Die redenden Kräuter der guten alten Zeit

Textdaten
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Autor: Rudolf Kleinpaul
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Titel: Die redenden Kräuter der guten alten Zeit
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 160-162
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die redenden Kräuter der guten alten Zeit.

Von Rudolf Kleinpaul.

Der gelehrte Leibarzt des Fürstbischofs von Würzburg Johann Bartholomäus Adam Beringer hat im vorigen Jahrhundert Versteinerungen für hebräische Buchstaben angesehen und 1726 ein großes Prachtwerk mit einundzwanzig Kupfern herausgegeben, um das Wort des Psalmisten zu illustrieren: Denn so er spricht, so geschieht’s; so er gebeut, so stehet’s da. Die Fossilien waren gefälscht und in der Gegend von Würzburg unter der Erde vergraben worden. Er glaubte, ganze hebräische Worte, ja, den Namen Jehovah selber in den Steinen zu erkennen, und nahm an, daß dies die Lapidarschrift des Schöpfers gewesen sei.

Uns erscheint heutzutage in der Pflanzenwelt vieles als Naturspiel, was in der guten alten Zeit einmal für eine geheimnisvolle Sprache Gottes gegolten hat.

Wenn die Botaniker herzförmige, nierenförmige, handförmig geteilte, fußförmig geteilte Blätter unterscheiden, so wird niemand etwas anderes als ein Naturspiel in diesen Formen sehen. Wenn ein bekanntes Unkraut seiner dreieckigen Schote wegen den Namen Hirtentäschel führt, wenn eine Blume Eisenhut, eine Morchel Tirolerhütchen heißt, so denkt man nicht daran, etwas hinter diesen Bezeichnungen zu suchen. Früher war das anders.

Eine der seltsamsten Verirrungen des Menschengeschlechts, eine phantastische Kombination, die aber weitreichende praktische Folgen hatte und tief in die mittelalterliche Arzneimittellehre eingriff, ja, in der Volksmedizin heute noch spukt, war die Lehre von der sogenannten Signatur der Pflanzen.

Die spezifischen Mittel, d. h. Heilmittel, die gegen bestimmte Krankheiten halfen, sollten nach dieser Lehre besondere Kennzeichen tragen. Jedes Kräutlein hatte eine Form und eine Farbe und eine Beschaffenheit, daß man gleich sehen konnte, wozu es gerade gut war: was auf den Kopf wirkte, glich auch einem Kopfe, was ein herzstärkendes Mittel war, hatte auch Herzform; das Leberblümchen war wie ein „redendes Wappen“, es glich [161] [162] ist der sogenannte Zahntrost, eine Art Euphrasia. Demnach mußte es auch dazu dienen, Zahnschmerzen zu stillen, und seinem Namen Ehre machen.

Das war also nicht bloß ein Naturspiel, ein gezahntes Blatt, sondern ein wichtiges Anzeichen! – Man darf dreist behaupten, daß die meisten alten Hausmittel auf solchen Faseleien beruhen und die Hälfte der Medizinflaschen an dieser Quelle gefüllt worden ist, sie haben keine andere Signatur getragen.

In anderen Fällen verriet das Kraut die Krankheit, gegen die es zu brauchen war, direkt, z. B. das Schöllkraut, das einen gelben Saft enthielt, die Gelbsucht und die Sommersprossen. Was hätte wohl die Brennnessel anderes angezeigt als das Sodbrennen und das Seitenstechen? – Noch gegenwärtig pflegt die heilsame Brennnessel in der Umgegend von Leipzig vom Volke gesucht zu werden. Besonders merkwürdig und für die Denkungsart des Volks bezeichnend ist das Johanniskraut oder das Hartheu (Hypericum). Es scheint gleichsam aus tausend Wunden zu bluten; die mit zahlreichen Oeldrüsen durchsetzten Blätter erscheinen, gegen das Licht gehalten, durchsichtig punktiert, und wenn man die Blumen, die ebenfalls schwarz punktiert sind, drückt, so tritt ein roter Saft aus. Ein weißes Taschentuch wird rot gefärbt, gerade als ob Blut darauf gefallen wäre. Aus diesem Grunde diente das Johanniskraut nicht bloß als Zaubermittel, sondern vor allem als Wundmittel gegen Blutungen aller Art; auch in Frankreich, wo man die Pflanze Milepertuis, wörtlich: Tausend Löcher, nennt, nahm sie bisher unter allen Heilkräutern die erste Stelle ein.

Es giebt eigene Naturspiele. Zum Beispiel scheinen zwei Pflanzen verwandelte Schlangen zu sein. Bei der einen haben die Samen die Gestalt eines Schlangenkopfes, daher das Kraut auch Natterkopf heißt (Echium); die andere züngelt wie eine Schlange, daher sie auch Natterzunge, Ophioglossum, heißt. Letzteres ist ein Farn, der eine Aehre wie eine kleine platte spitzige Zunge vorstreckt. Von dem Natterkopf, der auch Blauer Heinrich heißt, benutzt man nun folgerecht Wurzel, Kraut und Samen bei Schlangenbissen, indem man ein schleimiges, kühlendes und erweichendes Mittel daraus bereitet; die „Natterzunge“, in Olivenöl gesotten, ist ein Wundmittel wie das Johanniskraut.

Der Leser begreift, eine wie unsichere Führerin die zufällige Aehnlichkeit auf diesem wie auf manchem anderen Gebiete ist und daß man um so mehr Grund gehabt hätte, den redenden Kräutern zu mißtrauen, je deutlicher die Sprache war, die sie führten. Deshalb ist auch die Wissenschaft von der Signatur der Pflanzen gänzlich zurückgekommen. Heutzutage werden die Heilmittel an ihren Wirkungen erkannt; und so wirkt denn zum Beispiel der Fingerhut, der doch auf den Finger zu weisen scheint, weit sicherer auf das Herz als selbst ein Löwenherz, das man gebraten zu Nacht gegessen hat.

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