Die neue französische Jugendwehr

Textdaten
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Autor: Moritz Zettler
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Titel: Die neue französische Jugendwehr
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aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 608-611
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die neue französische Jugendwehr.

Am 13. Juli dieses Jahres, am Vorabende des französischen Nationalfestes, paradirte das jüngst in’s Leben gerufene Pariser Schülerbataillon uniformirt und bewaffnet vor dem Kriegsminister und vor der festlich gestimmten, aufjauchzenden Pariser Einwohnerschaft. Daß an dieses Auftreten zukünftiger Krieger die Zuschauer hochgehende Hoffnungen knüpften, läßt sich bei dem sanguinischen Charakter der Franzosen als selbstverständlich voraussetzen. Dieses Auftreten war die erste öffentliche Kundgebung der seit Kurzem gesetzlich im ganzen Gebiete der französischen Republik eingeführten soldatischen Ausbildung der schulpflichtigen Jugend. Mit dieser Ausbildung hat man sich keine geringere Aufgebe gestellt, als die Wehrkraft des Volkes zu heben, oder, wie der Minister Jules Ferry in seinem officiellen Rundschreiben an die Schulbehörden des Landes vom 29. Mai 1880 sagt, „die beabsichtigten Erfolge unserer Militärgesetze zu sichern“.

Den militärischen Vorrang, in dessen vollständigem Besitze man sich jenseits des Rheines bis zum Kriege von 1870 und 1871 glaubte, hofft man zu einem Theile damit wieder zu erlangen, daß man in den Schulen Marschübungen und Ausflüge mit den Knaben anstellt, ihnen Gewehre zum Exerciren in die Hände giebt und im dritten Trimester Unterricht im Schießen ertheilt, das nach der Erklärung des Ministers „ebenfalls großes Interesse darbiete“. Neben diesen militärischen Uebungen ist gleichzeitig in allen öffentlichen Unterrichtsanstalten für Knaben durch das Gesetz vom 27. Januar 1880 das Turnen obligatorisch eingeführt. Auch dies betrachtet man „als eine unerläßliche Ergänzung des Schulunterrichts“ und hat daher für beides bestimmte Stunden des Schulplans in Anspruch genommen.

Man sieht aus diesen Neuerungen, daß unsere Nachbarn etwas von uns gelernt haben, indem sie erkennen, daß die Erziehung der heranwachsenden Generation zu körperlicher Kraft und Gewandtheit eine Hauptbedingung des nationalen Aufschwungs und namentlich die nothwendige Grundlage für die allgemeine Heerpflicht ist.

Auch weiterhin giebt sich jenseits der Vogesen das Verlangen kund, in beregter Richtung Versäumtes nachzuholen. So wurde in den letzten Jahren den Bestrebungen der französischen Turnvereine seitens der Vertreter der Regierung eine bisher ungewohnte Aufmerksamkeit geschenkt. Am 6. Februar 1880 z. B. empfing der Kriegsminister in Paris den Präsidenten und den Delegirten des Verbandes der französischen Turnvereine. Der Präsident betonte in seiner Ansprache, daß „die Turnvereine einen Bindestrich zwischen Schule und Armee bildeten“, worauf der Minister versprach, die Vereine auf alle mögliche Weise zu begünstigen. Ferner wurde das von ungefähr 2000 Turnern am 28. Mai dieses Jahres in Rheims abgehaltene französische Turnfest ausgezeichnet durch die Anwesenheit des Unterrichtsministers Jules Ferry, des Ministers des Innern Goblet und des Generals Chanzy. Ferry pries vom pädagogischen Standpunkte aus das Turnen als eine Vorschule der Disciplin, des Pflichteifers, freiwilliger Unterordnung, ohne welche gerade die Republik nicht bestehen könne. Andererseits begrüßte Goblet die Turnvereine als die schönsten Blüthen des Vereinswesens, des Geistes der Association, der in Frankreich noch gar sehr der Entwickelung bedürfe. Man hat sich also in Frankreich entschlossen, die Pflege des Turnwesens mit allen Kräften zu fördern.

Es liegt im französischen Nationalcharakter, jede Neuerung schwungvoll in Scene zu setzen. So mußten denn im vorliegenden Falle die kleinen Turner Uniformröcke erhalten und Gewehre in die Hände bekommen. Das ist natürlich in Frankreich eine begreifliche Erscheinung, doch wird man wohl in Paris kaum geahnt haben, daß diese, man möchte sagen, harmlose Spielerei in gewissen deutschen Kreisen eine unverkennbare Eifersucht und den Wunsch nach Nachahmung wach rufen werde. Das geschah aber wirklich; denn man hat es für angezeigt gefunden, in einem Theile der deutschen Presse unter Hinweisung auf die französische Jugendwehr die Einführung einer soldatenmäßigen Ausbildung der im schulpflichtigen Alter stehenden deutschen Knaben zu erörtern. Man witterte in dieser französischen Neuerung für uns eine Gefahr und vergaß doch ganz und gar, daß die französische Behörde nur das nachgeahmt hat, was seiner Zeit in Deutschland von einer Anzahl von Vereinen angestrebt und ausgeführt worden ist. Uns allen sollte noch erinnerlich sein, daß zu Anfang der sechsziger Jahre in der Zeit des ersten Aufwallens politisch freier Regungen nach einer sterilen Reactionsperiode sich Vereine gründeten, welche Jugendwehren in’s Leben riefen. So wurde z. B. zur Zeit des ersten deutschen Bundesschießens im Juli 1862 in Frankfurt eine Jugendwehr gegründet, und andere Orte, wie Heidelberg, Darmstadt, Wiesbaden, folgten bald diesem Beispiele. Die Frankfurter Jugendwehr hielt im Jahre 1864 zwei Manöver ab, und das Jahr darauf im September kamen die Jugendwehren aus vielen Städten in Frankfurt zusammen, um einen Jugendwehrtag und Tags darauf ein Manöver abzuhalten, an welchem sich die Stuttgarter sogar mit vier Kanonen und vierundvierzig Artilleristen betheiligten. Württemberg war in Angelegenheiten der Jugendwehr allen voran.

„Die Bedeutung dieser Institute,“ schrieb man damals, „steht außer Frage. Sie sind ein wichtiges Erziehungsmittel. In ihnen liegt aber auch der fruchtbarste Keim für die Wehrtüchtigkeit des Volkes, und sie befördern den Geist der Vaterlandsliebe.“ [609] Trotz dieses Lobes bedurfte es jedoch nur des Hauches einer ernsten Kriegszeit, um die Jugendwehren über den Haufen zu werfen. Am längsten hielten sich die Württemberger, die noch einige Jahre nach 1866 vegetirten, bis auch sie endlich der Kriegslärm von 1870 gänzlich hinwegfegte. Wenn dem Wesen der Jugendwehren etwas Gesundes und Volksthümliches inne gewohnt hätte, so wäre sicher ihr Bestand nicht ein so vorübergehender, ihr Ende kein so klägliches gewesen.

Wie anders dagegen das Turnen, das trotz Verfolgung und Aechtung jederzeit gekräftigter und gefeiter aus schlimmer Zeit hervorging! Es widerstrebt dem deutschen Geiste, unverständige Knaben und halbreife Jünglinge in vertrautem Umgange mit Waffen zu sehen. Andererseits sind aber auch die militärischen Uebungen gar nicht so geartet, daß sie auf die Dauer von Jahren irgend einen Menschen fesseln könnten. Der Stoff ist ein allzu beschränkter und einseitiger, als daß er das Interesse der Betheiligten länger zu beanspruchen vermöchte, als der Reiz der Neuheit dauert. Das Uebungswerk ist so gering an Inhalt, daß die erste Ersatzreserve sich denselben in acht bis höchstens zehn Wochen so anzueignen vermag, daß sie im Kriegsfalle der activen Armee einverleibt werden kann.Die früheren deutschen Bestrebungen für Jugendwehren und die jetzigen der Franzosen unterscheiden sich allerdings dadurch, daß die ersteren privatlicher Natur waren, während letztere auf einer staatlichen Einrichtung beruhen. Es liegt daher schon in der ganzen Institution, daß die französischen Jugendwehren von längerem Bestande sein werden, als es die deutschen waren. Sicher werden daher von Zeit zu Zeit unsere Zeitungen von öffentlichen Paraden, von größeren Uebungsmärschen, oder wohl gar von Manövern ganzer Bezirke dieser Jugendwehren berichten können. Auch wird es nicht fehlen, daß dieser oder jener hohe Officier es angezeigt finden wird, diese Soldaten en miniature öffentlich in warmer Ansprache als würdige zukünftige Stützen der Armee der großen Nation zu verherrlichen.

Eine Aenderung in diesen neu eingeführten Verhältnissen kann nur die Erkenntniß herbeiführen, daß diese militärischen Uebungen nicht von dem erhofften Werthe sind, nicht den Vortheil gewähren, der in einem entsprechend richtigen Verhältniß zu der verbrauchten Zeit, zu den verausgabten Geldkosten, zu den verursachten Mühen steht. Bevor aber derartige Erörterungen überhaupt sich ermöglichen lassen, sind selbstverständlich die Erfahrungen einer Reihe von Jahren nothwendig. Lassen wir daher den Franzosen ihre Freude an den neuen, militärisch ausgerüsteten Jugendwehren! Diese bringen uns keine Gefahr. Je länger und je mehr sich die Franzosen an solchen Spielereien ergötzen und sich daran bei Nationalfesten erwärmen, um so harmloser für uns wird die ganze Angelegenheit, da sie dabei den Schwerpunkt der turnerischen Erziehung ihrer Jugend in diese Aeußerlichkeiten legen und die Hauptsache, die eigentliche straffe Turnerarbeit, die methodische Erziehung des Körpers zu Kraft und Gewandtheit mittelst anstrengender und durchbildender Uebungen vernachlässigen.

Ernster für uns wird jedoch die Situation von dem Tage an, wo die zeitraubende und verhältnißmäßig ganz geringen Nutzen gewährende Soldatenspielerei in Frankreich fortfällt, dafür aber das Turnen um so mehr in den Vordergrund tritt; denn dann stände fest, daß unserem Erbfeinde auf den Turnplätzen mit der Zeit [610] ein Material für seine Armee erwachsen würde, das unsererseits alle Aufmerksamkeit und Beachtung verdiente.

Deutschland ist glücklicher Weise in Betreff der Turnfrage Frankreich weit voraus. Durch die Thätigkeit der seit mehr als einem Menschenalter über unser ganzes Vaterland sich ausbreitenden Turnvereine, die leider bis zur Stunde von den deutschen Regierungen so gut wie gar keine aufmunternde Unterstützung erhalten haben, hat sich in vielen Gauen ein gewisses Verständniß für die Pflege der Leibesübungen verbreitet, sodaß die Einführung des Turnunterrichts in den Schulen vielerorts einen bereits vorbereiteten Boden fand.

In vielen Provinzen Deutschlands ist schon seit Jahren der obligatorische Turnunterricht eine vollendete Thatsache; für die weitere Entwickelung der Turnsache steht eine zahlreiche und wohlgeschulte Turnlehrerschaft in Wirksamkeit, und eine reichhaltige Turnliteratur hat jede Buchhandlung zur Verfügung. So werden Jahrzehnte vergehen, bevor Frankreich bei allem Eifer, den es jetzt bei Einführung des Turnunterrichts zur Schau trägt, unsern jetzigen Standpunkt im Turnen erreichen wird.

Einige Vertreter der deutschen Presse sind im Hinblick auf jene französische Spielerei so weit gegangen, zu behaupten, „die turnerische Ausbildung werde die militärische Exercirausbildung weder ersetzen noch überflüssig machen können.“

So absprechend für das Turnen dieses Urtheil lautet, so unbegründet ist es. Richtig ist an demselben nur, daß jeder zum Militär ausgehobene Turner sich das specifisch Militärische, wie z. B. das Verständniß für die Bedeutung der Abzeichen, der Befehle, der Gewehrgriffe, der Marschbewegungen, in einer besonderen Recrutenzeit anzueignen hat. Dasselbe würde aber auch der Fall bei allen denen sein, die sich einer wirklichen militärischen Erziehung erfreuten; denn es ist kaum vorauszusehen, daß bei solchen die Militärbehörde von einer Lehrzeit absehen dürfte, da ohne allen Zweifel die einheitliche militärische Ausbildung der aus den verschiedensten Gegenden in ein Regiment Eintretenden immer etwas zu wünschen übrig lassen würde. Gern kann man zugeben, daß in diesem Falle für die Recrutenausbildung eine kürzere Dauer nöthig und die Arbeit selber für die Exercirmeister leichter sein werde als zur Zeit. Diesem vermeintlichen Vortheile steht aber die seit vielen Jahren so oft und in den verschiedensten Gegenden beobachtete Thatsache gegenüber, daß gute Turner sich mit der größten Leichtigkeit in die militärischen Exercitien hineinfinden. „Turnerisch vorgebildete Soldaten haben an das specifisch Militärische etwa so viel Mühe zu verwenden, wie ein schon ausgebildeter Soldat braucht, ein neues Reglement kennen zu lernen.“ (Dr. F. A. Lange: „Die Leibesübungen“.)

Es ist diese Erscheinung die natürliche Folge davon, daß auf den Turnplätzen complicirtere Ordnungsübungen getrieben werden, als die militärisch-taktischen Uebungen an sich sind, und daß zu zusammengesetzten Frei-Uebungen und zu den meisten Geräthübungen eine größere körperliche Ausbildung nöthig ist, als zur Erlernung der verhältnißmäßig einfachen Gewehrübungen. Die sogenannte militärische Jugendausbildung hat daher in der angedeuteten Richtung der turnerischen gegenüber gar nichts voraus. Dagegen bietet diese für die Wehrhaftmachung des Volkes so große Vortheile, wie sie durch jene gar nicht zu ersetzen sind. Nur in kurzen Worten möge dies noch dargethan werden.

Die Aufgabe des Turnens ist die harmonische Durchbildung des ganzen Körpers; daher findet bei demselben denn auch die ganze Bewegungsanlage des Menschen durch entsprechende Uebungen eine verhältnißmäßige Berücksichtigung. Kräftig und gewandt soll sich der Einzelne durch die turnerischen Uebungen machen, und in welch hohem Grade dies zu ermöglichen, bedarf wohl zur Zeit keiner Erörterung mehr. Viele Uebungen sind weiter so geartet, daß sie direct der Ausbildung von Entschlossenheit und Muth Vorschub leisten, daß sie die Behendigkeit und Schnelligkeit des Uebenden fördern, seine Ausdauer und Anstelligkeit erhöhen. Weiter ist es eine bekannte Thatsache, daß durch turnerische Leibesübungen die Widerstandsfähigkeit des Körpers gegen Krankheiten und Witterungseinflüsse bedeutend erhöht wird. Diese aus dem Turnen sich ergebenden Vortheile machen aber gleichzeitig die Haupttugenden des tüchtigen Wehrmannes aus. Turnen und Wehrtüchtigkeit sind daher auf das Engste mit einander verschwistert.

Das Material des Turnens ist von einem solchen Umfange, von einer so großen Vielgestaltigkeit, daß für den Strebsamen des Lernens kein Ende ist. Das ist es, was das Turnen nicht zum Ueberdruß werden läßt, was immer neue Reize bietet. Diese hier mur kurz angedeutete Allseitigkeit einer turnerischen Erziehung läßt sich gar nicht mit der sogenannten militärischen, die bekanntlich ihren Schwerpunkt auf die Einübung einiger Marschformen, einiger Ordnungsübungen und Gewehrgriffe legt, vergleichen. Wer nur einigermaßen Kenntniß von dem hat, was man zur Zeit unter der Durchbildung des Körpers versteht, und wer weiß, welche Mittel man zur Erreichung dieses Zieles anwendet, der wird nicht einen Augenblick in Zweifel darüber sein, daß unsere Jugendbildung bezüglich der leiblichen Ausbildung den richtigen Weg betreten hat, und dem wird es nie beikommen, der sogenannten „militärischen Jugenderziehung“, die schließlich doch in nichts Anderem gipfelt, als im sogenannten „Soldatenspielen“, ein Wort der Anerkennung zu schenken, mögen auch die Paraden der französischen Jugendwehren noch so prunkend ausfallen, mag ihr Lob auch weithin erschallen.

Dagegen ist in ernste Erwägung zu ziehen, ob unsere bisherigen Veranstaltungen zu tüchtiger turnerischer Erziehung der Jugend auch genügen. Leider muß man bekennen, daß wir, trotz des erwähnten Vorsprungs vor den Franzosen, noch lange nicht auf einem Standpunkte stehen, der dem Ideale nahe käme.

Der Turnunterricht ist noch lange nicht in alle deutschen Schulgemeinden eingeführt. Ferner sind nicht selten da, wo jetzt schon geturnt wird, die Unterrichtseinrichtungen von großer Dürftigkeit; auch wird an vielen Orten nur in den Sommermonaten geturnt; endlich werden in den allermeisten Fällen nur zwei Stunden wöchentlich für den Turnunterricht angesetzt, während doch die Sorge für die Gesundheit des Einzelnen, für die Wohlfahrt des Volkes zu der Forderung drängt, bei der Jugenderziehung den Leibesübungen jeden Tag eine Stunde zu widmen. Daß die Erfüllung dieser Forderung nicht unmöglich ist, dafür liefert das so hochcultivirte Volk des Alterthums, die Griechen, einen thatsächlichen Beweis; in den altgriechischen Unterrichtsanstalten hatten die Zöglinge täglich auch Leibesübungen zu betreiben.

Auf dem Gebiete der Schule ist daher betreffs der Leibespflege noch ein großes Feld zu bestellen, und wenn hier deutscherseits nicht in einem rascheren Tempo vorgeschritten wird, so kann es sich ereignen, daß die Franzosen bei ihrem jetzigen Eifer uns einholen, ja sogar überholen. Es seien deshalb alle Die, welche durch die Parade der Pariser Jugendwehr stutzig geworden, auf das ernstlichste eingeladen, mit allen Kräften für eine durchgreifendere turnerische Erziehung unserer Schuljugend einzutreten.

Wohl verdienen die deutschen Turnvereine alles Lob, daß sie bisher den Jünglingen bequeme Gelegenheit geboten haben, ihren Körper zu üben und zu stählen. Leider ist es jedoch nur ein ganz kleiner Procentsatz der deutschen Jünglinge und Männer, welche die Vereinsturnplätze besuchen.

Nach der letzten Statistik vom 1. Januar dieses Jahres haben 1881 von den 42 Millionen Einwohnern des deutschen Reiches in nicht mehr als 2067 Orten nur 108,032 Mann geturnt. Dies ist ein Ergebniß, das im Interesse unserer Nation auf das Tiefste beklagt werden muß, weil es offen darlegt, wie wenig noch bei uns auf die Pflege und Ausbildung des Körpers gegeben wird. Nicht blos der Einzelne, der sich dieser Ausbildung entzieht, leidet darunter, sondern die ganze Nation, indem ein großer Theil der dem deutschen Volke innewohnenden Anlagen sowohl für gewerbliche Zwecke wie auch für die Wehrtüchtigkeit unausgebildet und daher unbenutzt bleibt. Hier muß im Interesse der Allgemeinheit Wandel geschaffen werden.

Wie sehr der Staat bei der geltenden allgemeinen Wehrpflicht interessirt ist, jederzeit ein tüchtiges Aushebungsmaterial zur Hand zu haben, und wie ein solches durch eine langjährige turnerische Uebung zu erlangen ist, bedarf nicht mehr der Begründung. Daher sind Mittel und Wege zu schaffen, die dahin führen, daß die Jugend nicht blos während der Schulzeit, sondern auch nach derselben bis wenigstens zur Recrutirung regelmäßig Leibesübungen treibt. Mit einem Schlage könnte man nach dieser Richtung hin Großes erreichen, wenn gesetzlich vorgeschrieben würde, daß Jeder, der sich ein gewisses Maß körperlicher Durchbildung angeeignet hat, eine kürzere active Militärdienstzeit sich erwerben kann. Von Stund an würden die Turnplätze überfüllt sein; man würde regelmäßig üben, um seiner Zeit den gestellten Ansprüchen zu genügen. Ohne alle Kosten würde alsdann der Staat für [611] seine Armee ein Material erhalten, wie es besser kaum zu erhoffen wäre.

Unerörtert bleibe hier ganz und gar, welche finanziellen Vortheile dem Staate erwachsen müßten, wenn bei den meisten seiner Heerpflichtigen die active Dienstzeit auf die Hälfte der jetzt üblichen herabgesetzt würde, ohne auch nur die geringste Einbuße an der Tüchtigkeit des Heeres zu erleiden. Dagegen sei hervorgehoben, welcher physische und moralische Nutzen der Jugend selbst erwachsen würde, wenn sie genöthigt wäre, einer gesundheitförderlichen Thätigkeit ihre Freistunden zu widmen, die zur Zeit leider nicht immer erfreuliche Verwendung finden.

Endlich sei betont, daß all dies nicht blos dem gegenwärtigen Geschlechte, sondern auch dem kommenden zum Vortheile gereichen würde; keine Schätze der Erde überwiegen die einem Kinde von Geburt an innewohnende Gesundheit, Kraft und Widerstandsfähigkeit.

Im eigenen Interesse des Staates liegt es daher, die turnerische Erziehung der ganzen Nation von früher Jugend auf mit allen Kräften zu fördern. Zur Zeit hat dies der Staat um so nöthiger, als Frankreich das Schulturnen eingeführt hat und bei richtiger Handhabung desselben das französische Volk die beabsichtigte Hebung der Wehrtüchtigkeit erreichen wird. Die jetzt beliebten militärischen Extravaganzen der französischen Jugenderziehung können uns nicht blenden. Möge unser Bestreben vielmehr dahin gehen, durch erhöhte und verallgemeinerte Ausbildung des Turnwesens die leibliche und geistige Tüchtigkeit unseres Volkes mehr und mehr zu heben! M. Zettler.