Die transatlantischen Staaten und Colonien am Schlusse des Jahres 1827

Textdaten
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Autor: Carl Nicolaus Röding
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Titel: Die transatlantischen Staaten und Colonien am Schlusse des Jahres 1827
Untertitel:
aus: Das Ausland,   Nr. 1–2; 5; 36–37; 53–55; 59; 61; S. 2–4, 20, 144, 148, 212, 216, 220, 236, 244
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Scans bei Commons
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Die transatlantischen Staaten und Colonien, am Schlusse des Jahres 1827.

Von C. N. Röding.

Das eigentliche Ausland für Europa ist die transatlantische Hemisphäre; Europa ist dahin übergegangen, so wie Asien’s Licht und Bildung nach Europa überging. Amerika gehört nicht mehr zu Europa, aber es erkennt unsern Welttheil noch immer im höhern Sinne als Mutterland an, jedoch mit dem Rechte der Mündigkeit, in selbsterwählter, vernünftiger Abhängigkeit, durch den Wechseltausch innerer und äußerer Bedürfnisse, gebend und empfangend. Bis jetzt hat jene Westveste noch keine Ursprache, welche wirklich zur Schriftsprache gebildet wäre; allein die Sprachen eines Camoëns, Shakespear’s und Calderons sind dahin verpflanzt, und erlangen dort auf den Rednerbühnen der Republiken die Weihe selbstständigen Lebens. Zwar richtet die Sorge für den nächsten Bedarf, welche jede ästhetische Bildung ausschließt, noch den Blick auf den Boden. Doch eben dieser wunderbare, zauberisch geschmückte Boden, die schätzevollen Gebirge, die Riesenströme, welche, tief in die Länder eindringend, Nation mit Nation verbinden, und zugleich breite Mündungen gegen den Ocean, der Heimath der Freiheit öffnen – dieser Boden, ohne Sandsteppen und unfruchtbare Haiden – ist der Spielraum für die Neu-Europäer, eine Arena des herrlichsten Wettkampfes, ein Jugendland wie es die Erde nur einmal hat und welches früher, so modificirt, sich nirgends darbot.

Während im Orient die Pflugschaar des Krieges und der innern Umwälzungen noch blutige Furchen ziehen wird, bis die Hoffnungen derer näher rücken können, die erwartungsvoll zum Osten blicken, ist hier bereits theils hoffnungsvolle Saat, theils reiche Ernte.

Da nun aber das Leben der Staaten in Amerika ein werdendes ist, da dort in rascher Entwicklung noch immer Eines das Andere verdrängt und besonders in den neuen Republiken die Gestaltungsperiode keineswegs beendigt scheint, so möchte unsern Lesern eine kurze Skizze der Lage und Verhältnisse, worin sich Amerika gegen das Ende des Jahres 1827 befand, als Einleitung und Bestimmung des Standpunctes für künftige Mittheilungen, nicht unwillkommen seyn.

1.

Höchst wichtig für die Ausmittlung der Frage, in Rücksicht der Nordgrenze Nordamerikas, war die Expedition des Capitän Franklin nach den Polar-Gegenden, welchem der Captiän Bleechy auf dem Schiffe Blossom durch die Behringsstraße von Südwesten her begegnen sollte, wodurch denn die Möglichkeit einer nördlichen Durchfahrt erwiesen und die amerikanische Nordgrenze berichtigt gewesen wäre. Capitän Franklin gelangte, von der Mündung des Mackenzie-Strom’s ab, an der Küste westlich hinschiffend, am 18. Aigust 1826 bis zum 150° westl. L. üb. Greenwich (227° 39’ L. üb. Ferro) ward aber durch heftige Windstöße und dicke Nebel, eine schreckliche Schwierigkeit in unbekannten Gewässern, verhindert, noch weiter vorzurücken; Capitän [3] Bleechy befand sich fast um dieselbe Zeit in Kotzebue’s Inlet und drang 351/2 geogr. Meile östlich vom Eiskap (Icy Cape 215° L.) etwa bis zum 220° L. vor. Da nun Capitän Franklin die Gegend des 227° d. L. erreichte, und der Grad der Länge unter dem 69°–70° N. Br., wo beide schifften, nur 5" geogr. Meilen mißt, so waren die Entdecker höchstens noch 30 geogr. Meilen von einander. Der vollendete Erfolg der Unternehmung ist also künftigen Entdeckern vorbehalten. Daß die Auffindung einer nordwestlichen Durchfahrt nur in wissenschaftlicher, nicht aber in mercantilischer Beziehung Nutzen schaffen könne, hat jene Reise aufs Neue bestätigt. Merkwürdig für die Völkerkunde ist die Anknüpfung des Verkehrs mit sehr muthigen Eskimoeshorden, welche den Reisenden durch kecke Angriffe lästig wurden. Die ganze nördliche Küste der Mündung von dem Lancaster-Sunde im Osten bis zur Ausfahrt der Behringsstraße an der Nordwestküste, ist jetzt, mit Ausnahme der erwähnten kleinen Strecke, für die Erdkunde erobert, und dort fanden die Reisenden allenthalben das Küstengewässer offen, wenn auch wegen des Treibeises und der starken Nebel schwierig zu beschiffen. Folglich erscheint die ganze Westveste als ein ungeheures Inselland, welches mit Asien nirgends unmittelbar zusammenhängt.

Räthselhaft bleibt noch das Polarland im Nordosten der Straße Davis und im Norden des Baffin’s Busens, welches schon Englands große Königin, Elisabeth, höchst bedeutungsvoll: Meta incognita, nannte, und welches man gemeinhin unter den Namen: Grönland begreift. Fast sechshundert Jahr früher als Colombo’s India occidentalis den Europäern bekannt und von Island aus colonisirt, möchte es fast gerathen scheinen, diese nördliche Polarwüste, wahrscheinlich eine weit verbreitete Inselgruppe, als abgesondert von der Westveste und für sich zu betrachten. – Die daselbst auf der westlichen Seite bestehende königliche dänische Colonie bildet gleichfalls an sich, als Wohlthätigkeits-Colonie zur Bekehrung und Verpflegung der armen Eskimoes, eine eigene Classe; sie kostet der Krone Dänemark nur Opfer; den beiden Verpflegungs- oder Handels-Inspectoren – einer für den nördlichen, der andere für den südlichen Theil, – ist zugleich die obrigkeitliche Vollmacht übertragen. Die evangelischen Brüder haben hier 14 Missionen. Die Hauptmissionen und Colonien sind im Nordertheil – Egedesminde, Jacobshavn und Umanack; im Südertheil: Juliane’shaab und Frederickshaab; Holstenborg und Sukkertoppen und Godhaab. Die Colonien befanden sich im September 1827 in einem blühenden Zustande; der Wallfisch und Robbenfang, so wie die Eiderdunen-Lese war reichlich ausgefallen; in Kopenhagen ward eine neue Kirche gezimmert und zu Schiffe dahin gebracht.

2.

Auf der Westveste selbst besteht eigentlich nur Eine Colonialmacht, die der Briten, als vornehmste Seemacht überhaupt am fähigsten, Colonien und abhängige Lande (Dependencies) in allen Regionen der Erde zu behaupten, aber nicht sowohl durch Gewalt, als durch eine weise Regierung, welche die Dependentien dergestalt für sich zu gewinnen weiß, daß die Mehrzahl der Einwohner aufrichtig für die Fortdauer der Abhängigkeit stimmt. Dieß gilt vorzugsweise von dem britischen Nordamerika, ein großentheils culturfähiges Land, 160,000 geographische ☐ Meilen groß, welches sich mittels der innern wald- und seenreichen Wildnisse bis ans Nord-Polar-Meer erstreckt, wo die Hudsonbusen- und Montreal-Gesellschaften einen ungemein einträglichen Pelzhandel treiben, der jetzt auch wegen des Bibergeils (castoreum) wichtig wird, wovon schon Sendungen nach Hamburg gelangten, welche sich in Rücksicht der Qualität weit besser bewähren, als die früher von dort hergebrachten Sorten – ein erheblicher Umstand, weil dieses wichtige Heilmittel jetzt in Rußland so selten wird. Es wirkt aber dieser Pelzhandel so verheerend auf die dortigen Urbewohner, daß Indianer-Stämme, welche von früheren Reisenden als ziemlich zahlreich angemerkt sind, fast nur noch dem Namen nach, und als die erbärmlichsten, den scheuslichsten Lastern ergebenen Miethlinge vorhanden, fortvegetiren. Diese Pelzhändler verscheuchen und mißhandeln die Indianer nicht, locken sie vielmehr an sich, aber vergiften sie durch die Mittheilung des von den Indianern selbst sogenannten Tollwassers (Branntweins), um wohlfeilen Handel schließen zu können, der sich sogar auf ihre Weiber und Töchter erstreckt; und es herrscht unter jenen Händlern der schändliche Grundsatz: „Wenn der rothe Mann nüchtern ist, so ist er nur zu klug!“ In den Gegenden, wo die Wilden völlig ausgerottet sind, treiben Wildschützen und Wildfanger die Jagd, und dieß ist für die Gesellschaften um so ersprießlicher.

Die Gouvernements des britischen Nordamerikas sind: 1) Nieder-Canada, Hauptstadt Quebeck; 2) Ober-Canada, Hauptstadt York; (in Ein General-Gouvernement der Canadas vereinigt.) 3. Prinz Edwards Island im St. Lorenz Busen, Hauptort Charlottetown; 4) New Brunswik, Hauptort Frederiktown; 5) Nova Scotia, Hauptstadt Halifax, ein höchstwichtiger Kriegshafen; 6) Die Insel New-Foundland, Hauptstadt St. Johns; 7) die Bermudas-Inseln im atlantischen Meere, Haupthafen St. George, (die älteste geheime Wiege der britischen Obmacht in den amerikanischen Gewässern.)

Dieses britische Nordamerika, welches wegen des Absatzes britischer Producte und Waaren, die von dort auch als Schleichwaare in die vereinigte Staaten Eingang finden, immer wichtiger wird, gewinnt als Armen-Colonie für das britische Inselreich gegenwärtig eine merkwürdige Bedeutenheit. Die Bevölkerung der Vestländer wächst schnell durch die von der Regierung auf’s thätigste beförderte Einwanderung, hauptsächlich aus Ireland. Diese betrug nach dem einzigen Hafen Quebeck von der Eröffnung der Schifffahrt bis zum 29. September 1827: 28,969 Köpfe. Die gesammte Verproviantirung der Stockfisch-Insel New-Foundland hat jetzt die britische Regierung einigen Kaufleuten in Hamburg übertragen. Diese liefern zu Preisen, wofür die Handelsleute in England, Ireland und Canada diese Artikel nicht liefern können: Salzfleisch, Brod, Bohnen, Erbsen, Kartoffeln, Butter, Schinken, Schuhe, Strümpfe etc. in kleinen Schiffen [4] nach England, alles in bester Qualität; von England gehen diese Waaren in englischen Schiffen nach jenen Colonien. Behufs dieser Sendungen wurden in Hamburg im Jahre 1827 mehrere tausend Stück Ochsen, an 20,000 Schweine etc. geschlachtet. Die Brodbäckerei (Schiffsbrod, Cakes) für diesen Zweck war so bedeutend, daß den Bäckern in Hamburg von Polizei wegen gestattet ward, ihrem Backofen noch einen andern hinzuzufügen, und überdieß wurden die sämmtlichen Bäcker der Umgegend, selbst in Itzehoe, Uetersen etc. beschäftigt. In New-Foundland nimmt der Gemüse-Bau durch die Bemühung des Gouverneurs, Sir Thomas Cochrane, zu, ist aber immer nicht zureichend, und Korn gedeiht nicht, obgleich die Insel mit Frankreich unter gleicher Breite liegt. Die gesammte Bewohnerzahl des britischen Nordamerika, die Bermuden eingeschlossen, ward im Hause der Gemeinen auf 1,200,000 Seelen angegeben, worunter 578,000 Protestanten. Für den Religionsunterricht der letztern sorgt die Londoner Missionsgesellschaft. Die Römisch-Katholischen, unter einem Bischofe, haben sehr reich dotirte Kirchen und Klöster, und genießen in Nieder-Canada, wo sie gewissermaßen die herrschende Religionsparthei sind, große Vorrechte.

Die kleinen Inseln Miquelon und S. Pierre an New-Foundland’s Südküste, sind gar keine Colonien, sondern unbewohnte Sandbänke, auf welchen die französischen Stockfischfänger ihren Fang trocknen und zubereiten, aber nicht niederlassen noch überwintern dürfen. Sie werden von den britischen Fischern eifersüchtig bewacht.

[20]
3.

Die russischen Besitzungen an der Nordwestküste, im Besitze der russisch-asiatischen Handelsgesellschaft zu St. Petersburg, eine Strecke von 350 deutschen Meilen, am nördlichen Theile des großen Ocean, mit etwa 6000 russischen Unterthanen, und mit vielen unabhängigen tapfern Wilden, sind, durch den Vertrag mit Großbritannien vom Februar 1825, bis zum 54’ 40’ N. B. beschränkt, und auch die vom Gouverneur Baranow gestiftete Niederlassung, Slavinska Roß, an der Hyerba-Bay in Ober-Californien, wo die Russen Grenznachbarn der Mexikaner waren, wurde im J. 1826 verlassen. Der sonst so wichtige Seeotterfang hat, wegen der vielen Mitbewerber, sehr abgenommen; die Kauffahrer der Vereinigten Staaten, bei den Urbewohnern viel beliebter als die Russen, spielen dort die Hauptrolle; sie besuchen, von der Nordwestküste ab, alle ostasiatischen Häfen, wo sie allenthalben freundliche Aufnahme finden; ihre Geschäfte sind ungemein bedeutend, weil die Kapitäne aller dieser Schiffe (jährlich mehrere hunderte), nach Art der alten Merkatoren, diese kommerciellen Erdumseglungen, mit Ausschuß des Caschelot- und Wallfischfangs in der Südsee, wo keine Klippe, keine umeiste Insel ihnen unbekannt bleibt, für eigene Rechnung betreiben. Selbst die Britten fühlen sich von diesen unternehmenden Nordamerikanern überflügelt.


4.

Die Union der vereinigten Staaten, 174,300 ☐ M., 1820 mit 10 Mill. jetzt gewiß über 14 Mill. Einwohner, besteht aus 24 Staaten (Michigan war im Sept. 1827 noch Gebiet) und 5 Gebieten (Territories). Nirgend offenbart sich der Vortheil einer Föderal-Regierungs-Verfassung für amerikanische Völker so anschaulich, als in diesem beispiellos schnell emporblühenden Lande, dessen Finanzeinrichtung und Staatenverwaltung wirklich musterhaft sind. Nirgend in der Welt kostet die Regierung weniger, als dort. – Die Religionsduldung trägt die herrlichsten Früchte, und zugleich herrscht, vornämlich in den östlichen Staaten eine Religiosität bei allen Sekten, die um so verdienstlicher ist, da in dieser Rücksicht die Regierung Jeden gewähren läßt. Die Römisch-Katholischen, die in Städten, wie Baltimore, prachtvolle Kirchen besitzen, verbreiten sich auch in die westlichen Staaten, wo durch die Mildthätigkeit des Königs von Frankreich, Ludwig XVIII, zu St. Louis am Missouri ein neues Gotteshaus erbaut ist. Die Jesuiten, dort höchst wohlthätig einwirkend, haben zu Bairdtown im Staate Kentuky ein blühendes Seminar. Daß die bevorstehende Präsidenten-Wahl, (wo eine starke Partei sich für den hochverdienten General Jakson, den Erretter von New-Orleans im Januar 1814 gegen den Angriff der Britten unter dem General Packenham, erklärt, und den jetzigen Präsidenten, einen Mann von europäischer Sitte, John Quincy Adams, von dieser Stelle entfernt wünscht), ernsthafte Ruhestörung erwecken sollte, ist nicht wahrscheinlich. In Rücksicht der auswärtigen Angelegenheiten befolgt die Unions-Regierung eine weise Mäßigung, behauptet sich in kommercieller Rücksicht mit musterhafter Standhaftigkeit gegen das mächtige Großbritannien, vornämlich, um den lebhaft erwachten industriösen Unternehmungsgeist der eigenen Bürger zu fördern, der, durch die sinnvollsten Erfindungen unterstützt, so herrliche Früchte trägt, daß die amerikanischen Manufakturen und Fabrikwaaren bereits mit den brittischen in Südamerika, in Mexiko und auf Cuba, nicht ohne Erfolg, wetteifern.

[144]
5.

Keine der neuen Republiken strebt so glücklich dem Vorbilde der Vereinigten Staaten nach, wie der mexikanische Bundesstaat. Er besteht durch die Konstitution vom 4. Oktober 1824 aus den 19 Republiken: Chihuahua, Cohahuila mit Texas, Neu Leon, Tamaulipas, San Luis Potosi, Vera Cruz, Tabasco, Merida (Yukatun), Chiapas, Oaxaca, Puebla, Mexico, Queretaro, Michoacan, Guanaruato, Xalisco, Zacatecas, Durango, Occidente; und aus 4 Gebieten: Flaccala, Colima, Ober- und Nieder-Californien und Neu-Mexico (Santa Fe) mit 75,830 ☐ Meilen, 6,225,000 Einwohnern. Im Anfange des vorigen Jahres erregte eine Verschwörung große Besorgniß. Sie hatte den Zweck, dem spanischen Infanten Francesco de Paula den Kaiserthron von Mexico zu verschaffen. Ein Dominicaner, Joaquin Arenas, ein geborner Spanier, ward als Hauptanstifter derselben angeklagt, und am 31. Mai 1827 in der Hauptstadt Mexico hingerichtet. Bei seiner Verurtheilung erklärte er: „Man geht getrost zum Tode, wenn man in der Vertheidigung Gottes und seines Königs stirbt.“ In der öffentlichen Bekanntmachtung über seine Hinrichtung heißt es, sie geschehe zum warnenden Beispiel (escarmiento) für alle Revolutionäre und für die Feinde der Unabhängigkeit und Freiheit. Viele angesehene Altspanier, z. B. der General Negretto, wurden verhaftet, und diese ganze zahlreiche, wohlhabende Klasse der Bevölkerung anfangs von den Provinzial-Gouvernements einzelner Bundesstaaten, in der neuesten Zeit aber von der Föderativregierung selbst aus dem Gebiete der Republik verbannt. Andere Verwirrungen entstanden wegen Abzahlung der Zinsen für die in London contrahirten Anleihen und hatten einen bedeutenden Fall der Fonds zur Folge. Indessen erwies sich zuletzt, daß die Finanzen keineswegs so unheilbar zerüttet waren, als man vorausgesetzt hatte, und es wurden Maßregeln getroffen, das verlorene Vertrauen wiederherzustellen. Merkwürdig ist es, daß in Mexico die Freimaurer einen entschiedenen, dem Volke verhaßten Einfluß auf die Staatsangelegenheiten ausüben. Der Kongreß des Staates Veracruz erklärte sich, in einem Manifest vom 20. Juni 1827, mit den kräftigsten Worten gegen diese Einmischung einer blos geselligen Verbindung auf politische Verhältnisse. Solche Aufregungen sind in einem neuen Staate, dessen Verfassung noch nicht völlig dem Volksleben einverleibt ist, und dessen Bürger noch nicht an Selbstregierung gewöhnt sind, sehr natürlich. Die öffentliche Sicherheit ward inzwischen nicht wesentlich unterbrochen und der Handelsverkehr vornämlich nur durch den Umstand gestört, daß die Bundesversammlung über das neu einzuführende Zollsystem nicht einig werden konnte. Das bisherige hatte manche Unrichtigkeiten in der Taxation, und viel Drückendes in Hinsicht der Aufnahme. Der für brittische, nordamerikanische und deutsche Rechnung betriebene Bergbau scheint im Ganzen zu gedeihen, wenigstens besser, als in den südamerikanischen Staaten, weil die Nation sich den Fremden gerne anschließt, und auch der Verkehr mit Europa leichter ist, als in Peru und Chile. Deutsche Einsicht, Betriebsamkeit, Thatkraft und Genügsamkeit werden überhaupt daselbst viel ausrichten; unsere dorthin ausgewanderten Landsleute befinden sich fast alle recht behaglich. Die Presse ist hier so frei, wie in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, doch hat der Präsident, Guadalupe Vittoria, in seiner Botschaft bei der Eröffnung des Bundes-Kongresses am 1 September, auf eine Einschränkung der Mißbräuche der Preßfreiheit angetragen.

[148]
6.

Der kleine Bundesstaat Central-Amerika (5 Staaten: Guatemala, Honduras, San Salvador, Nicaragua (Leon) und Costa Rica, 2000 ☐ Meilen, 2½ Millionen Einwohner) erfuhr im Jahr 1827 weit ernstere Unruhen als Mexico. Der Hauptstaat und die Hauptstadt Guatemala, wo der Bundes-Präsident Arce und der Congreß seinen Sitz hat, gerieth mit dem südlicher, gleichfalls am stillen Meere liegenden Staat San Salvador in offne Fehde. Von einigen französischen Offizieren angeführt, rückten die Ruhestörer gegen Guatemala an, um die Altspanier zu vertreiben, und die Macht der Geistlichen, welche dort bedeutenden Einfluß auf weltliche Angelegenheiten, und Antheil an dem Groß- und Kleinhandel haben, einzuschränken. Der Präsident stellte sich selbst an die Spitze der Armee eines kleinen, aus jungen Ordensleuten, Seminaristen, Studenten etc. bestehenden Corps, das den Rebellen entgegen marschirte und sie in einem Treffen am 27. März 1827 zurücktrieb. Der Kampf dauerte indeß noch mehrere Monate unentschieden fort; erst im August gelang es den Anstrengungen der Föderativregierung durch Einnahme der Stadt San Miguel die Empörung auf die Stadt und das Gebiet von San Salvador zu beschränken. Die Unruhestifter, die bisher von keinem Vergleich etwas hören wollten, haben bereits Bedingungen in Vorschlag gebracht, unter denen sie sich unterwerfen wollen, und wahrscheinlich wird daher die öffentliche Ruhe in kurzer Zeit wieder hergestellt seyn. In den östlichen Gegenden wurde dieselbe nicht gestört, und da allenthalben die Fremden mit einer Art von Ehrfurcht aufgenommen werden, so herrscht im Ganzen öffentliche Sicherheit. Das Volk ist gutmüthig und äußerst indolent, was für Einwandernde gleichfalls ein sehr günstiger Umstand ist. In Central-Amerika wie in Mexico gibt es wenig Neger und gar keine Sklaven. Die Natur zeigt sich hier paradiesisch-üppig, und der Boden ist mit den herrlichsten, aber so wenig als gar nicht benutzten Erzeugnissen gesegnet. Nach dem Hafen Omao am westindischen Meere, wovon ein schiffbarer Strom fast bis zur Hauptstadt führt, sind von Hamburg aus sehr vortheilhafte Handelsspekulationen unternommen worden.

(Die brittische Holzhauer-Colonie Belize, an der Küste Honduras, im Umfange des Gebiets von Guatemala, ein Haupt Ausfuhrplatz des Mahagony-Holzes, ist in einem höchst gedeihlichen Zustande und unterhält einen bedeutenden Verkehr mit Central-Amerika. Sie steht unter einem besondern Gouverneur.)

[212]
7.

Einen noch traurigern Gegensatz zu den Vereinigten Staaten und zu Mexico bilden die südamerikanischen Staaten und, vor Allen, Colombia. Ein 1827 zu London erschienenes, höchst unparteiisch geschriebenes Werk: „The present State of Colombia, by an Officer, late in the Colombian Service“ giebt über diese neue Republik weit genügendere Aufschlüsse, wie alle früher bekanntgewordenen Schriften. Durch die jetzt angefochtene Constitution vom 12. Juli 1821 ward das vormalige spanische Vicekönigreich Neugranada mit den Generalcapitanias: Caracas und Quito, unter dem Namen: Colombia in eine Centralrepublik vereinigt. Diese besteht jetzt aus zwölf Departementos: Orenoco, Hauptstadt Varinas, Maturin, Hauptstadt Cumana, Venezuela, Hauptstadt Caracas, Zulia, Hauptstadt Maracaybo, Boyaca, Hauptstadt Tunja, Cundinamarca, Hauptstadt Bogota, Magdalena, Hauptstadt Cartagena, Cauca, Hauptstadt Popayan, Istmo, Hauptstadt Panama, Ecuador, Hauptstadt Quito, Assuay, Hauptstadt Cuenca, Guayaquil, Hauptstadt Guayaquil, mit 882000 geogr. Q.M. (nach Rieux: 85058 Q.M.) 3 Millionen Einwohner. Bolivar war es, der die Einrichtung einer Centralrepublik durchsetzte, obgleich viele Stimmen sich für eine Föderalverfassung erhoben. Seitdem herrscht fast in allen Departementos eine wahre Militärdespotie. Die von der Centralregierung ernannten Governadores, fast alle Generale, regieren nach Willkühr, kränken ohne Scheu die Rechtspflege, welche hier nicht öffentlich ist, und raffen die Staatseinkünfte an sich. Daß solches Unwesen auf die Finanzen wirken muß, versteht sich von selbst, und diese sind daher in der äußersten Zerrüttung. Dabei sind die einzelnen Punkte, wo sich die Bevölkerung zusammengedrängt hat, durch Wildnisse, Riesenströme und die fürchterlichsten Gebirge von einander getrennt; ihr Interesse ist auf das wesentlichste verschieden, ebenso der Charakter der Bewohner, welche allenthalben von der verschiedensten Abstammung und höchst heterogener Bildung sind. Der mit größter Wuth 14 Jahre hindurch geführte Revolutionskrieg hat, nebst der gewaltsamen Befreiung der Negersclaven, die frühere Wohlhabenheit in ihrem Kern vernichtet, und alle Keime der Kultur zerstört. Alle angesehenen Familien sind, bis auf wenige Ausnahmen, verarmt, vertrieben, ermordet. Ein roher, zum Theil farbiger, Stamm und fremde Kaufleute haben sich auf den Trümmern angesiedelt. Die Zahl der Männer, welche Talente und Erfahrung in Staatsgeschäften haben, ist sehr klein. Bolivar, nach der Bezwingung des letzten spanischen Heers in der Schlacht bei Ayacucho (am 8. December 1821) bis zu Anfange des Jahres 1827 in Peru und Bolivia mit der Organisation der befreiten Lande beschäftigt, glaubte dem immer tiefer einreißenden Verderben durch die Einführung des Constitutions-Entwurfes abzuhelfen, welchen er für die operperuanischen Provinzen, die ihm zu Ehren den Namen Bolivia angenommen, bestimmt hatte; dieser bestätigt einen Präsidenten (Staatsoberhaupt) auf Lebenszeit. Indessen erklärte sich General Paez, von der Gerechtigkeitspflege des Congresses beleidigt, am 31. Mai 1826 zu Valencia, gegen die bestehende Staatsverfassung. Ein Bürgerkrieg drohte auszubrechen; allein im Anfange der Jahre 1827 eilte Bolivar aus Lima hebei, und wußte den General Paez, dessen Commandobezirk Venezuela an der Nordküste bedeutend vergrößert ward, zu begütigen. Darauf ging er über Cartagena, in dessen Gegend ein Truppencorps aufgestellt wurde, nach Bogota, wo er am 10. September eintraf und feierlich empfangen ward. Unter dem 3. August 1827 hatte bereits der Congreß beschlossen, daß am 2. März 1828 eine constituirende Nationalversammlung in Ocana, einer Stadt auf halbem Wege zwischen Cartagena und Bogota, sich vereinigen sollte. Dieser Versammlung, deren Berufung zu erwarten steht, wird demnächst die Entscheidung über das künftige Schicksal von Columbia in die Hände gelegt werden. Ein großer Theil der Nation, und besonders die in den Seeplätzen angesiedelten brittischen Kaufleute, meinen, Bolivar sey der Mann, die allgemeine Zerrüttung zu beschwören. Die Republikaner trauern. Die reichen, durch Bildung ausgezeichneten, südlichen Departamentos, Theile der vormaligen Generalcapitania Quito am stillen Meere, sind im vollen Aufstande, indem sie für sich zu bestehen, oder sich mit Peru zu vereinigen wünschen. Auch am Orenoco, zu Angostura herrscht Unzufriedenheit gegen die Militärdespotie. Alle unparteiischen Reisenden, die Columbia neuerdings besuchten, sind der Meinung, daß die Einwohner für jetzt schlimmer daran sind (?) wie zur Zeit der spanischen Herrschaft. Der Handel ist durch die gänzliche Vernichtung des Credits, durch den äußersten Geldmangel und durch die im Jahre 1827 eingeführten drückenden Zollverordnungen im tiefsten Verfall. Nirgendhin fallen Speculationen unglücklicher aus, als nach Colombia’s Nordküste. Die wenigen Ausfuhrprodukte, z. B. der kostbare Varinas, sind Monopole der Engländer. Die Unternehmungen nach der Westküste am stillen Meere, nach Tacames, Guayaquil und dem Freihafen Buenaventura, gewährten hingegen denen, welche mit der Localität vertraut sind, bisher höchst ersprießliche Resultate.

[216]
8.

In Folge der Einführung der oben erwähnten Bolivia-Constitution, die überall in Amerika den Verdacht gegen Bolivar erregte, als hege er monarchische Absichten, brach gleich nach seiner Abreise aus Peru, schon in den letzten Tagen des Januars 1827, unter den in der Hauptstadt Lima zurückgebliebenen columbischen Truppen ein Aufstand aus; man schiffte sie nach Columbia ein, und, dadurch aufgemuntert, bewirkten die Peruaner eine Regierungsveränderung. Der am 4. Juni versammelte souveräne Congreß erklärte die Bolivia-Constitution, welche am 9. Juli 1826 in Lima beschworen worden war, für abgeschafft; der von Bolivar eingesetze Präsident des Regierungsconseils, Santa Cruz, resignirte, und am 10. Juli war der in Guayaquil mit Organisirung des Aufstandes von Quito beschäftigte General Lamar zum Präsidenten der Republik erwählt und die Constitution vom Jahre 1823 provisorisch hergestellt. Peru ist, wie Colombia, eine Centralrepublik; doch werden die acht Departementos: Truxillo, Lima, Arequipa, Tarma, Guancavelica, Guamanga (Ayacucho), Cuzco und Puno von bürgerlichen Behörden milde regiert, und Militärdespotie herrschte nur so lange, als der Befreiungskrieg ihn nothwendig machte. Der Freistaat umfaßt 27,320 Q.M. und 1,688,506 Einwohner. Die Finanzen sind auch hier zerrüttet; man scheint indeß zur Aufrechthaltung des Staatscredits im Innern die kräftigsten Maßregeln zu nehmen; in Rücksicht der wucherischen Londoner Anleihen ist aber Insolvenz erklärt. (M. s. die Bothschaft des Präsidenten Santa Cruz vom 4. Juni 1827.) Der Charakter der Einwohner ist äußerst gutmüthig; der Handelsverkehr auch für deutsche Schiffe mit Vortheile verbunden. Unter andern ist aus Arica ein Schiff mit einer kostbaren China-Ladung in Hamburg angelangt.

[220]
9.

Die Republik Bolivia, die originelle Staatsschöpfung Bolivars, ein ungemein reiches Land, durch den Hafen Cobija, 307° 34’ 45" L., 22° 29’ 10" S. Br., am stillen Meere mit Europa in Verbindung, steht noch unter der Herrschaft des columbischen Großmarschall von Ayacucho, General Sucre. Sie besteht aus den sechs Departamentos: Potosi, la Paz, Oruro, Chuquisaca, Cochabamba, und Santa Cruz de la Sierra, mit 15,000 Q.M., 1,650,000 Einwohnern. Da die colombischen Truppen in dem üppigen Lande, wie Hannibal’s Karthager in Capua, verweichlichen und sich durch Wollüste aufreiben, so ist auch hier die Herrschaft Bolivars und seines Stellvertreters keinesweges fest begründet. Sucre hat es deshalb beim Ausbruche der Bewegungen gegen Bolivar’s Maßregeln rathsam gefunden, seine Streitkräfte auf der östlichen Seite der Anden zu concentriren. Das im Ganzen bildungsfähige, thätige, muthige Bergvolk ist, wie man wenigstens in Peru behauptet, seiner Militärherrschaft überdrüssig. Seit dem ersten Ausbruche der Revolution im Jahre 1810 – diese Gegend erhob sich von allen am frühsten gegen die spanische Herrschaft – war hier eine wahrhaft republikanische Gesinnung verbreitet. Bolivar ward 1825 als Befreier mit Entzücken empfangen. Jetzt steht zu erwarten, daß das Volk seine Souveränetät auch gegen ihn geltend machen werde. Die Finanzen dieses Staats sollen in bester Ordnung seyn; er hat keine auswärtigen Schulden.


10.

In Chile, wo das Militär wenig oder gar keinen Einfluß hat, sind die früher von allen Abgaben befreiten Einwohner blos deshalb unzufrieden, daß sie jetzt selbst für ihren Staatshaushalt sorgen müssen. Es besteht dort eine Centralregierung, an deren Spitze ein Präsident (seit Mai 1827, der General Pinto) mit sehr milden Provinzialbehörden. Nach einem Decret vom 18 März 1826 ist das Land in acht Provinzen getheilt: Coquimbo, Aconcagua, Santiago, Hauptort Curico, Maule, Hauptort Cauquenes, Concepcion, Valdivia und der Archipel Chiloe mit der Ciudad de Castro, 8437 Q.M., 1,200,000 Einwohner. Der Handel, vornehmmlich die Kupferausfuhr, ist bedeutend; die Britten üben, zur Deckung der Zinsen ihrer Anleihen, ein Monopol über die wichtigsten Einfuhrprodukte, aber eben dieses Monopol veranlaßt einen sehr vortheilhaften Schleichhandel. Das Volk ist sehr gutmüthig und zuthätig; das Klima ist den Europäern zuträglich. Der Bergbau im Innern ist wegen der durch die Hoch-Anden-Ketten unterbrochenen Communicationen vielen Schwierigkeiten unterworfen. Eine regelmäßige bequeme Poststraße durch die Platastaaten hin bis Buenos Ayres besteht, brachte aber wegen der Kriege mit Brasilien und der Blokade des Rio de la Plata in der letzten Zeit dem Lande nur geringe Vortheile.

[236]
11.

Die Republik Argentina, oder die sogenannten Vereinigten Staaten des Platastromes (Estados unidos del Rio de la Plata): Buenos Ayres, Cordova, Mendoza, San Juan de la Frontera, S. Luis de la Punta, Rioja, Catamarca, Santiago del Estero, Tucuman, Salta, Tarija, Sante Fe, Entre Rios, Corrientes, und – Banda Oriental, 70,000 Q.M. 2,500,000 Einwohner – stellen seit ihrer Befreiung im Jahre 1810 das anziehende Schauspiel einer Föderativ-Republik in allen durch diese Verfassungsreform bedingten Verwicklungen dar. Die durch Welthandel und den Umgang mit allen Nationen längst gebildeten Bürger der Stadt Buenos Ayres, und deren Regierung wünschten und bestrebten sich eifrigst die westlich und nordwestlich gelegenen Ortschaften, die bereits zur Zeit der spanischen Herrschaft mit der Stadt als Vicekönigreich Buenos Ayres vereinigt waren, wieder unter Einen Staat zu bringen, um dadurch eine Staatsmacht und einen Staatscredit zu begründen. Wirklich herrscht in dieser Handelsstadt ein herrlicher ächt republikanischer Geist, viel Gemeinsinn, Gastfreundschaft, Sinn und Neigung für freisinnige Bildung, selbst im Kreise der Frauen. Deutsche Reisende nennen Buenos Ayres das südamerikanische Hamburg. Doch eben dieß rege Leben, diese Befreiung von Vorurtheilen, und manche Localvortheile, erregen den Neid der landwärts einliegenden Staaten; Cordova unter Bustos, San Juan unter Quiroga-Facundo und Santiago unter Ibarra, wollen sich von der Hafenstadt (Porto, so heißt Buenos Ayres im Innern) nicht beherrschen lassen, wo so viele „Lutheranos“ sind. Diese und andere Staaten, alle eigentlich nur Landstädtchen und Flecken mit einem angebauten Weichbilde, durch Wildnisse geschieden, nähren, gleich den Ständen des vormaligen deutschen Reichs, eine wahrhaft spießbürgerliche Eifersucht gegen ihre Nachbarn. Dazu kommt das Vorbild der Hartnäckigkeit, welches der Dictator Francia in Paraguay, dem fruchtbarsten, reichsten Bestandtheil des vormaligen Vicekönigreich Buenos Ayres, giebt[1], wodurch zugleich der früher betriebene, höchst vortheilhafte Verkehr auf dem Paranastrom völlig gehemmt wird. In Betracht dieses zerrütteten Zustandes der Republik Argentina, die eigentlich nur Buenos Ayres heißen sollte, muß es in Europa, wo alle Staaten mit Recht schon hinsichtlich der Kostspieligkeit, das Wagespiel des Krieges scheuen, sehr räthselhaft erscheinen, daß eine so wenig organisirte Staatsgesellschaft, eigentlich nur eine einzige Handelsstadt von etwa 50,000 Einwohnern, die an Volkszahl der Hauptstadt Bayerns nachsteht, und etwa ein Dritttheil der jetzigen Bevölkerung von Hamburg enthält, sich erdreisten durfte, den Aufstand einer durch Sprache und Sitte verwandten Provinz, der Banda oriental, gegen ein benachbartes Kaiserreich zu unterstützen, ja, daß sie den Kampf gegen dasselbe ungeachtet der Blokade des Rio de la Plata, welche ihre Bevölkerung in die größte Noth versetzt, mit römischer Standhaftigkeit größtentheils siegreich besteht. Das Volk in der Umgegend des Uruguay und des Rio de la Plata griff, auf die Nachricht der Kaiser rücke an, um Buenos Ayres zu züchtigen und zu unterwerfen (M. s. die Proclamation des Präsidenten der V. Pl. St., Rivadavia, vom 16 December 1826) zu den Waffen und erkämpfte am 20 Februar 1827 den Sieg bei Ituzaingo, in dessen Folge ein Theil der südlichsten Provinz des brasilianischen Reichs, Riogrande do Sul, erobert ward. Argentinische Kaper umschwärmen die brasilischen Küsten und fügen dem Küstenhandel unsäglichen Schaden zu. Allem Anschein nach wird Brasilien sich daher genöthigt sehen, den so ungleichen Kampf durch Zugeständnisse zu enden und seinen Ansprüchen auf Montivideo, den Schlüssel des Platastromes, zu entsagen.

[244]
12.

Brasilien, ein Land von 127,000 Q.M., aber nur mit 5,000,000 Einwohnern, die in einzelnen von einander getrennten Gegenden im Innern und an der Küste zusammengedrängt sind. Die gegenwärtigen 18 Provinzen – Pará, Maranhao, Piauhy, Ciará, Rio grande do Norte, Parahyba do Norte, Pernambuco, Alagoas, Sergipe d’El Rey, Bahia, Espiritu santo, Rio de Janeiro, Santo Paulo, S. Catarina, Rio grande do Sul, Minas geraes, Goiaz und Matto grosso – bildeten zur Zeit der portugiesischen Herrschaft kein gemeinsames Ganze; die einzelnen Governos wurden von Lissabon aus regiert; Para, Maranhao, Parahyba, Pernambuco und Bahia kümmerten sich wenig um die Hauptstadt Rio de Janeiro. Erst durch Cochrane’s Eroberungszug im Jahre 1823 ward Brasiliens Nordküste an das Kaiserreich geknüpft, dessen Daseyn bis dahin dem größten Theil der Einwohner noch unbekannt war, und wovon das höchst rohe, träge Volk nur die verworrensten Begriffe faßte, eine Verbindung, welche indeß mit der Entweichung der kaiserlichen Kriegsschiffe von selbst aufhörte und nie tief in’s Innere wirkte. Wie in den Platastaaten ist auch in Brasilien nur Eine Stadt, die Corte Rio de Janeiro, der Mittelpunkt, um welchen sich das ganze Kaiserreich bewegt; dort ward Pedro I. zum Vertheidiger Brasiliens ausgerufen, dort strebte man eifrigst nach Selbstständigkeit und der Unabhängigkeit von Portugal; und diese Stadt von 160,000 Einwohnern muß mit ihren Handelsverbindungen den ganzen Aufwand der kaiserlichen Regierung decken. Die übrigen großen Handelsstädte, Pernambuco, Bahia etc. und selbst die reichen Provinzen Santo Paulo und Minas geraes sind nicht für die kaiserliche Regierung gestimmt, und nur die unglaubliche Indolenz und völlige Rohheit der von Sklaven umgebenen weißen Bevölkerung, die Furcht, diese Sklaven und freien Schwarzen und Farbigen möchten in Empörung gerathen, verhindert gewaltsame Schritte. Dennoch wird allenthalben alles aufgeboten, um die Wirksamkeit der kaiserlichen Regierung zu lähmen. So lange die Kaiserin Leopoldine (starb am 11 Dec. 1826) lebte, ward die Ehrfurcht vor dem Kaiser dadurch befördert, daß man überall das Gerücht verbreitete, die aus Hamburg und Bremen übergeschifften deutschen Soldaten seyen kaiserlich österreichische Truppen, und der Kaiser von Oesterreich werde seiner Tochter eine starke Armee zur Hülfe schicken, wenn die Brasilier nicht gehorsam blieben. Mit dem Tode der Kaiserin, einer der edelsten Frauen, welche je einen Thron schmückten, begann diese Furcht zu schwinden. Geht der Kaiser nach Portugal, so ist Brasilien für ihn verloren, und Friede ist ihm vor Allem nöthig, um seine ungetheilte Aufmerksamkeit auf die Einführung der Ordnung in sein Reich lenken zu können. In Brasilien, wie überall in Südamerika, fehlt es der gegenwärtigen Generation an Männern, die zum Staatsdienste fähig wären; der Kaiser sorgt indessen dafür, daß junge Brasilier von Talent in Frankreich, England und Deutschland für diesen Zweck gebildet werden. – Die Abzahlung der Zinsen der Staatsschuld in England wird gewissenhaft durch brasilische Handelshäuser, welche sich verbürgt haben, besorgt, daher auch die brasilischen Fonds von allen amerikanischen am besten stehn. Ueberhaupt ist Großbritannien mit Brasilien in sehr freundschaftlichen Verhältnissen, und die brittische Flagge genießt großer Vorrechte. Es herrscht Religionsduldung; durch die Bemühung des k. preuß. Consuls Theremin und des großherz. meklb. Consuls Biesterfeld wird jetzt eine deutsch-protestantische Kirche in Rio de Janeiro errichtet.


  1. M. s. historischer Versuch über die Revolution von Paraguay und die Diktatorialregierung von Dr. Francia. Ein Abschnitt der Reise nach Paraguay von J. R. Rengger und M. Longchamp. Stuttgart u. Tüb. 1827.