den Worten in den Topf: ,Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, seid mir, ihr Geister des Windes, behilflich, daß mir meine Arbeit gelinge!’ Nach diesen Worten verharre im Schweigen, nach keiner Seite dich umschauend, es geschehe um dich, was da wolle, bis zur zwölften Stunde, wo, wenn dir die Arbeit gelungen ist, das Feuer plötzlich verlöschen muß. Wenn du dich mit Weihwasser besprengt hast, kannst du furchtlos aus dem Zauberkreise heraustreten. Mit der Flüssigkeit, welche im Topfe verblieben ist, beschmiere längliche Stücke von Gemsenleder, und hast du ein solches wunderwirkendes Pflaster auf den bloßen Leib gelegt, so wirst du wie ein Pfeil durch die Straßen fliegen und in jeder Stunde zwölf Meilen machen.“

Auch die Medicin schrieb dem Menschenfett außergewöhnliche Wirkungen zu. Es wird erzählt, daß im Jahre 1540 in Rochlitz ein Mordbrenner gehängt und sein Leichnam von anwesenden fremden Aerzten sceirt wurde. Nun war damals eine Rochlitzer Bürgersfrau schon lange Jahre hindurch an den Füßen dermaßen gelähmt, daß sie nur kümmerlich an Krücken im Hause umhergehen konnte. Diese bat die Aerzte, welche neben ihrem Hause in der Herberge lagen, sie möchten ihr doch etwas verordnen und von ihren Leiden helfen. Die Aerzte gaben ihr die Schienbeine von dem Leichnam und ließen ihr sagen, sie solle dieselben an den Ofen lehnen und ein sauber Geschirr untersetzen; was daraus herabtriefen werde, das solle sie gebrauchen und sich damit bei der Wärme schmieren. Die Frau thut es, meint aber, unter „gebrauchen“ sei „einehmen“ zu verstehen; sie solle also die eine Hälfte innerlich, die andere äußerlich anwenden. In diesem Sinne wurde denn auch zur Ausführung geschritten und die eine Hälfte mit Hülfe von Warmbier dem innern Menschen übergeben. Und siehe da! „Wie solches geschehen, Hilft ihr Gott, daß sie folgenden Tages ohne Krücken zu den Herren Aerzten gegangen kömmt und ihnen für die gepflogene Cur herzlich dankt, und ist sie seit dieser Zeit stets gesund geblieben und wie ein anderer Mensch ohne Krücken überall hingegangen.“ – Die Verwendung des Menschenfettes zu Diebeszwecken macht sich noch in der Geschichte der deutschen Räuberbanden von 1806-1813 bemerkbar, und in Oesterreich grassirt noch heute der Aberglaube, daß Jemand, der Menschenfett esse, am ganzen Leibe scheckig werde, als wäre er von einer ekelhaften Krankheit befallen; auf diese Weise könne ein junger Mann bei der Assentirung dem Militärdienst entgehen.