Textdaten
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Autor: Christian Fürchtegott Gellert
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Titel: Die zärtliche Frau
Untertitel:
aus: Sämmtliche Schriften. 1. Theil: Fabeln und Erzählungen, Erstes Buch. S. 64–65
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1769
Verlag: M. G. Weidmanns Erben und Reich und Caspar Fritsch
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Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Erstdruck 1746/48
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[64]
Die zärtliche Frau.


Wie alt ist nicht der Wahn, wie alt und ungerecht,
Als ob dir, weibliches Geschlecht!
Die Liebe nicht von Herzen gienge?
Das Alter sang in diesem Ton;

5
Von seinem Vater hörts der Sohn,

Und glaubt die ungereimten Dinge.
Verlaßt, o Männer, diesen Wahn,
Und daß ihr ihn verlaßt, so hört ein Beyspiel an,
Das ich für alle Männer singe.

10
Du aber, die mich dichten heißt,

Du, Liebe, stärke mich, daß mir ein Lied voll Geist,
Ein überzeugend Lied gelinge!
Und gieb mir, zu gesetzter Zeit,
Ein Weib von so viel Zärtlichkeit,

15
Als diese war, die ich besinge!




Clarine liebt den treusten Mann,
Den sie nicht besser wünschen kann,
Sie liebt ihn recht von Herzensgrunde.
Und wenn dir dieß unglaublich scheint:

20
So wisse nur, seit der beglückten Stunde,

Die sie mit ihrem Mann vereint,
War noch kein Jahr vorbey; nun glaubst dus doch, mein Freund?

[65]
Clarine kannte keine Freude,

Kein größer Glück, als ihren Mann;

25
Sie liebte, was er liebgewann,

Was eines wollte, wollten beide;
Was ihm mißfiel, misfiel auch ihr.
O! sprichst du, so ein Weib, so eines wünscht ich mir!
Ja wohl! ich wünsch es auch mit dir.

30
Sey nur recht zärtlich eingenommen;

Ihr Mann wird krank; vielleicht kannst du sie noch bekommen.
Krank, sag ich, wird ihr Mann, und recht gefährlich krank;
Er quält sich viele Tage lang,
Von ganzen Strömen Schweiß war sein Gesicht umflossen;

35
Doch noch von Thränen mehr, die sie um ihn vergossen.

Tod! fängt sie ganz erbärmlich an,
Tod! wenn ich dich erbitten kann,
Nimm lieber mich, als meinen Mann!
Wenns nun der Tod gehöret hätte?

40
Ja wohl! Er hört es auch; er hört Clarinens Noth,

Er kömmt, und fragt: wer rief? Hier! schreyt sie, lieber Tod,
Hier liegt er, hier in diesem Bette!