Textdaten
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Autor: Wilhelm von Chézy
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Titel: Die weiße Frau
Untertitel:
aus: Badisches Sagen-Buch II, S. 381–384
Herausgeber: August Schnezler
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Creuzbauer und Kasper
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Erscheinungsort: Karlsruhe
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
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Quelle: Commons und Google
Kurzbeschreibung:
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[381]
Die weiße Frau.
(Bei Langensteinbach).

„Ein flüchtig Liedchen auf den Lippen,
Das Herz belebt von treuem Sinn,
So fahr’ ich zwischen starren Klippen
Keck durch des Lebens Brandung hin.“

5
So singt er laut zum Saitenspiele

In der smaragdnen Waldesnacht,
Wo er im heimlichen Asyle
Allein mit tiefer Sehnsucht wacht.
Den Wonnemond will er begrüßen,

10
Den jetzt gebiert des Jahres Schoos;
[382]

So zieht er hin auf leichten Füßen
Und preist des Sängers selig Loos.

Die Sterne, so im Morgenscheine
Verbleichend schon herniedersehn,

15
Die Blätter, so im Buchenhaine

Voll Frühlingsfeier rauschend wehn,
Die Vöglein, deren muntre Kehle
Die heitre Einsamkeit belebt, –
Es grüßt sie all’ aus voller Seele

20
Sein Lied, das durch die Saiten bebt.


Wie wohl ist ihm im Waldesschatten,
Der schaurig-süße Ahnung hegt!
Drum floh er von den offnen Matten,
Wo sich zu laut das Leben regt;

25
Und rüstig fördert er die Schritte,

Denkt an die ferne, treue Braut,
Als plötzlich in des Waldes Mitte
Er ein verfallnes Kirchlein schaut.

Und in den ernsten, grauen Trümmern,

30
Um die sein Netz der Epheu strickt,

Er in dem räthselhaften Schimmern
Ein seltsam Frauenbild erblickt:
Ein Wesen, wie aus Duft gewoben,
Schwedt durch das Thor im Gotteshaus,

35
Und in der Rechten, hoch erhoben,

Winkt es mit einem Blumenstrauß.

Und zaudernd bleibt er lauschend stehen,
Und starrt mit Grau’n ins offne Thor;
Da sieht er’s wieder glänzend wehen,

40
Und Töne klingen in sein Ohr.

Wie träumend blickt er auf die Schwelle,
Wo, angethan mit weißem Kleid,
Ihm lockend ruft nach der Kapelle
Und mit dem Strauße winkt die Maid.

45
„Willkommen Knabe! holder Knahe!“ –

Singt sie mit silberhellem Ton; –

[383]

„Erlöse mich aus meinem Grabe,
Und dich erwartet reicher Lohn!
Die Blumen, wie vom Thau sie glänzen,

50
Den noch der Sonnenstrahl nicht traf,

Sie sollen deine Stirne kränzen,
Befreist du mich vom Zauberschlaf!“ –

„Mich lüstet’s nicht nach deinem Kranze,
Nicht trüb’ er meines Herzens Ruh!

55
Mir winkt mit einem höhren Glanze

Ein Kranz der reinsten Minne zu;
Behalte deiner Blumen Fülle,
Mir lacht ein dauernderes Glück;
Zieh’ nur, entsagend, in die Hülle

60
Des Grabes wieder dich zurück!“


„Ach, schöner Knabe!“ – sang sie wieder –
„O wüßtest du, was du verschmähst!
Was trägt dir denn der Schatz der Lieder,
Den rings du in die Lüfte sä’st?

65
Arm ziehst du doch dahin auf Erden!

Doch nimmst die Blumen du von mir,
Wird jede zum Juwel dir werden,
Und Glanz und Ruhm sich häufen dir!“

„O laß mich!“ rief er – „Solche Gaben

70
Sind’s nicht, wonach mein Herz begehrt!

Am Frühlingsgold will ich mich laben,
Vom Gold der Tiefen unbeschwert;
Der Thau in Augen und in Blüthen
Ist mit der köstlichste Demant,

75
Was willst du mir noch Schätze bieten,

Der längst sich überreich genannt?“ –

„Trotzvoller Knabe, laß dir rathen!
Ein andres Kleinod dir noch blüht,
Um das in Liedern und in Thaten

80
Manch’ edler Ritter sich bemüht.

Laß führen dich zu einer Blume,
Die manches Lebens Sonne war,

[384]

Komm, folge mir den Weg zum Ruhme,
Sonst quält dich Reue immerdar!“ –

85
„Laß ab, Verführerin! wo Treue

Im Herzen unverwelklich blüht,
Da nistet nie sich mehr die Reue,
Die leere Herzen nur durchglüht.
Fahr wohl! nicht deine bunten Steine

90
Begehr’ ich, noch dein Gold so licht!

Frei laß mich ziehn durch meine Haine!
Reich ist, wem Treue Kränze flicht.“ –

Sie sieht ihn rasch von hinnen scheiden,
Und seufzt, verweh’nd in leisen Duft:

95
„Auf’s Neue muß ich wieder leiden

Auf sieben Jahr‘ in kühler Gruft!“ –
Er aber steigt hinab zu Thale,
Die Seele jauchzt, die Saite tönt,
Und laut erschallt im Morgenstrahle

100
Der Sang, der alle Schätze höhnt:


„Ein flüchtig Liedchen auf den Lippen,
Das Herz belebt von treuem Sinn,
So fahr ich unter Sturm und Klippen
Keck durch des Lebens Brandung hin!“

Wilh. v. Chézy.