Textdaten
Autor: Robert Kraft
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Titel: Die verzauberte Insel
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Erscheinungsdatum: (1901)
Verlag: H. G. Münchmeyer
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Erscheinungsort: Dresden
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Eine Robinsonade mit „Heinzelmännchen“.
Heft 5 der Heftromanserie Aus dem Reiche der Phantasie
Text auch als E-Book (EPUB, MobiPocket) erhältlich
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Aus dem Reiche der Phantasie.

Herausgegeben von Robert Kraft.

Preis 10 Pfg. = 14 Heller = 15 Ctm.

Heft 5.


Die verzauberte Insel.
[WS 1]           

5.

Verlag und Druck von H. G. Münchmeyer, Dresden.

Auszug aus der erklärenden Einleitung

zum ersten Bändchen.




Richard ist bis zum zwölften Jahre ein kräftiger, lebensfroher Knabe gewesen, als er durch ein Unglück gelähmt wird.

Am Abend seines vierzehnten Geburtstages sitzt der sieche Knabe allein in der Stube, traurig und freudlos, kein Ziel mehr im Leben kennend. Da erscheint ihm eine Fee. Sie nennt sich die Phantasie, will ihm ihr Geburtstagsgeschenk bringen und sagt ungefähr Folgendes:

In Richards Schlafzimmer befindet sich eine Kammerthür. Jede Nacht wird er erwachen (das heißt nur scheinbar), er soll aufstehen, jene Thür öffnen, und er wird sich stets dort befinden, wohin versetzt zu sein er sich gewünscht hat. Er kann sich also wünschen, was er will, er kann allein sein oder mit Freunden, er kann auch den Gang seiner Abenteuer ungefähr im voraus bestimmen; hat er aber einmal die Schwelle der Thür überschritten, dann ist an dem Laufe der Erlebnisse nichts mehr zu ändern. Alles soll folgerichtig geschehen, der Traum nichts an Wirklichkeit einbüßen. –

Die Erscheinung verschwindet, Richard erwacht aus dem Halbschlummer. Aber die gütige Fee hält Wort, und so findet der arme Knabe im Traume einen Ersatz für sein unglückliches Leben.

Jede Erzählung schildert nun eins seiner wunderbaren Erlebnisse, wie sie ihm die Phantasie eingiebt.




V.[WS 2]

Die verzauberte Insel.[1]




Schiffbruch.

Alle Rechte vorbehalten.

Mit dem festen Vorsatze, gleich einzuschlafen und im Traume recht schnell zu dem scheinbaren Bewußtsein zu kommen, in dem er sich wachend wähnte, war Richard zu Bett gegangen. Aber gerade deshalb blieb ihm der Schlaf fern; sein Kopf war zu sehr mit Plänen beschäftigt.

„Ich wünsche mir eine Insel,“ dachte er, „die genau der von Robinson Crusoe entspricht. Sie muß also in der südlichen Zone liegen und von Menschen unbewohnt sein; Kokosnüsse, Bananen und Kartoffeln müssen jedoch auf ihr gedeihen, und auch jagdbare Tiere, mit Ausnahme jedoch der Raubtiere und giftiger Schlangen. Kurz, es sollen genau dieselben Verhältnisse auf ihr herrschen, wie auf jener Insel, auf die Robinson sich rettete. Andere Vorschriften brauche ich der Phantasie nicht zu machen. Oeffne ich die Kammerthür, will ich am Strande dieser Insel stehen, eben aus dem Wasser kommen und meine Freunde Oskar und Paul vorfinden, mit denen zusammen ich eine Seereise gemacht und Schiffbruch erlitten habe. Im Traume ist ja alles frei, wir brauchen also nicht erst nach Gründen der Möglichkeit zu suchen. Wir haben nichts bei uns, als die Kleider, die wir auf dem Leibe tragen, nicht einmal ein Taschenmesser; wir müssen, wie Robinson, von vorn anfangen und aus nichts etwas schaffen....“

Dies that denn auch Richard sogleich in seiner Einbildung, konnte aber darüber zu seiner Verzweiflung nicht einschlafen.

Oder befand er sich, ohne daß er es wußte, bereits in jenem Traumzustande? Er mochte es nicht glauben. Er lag ja wachend im Bette seines Schlafzimmers, er war ja noch nicht eingeschlafen – und doch! War es gestern nacht nicht ebenso seltsam zugegangen? –

Er stand auf. Wahrhaftig, er konnte frei gehen, er schritt auf die zu dem Verschlage führende Thür zu, er öffnete sie – und ehe er noch einen Gedanken zu fassen, oder etwas zu sehen vermochte, lag er plötzlich im Wasser, das über seinem Kopfe zusammenschlug. Als er dann wieder, von einem tödlichen Schrecken gepackt, auftauchte, schwamm er mit hastigen Stößen der Richtung zu, in der er mehr instinktiv das Land ahnte, als sah.

Eine mächtige Woge schleuderte ihn vorwärts, und er fühlte Boden unter den Füßen. Ehe er aber stehen konnte, wurde er wieder zurückgerissen.

„Oskar! Oskar!“ schrie er da in Todesangst dem am Strande rennenden Menschen zu, in dem er seinen Freund erkannt hatte, dieser erfaßte ihn, als er nochmals den Strand hinaufgeschleudert wurde, und entriß ihn vollends den sich nachwälzenden Wellen.

Sie klommen nun die Böschung hinauf, bis der weiße Seesand dem grünen Ufer wich. Hier aber sank Richard atemlos und Salzwasser erbrechend unter einem Baume nieder. Er fühlte sich unsäglich elend. Nun hätte ihm einmal jemand einreden sollen, daß dies alles nur ein Traum sei! Er konnte sich ja sogar noch ganz genau der vorangegangenen Katastrophe erinnern, wenn auch die Einzelheiten des Schiffsunterganges folgerichtig nur sehr dunkel in seiner Erinnerung waren.

Da erscholl plötzlich ein jubelnder Ruf, und durch die Büsche drängte sich Paul, der dritte Reisegefährte und Freund, der, ebenso wie die beiden anderen, nur mit Hemd und Hose bekleidet war und nicht einmal Strümpfe anhatte, denn der Schreckensruf, daß der ‚Condor‘ sänke, hatte sie ja in der Morgendämmerung aus dem Schlafe gerissen.

Als sie sich von ihrer ersten Bestürzung erholt hatten, gingen sie zusammen am Ufer entlang. An dem weißen Strande brandete ein wildes Meer, aber es trieb keinen Menschen mehr an, weder einen toten, noch einen lebenden, auch kein Faß, kein Wrackstück, und so weit das Auge reichte, war kein Segel und keine andere Küste zu sehen.

Die drei Knaben mußten sich für die einzigen aus der Katastrophe Geretteten halten.

Unterdessen hatten sie auch Gelegenheit gehabt, die sie umgebende Vegetation und die Tierwelt zu betrachten.

„Wir haben uns auf unserer Fahrt noch weit ab von der Westküste Australiens befunden,“ meinte Oskar, der von den drei jugendlichen Schiffbrüchigen die besten geographischen Kenntnisse besaß. „Diese Pflanzen und Tiere gehören aber nicht dem australischen Kontinent an. Der Brotfruchtbaum kommt an der Westküste desselben kaum noch vor und ist höchstens auf den davorgelagerten Inseln vertreten. Wir müssen aus dem Vorhandensein von Affen und Paradiesvögeln schließen, daß wir uns auf einer der zahllosen Inseln im indischen Ocean befinden, die noch der indischen Region angehören.“

Als sich ihnen zwischen den Bäumen einmal eine freie Aussicht bot, erblickten sie in der Ferne einen hohen Berg. Dieser sollte ihr erstes Ziel sein. Sie brachen sich also Stöcke ab, um wenigstens eine Waffe zu haben, und schritten dann im Gänsemarsch demselben zu. Sie verloren den Berg zwar wieder aus den Augen, mußten ihn aber doch von ganz allein wiederfinden, denn sie merkten, daß der Boden vom Strande aus fortwährend stieg. Schon daraus konnten sie von vornherein schließen, daß sie sich auf einer Insel befanden. Die Insel war eben ein aus dem Meere hervorragender Berg, die hohe Erhebung eines unterseeischen Gebirges, das wahrscheinlich einst vulkanisch thätig gewesen war.

Um ihren Lebensunterhalt brauchten die drei Freunde sich nicht zu sorgen. Tropische Früchte aller Art gediehen ja in Hülle und Fülle am Boden, an Sträuchern und auf Bäumen; außerdem bildeten Kokosnußpalmen am Strande ganze Wälder, und der riesige Brotbaum nahm gegen das Innere immer mehr zu, während dazwischen Bananen, Feigen und Orangen wuchsen. Hoch oben aber in den Zweigen, wo Schlingpflanzen noch prächtige Blüten trieben, war das Reich von zahllosen Affenherden, die schnatternd die fremden Eindringlinge zu beurteilen schienen, vielleicht die ersten Menschen, die sie sahen. Jetzt sprang eine kleine Antilope vor ihnen auf, floh einige Sprünge davon, blieb dann wieder stehen und blickte verwundert nach ihnen zurück, und auch buntschillernde Vögel aller Größen ließen die Freunde dicht an sich herankommen. Aus dem sorglosen Verhalten all dieser zahmen Geschöpfe mußten sie also auf das Fehlen von Schlangen und Raubtieren schließen – freilich auch auf das Nichtvorhandensein von Menschen, aber das war vielleicht nur ihr Glück.

Als das Terrain steiler wurde und der eigentliche Berg begann, machten sie endlich, kurz bevor der Wald aufhörte, an einem kleinen Wasserfalle Halt und gingen daran, an der ersten Brotfrucht ihren sich meldenden Hunger zu stillen.

Es gab zweierlei Arten von diesen Bäumen. An Größe und Blätterform stimmten[WS 3] sie zwar ziemlich überein, unterschieden sich aber doch durch gewisse Einzelheiten, besonders durch die verschiedene Größe der Früchte, die bei beiden Arten an den sich biegenden Zweigen bis fast hinab auf den Boden hingen. Die Frucht des einen Baumes war so groß wie ein Kinderkopf, sechskantig, und enthielt unter der grünen, weichen Schale ein mehliges Fleisch, dem jedoch die drei Robinsons durchaus keinen Geschmack abgewinnen konnten. Dagegen war die riesige, zwanzig bis dreißig Pfund schwere Frucht des anderen Baumes mit hunderten von kleinen Kernen gefüllt, die ausgezeichnet schmeckten. Und doch war gerade die Frucht des ersteren Baumes, des sogenannten gemeinen Artocarpus, ein nicht zu verachtendes, bedeutend wertvolleres Geschenk einer gütigen Natur, die das Brot gleich fertig wachsen läßt. Nur mußte das Mehl, ehe es ein köstliches Brot lieferte, erst gebacken werden, dann war es, in seinem Geschmack an den von süßen Kastanien erinnernd, noch nahrhafter als das Getreidebrot und hielt sich außerdem zwei ganze Jahre im heißesten Klima. Die Frucht des indischen Artocarpus dagegen dient den Eingeborenen nur als gelegentliche Leckerei und zur Bereitung eines berauschenden Getränkes.

Nach dieser Erfrischung setzten die Freunde ihren Weg fort, und als sie endlich mühsam unter der brennenden Aequatorsonne den letzten Gipfel erklommen hatten, sahen sie sich ringsum von Wasser eingeschlossen. Sie befanden sich auf einer Insel, und diese konnte kaum einen Flächeninhalt von einer Quadratmeile haben. Ein anderes Eiland war nirgends zu erblicken.




Die rätselhafte Höhle.

Richard hatte sich natürlich als Gesellschafter solche Freunde ausgesucht, von denen er wußte, daß sie Lust an einem Robinsonleben fänden.

Nun hatten sie ja, was sie oft in ihren Jugendphantasien gewünscht, und die Wirklichkeit raubte ihnen nichts von ihrer Abenteuerlust; ja, dieselbe war so groß, daß sie es ganz vergaßen, beim Verlassen des Berggipfels ein sichtbares Signal zu errichten.

Zunächst mußten sie an eine Unterkunft für die Nacht denken, die sich womöglich gleich dort befand, wohin sie ihr engeres Arbeitsfeld verlegen wollten. So viel sie von hier oben übersehen konnten, schien auf der anderen Seite der Insel ein besseres Gebiet zu sein, als der schier undurchdringliche Urwald, der sie hier umgab. Baumgegenden wechselten dort mit freien Stellen ab, ein Bach schlängelte sich dem Meere zu, ein niedriger Höhenzug erstreckte sich bis an die Küste. Nach dorthin stiegen sie also wieder hinab. Vielleicht daß sie dort auch eine Höhle fanden, ohne welche ja ein Robinson nun einmal nicht denkbar war.

Aber es gelang ihnen nicht, die gewünschte Höhle zu entdecken. Die Gebirgsstruktur sah auch gar nicht danach aus, als ob sie die Bildung einer solchen in der Entstehungsperiode zugelassen habe.

So beschlossen sie denn zuletzt, die überhängenden Zweige eines Brotbaumes in der Nähe des Baches und der Küste vorläufig als Dach ihrer Wohnung zu betrachten. Der Rest des Tages verging mit Herstellung von Lagerbetten, wozu trockenes Laub gesammelt werden mußte, und mit Besprechung der nächsten Arbeiten. Die Sonne sank. Ohne Dämmerung brach die Nacht herein, und schon gegen sieben Uhr lagen die drei Freunde nebeneinander in festem Schlafe.

Mit dem nächsten Morgen begann erst das eigentliche Robinsonleben. Die Tage verstrichen, und jeder brachte eine Verbesserung ihrer Lage mit sich, denn sie teilten sich in die Arbeit, und jeder verwertete seine Anlagen.

Der kräftige Paul war der Mann der Praxis. Er mußte aus eigenem Antrieb immer schaffen und arbeiten. So machte er die Laubhütte wohnlicher, so ging aus seiner Hand der erste Strick aus Schlingpflanzen, das erste Steinmesser, Pfeil und Bogen hervor, und jetzt beschäftigte er sich sogar damit, aus dem Felle der ersten erlegten Antilope ein Paar Schuhe herzustellen. Der erfindungsreiche Richard wiederum ersann Verbesserungen an den Gegenständen, die Paul fertigte. Er benutzte zum Beispiel den ersten Bogen nicht zur Jagd, sondern zur Handhabung eines Feuerbohrers, bis er imstande war, jeder Zeit Feuer anzumachen, an dem er dann Versuche mit Thonbrennen vornahm. Der die Natur beobachtende Oskar endlich hatte bereits am zweiten Tage herausgefunden, daß die kleine Frucht des Artocarpus, in Scheiben zerschnitten und zwischen heißen Steinen gebacken, ein vortreffliches Brot lieferte, er entdeckte auch Kartoffeln, ferner wilden Reis und hatte große Pläne mit Reisfeldern vor, die von dem Bach aus unter Wasser gesetzt und nach Belieben wieder trocken gelegt werden sollten.

Robinson hatte[WS 4] niemals eine Robinsonade gelesen. Da waren unsere drei Freunde besser daran, wie er. Auf seine Erfahrungen fußend, ging ihnen alles viel schneller von der Hand, und außerdem wurden sie auch niemals von Heimweh und anderen traurigen Gedanken gequält.

Aber eines fehlte ihnen. Das war eine ordentliche Wohnung. Das natürliche Laubzelt schützte sie zwar vor Tau und Regen, aber seine Bewohner[WS 5] wurden doch zu oft daran erinnert, daß es auch noch andere Geschöpfe als ihr Haus betrachteten. Tag und Nacht schnatterten und quiekten in den Zweigen die Affen, und einmal wäre Richard bald von einer herabfallenden Frucht erschlagen worden, vollends zu schweigen davon, daß beim letzten Regenguß der ausgetrocknete Bach die ganze Häuslichkeit unter Wasser gesetzt hatte.

Da kam eines Tages der botanisierende Oskar ganz aufgeregt angestürmt.

„Ich habe eine prächtige Höhle entdeckt,“ rief er schon von weitem, „Robinson hat sie nicht besser haben können – aber – ja, ich kann es nicht sagen – es ist etwas ganz Seltsames dabei – kommt nur mit, Ihr werdet es selbst sehen.“

Neugierig folgten die beiden anderen sofort Oskar, der sich gut orientiert und seine Höhle bald wiedergefunden hatte.

Sie lag auf einer Art von Terrasse, zu der Felsenabsätze wie Stufen hinaufführten, und ging tief in die Felswand hinein. Bäume und Büsche fehlten hier auf dem steinigen Grunde ganz, nur einiges Gras gedieh in den Spalten; dagegen stand vor der Höhle, etwa einen Meter vor dem Eingang entfernt, ein kleines Bäumchen, das heißt, nur ein Zwerg von einem Bäumchen. Es war vielleicht zwanzig Centimeter hoch, aber doch mit großen pflaumenähnlichen Früchten behangen und konnte nur der Zweig eines Pflaumenbaumes sein, der zugestutzt und in den Boden gesteckt worden war.

„Hast Du den Zweig so in den Boden gesteckt, Oskar?“ fragte Paul.

Dieser schüttelte den Kopf und sah sich ängstlich um.

„Nein, ich nicht, ich habe auf der Insel noch gar keinen Pflaumenbaum bemerkt,“ flüsterte er, „und beseht Euch nur das Gewächs, das ist nicht etwa ein Zweig, das ist ein richtiger Baum mit Wurzel, Stamm und Krone, bloß, daß er nur eine Spanne groß ist und dennoch richtige Pflaumen in natürlicher Größe trägt. Und dann schaue einmal hierher. Ist um das Stämmchen herum nicht die Erde etwas angehäuft? Wer hat das gethan? Ich nicht, aber ein Mensch muß es doch gethan haben. Und nun beseht Euch auch die Höhle. Merkt Ihr nichts?“

Die Freunde blickten aufmerksam in die geräumige Höhle, aber anfangs fiel ihnen nichts darin auf. Sie war einfach ein nacktes Loch, dessen Boden mit feinem weißen Sand bedeckt war, dann kam es ihnen plötzlich vor, als sei trotzdem etwas Außergewöhnliches darin – für eine natürliche Höhle war hier alles doch zu sauber!

„Das sieht ja fast aus, als würde die Höhle rein gehalten und mit weißem Sand bestreut,“ meinte Richard. „Ja, ist der Sand nicht sogar geharkt?“

„Allerdings,“ nickte Oskar, „so kam es mir auch gleich von vornherein vor, obgleich man hier nicht gerade die Spur einer Harke erkennen kann. Normal sieht es in der Höhle jedenfalls nicht aus. Und das Bäumchen – das Bäumchen dort! Das hat sicher ein Mensch gepflanzt, ja, hier haust ein Mensch!“

Paul faßte das Gewächs kurzer Hand an und hob es mit einem Ruck aus dem Boden. Wirklich, das Stämmchen hatte Wurzeln, es war ein vollkommener Pflaumenbaum en miniature, aber mit richtigen Früchten!

„Ich habe es,“ rief Richard plötzlich, „es ist eine künstliche Verkrüppelung, wie sie die chinesischen Kunstgärtner herzustellen verstehen. Die sind imstande, solche winzige Obstbäumchen mit richtigen Früchten zu ziehen. Sie pflanzen zu diesem Zwecke irgend einen Obstkern in einen Topf, ziehen ein Bäumchen daraus, lassen dann die Früchte reifen, nehmen von diesen wieder den gesündesten Kern, pflanzen ihn in einen noch kleineren Topf, und so geht das fort und fort, bis sie aus einem Fingerhut ein zwerghaftes Bäumchen wachsen lassen können, das aber dennoch ziemlich große und gesunde Früchte trägt. Mit diesen Bäumchen bepflanzen sie kleine Gärten, mit Bächen, Seen und Bergen darin, und so ein ganzer, meist aus Pappe mit Erde bedeckt bestehender Garten mit seinen natürlichen Bäumchen kann auf einem Tische stehen! Aber das geht nicht so schnell. An solch einer Anlage von Bäumchen arbeiten viele Geschlechter, und es dauert hundert Jahre und länger, bis sie fertig wird. Außerdem kostet solch ein Garten natürlich auch viele Tausender, und nur ganz reiche Chinesen können sich solch eine Spielerei anschaffen.“ (Thatsache)

Damit aber hatte der belesene Richard das Geheimnis noch nicht gelöst, wie solch ein Pflaumenbäumchen gerade hierher kam. Oder hauste hier etwa ein Chinese, der auf einsamer Insel seine Kunst ausübte? Von der Anwesenheit eines solchen war nichts zu merken, überhaupt nichts von der Spur einer Menschenhand. Daß der weiße Sand in der Höhle geharkt sein sollte, war ja auch nur eine Annahme, es sah nur so aus. Auch eindringendes Regenwasser[WS 6] konnte die Furchen und Erhöhungen hervorgebracht haben. Was schließlich das Bäumchen selbst anbetraf, so konnte es eben ein dieser Insel eigentümliches Gewächs sein, und die Anhäufung um die Wurzel war auch nur eine Zufälligkeit.

Endlich schlugen die Freunde sich alle Grübeleien über dieses Rätsel aus dem Kopfe, pflanzten das Bäumchen an der alten Stelle wieder ein, da sie es als eine Seltenheit weiter pflegen wollten, und gingen an eine nähere Untersuchung der Höhle.

Ja, das war eine richtige Robinsonhöhle! Sie war über zwei Meter hoch, drei Meter breit, ging etwa fünf Meter tief in die Felswand hinein, dann senkte sich das Gewölbe und ließ über der Erde nur noch eine niedrige Spalte frei, die man natürlich nicht weiter verfolgen konnte. Der ganze Boden bis tief in die Spalte hinein war mit einem feinem, weißen Sand bedeckt. Der Ausfluß einer periodischen Quelle, die den Sand herausgespült hatte, konnte die Spalte jedoch schwerlich sein, denn der Boden der Höhle senkte sich stark nach hinten zu.

Um die Lage noch angenehmer zu machen, stürzte seitwärts von der Höhe ein kleiner Wasserfall herab. Wenn man an einen Besuch von unfriedlichen Eingeborenen dachte, konnte man die Höhle leicht in eine uneinnehmbare Festung verwandeln.




Unheimliche Nachbarschaft.

Sofort siedelten die Robinsons mit ihrem ganzen Hausgerät nach der neuen Wohnung über und richteten sich in der Höhle häuslich ein. Am Abend streckten sie sich mit dem Bewußtsein, nun ein sicheres Dach über dem Kopfe zu haben, und daß bald am Eingange auch eine Thür nicht fehlen sollte, auf das weiche Heulager nieder.

Der grauende Morgen weckte sie.

„Habt Ihr in der Nacht nichts gemerkt?“ waren Pauls erste Worte.

Die beiden anderen verneinten.

„Wir haben Mäuse oder Ratten in der Höhle,“ fuhr Paul fort. „Mir lief ein paarmal etwas über den Leib, ich hörte auch ein Pfeifen, gerade wie es die Ratten thun. Aber ich fürchte mich nicht vor Ratten und hielt es deshalb nicht für nötig zu wecken.“

Richard wie Oskar wollten nicht recht daran glauben. Wenn die niedrige Spalte im Hintergrunde der Höhle für Mäuse und Ratten auch ein recht gutes Versteck abgab, so wußte man doch nicht, warum diese Nagetiere sich gerade hier oben auf der steinigen Terrasse aufhalten sollten, wo nichts zu holen war. Unten wäre für sie doch ein besseres Gebiet gewesen.

„Und ich habe doch recht,“ sagte Paul, als er die Frühstückskammer untersuchte, „gestern abend habe ich hier auf den Stein drei gebackene Brotschnitte gelegt – seht her, jetzt liegen nur zwei da. Die eine haben die Ratten geholt.“

„Die Ratte war ich,“ erklärte aber Richard lachend, „ich habe sie mir noch gestern abend, als Ihr schon im Bette lagt, geholt und gegessen.“

Ein Ruf Oskars, der schon hinausgegangen war, rief die beiden Freunde an seine Seite. Er deutete mit sichtlicher Bestürzung auf das kleine Bäumchen.

„Dieses Bäumchen ist heute nacht noch einmal gepflanzt worden,“ sagte er mit Bestimmtheit. „Ich habe es gestern nachmittag, als es Paul herausgerissen hatte, wieder in die Erde eingesetzt und Wasser daraufgegossen, dadurch entstand rund um den Stamm eine kleine Vertiefung. So habe ich es gelassen, so war es auch noch gestern abend, ich weiß es genau – jetzt dagegen ist der Boden ringsherum aufgelockert und an dem Stämmchen aufgehäuft worden, ganz genau so, wie wir das Bäumchen zuerst gefunden haben. Wer hat das gemacht?“

„Ich nicht – ich nicht,“ sagten Paul und Richard.

„Ich auch nicht, und wer hat es sonst gethan? Seht nur, wie fein die Erde zerkleinert worden ist! Das kleinste Steinchen ist daraus noch entfernt worden, und überhaupt, es sieht alles so zierlich aus!“

„Das haben die Ratten gethan,“ meinte Paul nachdenkend.

Er wurde ausgelacht. Dieses Lachen gab freilich noch keine Erklärung. Schließlich fand Oskar selbst eine Lösung. Er erinnerte seine Freunde an jene Pflanzen, die sich den Boden, in dem sie wurzeln, selbst bereiten, ihn sich gewissermaßen zuträglicher machen. Eigentlich thut dies jede Pflanze, wenn sie nicht in dem Boden steht, der ihren Bedürfnissen genau zusagt, man merkt nur nicht die geringe Thätigkeit ihrer Wurzeln. In Südamerika wächst zum Beispiel ein Kaktus, der einen trockenen, zerrissenen Boden braucht. Pflanzt man ihn nun in einen festgedrückten Boden, so bohren seine Wurzeln schnell überall nach oben Luftlöcher, bis sein Standort ganz so zerklüftet ist, wie er ihn braucht. Dies konnte auch bei dem Pflänzchen der Fall sein, es brauchte einen lockeren, aufgehäuften Boden, und eine Nacht hatte genügt, daß die Wurzeln dies zu stande brachten.

Mit dieser Erklärung mußte man sich zufrieden geben, und die Robinsons arbeiteten rüstig weiter. Im Laufe der nächsten Tage entstanden gebrannte und glasierte Thontöpfe, drei Paar Lederschuhe wurden fertig, und endlich ging man an die Anfertigung eines ganzen Anzuges aus gegerbtem Antilopenfell.

Unterdessen behauptete Paul fort und fort, daß er jede Nacht von Ratten belästigt würde, die aus der Spalte kämen.

„So fange doch einmal eine,“ meinte Oskar.

„Ich habe danach gegriffen, aber bekommen kann ich keine. Ich fühle nur immer, wie sie mir über den Körper laufen, und höre sie zischen und rascheln.“

Aber es wurde keine Spur von Tieren gefunden, auch auf dem weißen Sande drückte sich keine Spur von ihnen ab. Ebenso blieben die Lockspeisen unberührt, als man aus Steinen Fallen mit gebratenem Fleisch aufgestellt hatte, und nichts wurde von den Vorräten genascht.

Dieses ‚Rattenfühlen‘ mußte bei Paul geradezu krankhaft sein, obgleich er doch sonst ganz gesund war.

Da geschah etwas, was auch die beiden anderen wieder sehr nachdenklich machte.

Das Bäumchen hatte nämlich ein Dutzend Früchte gehabt, und als man die reifen gegessen und Oskar die Kerne gesammelt und wieder eingesteckt hatte, waren noch fünf Früchte daran gewesen – eines Morgens aber waren diese alle von dem Baume verschwunden, und zwar sah es nicht aus, als wenn sie ein Tier abgerissen, sondern als wenn eine menschliche Hand sie mit Vorsicht abgepflückt hätte.

Keiner der drei wollte es gethan haben. –

Eines Abends saßen sie in der Höhle und arbeiteten im Scheine der Lampe an ihren zukünftigen Lederkleidern. Die Lampe bestand aus einem irdenen Gefäße, als Brennmaterial diente ausgelassenes Fett, und aus feinen Pflanzenfasern hatten sie sich einen Docht gemacht. Das Leder war schon zugeschnitten, Richard bohrte in regelmäßigen Abständen Löcher hinein, Oskar drehte aus feinen Pflanzenfasern eine Art von Bindfaden, und Paul endlich nähte, indem er als Nadel eine lange Fischgräte benutzte, die am starken Ende durchbohrt war.

Es war ein unendlich mühseliges Geschäft, besonders weil die Nadel fortwährend abbrach und stets durch eine neu gefertigte ersetzt werden mußte, sodaß sie vermutlich wohl noch eine ganze Woche in den Lumpen herumlaufen konnten, die ihnen bereits vom Körper zu fallen drohten.

Endlich, als es Zeit zum Schlafen war, packten sie ihr Nähzeug zusammen, legten es auf die zusammengerollten Lederstücke und suchten ihre Lagerstätten auf.

„Heute nacht habe ich die Tiere auch gemerkt,“ war Richards erstes Wort am nächsten Morgen, „es huschte mir etwas über den Körper, dann war es gerade, als ob etwas Schweres durch die Höhle gezogen würde.“

Und heute bestätigte auch Oskar diese Aussage. Schnell, ehe sie den Boden zertraten, besichtigten sie jetzt denselben. Aber in dem weißen Sande war kein Abdruck irgend eines Tierfußes zu bemerken. Nur daß der Sand so glatt und von kleinen Rillen durchfurcht war, daß war auch heute merkwürdig. Es sah fast gerade so aus, als ob der Boden der Höhle jede Nacht geharkt würde, allerdings nur mit einer ganz kleinen Harke, deren Zinken dicht beieinander standen.

„Wo sind denn die Lederstücke hin?“ rief da Richard plötzlich.

Die angefangenen Kleider, die gedrehten Bindfäden, die Fischgräten, überhaupt alles, was zu der Näherei gehörte, war weg.

Bestürzt sahen sich die Freunde an und untersuchten nachmals die Höhle; allein nichts fehlte, als nur gerade das, was zu den Anzügen und zur Herstellung derselben gehörte.

War einer von ihnen mondsüchtig? That er etwas in schlafwachem Zustande, wovon er dann später nichts mehr wußte?

Aber dann dachten sie wieder an das Rascheln der Ratten oder sonstigen Tiere. Diese hatten wahrscheinlich das Leder fortgeholt. Ganz seltsam nur, daß sie auch gleich das Nähzeug weggeschleppt hatten und sonst nichts weiter!

Richard legte sich jetzt auf den Bauch und tastete mit der Hand, so weit wie sein Arm reichte, in die Spalte, auch mit einer langen Stange stocherten sie darin herum, die allerdings das Ende der Spalte noch nicht einmal erreichte, konnten aber nichts zu Tage fördern.

Das war ein betrübender Verlust. Wenn sie von da an rechneten, als sie mit dem Gerben der Felle begonnen hatten, so hatten sie zwei Wochen lang ganz umsonst gearbeitet, und das Einreiben der Felle mit Fett, bis es einigermaßen geschmeidig wurde, war eine gar mühselige und nun vergebliche Beschäftigung gewesen!

Nun aber war auch kein Zweifel mehr, daß die Höhle Tiere irgend welcher Art beherbergte, die ihr nächtliches Wesen trieben. Offenbar hatten es diese nicht auf die Nahrungsmittel und noch weniger auf die menschlichen Mitbewohner selbst abgesehen, sondern die gegerbten Felle allein schienen ihnen eine Leckerei zu sein, wenngleich immerhin merkwürdig war, daß sie bisher die schon fertigen Schuhe verschont hatten.

Kurzum, wollten die Freunde ähnliche Verluste vermeiden, so mußte zwischen ihnen und der Spalte eine Scheidewand errichtet werden, und frisch machten sich die drei Knaben nun ans Werk, die Spalte zuzumauern. Zu diesem Zwecke formten sie Steine aus ihrer Lehmgrube, brannten dieselben, bereiteten eine Art von Mörtel, und als der Abend hereinbrach, war die Spalte mit Steinen verschlossen und auch die kleinste Fuge mit Mörtel verschmiert.




Das Leitseil.

Um diese Arbeit an einem einzigen Tage fertig zu bringen, hatten sie sich tüchtig daran halten müssen und keine Ruhepause machen dürfen. Ermüdet sanken sie daher am Abend auf ihre Betten und sofort dem Schlafe in die Arme.

Als Paul bei Morgengrauen erwachte, hörte er seine beiden Kameraden schon über die heute vorzunehmende Arbeit sprechen. Gähnend reckte er sich auf dem Heulager.

„Das war endlich einmal eine durch nichts gestörte Nacht,“ sagte er zufrieden, „nun haben wir hoffentlich für immer Ruhe vor den Ratten.“

Sie standen gemächlich auf, um erst Toilette zu machen, doch da stießen sie plötzlich Rufe des Zornes und auch des Staunens aus.

Die vermauerte Felsspalte war wieder aufgebrochen, und zwar in einer Weise, daß man nicht daran glauben konnte, es sei das Werk von Ratten gewesen. Aber auch ein Mensch wäre anders verfahren, hätte er die Mauer wieder einreißen wollen. Die Eigentümlichkeit der Arbeitsweise war es eben, die unsere Freunde bei näherer Untersuchung in solche Bestürzung oder vielmehr geheime Furcht versetzte, daß sie sich scheu umblickten.

Da, wo die Spalte am Ende der Höhle begann, war sie etwa zwei Hände hoch, und die jungen Maurer hatten die Steine kunstgerecht übereinander gesetzt, und wenn es sein mußte, sie vorher mit dem Steinhammer behauen, sodaß möglichst wenig Zwischenräume entstanden, die mit Mörtel verschmiert werden mußten.

Aber ebenso kunstgerecht waren die Steine auch wieder abgetragen worden, einer nach dem anderen, sowohl der größte mit den regelrechten Kanten als auch das kleinste Steinchen, das in eine Fuge gepaßt worden war. Und alle diese Steine waren flach nebeneinander auf den Boden gelegt worden, genau so, wie sie vorher vertikal gestanden hatten, und daneben war der trockene, abgekochte Mörtel als feines Pulver ausgestreut, daß es gerade wieder so aussah, als wäre darüber geharkt worden.

„Das geht nicht mit rechten Dingen zu,“ flüsterte Richard zuerst. „Wir sind auf einer einsamen Insel, das müssen wir bedenken. Wißt Ihr, wie das fast aussieht? Als hätten Kinderhände im Spiel die Mauer fein säuberlich wieder abgetragen.“

„Am Ende hausen hier gar Heinzelmännchen,“ meinte Paul zaghaft, ohne jedoch ausgelacht zu werden.

„Es kann auch eine Art von unbekannten Tieren sein, die zu solch einer Arbeit befähigte Pfoten haben,“ sagte Oskar nachdenkend. „Dann aber wieder das Pflaumenbäumchen! Wie hängt das mit diesen Höhlentieren zusammen? Da möchte man wirklich, wie Paul sagt, an Heinzelmännchen glauben. Aber was ist denn das?“

Oskar war dem Ausgange der Höhle zugeschritten. Bei den letzten Worten bückte er sich, und was er aufhob, war allerdings nichts weiter als ein Schuh Pauls, an den eine Schnur gebunden war. Aber für die Robinsons bedeutete dies trotzdem ein geheimnisvolles und selbst unheimliches Rätsel. Schon bei der Schnur standen sie vor einem unlösbaren Geheimnis. Denn, wenn diese Schnur auch einige Aehnlichkeit mit Bindfaden hatte, so erklärte Oskar doch, daß sie weder aus Hanf noch aus Flachs bestände. Von ihrer Hand also war die Schnur überhaupt nicht entstanden. Wer hatte sie hierher gebracht? Wer hatte den Schuh daran gebunden, und zwar mit einem ganz eigentümlichen, höchst kunstvollen Knoten? Und wozu alles dies?

Und noch eins! Die Schnur ging am Boden aus der Höhle hinaus und verschwand um die Ecke. Dort aber hatte sie auch noch kein Ende, sondern lief die Terrasse hinab, verlor sich dann zwischen den Büschen, und wie man sie auch verfolgte, man konnte ihr Ende nicht entdecken.

„Halt,“ sagte da mit einem Male Richard, als sie sich etwa hundert Schritte von der Terrasse entfernt hatten, „das ist kein Zufall. Diese Schnur ist von einem vernünftig denkenden Wesen gelegt worden, demselben, das dies Pflaumenbäumchen pflanzte und jetzt noch pflegt, das die Mauer wieder aufbrach und das – wie wir annehmen müssen – auch unsere Lederkleider entführte. Warum that es das? Jedenfalls hat es nur deshalb den Schuh an die Schnur gebunden, damit wir das Leitseil bemerken sollen. Wohin will es uns führen? Oder aber – will es uns nur aus der Höhle fortlocken? Das scheint mir eher so zu sein, denn ich kann mir nicht erklären, warum es die Lederkleider forttrug. Ich schlage vor, wir gehen erst wieder zurück nach der Höhle. Dann bleibt einer dort, und die beiden anderen rüsten sich ordentlich aus wie zu einer Expedition.“

Sie thaten so, und Paul erbot sich, in der Höhle einstweilen Wache zu halten. Nun frühstückten sie erst, und darauf nahmen Richard und Oskar ihre Waffen und verfolgten wiederum die Schnur.

Es zeigte sich bald, wie recht Richard gehabt hatte, denn die Schnur wollte kein Ende nehmen, und obwohl sie ihr schon eine halbe Stunde nachgegangen waren, führte sie noch immer zwischen den Hügeln über felsige Terrassen und durch Dickicht dahin, und wären sie ihr, über dem Geheimnis alles andere vergessend, gleich vorhin, so, wie sie aufgestanden waren, barfuß und ohne Frühstück gefolgt, so wäre es ihnen schlimm ergangen, denn das war in der That eine richtige Expedition durch die Wildnis, und oft genug mußten sie sich erst mit dem Steinbeil Bahn brechen.

Wer aber in aller Welt konnte diese endlose Schnur gelegt haben? Was war das für ein geheimnisvolles Wesen, das durch das dichteste Gestrüpp dringen konnte, ohne die geringste Spur zu hinterlassen? Sie kamen auf ein Terrain, das mit feinem Flugsand bedeckt war, und dennoch konnten sie keinen Abdruck in ihm entdecken. Und, vor allen Dingen, zu welchem Zwecke war das Leitseil gelegt worden und wohin führte es sie?

Die Gegend wurde immer wilder und felsiger, und jetzt bog die Schnur um eine Ecke und verschwand in einer etwa einen Meter breiten und zwei Meter hohen Spalte, die fast wie eine Thür aussah. Vorsichtig, die Waffen für alle Fälle bereit, drangen die beiden Freunde ein und – standen starr vor Staunen!

Die Spalte nämlich, die nicht etwa dunkel, sondern ziemlich hell war, als empfinge sie das Licht von hinten, hatte etwa vier Meter tief in den felsigen Hügel geführt und erweiterte sich hier plötzlich zu einer geräumigen Grotte, die durch oben angebrachte Löcher Licht erhielt, und von der wieder andere Gänge abzweigten, die in kleinen Kammern endeten.

Diese Grotte war richtig zum Wohnen eingerichtet. An den Wänden liefen unten Sitze und oben Simse hin. Alles schien einen natürlichen Ursprung zu haben, sie mußten vom Wasser ausgewaschen sein, und wer schon Grottenhöhlen besucht hatte, konnte an diesen Galeriebildungen mit den abzweigenden Gängen und Kammern nichts Außergewöhnliches finden.

Was aber das Ueberraschende war, das waren drei sorgfältig hergerichtete Betten aus Heu und Moos, gerade so, wie die drei Robinsons in ihrer bisherigen Höhle besaßen, und doch auch wieder anders – und dann – sie begriffen es im ersten Augenblicke nicht – lagen in der Mitte der großen Grotte, wo die Schnur endigte, die vermißten Stücke ihrer Lederkleidungen, aber schon fix und fertig zusammengenäht!

Richard und Oskar sahen sich sprachlos an.

„Nun bleibt mir der Verstand stehen,“ brachte Oskar endlich hervor. „Bin ich denn behext? Träume ich? Oder ist diese Insel verzaubert und treiben darauf Geister ihr Wesen, die uns ihre Dienste anbieten?“

„Sie bieten sie nicht nur an, sie sind uns schon behülflich,“ entgegnete Richard, „aber sie lassen sich nicht sehen und können nicht sprechen, oder sie wollen überhaupt nicht mit uns verkehren.“

Sie gingen nun an eine nähere Untersuchung der Wunder und entdeckten dabei noch mancherlei Ueberraschendes. Die Stücke aus Pflanzenfasern, mit denen sie genäht hatten, waren zum Beispiel wieder herausgezogen und von jener Schnur ersetzt worden, mit der die unsichtbare Hand auch die oben erst angefangene Arbeit vollendet hatte. Es waren auch noch längst nicht alle Löcher gebohrt gewesen, und man konnte die alten von den neuen sofort unterscheiden, denn letztere waren viel kleiner und von einem scharfen Instrument, nicht nur von einem spitzen Steine gebohrt worden. Aber vorgebohrt waren die Stahllöcher doch, also konnte das unsichtbare Wesen kaum eine Nähnadel besitzen. Vielleicht hatte es sich auch der Fischgräten bedient. Das dabei verwendete Garn bestand also zwar aus demselben Stoff wie die Schnur, war aber viel dünner und dabei ungemein fest. Und je länger man es betrachtete, desto mehr mußte man es bewundern. Vielleicht wäre diese Verwunderung bei einem wirklichen Sachverständigen, bei einem Garnfabrikanten sogar in Staunen übergegangen, denn es war eine überaus feine Arbeit, die aus lauter Seidenfäden, nein aus Spinnenfäden zusammengedreht zu sein schien. Auffallend war es auch, daß neben den Kleidern die alten, herausgezogenen Stricke und die verschwundenen Vorräte, sogar auch die abgebrochenen Fischnadeln, lagen. Sah das nicht gerade so aus, als wolle das geheimnisvolle Wesen jeden Verdacht eines Diebstahles zurückweisen? –

Bereitet man sich ein Lager aus Heu, so wirft man dieses eben an den Boden, lockert es auf, und säubert die Umgebung von Halmen. Ebnet man dann noch das Heubett, so kann man wohl nicht mehr tun.

Hier aber waren die Heuhalme wie einzeln übereinander geschichtet, alle in der gleichen Lage, alle mit einer peinlichen Genauigkeit.

Man brauchte nur zu bedenken, daß hier wohl einige Millionen Halme vorhanden waren, man brauchte nur zu sehen, wie sie alle gleichmäßig neben- und übereinander gelegt waren, um zu wissen, daß diese Arbeit keine menschlichen Hände hatten fertig bringen können. –

Die beiden Freunde gingen endlich wieder der Schnur nach die Stunde Weges zurück, und teilten Paul, dem inzwischen nichts begegnet war, das Geschehene mit. Dieser wußte nichts zu sagen und war nur der gleichen Ansicht mit seinen Kameraden, daß diese Höhle, die ihnen bisher zum Aufenthalt gedient hatte, von einem rätselhaften Etwas bewohnt wurde, dem daran gelegen war, keine Nachbarn zu haben. Deshalb hatte es ihnen durch die Leitschnur eine andere, weit bessere Höhle gezeigt, bereitete es ihnen dort Betten, hatte es sich auch zuvor ihrer angefangenen Arbeit bemächtigt, sie in dreißig Stunden beendet, während die Robinsons drei Wochen dazu gebraucht hätten, und dieselbe dort niedergelegt.

Alle diese Winke waren zu deutlich, um mißverstanden zu werden.

Von einer geheimen Scheu befangen, packten die Knaben nun ihr Hausgerät zusammen und siedelten nach der Grotte über, einem wahren Palaste im Vergleich zu dieser Höhle, nur daß sie den Nachteil besaß, kein Wasser in der Nähe zu haben. Dieses mußte erst von einem entfernt fließenden Bache herbeigeholt werden.

Gleich am ersten Tage fühlten sie diesen Uebelstand empfindlich, doch schon im Laufe der nächsten Tage sannen Richard und Oskar über eine Erfindung nach, wie sie das Wasser hier heraufleiten könnten. Schon schnitt Paul lange Bambusstiele und durchstach die Wände an den Knotenpunkten, und noch waren keine fünf Tage seit dem neuen Umzuge vergangen, als sie schon das Bachwasser durch eine sinnreiche Vorrichtung den ersten künstlich angelegten Absatz hinauf ‚gedämmt‘ hatten. Allerdings waren noch viele solche Stufen zu überwinden, noch viele Wochen, Monate konnten vergehen, ehe sie das Wasser in ihrer handlichen Nähe hatten, und die kleinste Störung würde diese Wasserleitung unterbrechen!




Die Rätsel mehren sich.

Paul war der erste, der offen murrte und das aussprach, was die anderen beiden dachten.

„Mag diese Grotte auch wohnlicher sein, als jene Höhle,“ sagte er, „so hatten wir dort doch die Hauptsache, Wasser, und hier verschwenden wir unsere Zeit, die wir zu etwas anderem gebrauchen könnten. Wir hätten doch nicht gleich ausziehen sollen, weil es dem Herrn Unsichtbaren beliebte, uns eine andere Wohnung anzuweisen! In drei Monaten, die wir zu der Wasserleitung brauchten, würden wir aus der Höhle auch etwas machen können.“

Keiner der drei hatte seit den fünf Tagen, seitdem sie das Wunder mit der Leitschnur und den Kleidern erlebt, wieder über den Vorfall gesprochen. Jeder wurde von einer geheimen Scheu abgehalten, seine Meinung über jenes Wesen zu äußern.

Nun war der Bann gebrochen. Zum ersten Male begaben sie sich wieder nach der Höhle.

Neue Ueberraschungen erwarteten sie hier.

Statt des einen Pflaumenbäumchens waren jetzt mehrere Reihen derselben vor der Höhle gepflanzt, und vor dieser selbst war kaum einen Fuß hoch über dem Boden eine Schnur gespannt worden, deren Enden allerdings nur über zwei Steine gelegt und wieder mit solchen beschwert waren, die aber deutlich genug sagte: ‚Hier ist der Zutritt verboten.‘

Erstaunt sahen sich die Freunde an.

„Nun sage mir einer in aller Welt, was sind das für Geschöpfe, die hier hausen!“ rief Oskar. „An Geister glaube ich nicht!“

Paul wollte über die Schnur steigen, Richard hielt ihn jedoch davon zurück.

„Wer es auch sein mag, wir wollen sein Verbot respektieren,“ sagte er, „denn es ist ja doch mehr eine Bitte, und das geheimnisvolle Wesen hat sich nur freundlich gegen uns gezeigt.“

„Ei, so soll es uns doch auch Wasser schaffen,“ rief Paul. „Hörst Du, unsichtbarer Geist?“ setzte er noch lauter hinzu. „Wasser sollst Du uns verschaffen, ein Quell soll neben unserer Grotte hervorspringen!“

Noch einmal sah sich Richard prüfend um.

„Wißt Ihr, wie es mir hier vorkommt?“ sagte er. „Als wäre diese Höhle ein Heiligtum, das gehegt und gepflegt würde, und nehmen wir an, es gäbe Gnomen oder Heinzelmännchen, so wäre das ihre Kirche.“

Sie begaben sich zurück, so klug wie zuvor, und jenes Gefühl, das den Menschen befällt, wenn er einer geheimnisvollen Macht gegenübersteht, nämlich das ehrfürchtige Staunen, ließ die Unterhaltung verstummen.

Aber welche Ueberraschung erwartete sie, als sie, um den Felsvorsprung biegend, vor dem Eingange zu ihrer Grotte standen! Aus einem Loche des felsigen Hügels, nicht weit von dem Eingange entfernt, sprang eine Quelle! Das Wasser hatte bereits ein Bett gewühlt und sich geklärt.

„Das ist wirklich Zauberei!“ flüsterte Oskar.

„Es sind Geister, sie haben meinen Wunsch erhört und eine Quelle neben unserer Höhle aus dem Felsen springen lassen,“ setzte Paul ebenso furchtsam wie jener hinzu.

Nur Richard sagte nichts, sondern trat an das runde Loch, aus dem die Quelle in Manneshöhe hervorsprang, untersuchte es und fuhr auch mit einer langen Stange hinein.

„Dieses Loch war vorhin, ehe wir gingen, noch nicht vorhanden,“ entschied er endlich, „die Felswand war ganz glatt, ohne jeden Riß und man sieht es dem Loche auch an, daß es ganz frisch ausgemeißelt oder ausgebohrt worden ist.“

Paul wollte davon nichts wissen, er schien lieber an ein Wunder zu glauben – und ein solches war es schließlich doch auch.

Somit war die übrige Arbeit an der Wasserleitung also unnötig geworden. Wenn aber das geheimnisvolle Wesen nun Pauls Wunsch erhörte und die Macht hatte, eine Quelle aus dem Felsen sprudeln zu lassen, warum hatte es dies nicht gleich gethan, und die drei, die es hierher versetzt, sich erst so lange an der Wasserleitung abmühen lassen? Denn deren Zweck mußte es doch erkennen, gesetzt auch den Fall, es hätte die Sprache, in der sich die Freunde doch oft genug über ihren Plan, sich mit Wasser zu versehen, unterhielten, nicht verstanden.

Einfach darum nicht, erklärte Richard, weil auch dieses geheimnisvolle Wesen fünf Tage gebraucht hatte, um den Felsen zu durchbohren, und weil es aus seiner schweigsamen Unsichtbarkeit eben nicht heraustreten wollte.

Von nun an mischte sich die rätselhafte Hand täglich oder vielmehr nächtlich in die Arbeiten der Robinsons, und dabei erkannte man immer mehr, daß man es mit einem oder mehreren irdischen Geschöpfen, nicht aber mit geisterhaften Wesen zu thun hatte, die auch ihre Schwächen besaßen und eigentlich gar nicht mehr konnten, als die drei Freunde, nur daß sie ziemlich geschickt und sehr fleißig waren.

Der Name ‚Heinzelmännchen‘, den sie ihnen gaben, war daher ganz angebracht.

Oskar hatte ein Reisfeld bestellt, und da die Saat aufging, mußte das Unkraut ausgejätet werden. Nachdem Oskar dies nun einige Tage gethan hatte, fand er eines Morgens das ganze Feld, eine Arbeit von vielen Wochen, sauber ausgejätet und das Unkraut genau in solchen Haufen zusammengeworfen, wie es die Knaben zu thun pflegten.

Dann wurden Abzugskanäle angelegt, und als die ersten fertig waren, entstanden diejenigen von selbst, die bereits durch Furchen deutlich markiert waren. Man brauchte nur diese Furchen zu ziehen, also den Lauf der Gräben anzugeben, um sicher zu sein, daß letztere am anderen Morgen fertig sein würden.

So war es stets und überall. Die Heinzelmännchen begannen nichts von selbst, sie mußten immer erst angestellt werden, und man mußte es ihnen stets zuvor einige Male vormachen, ehe sie im stande waren, es nachzuthun, und dann noch konnten sie irren.

Paul begann zum Beispiel aus Palmenblättern einen Sonnenschirm herzustellen. Schon mit den unsichtbaren Händen rechnend, ließ er die Arbeit am Abend in der Erwartung liegen, sie am anderen Morgen vollendet zu sehen. Aber damit war es nichts, er mußte den Sonnenschirm allein fertig machen. Der zweite Sonnenschirm jedoch, den er in Angriff nahm, vollendete sich von allein. Jetzt brauchte er nur genügend Palmenblätter hinzulegen, und so viel Stöcke, als er hinzu that, so viel tadellose Sonnenschirme entstanden über Nacht.

Oder er flocht ein Fischnetz, und als dies fertig war, fing er ein neues Flechtwerk für eine Jagdtasche an. Am anderen Morgen aber war ein zweites Fischnetz daraus geworden, und das geschah auch ein drittes[WS 7] Mal. Ein lautes Erklären nützte gar nichts, die Arbeitenden wurden nur beobachtet, und so kam man oft in die Lage, seine Arbeit vor den unsichtbaren Händen sogar schützen zu müssen.

Zuerst legte man deswegen einige schwere Steine darauf, ein Mittel, welches man durch Zufall entdeckt hatte. Oder man konnte dem Gegenstand, an dem man arbeitete, und welcher nicht berührt werden sollte, auch hoch hängen. Dann fand man, daß es genügte, nur einen einzigen Stein darauf zu legen. Schließlich war nur nötig, die Arbeit an einen bestimmten Ort zu legen.

Kurz, im Laufe der Zeit entwickelte sich zwischen den Robinsons und dem geheimnisvollen, unsichtbaren Wesen eine Art Zeichensprache, die sich immer mehr vervollkommnete.

Schon hatte man zum Beispiel nicht mehr nötig, wenn man etwa draußen im Freien ein tiefes Loch graben wollte, erst ein anderes zu machen. Man brauchte nur einen bestimmten roten Stein an die betreffende Stelle zu legen, auf diesen Stein eine Schnur, die den Umfang angab, und ob das Loch rund, oder eckig, oder eine andere Form haben sollte, während[WS 8] ein daneben gelegter Stock die Tiefe desselben bezeichnete, dann war das Loch entweder am anderen Morgen fertig, oder es wurde doch jede Nacht mit großer Geschwindigkeit daran gegraben, und genau nach Maß. Selbst das Verlangen, eine zwölfeckige Grube anzulegen, wurde erfüllt, und dabei bot den heimlichen Arbeiten nicht einmal der härteste Stein ein Hindernis, wenn es auch bedeutend langsamer ging. Jedenfalls aber mußten die arbeitenden Hände wahren Erdkünstlern[WS 9] angehören. Das Graben in der Erde schien wirklich ihr Element zu sein, denn sie leisteten geradezu Wunderbares darin; aber auch andere Arbeiten brauchten sie nur ein paarmal zu beobachten, und mußten nur wissen, was man von ihnen forderte, um sich ebenfalls in ihnen[WS 10] geschickt zu zeigen, und zwar steigerte sich stets ihre Geschicklichkeit.

Aus dieser Schilderung kann man ersehen, daß die drei Knaben jetzt weniger die Rolle von Robinsons spielten. Sie legten sich mehr und mehr auf das Beobachten der Wirkungsweise der unsichtbaren Wesen, und es wurde schon angedeutet, daß sie von ihnen sogar Arbeiten verlangten, die sie gar nicht brauchten und die auch keinen Zweck hatten.

Daß sie die nächtlichen Arbeiter selbst sehen wollten, war natürlich ihr erstes Begehren, aber alle darauf bezüglichen Versuche scheiterten.

Wenn sie bei Nacht draußen auf der Lauer lagen, oder nur einer, so wurde in dieser Nacht eben nicht gearbeitet, und dies war ja leicht erklärlich, denn da die Grotte Löcher und Felsspalten genug besaß, konnten von diesen aus die drei Knaben wohl beobachtet werden. Ebenso blieb die Arbeit liegen, draußen und drinnen, wenn sie des Nachts Licht in der Höhle hatten. Die unsichtbaren Hände schafften eben nur, wenn sich alle drei Bewohner in der finsteren Höhle befanden und sich still verhielten.

Wie oft war einer oder der andere plötzlich in die mondhelle Nacht hinausgestürmt. Aber da war nichts mehr zu sehen gewesen, und die kleinen Gestalten, die dann davonhuschten, mußten nur auf Einbildung beruhen, denn jeder beschrieb sie anders.

Ebenso scheiterte die List, einen Fußabdruck von ihnen zu bekommen. Eine Spur hinterließen sie allerdings, nämlich die, daß sie dort, wo ein Abdruck sie verraten konnte, den Boden stets glätteten und es immer aussah, als ob sie dabei eine feine Harke benutzten.

So wußten die Knaben von dem Aussehen der ihnen helfenden Geschöpfe überhaupt gar nichts, und die Annahme, daß es winzige Menschlein seien, Heinzelmännchen, war nur eine Phantasie. Ihr Wesen konnten sie nur nach ihrer Arbeitsleistung beurteilen. Danach waren es allerdings intelligente Geschöpfe, aber, wenn man alles nüchtern betrachtete, durchaus keine hochbegabten. Sie verstanden zum Beispiel die Sprache der Knaben nicht, schienen sie auch nicht erlernen zu können, und die einzige selbstständige Arbeit, die man von ihnen gesehen hatte, waren eigentlich nur die Pflaumenbäumchen gewesen, die sie vor jener Höhle pflegten. Denn auch die Fäden, mit denen sie damals genäht hatten, und dann die große Schnur, mit der sie die Knaben hierher geführt, brauchten nur Nachahmungen von den Stricken zu sein, welche die drei Freunde damals schon gefertigt hatten. Die geheimnisvollen Wesen konnten sie bei dieser Arbeit beobachtet haben.

Wenn man annahm, daß es intelligente Maulwürfe waren, die, statt mit plumpen Schaufelpfoten, mit Händchen ausgestattet und zu jeder Arbeit geschickt waren, die die Verrichtungen der Menschen nachahmten, und sich von diesen freiwillig dressieren ließen, so kam man mit der Erklärung für alle Erscheinungen schließlich ebenso weit. Oder es konnten auch kleine, gescheite Affen sein. Die Annahme von Maulwürfen war nur richtiger, weil sie das Licht scheuten und so bewandert in Erdarbeiten waren.

Zuletzt aber mußte man doch immer wieder an Heinzelmännchen, Erdgnomen, Kobolde oder an ähnliche Wesen denken, und es gab trotzdem noch vielerlei Seltsames dabei, zum Beispiel die von ihnen so sorgsam gehütete Höhle und die Pflaumenbäumchen.

Zum Schluß sei noch erwähnt, daß jene Wesen nicht an ihre nächtliche Arbeit gingen, wenn es draußen regnete, daß sie also auch den Regen scheuten.




Gefangen.

Bisher hatten die drei Knaben nur versucht, die geheimnisvollen Mitarbeiter einmal zu sehen, aber nichts unternommen, eines derselben habhaft zu werden. Schon die Dankbarkeit mußte sie davon abhalten, Mittel wie Vogelleim anzuwenden, da sie allein Grund hatten, sie nicht zu erzürnen, denn sie führten jetzt das bequemste Leben, und häufig genug hatten die Heinzelmännchen bei den bisherigen Experimenten sogar ganz unnütze Arbeiten verrichten müssen, die allerdings nur harmloser Art gewesen waren und sich stets in gemäßigten Grenzen gehalten hatten.

Dies sollte nun anders werden. Man mußte der Sache auf den Grund kommen, selbst auf die Gefahr hin, die Gunst der Heinzelmännchen zu verscherzen. Besonders war es Oskar, der mit Feuer darauf drang, nichts unversucht zu lassen, um die unsichtbaren Geschöpfe näher kennen zu lernen.

„Das sind wir der Wissenschaft schuldig,“ erklärte der Junge mit feierlichem Ernst, „unsere Bequemlichkeit darf dabei nicht in Betracht kommen, ja, wir müssen auch bereit sein, unser Leben dafür aufs Spiel zu setzen.“

Was er bei letzterem dachte, wußten die beiden anderen nicht, und er selbst wohl am allerwenigsten. Denn anzuthun vermochten die Heinzelmännchen ihnen wohl nicht viel, und vor Schaden, den diese ihnen etwa bei Nacht zufügen konnten, wollten sie sich schon zu schützen wissen.

Aber es sollte ganz planmäßig vorgegangen werden, um die Fähigkeiten der unsichtbaren Nachbarn und ihren Charakter kennen zu lernen.

Zunächst wurde von letzteren verlangt, daß ein Dutzend Löcher gegraben würden, jedes drei Meter im Durchmesser und zehn Meter tief. Die Riesenarbeit wurde auch in Angriff genommen und schritt jede Nacht rüstig vorwärts, nach menschlichen Begriffen sogar mit zauberhafter Schnelligkeit. Dann sollte durch einen Felsen ein Tunnel gelegt werden, und auch hier höhlte sich der Stein jede Nacht tiefer. Nach dem Zwecke fragten die Erdgnomen ja niemals. Aber welcher wunderbaren Werkzeuge bedienten sie sich nur? Man fällte ferner ein junges Bäumchen, hieb einen alten mächtigen Baumstamm an und legte die Steinaxt daneben. Am anderen Tage war der Brotbaum richtig gefällt, aber sicher nicht mit der Steinaxt, denn diese war ganz unbenutzt, und die Schneidestelle sah auch ganz eigentümlich aus.

„Gerade, als hätten die Biber den Baum mit den Zähnen durchnagt“, erklärte Oskar.

Man formte darauf aus Thon viele Töpfe, brannte einige und ließ die anderen stehen. Und auch diese kamen, nachdem sie erst einige Tage verschwunden waren, wieder gebrannt und glasiert zum Vorschein. Also mußten die Heinzelmännchen auch Feuer besitzen. Aber wo nur? Etwa unter der Erde? –

So konnte man von ihnen fordern, was man wollte, die unsichtbaren Wesen führten es aus. Aber das Verlangen hatte doch eine Grenze, und es zeigte sich, daß die Heinzelmännchen zwar fleißige und geschickte Arbeiter, weiter aber auch nichts waren, oder absichtlich nichts weiter sein wollten. Denn obwohl sie Steine durchbohrten, wozu sie doch stählerne oder wenigstens eiserne Werkzeuge haben mußten, was man sogar deutlich an der Arbeit selbst erkennen konnte, so forderte man sie doch vergebens durch eine ihnen sicherlich ganz verständliche Zeichensprache auf, auch solche stählerne oder eiserne Werkzeuge zu liefern. Das wollten sie einfach nicht verstehen.

Nachdem die an sich ganz nutzlosen großen Erdlöcher gegraben und auf Verlangen auch noch ausgemauert worden waren, ließ man nun ein zweites Erdloch von engerem Durchmesser herstellen, und dann sprangen die drei, als sie bestimmt wußten, daß darin gemauert wurde und man sogar das Geräusch des Steinklopfens hörte, hinzu und hielten am Rande Wache, indem sie schnell ein Feuer anzündeten und hineinleuchteten. Anders wäre es nämlich gar nicht möglich gewesen, den Unsichtbaren beizukommen. Denn sobald die Freunde auch nur noch einen glimmenden Funken in der Höhle hatten, verließen die geheimnisvollen Wesen ja nicht ihr Versteck, und ebensowenig hätten sie auch in der Grube gearbeitet, wenn der Mond hineingeschienen hätte.

Aber sie blieben auch jetzt unsichtbar, und herauskommen hatten sie doch aus der zwei Meter tiefen Grube nicht können, denn nirgends war ein Loch zu sehen, durch welches sie sich seitwärts in die Erde einen Weg zu bahnen vermocht hätten.

Die Sache wurde immer rätselhafter. Man griff nun zu anderen Listen, baute Fallen, beschmierte den Boden dort, wo die Heinzelmännchen arbeiteten, mit einem Leim, den der Hauptkern der Brotfrucht lieferte, einer ungemein klebrigen Flüssigkeit. Man hielt auch Feuer verborgen, um sie mit Fackeln zu überraschen. – Aber alles war vergeblich. Die Fallen blieben unversehrt, der Vogelleim wurde mit Erde beworfen, und das Licht witterten sie. Auch alles andere mißlang.

So blieb nur noch eine einzige Falle zu stellen übrig, und zwar die allerplumpeste und zugleich doch ganz raffinierte, da man bei dieser lediglich auf die Vertrauensseligkeit der Heinzelmännchen spekulierte.

Man verlangte nämlich, daß neben der Höhle senkrecht in den massiven Stein ein Loch gebohrt würde. Hier wollte man, nachdem in der ersten Nacht ein viertel Meter herausgearbeitet war, in der zweiten die nächtlichen Gesellen überraschen.

Schlaflos, aber dennoch sich schlafend stellend[WS 11], verbrachten die drei Freunde die Nacht. Ihnen zur Hand lag ein großer Stein, der, wie sie am Tage schon probiert hatten, den Rand des Loches dicht abschloß. Solche Untersuchungen konnten sie ja vorher stets anstellen, die Heinzelmännchen wurden dadurch nie scheu gemacht.

So hörten sie auch jetzt das Arbeiten in dem Loche, dicht neben dem Eingange der Höhle, und es klang ganz genau so, als wenn Stahl auf Stein schlüge.

Mitternacht war schon vergangen, als die still Daliegenden plötzlich auf ein verabredetes Zeichen aufsprangen, die Steinplatte ergriffen und hinauseilten. Da ertönte ein einem Quieken ähnliches Pfeifen, wie sie es schon mehrmals gehört hatten. Es war sicherlich das Warnungssignal für die Arbeitenden. Aber, obwohl schon der Stein über dem Loch lag, hüpfte, sprang und klapperte es drinnen noch immer.

Einer war wenigstens gefangen! Was war es für ein Wesen? Die Freunde wagten nicht, den Stein aufzuheben, denn in der Dunkelheit hätte der Gefangene leicht wieder entwischen können.

So hielten sie, auf dem Steine sitzend und mit fieberhafter Ungeduld den Anbruch des Tages erwartend, die letzten Stunden der Nacht Wache. Und drinnen ward es nicht ruhig, unaufhörlich wurde gepocht und gemeißelt, und wenn sie das Ohr auf den Stein legten, hörten sie auch manchmal ein leises, quiekendes Pfeifen. Jetzt versuchte der Gefangene sich einen Weg seitwärts zu bohren, gerade so, als wenn man einen Maulwurf in eine Erdgrube gesetzt hätte.

Endlich rötete sich der östliche Horizont, und mit der Schnelligkeit jener Gegend, in der es keine Dämmerung giebt, wich mit einem Male die Nacht dem hellen Tage. Das Arbeiten und Quieken war verstummt, und so wie sonst lag um den Lochrand die herausgeholte Steinmasse als feines Pulver aufgeschichtet, und auf diesem Damme die Steinplatte. Nun galt es, letztere zu lüften. Die Knaben befanden sich in der gleichen Lage, als wenn sie unter dem Hute einen Schmetterling hätten, der bei Aufheben des Hutes davonflattern könnte.

Sie legten sich auf den Boden, die Hände zum Zugreifen bereit haltend. Fliegen konnte das Geschöpf ja nicht.

Oskar hob endlich die Platte auf seiner Seite ein wenig und blinzelte hinein.

„Ich sehe etwas, einer ist darin,“ sagte er mit vor Aufregung zitternder Stimme.

„Wirf die Platte zurück, er kann uns nicht entkommen,“ entgegnete Richard, „und ich denke mir auch, das ungewohnte Tageslicht wird ihn so blenden, daß er gar keinen Fluchtversuch macht.“

Die Platte wurde nun zurückgeschoben, drei Augenpaare spähten in das Steinloch, und .....

Die Knaben hatten es erwartet, und doch waren sie jetzt außer sich vor Staunen.

Sie sahen jetzt zwei menschengleiche, nicht höher als ein großer Finger gewachsene, mit einem schwarzen, glänzenden Felle bekleidete Geschöpfe. Eng zusammengedrängt lagen sie unten in der Ecke! Ob aber die Felle ein Anzug oder ein natürlicher Pelz waren, ob sie wirklich ganz einem Menschen glichen, das konnte man jetzt nicht sagen. Man sah nur die schwarzen, glänzenden Leiber. Hier ragte ein Beinchen hervor, dort ein Arm, die Händchen aber waren so zierlich wie die Füßchen, und auch Nägel befanden sich daran. Ja, es waren winzige Menschen, die sogar Werkzeuge besaßen! In der Grube lagen, kleiner, als die kleinsten Kinderspielzeuge, zwei Aexte, Meißel und andere Instrumente, deren schneidende Teile wie Gold funkelten!

Der vorsichtige Oskar kitzelte die beiden regungslos daliegenden Gestalten mit einem Stock, wie man einen Käfer zum Laufen zu bringen sucht.

Jetzt richtete sich die eine auf. Wahrhaftig, es war ein normal gebauter Mensch, aber mit einem alten, faltigen Gesicht und ohne Augen! Diese wurden nur durch Schlitze angedeutet, oder sie waren fest zugekniffen. Er hob die Aermchen flehend empor, und man hörte wiederum ein Quieken, das aus dem zahnlosen Mündchen kam.

Richard konnte sich nicht halten, er mußte dieses Geschöpf näher betrachten, und da von hier oben aus in der etwas dunklen Grube nichts deutlich zu unterscheiden war, streckte er die Hand aus, um das scheinbar blinde Männlein zu ergreifen. Er ergriff es auch – da aber empfand er einen fürchterlich brennenden Schmerz in der Hand, als hätte er glühendes Eisen berührt. Mit einem gellenden Schmerzensschrei sprang er auf. – – –

Richard hörte noch den Schrei, den er wirklich ausgestoßen haben mußte, als er erwachte, und er glaubte auch noch den Schmerz in der verbrannten Hand zu fühlen; vielleicht hatte er auf ihr gelegen.

„Diese Robinsonade hat einen ganz anderen Verlauf genommen, als ich beabsichtigte,“ sagte er sich. „Der Phantasie kann man eben keine Grenzen ziehen. Uebrigens bin ich nun gerade so klug wie zuvor, was es mit diesen Wichtelmännchen, die auf der Insel hausten, für eine Bewandtnis hat. Dieser Traum ist jedenfalls noch nicht zu Ende. Nun, es steht ja in meiner Macht, ihn später einmal fortzusetzen.“




Heft 6 enthält die Erzählung: „Der König der Zauberer“.


Verlag von H. G. Münchmeyer, Dresden.

Karl May’s illustrierte Werke.

Diese neue illustrierte Ausgabe umfaßt die in obigem Verlage erschienenen Werke des bekannten und beliebten Reiseschriftstellers Karl May in Radebeul bei Dresden. Dieselbe erscheint in 6–7 Serien à ca. 30 Lieferungen oder in ca. 30 Bänden à 5–600 Seiten.

Jede Lieferung von 5–6 Bogen, à 16 Seiten,

kostet nur 30 Pfg.

Jede Serie ist für sich abgeschlossen.

Serie I bringt den Reiseroman:

Deutsche Herzen und Helden

mit seinen 4 Abteilungen:

Eine deutsche Sultana,
Die Königin der Wüste,
Der Fürst der Bleichgesichter,
Der Engel der Verbannten.




Zehn Jahre im dunklen Afrika.

Reiseroman von Otto Freitag.

Mit 90 Bilderbeilagen, 17 Karten und

circa 900 Textillustrationen.

90 Lieferungen brosch. à 15 Pf.

18 Bände geb. à 1 Mk.

Zu beziehen durch die meisten Buchhandlungen, wo nicht zu haben, auch direkt franko von der Verlagsbuchhandlung.



Prospekt.

„Aus dem Reiche der Phantasie“


ist der Gesamttitel für das vorliegende, epochemachende Unternehmen, das der bekannte und beliebte Reiseschriftsteller Robert Kraft der reiferen Jugend bietet.

Wohl kein anderer Schriftsteller dürfte geeigneter sein, ein derartiges Werk, das im Genre der Jules Verne’schen[WS 12] Schriften gehalten ist, besser durchzuführen, als Robert Kraft, dessen reiche und unerschöpfliche Phantasie unterstützt wird durch seine Erlebnisse und Erfahrungen, die er auf seinen Weltreisen gesammelt hat.

Schon als 13 jähriger Knabe zog Robert Kraft hinaus in die weite Welt und bereiste dieselbe als Schiffsjunge, Matrose und Forscher viele Jahre. (Siehe seine Werke: „Erlebnisse eines 13jährigen Knaben“ und „Die Vestalinnen oder Eine Reise um die Erde,“ aus dem unterzeichneten Verlage.)

Meisterhaft hat es Robert Kraft in seinem neuesten Werke: „Aus dem Reiche der Phantasie“ verstanden, den Leser nicht allein dauernd zu fesseln, sondern auch dabei zu belehren, und so hofft die Verlagsbuchhandlung, daß er sich durch dieses Werk viele neue und treue Freunde erwerben möge.

„Aus dem Reiche der Phantasie“ erscheint in abgeschlossenen Heften, à 10 Pfg., 10 Hefte in Umschlag broschiert kosten 1 Mk., 30 Hefte in hocheleganter Einbanddecke, gebunden, kosten 4 Mk. Bisher erschienen:

Heft 1) Der letzte Höhlenmensch. – 2) Die Totenstadt. – 3) Der rote Messias. – 4) Die Weltallschiffer. – 5) Die verzauberte Insel. – 6) Der König der Zauberer. – 7) Das Stahlroß. – 8) Die Ansiedlung auf dem Meeresgrund. – 9) Eine Nordpolfahrt. – 10) Die indischen Eskimos.

Die Hefte sind durch alle Buch-, Kolportage- und Schreibwarenhandlungen zu beziehen, wo nicht zu haben, auch direkt franko von der Verlagsbuchhandlung.

     Dresden-A.,

Freibergerstraße 75.

H. G. Münchmeyer.

Fußnoten

  1. Bitte den Text auf nebenstehender Umschlagseite zu beachten.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Das Coverbild wurde von Thomas Braatz und Gerd-Michael Rose nachbearbeitet.
  2. d. h. Heft 5
  3. Vorlage: stimmen
  4. Vorlage: hattte
  5. Vorlage: Bewohnter
  6. Vorlage: Regewasser
  7. Vorlage: drittel
  8. Vorlage: währen
  9. Vorlage: Erbkünstlern
  10. Vorlage: ihren
  11. Vorlage: stellen
  12. Vorlage: Vern’schen